Kein Haftbefehl, wenn Eltern mir krebskrankem Kind nach Hause kommen
Bundespräsident Klestil setzt sich für Olivia ein
„täglich ALLES“ deckte auf – und jetzt interveniert Bundespräsident Thomas Klestil: Er kämpft um eine „menschliche Lösung“ im Fall Olivia Pilhar (6) aus Maiersdorf (NÖ).
Das Mädchen wurde von seinen Eltern mit auf die Flucht genommen.
Auf die Flucht vor der Schulmedizin – sie wollen die Krankheit ihrer Tochter von einem „alternativen Mediziner“ heilen lassen. Ihnen wurde daraufhin das Sorgerecht entzogen.
Durch die Flucht könnten mehrere Paragraphen verletzt worden sein. Paragraphen, die den Eltern bis zu zehn Jahren Gefängnis einbringen könnten!
Es geht aber nicht um Paragraphen, sondern um das Leben des Kindes. Deshalb trat nun Bundespräsident Thomas Klestil auf den Plan. Er intervenierte beim Justizministerium. Das bestätigte ein Sprecher des Präsidenten.
Das offizielle Ziel, so der Sprecher: „Eine menschliche Lösung des Falles.“ Was dahinter steckt: Es laufen Bemühungen auf höchster Ebene, um Straffreiheit für die Eltern der kleinen Olivia zu erwirken. Straffreiheit für den Fall, daß sie noch heute, Donnerstag, nach Österreich zurückkehren. Nur dann sehen Schulmediziner noch eine Chance, das Kind vor dem Krebstod zu retten.
Das Justizministerium signalisierte bereits Bereitschaft, dem Ansinnen des Bundespräsidenten nachzukommen. Auch dort hat man vor allem das Wohl des Kindes im Auge.
Wer ist dieser Dr. Hamer eigentlich?
Aufgewachsen ist Dr. Geerd Ryke Hamer (heute 59) in Leer (Friesland). In Erlangen studiert er Theologie, Medizin und Physik. In dieser Zeit arbeitet Hamer auch als Erfinder. Insgesamt besitzt er 30 Patente. Darunter das in Chirurgenkreisen bekannte „Hamersche Messer“.
1957 heiratet er seine Frau Sigrid. Sie ist ebenfalls Ärztin. Mit ihr bekommt er vier Kinder. Dann ein Umzug nach Italien. Dort behandelt der Mediziner die ärmsten der Armen. Kostenlos. Die Familie lebt von den Tantiemen aus den 30 Erfindungen.
1978 wird sein Sohn Dirk während eines Korsikaurlaubes von Viktor-Emanuel von Savoyen, dem italienischen Thronfolger, erschossen. Kurz danach erkrankt Dr. Hamer an Hodenkrebs. „Mir war klar, daß das Schockerlebnis den Krebs ausgelöst hat.„, sagt Dr. Geerd Ryke Hamer in einem „täglich ALLES“-Interview 1994. Danach beginnt Hamer zu forschen. Auf seine Art. „Das war und bin ich meinem toten Sohn schuldig.“
1981 Dr. Geerd Ryke Hamer geht mit seinen Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit. Gleich danach wird ihm von der deutschen Ärztekammer die Approbation entzogen. Er darf keine Patienten mehr behandeln. Er beginnt Bücher zu schreiben. Und eröffnet in Burgau (Stmk.) das „Zentrum für Neue Medizin„.
Der Arzt, der Olivia retten will: „ICH KLAGE AN …“
Prim. Dr. Olaf Arne Jürgenssen, Vorstand der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde in Wr. Neustadt.
Er hat bei Olivia den Tumor festgestellt. In einem offenen Brief erhebt er schwere Vorwürfe. Hier die Originalzitate:
„Ich klage an: Frau Dr. Petrovic. Sie hat mit parlamentarischen Anfragen jener Lehre, die wider besseres Wissen noch immer eine wissenschaftliche Überprüfung verlangt, eine Scheinlegitimität verliehen. Als ob eine Lehre, die Infektionen, Immunstörungen, Metastasen, Hirnturmoren usw. als inexistent bezeichnet, noch überprüft werden müsste …“
„Ich klage an: den ORF. Er hat sich auf der Quotenjagd nicht gescheut, ein Publikumsspektakel zur besten Sendezeit zu veranstalten. … er hat jenem Wunderheiler Gelegenheit zur Selbstdarstellung gegeben …“
„Ich klage an: Pro7. Jenen Sender, der Reality TV pur bringt, das langsame Sterben eines Kindes, live und in Realzeit, in netten kleinen Reports scheibchenweise vermarktet. Es lebe der Nervenkitzel, der die Quoten in die Höhe treibt. Vermutlich übt der Kameramann bereits die Kameraeinstellung auf dem Friedhof …“
„Ich klage an: eine Polizei, die nicht imstande ist, eine mehrköpfige Familie rechtzeitig zu finden …“
„Ich klage an: eine Gesellschaft, wo mehr als 800.000 Zuschauer neugierig ein Duell verfolgen, das mit dem Tod eines kleinen Mädchens enden wird …“
„Ich klage an, weiß aber nicht, ob ich noch irgend jemanden damit aufrütteln kann. Vor zwei Monaten ist der Tumor von Olivia im Stadium II heilbar gewesen. Mit etwas Glück könnte es noch immer ein Stadium III sein, noch immer grundsätzlich heilbar …“
Verbessert psychische Betreuung!
Der Wiener Arzt Dr. Johannes Huber übt im Zusammenhang mit dem Fall der kleinen Olivia auch Kritik an der Schulmedizin:
„Die psychische Betreuung in den Krankenhäusern müßte verbessert werden, um zu verhindern, daß Patienten in die Hände von Kurpfuschern fallen.“
Wie er zu Geerd Ryke Hamer steht?
„Der Mann ist ein Scharlatan!“
Tragisch empfindet der Gynäkologe, der im Wiener AKH praktiziert, daß die Alternativmedizin durch diesen Vorfall in Mißkredit gerät.
„Wir Arzte stehen den alternativen Methoden keinesfalls negativ gegenüber. Doch Hamer versucht die Betroffenen von der Schulmedizin fernzuhalten. Für das kranke Mädchen hat das fatale Folgen.“
Seine Methoden sind falsch
Doktor Fritz Roithinger, anerkannter Alternativmediziner in Kirchberg (Tirol), kennt Geerd Ryke Hamer persönlich. Der Mediziner im Gespräch mit „täglich ALLES“:
„Hamers Grundgedanken sind richtig, doch die Ausführung ist falsch. Er versucht seine Patienten von der Schulmedizin zu isolieren. Die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten soll aber vom Kranken und nicht vom Arzt getroffen werden.“
Hamer habe große diagnostische Fähigkeiten, doch enorme Aggressionen gegen die Schulmedizin, berichtet der Berufskollege.
„Tragisch, daß die Eltern von Olivia wegen seiner Aggressionen weglaufen und ihr krankes Kind isolieren.“
Vater aus Spanien: „Kommen nicht nach Hause, Olivia geht es besser!“
Eine Flucht ohne Ende? Olivias Vater hat sich telefonisch aus Südspanien bei seinem Schwiegervater gemeldet und angekündigt: „Wir kommen nicht nach Hause. Der Tumor ist zurückgegangen. Olivia geht es besser.„
„Alternativmediziner“ Dr. Hamer ist laut Auskunft des Vaters, Helmut Pilhar, bei Olivia. Rückkehr sei kein Thema. Auch daß das Justizministerium einen Haftbefehl aussetzte, sollten die Eltern Olivia bis Freitag zurückbringen, änderte daran nichts. Trotzdem wartete am Mittwoch ein Jet der Ärzte-Flugambulanz mit der Kinderärztin Marina Marcovich am Flughafen Schwechat. Bereit zum Abflug nach Spanien. Bereit, Olivia heimzuholen und vielleicht zu retten. Doch daraus wurde nichts. Mittwoch abend meldete sich lediglich ein Journalist eines deutschen Privatsenders beim ORF. Er war als „Vertrauter der Familie Pilhar“ nach Spanien geflogen. Und bestätigte nur, daß Olivia nicht nach Hause kommen wird …
In das Zweifamilienhaus der Familie in Maiersdorf (NÖ) ist indes Stille eingekehrt. Dort, wo einst Olivia mit ihren Geschwistern Alexander (7) und Elisabeth (4) gespielt hatte, herrscht nun verzweifelte Ruhe. Oma Maria Schilcher ist den Tränen nahe: „Wir wissen nichts. Nichts von meiner Tochter, ihrem Mann und den drei Kindern. Wir haben nur die Bilder im Fernsehen gesehen.“ Die Bilder, die ein kleines Mädchen zeigten, mit schmerzverzerrtem Gesicht, mit aufgequollenem Bauch.
Im Haus ihrer Eltern leistet Veronika Schilcher – die Tante der kleinen Krebspatientin – den Verzweifelten Beistand. Frau Schilcher, Angestellte einer Fluglinie, läßt im Gespräch mit „täglich ALLES“ ihren Emotionen freien Lauf. Und keinen Zweifel daran, daß ihre ganze Sorge der kleinen Olivia gilt. Aber: „Wir haben keine Möglichkeit, an meine Schwester und ihre Familie heranzukommen.„
Das Verhalten der Eltern Helmut (30) und Erika (32) Pilhar – ihrer Schwester – ist ihr unerklärlich: „Ich weiß nicht, was mit den beiden los ist.“
Veronika Schilcher hofft dennoch auf ein Ende des Dramas: „Der Helmut wartet doch nur noch auf ein Zeichen, daß ihm nichts passiert, wenn er zurückkommt. Er hat so viel Angst, daß ihm Olivia weggenommen wird.„
Sie wandte sich schon vor der Ankündigung des Justizministers an Bundespräsident Klestil, um Straffreiheit für die Eltern – denen ja das Sorgerecht für Olivia entzogen wurde – zu erwirken.
Ihr Motiv: „Ich lasse dieses Mädchen nicht sterben.„
H.P. Heinzl: „Der Mann ist krank“
Sein Kampf mit dem Krebs bewegte unser Land. Kabarettist und Theaterdirektor Hans Peter Heinzl erkrankte an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Ärzte befürchteten das Schlimmste. Doch Hans Peter Heinzl gab nicht auf. Zusätzlich zu den Methoden der Schulmedizin ließ er sich auch von Alternativmedizinern behandeln – Hans Peter Heinzl hat überlebt. Obwohl manche Ärzte nicht mehr daran geglaubt hatten.
Der schwerkranke Heinzl lernte auch den umstrittenen Doktor Geerd Ryke Hamer (59), der für die Behandlung der kleinen Olivia verantwortlich ist, kennen. Im Gespräch mit „täglich ALLES“ erzählt er seine Meinung über den Wunderdoktor:
„Ich kenne diesen Onkel sehr gut. Er hat einen Freund von mir auf dem Gewissen. Der Mann hat schon fast Sektencharakter. Was er tut, ist einfach absurd. Ich habe ihn persönlich kennen gelernt. Der ist ganz einfach krank. Die Schulmedizin auszugrenzen, ist einfach unverantwortlich. Man muß die richtige Mischung aus Schulmedizin und alternativen Methoden finden, um gegen den Krebs zu siegen.“