Staatsanwaltschaft Köln
Am Justizzentrum 13
50939 Köln

Datum: 23.11.98

An das
Amtsgericht – Schöffengericht – in Köln

Aktenzeichen
34 Js 221/96

Anklageschrift

Der früher approbierte Arzt
Dr. med. Ryke Geerd Hamer,
geb. am 17.05.1935 in Mettmann,
wohnhaft: Fichtenpfad 1, 53894 Mechernich-Kommern,
Deutscher, verwitwet,

Verteidiger:
Rechtsanwalt
Walter Mendel
Von-Beckerath-Platz 4
47799 Krefeld

wird angeklagt,

in der Zeit vom 25.05.1995 bis 23.07.1995 in Köln, Österreich und Malaga (Spanien)

  • Fahrlässig eine andere Person körperlich mißhandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben
  • In Köln am 25.05.95 tateinheitlich die Heilkunde ausgeübt zu haben, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 HPG zu besitzen.

Der Angeschuldigte, dem durch Bescheid der Bezirksregierung Koblenz seit dem 08.04.1986 die Approbation als Arzt entzogen war, übernahm am 25.05.1995 auf Bitten der Eltern die Behandlung des krebskranken Kindes Olivia Pilhar, bei dem wenige Tage zuvor im Krankenhaus Wiener Neustadt und im St. Anna Kinderspital in Wien ein Wilmstumor an der rechten Niere mit einem Durchmesser von ca. 8 cm und einem Raumvolumen von ca. 320 ml diagnostiziert worden war.

Zu diesem Zeitpunkt waren weder Metastasen an der Leber noch Lungenmetastasen vorhanden.

Zu Beginn der Behandlung ließ er sich von dem Vater des Kindes, dem Zeugen Helmut Pilhar CT-Aufnahmen des Kopfes von Olivia übergeben, wertete diese aus, untersuchte das Kind und diagnostizierte sodann eine Zyste an der rechten Niere, ein Leberkarzinom und ein „Sammelrohrkarzinom„. Ursache für das Entstehen der Tumore sei – so der Angeschuldigte – ein „Wasser/Flüssigkeits-Konflikt„, also ein Schockerlebnis, welches Olivia im Alter von ca. 1 ½ Jahren gehabt habe, als sie mit ihrer Tante in einem Schlauchboot gefahren sei, dieses Luft verloren habe und das Kind die Panikreaktion ihrer Tante miterlebte.

Er erklärte den Eltern gegenüber, die Erkrankung befinde sich nach der von ihm vertretenen Lehre der „Neuen Medizin“ bereits in der Heilungsphase. Als Therapie ordnete er lediglich Ruhe und ständigen Kontakt zur Mutter an.

Zugleich riet er den Eltern von der Durchführung der – objektiv – notwendigen Chemotherapie ab und empfahl zudem, außer homöopathischen Mitteln keine Schmerzmitteln zu verabreichen. Aufgrund dieser „Diagnose“ und „Therapieempfehlung“ des Angeschuldigten lehnten die Zeugen Helmut und Erika Pilhar in der Folgezeit jegliche schulmedizinische Behandlung ab, was zur Folge hatte, daß der unbehandelte Tumor ständig weiterwuchs, und zwar von anfänglich 320 ml auf 950 ml am 13.06.1995, 3.600 ml am 19.07.1995 und schließlich 4.600 ml am 29.07.1995.

Diese Größenordnung des Tumors, der inzwischen auch äußerlich durch ein erhebliches Anschwellen des Bauches erkennbar wurde und zunehmend größere Schmerzen verursachte, führte bei den Eltern zu einer Beunruhigung, die jedoch vom Angeschuldigten dadurch zerstreut wurde, daß er erklärte, es handle sich um eine Leberschwellung und die Schmerzen seien auf eine Lageverschiebung der Organe zurückzuführen.

Nachdem den Eltern in Hinblick auf ihre Weigerung, Olivia einer schulmedizinischen Behandlung zuzuführen, mit gerichtlichem Beschluß vom 23.06.1995 die elterliche Sorge entzogen worden war, begaben sie sich durch Vermittlung und in Begleitung des Angeschuldigten mit dem Kind nach Malaga/Spanien, um zu verhindern, daß die österreichischen Behörden eine schulmedizinische Behandlung des Kindes mit Zwangsmitteln durchsetzen konnten.

Auch in Spanien unterließ es der Angeschuldigte für die medizinisch dringend gebotene stationäre Aufnahme von Olivia in einem Krankenhaus Sorge zu tragen.

Auftretende Schmerzzustände wurden lediglich mit homöopathischen Mitteln behandelt.

Die schulmedizinische Behandlung des Kindes konnte erst nach dem 24.07.1995 zwangsweise durchgesetzt werden, nachdem sich der Zustand des Kindes in Spanien weiter verschlechtert hatte und die Eltern zu einer Rückkehr nach Wien bewegt werden konnten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wilmtumor bereits das Stadium VI mit einem Volumen von mehr als vier Litern erreicht, in Lunge und Leber des Kindes hatten sich Metastasen gebildet und durch das raumgreifende Geschehen hatte sich eine Lungenentzündung entwickelt. Durch die inzwischen eingetretene Verzögerung der schulmedizinischen Behandlung mußte nunmehr zusätzlich zu der ohnehin notwendigen Chemotherapie eine Bestrahlung des Tumors vorgenommen werden, die mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden ist. Zudem mußte die Flüssigkeit, die sich durch die vermeidbare Lungenentzündung gebildet hatte, abgeleitet werden.

Schließlich war eine 14tägige künstliche Beatmung und die Behandlung mit Antrazyklin notwendig geworden, einem stärkeren Medikament aus der Gruppe der Zytostatika mit kardiotoxischen Nebenwirkungen. Diese Folgen wären bei einer rechtzeitig eingeleiteten schulmedizinischen Behandlung vermieden worden.

Im Verlaufe des gesamten Tatzeitraums versicherte Dr. Hamer den Kindeseltern mehrfach, das Kind werde durch die von ihm praktizierten Methoden der „Neuen Medizin“ gesund.

Zu keinem Zeitpunkt stellte der Angeschuldigte die Möglichkeit in den Raum, daß die von ihm empfohlene Therapie zu einem tödlichen Ausgang hätte führen können.

Bei Beachtung der ihm – als promovierten Mediziner – abzuverlangenden Sorgfalt hätte der Angeschuldigte vorhersehen müssen, daß die von ihm verursachte zeitliche Verzögerung der schulmedizinischen Behandlung zu einer erheblichen Verschlimmerung des Krankheitsbildes bei dem Kind Olivia Pilhar bis hin zu einer konkreten Lebensgefährdung führen würde.

Vergehen, strafbar gemäß §§ 230 a.F., 229 n.F., 232, 52 StGB; §§ 1, 5 HPG.

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung wird bejaht.

Beweismittel:

I. Einlassung des Angeschuldigten

II. Zeugen:

  • Helmut Pilhar, Maiersdorf 221, A-2724 Hohe Wand
  • Erika Pilhar, w.w.v.
  • Prim. Dr. Olaf Arne Jürgenssen, c/o Allg. öffentliches Krankenhaus Wiener Neutstadt, Corvinusring 3-5, A-2700 Wiener Neustadt
  • JIR Franz Gruber, Leiter der Jugendabteilung, c/o die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt, Neuklsoterplatz 1, A-2700 Wiener Neustadt
  • Prof. Dr. H. Gadner, c/o St. Anna Kinderspital, Zentrum für Kinder- u. Jugendheilkunde, Kinderspitalgasse 6, A-1090 Wien
  • Dr. G. Mann, c/o w.v.
  • Elisabeth Rozkydal, Messenhausergasse 4, A-1030 Wien
  • Dr. Heinz Zimper, Neuklosterplatz 1, A-2700 Wiener Neustadt
  • Dr. Loibner, Ligist Nr. 89, A-8563 Ligist
  • Dr. Stangl, Wildgasse Nr. 7, A-3430 Tulln
  • Prim. Dr. Hanns Vanura, c/o das Landeskrankenhaus Tulln, Kinderabteilung, Alter Ziegelweg 50, A-3430 Tulln
  • Prof. Dr. Radvan Urbanek, c/o Allg. Krankenhaus der Stadt Wien, Universitätsklinik für Kinder- u. Jugendheilkunde, Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
  • Prof. Dr. Stemmann, c/o Städt. Kinderklinik, Westerholter Str. 142, Gelsenkirchen-Buer
  • Prof. MUDr. J. Pogady, c/o Trnavska Univerzita, Hornopotozna 23, 91843 Trnava/Slovakei

III. Urkunden und Augenscheinsobjekte:

  • Krankenunterlagen (Betr. Olivia Pilhar) des Allgemeinen Krankenhauses Wiener Neustadt (Sonderheft 2)
  • Krankenunterlagen des St. Anna Kinderspitals Wien (SG 1)
  • Krankenunterlagen des Landeskrankenhauses Tulln (SH 3)
  • Krankenunterlagen des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien – Universitätsklinik für Kinder- u. Jugendheilkunde (Leitzordner I-III; Auflistung hierzu: Bl. 961 d.A.)
  • 39 Röntgen- und CT-Aufnahmen, asserviert bei der Staatsanwaltschaft Köln
    Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 23.06.95 betr. die Entziehung der elterl. Sorge (Bl. 9 d.A.)
  • Schriftliches Gutachten des Urologen Dr. Rudolf Hawel vom 21.06.95 in der Pflegschaftssache (Bl. 25 d.A.)
  • Schriftliche Erklärung des Angeschuldigten vom 21.07.95 (Bl. 564 d.A.)
  • Beschluß des OVG Sigmaringen vom 03.01.94 (6 K 93/93 – Habilitationsverfahren) (Bl. 584-590)
  • Urteil des VG Sigmaringen vom 17.12.86 (3 K 1180/86 – Habilitationsverfahren) (Bl. 591-607)
  • Schriftliche Stellungnahme des Angeschuldigten, erstellt in Malaga am 21.07.95 (Bl. 686-695)
  • Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 11.11.1996 in der Strafsache gegen Erika und Helmut Pilhar, Az: GZ 4C E VR S34/95 – 189 (Bl. 1082-1120 d.A.)
  • Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 04.09.1997 in der Strafsache gegen Erika und Helmut Pilhar, Az. 23 Bs 114/97 (Bl. 1121-1141 d.A.)
    Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 21.12.1996, Az. 6 A 10035/89 OVG betr. den Widerruf der Approbation des Angeschuldigten (Bl. 1351-1372 d.A.)

IV. Sachverständige:

  • Prof. Dr. med. Günter Henze, Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie/Hämatologie Campus Virchow-Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin (Gutachten: Bl. 1253-1273 d.A.)
  • Prof. Dr. F. Berthold, Zentrum für Kinderonkologie- u. hämatologie der Universität zu Köln, Joseph-Stelzmann-Str. 9, 50924 Köln, (Gutachten: Bl. 1180-1186 d.A.)
  • Prof. Univ. Doz. Dr. Werner Scheithauer, c/o Allgemeines Krankenhaus – Klinische Abteilung für Onkologie – Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien (Gutachten: Bl. 639-646 d.A.)

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen:

I. Zur Person:

a)

Der heute 63 Jahre alte Angeschuldigte, Vater von drei erwachsenen Kindern, studierte nach dem Abitur Medizin, Theologie und Physik. 1962 erhielt er die Approbation zum Arzt. Nach der Promotion im Jahr 1963 erlangte er 1972 seine Anerkennung als Facharzt für Innere Medizin. Von 1964 bis 1986 war der Angeschuldigte sowohl als niedergelassener Arzt als auch in verschiedenen Kliniken tätig.

b)

Am 07.12.1978 verstarb ein Sohn des Angeschuldigten, nachdem er im Sommer desselben Jahres Opfer einer fremdverursachten Schußverletzung wurde. In der Folgezeit erkrankte der Angeschuldigte an Hodenkrebs, der 1981 operativ entfernt wurde. Seine Ehefrau verstarb an Brustkrebs.

Vor dem Hintergrund dieser persönlichen Erfahrungen betrieb der Angeschuldigte Studien und entwickelte die von ihm so genannte „Eiserne Regel des Krebses„, wonach jede Krebserkrankung auf ein plötzliches, tiefgreifendes Schockerlebnis zurückzuführen ist.

Die Erkrankung kann nach der Ansicht des Angeschuldigten dementsprechend dadurch überwunden werden, daß der bei dem Patienten bestehende seelische Konflikt gelöst wird. Die Anwendung schulmedizinischer Methoden, wie Chemotherapie oder Bestrahlung lehnt der Angeschuldigte ebenso nachhaltig ab wie die Gabe stärkerer Schmerzmittel.

Über die von ihm aufgestellte Thesen verfaßte der Angeschuldigte unter anderem ein Buch und reichte seine Ergebnisse 1981 als Habilitationsschrift bei der Universität Tübingen ein, die sein Habilitationsgesuch jedoch bislang ablehnte.

c)

Durch Bescheid vom 08.04.1986 widerrief die Bezirksregierung Koblenz unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit die Bestellung des Angeschuldigten zum Arzt. Dieser Widerrufsbescheid wurde in der Folge durch Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes Koblenz vom 03.07.1989 und des OVG Koblenz vom 21.12.1990 bestätigt. Der Widerruf der Zulassung des Angeschuldigten als Arzt ist daher seit dem 08.03.1991 rechtskräftig.

Die in diesem Zusammenhang getroffenen Entscheidungen beruhten darauf, daß die Verwaltungsgerichte sich davon überzeugt zeigten, daß der Angeschuldigte aufgrund der fanatischen Überzeugung von der Überlegenheit der von ihm entwickelten Krebsbehandlungslehre gegenüber der Schulmedizin zu einer verantwortlichen Krankenbehandlung nicht mehr in der Lage sei.

d)

Strafrechtlich ist der Angeschuldigte erstmals 1986 belangt worden. Im Verfahren 34 Js 85/86 StA Köln wurde ihm zur Last gelegt, von April bis August 1986 durch die Behandlung von Patienten gegen das Heilpraktikergesetz verstoßen zu haben. Dieses Verfahren wurde nach Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 3000.- DM gemäß § 153a StPO eingestellt.

Am 22.01.1992 wurde er in dem Verfahren 34 Js 232/89 StA Köln vom Amtsgericht Köln wegen eines erneuten Verstoßes gegen das HPG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. (Az. 613 Ls 152/91)

Durch Berufungsurteil des LG Köln vom 12.02.1993 wurde die erkannte Strafe auf 4 Monate Freiheitsstrafe gemindert (105-99/92).

Zuletzt wurde der Angeschuldigte im Verfahren 34 Js 178/95 vom Amtsgericht Köln am 09.09.1997 wegen Verstoßes gegen das HPG in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten kostenpflichtig verurteilt.

Mit der Strafe aus diesem Urteil, das zwischenzeitlich rechtskräftig geworden ist, wird eine Gesamtstrafe zu bilden sein.

Aufgrund dieser zuletzt genannten Verurteilung wurde im Verfahren 34 Js 232/89 die Bewährung widerrufen. Der Angeschuldigte betreibt zur Zeit ein Gnadenverfahren mit dem Ziel, eine erneute Aussetzung dieser Strafe zur Bewährung zu erreichen.

II. Zur Sache:

Am 18.05.1995 wurde bei dem damals 6jährigen Kind Olivia Pilhar im Krankenhaus Wiener Neustadt, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde ein Wilmstumor der rechten Niere diagnostiziert.

Nachdem Olivia Pilhar noch am selben Tag in das St. Anna Kinderspital verlegt wurde, wurde die Diagnose des rechtsseitigen Nierentumors dort durch eine weitere Ultraschalluntersuchung erhärtet. Metastasen in der Lunge und der Leber waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden. Durch die behandelnden Ärzte wurde den Eltern des Kindes, den Zeugen Helmut und Erika Pilhar, am 22.05.1995 die Diagnose eröffnet und bekanntgegeben, daß eine Chemotherapie gemäß der Nephroblastom-Studie SIOP 93 durchgeführt werden müsse.

Diese Therapie sowie die alternativ vorgeschlagene primäre Operation des Tumors wurde von den Eltern abgelehnt und das Kind gegen ärztlichen Rat aus dem Krankenhaus geholt, mit der Bitte um Bedenkzeit.

Am 25.05.1995 suchten die Zeugen Helmut und Erika Pilhar gemeinsam mit dem Kind Olivia den Angeschuldigten in Köln auf.

Dr. Hamer ließ sich von Helmut Pilhar CT-Aufnahmen des Kopfes von Olivia übergeben und wertete diese aus.

Er diagnostizierte bei Olivia Pilhar eine Zyste an der rechten Niere, ein Leberkarzinom und ein „Sammelrohrkarzinom„. Er teilte den Eltern des Kindes mit, nach der von ihm vertretenen „Neuen Medizin“ befinde sich die Erkrankung bereits in der „Heilungsphase„. Als Therapie empfahl er „Ruhe für das Kind„, einen engen Kontakt zur Mutter und begleitende homöopathische Mittel.

Er empfahl den Eltern des Kindes nachdrücklich, eine Chemotherapie nicht durchführen zu lassen und keine stark wirkenden Schmerzmittel zu verabreichen.

Die Zeugen Helmut und Erika Pilhar ließen sich von den Ausführungen des Angeschuldigten überzeugen und lehnten in der Folgezeit eine schulmedizinische Behandlung ihres Kindes ab, was sie den Ärzten des St. Anna Kinderspitals, den Zeugen Dr. Gadner und Dr. Mann mitteilten.

Dieses Verhalten führte dazu, daß den Eltern durch Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 23.06.1995 letztlich die elterliche Sorge betreffend das Kind Olivia entzogen und diese auf die Jugendabteilung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt übertragen wurde.

Am 13.06.1995 ließen Helmut und Erika Pilhar bei dem Röntgenfacharzt Dr. Hejda aktuelle Untersuchungen durchführen, die bestätigten, daß der Tumor gewachsen war.

Dies teilten sie dem Angeschuldigten mit, der den Eltern jedoch versicherte, hierbei sei die Schwellung der Leber infolge des von ihm diagnostizierten Leberkarzinoms unberücksichtigt geblieben. Hierdurch ließen sich die Eheleute Pilhar, die dem Angeschuldigten und seinen Theorien vertrauten, beruhigen.

Am 14.06.1995 beschlossen die Zeugen Pilhar, sich in das Ausland zu begeben, um so die von ihnen und dem Angeschuldigten abgelehnte Chemotherapie zu verhindern.

Sie hielten sich zunächst am Chiemsee auf, wo sie vom Angeschuldigten aufgesucht wurden. Daß zwischenzeitlich der Leib des Kindes erheblich angeschwollen war, kommentierte der Angeschuldigte damit, es handle sich um eine Leberschwellung und die Schmerzen des Kindes seien darauf zurückzuführen, daß Organe in ihrer Lage verschoben worden seien.

Über die Schweiz reiste die Familie Pilhar nach Malaga/Spanien, wohin sie vom Angeschuldigten vermittelt wurden, der sie auch begleitete.

Der Angeschuldigte ließ dort neue CT-Aufnahmen des Kindes erstellen und wertete diese aus.

Die bei dem Kind auftretenden Schmerzen wurden auf Anweisung von Dr. Hamer lediglich mit homöopathischen Mitteln behandelt.

Während der gesamten Dauer der „Behandlung“ versicherte der Angeschuldigte den Eltern, Olivia werde durch die von ihm praktizierten Methoden auf jeden Fall gesund.

Daß die Gefahr bestand, das Kind werde unter der von ihm gewählten Behandlungsmethode sterben, erwähnte er zu keinem Zeitpunkt.

Nach Intervention verschiedener Personen und Institutionen kehrten die Eheleute Pilhar am 24.07.1995 nach Österreich zurück, wo Olivia zunächst in das Kinderkrankenhaus Tulln aufgenommen wurde. Dort wurde festgestellt, daß der Wilmstumor zwischenzeitlich das Stadium VI erreicht hatte (mit einem Volumen von mehr als 4 Litern) und sich in der Zwischenzeit in Lunge und Leber Metastasen gebildet hatten.

Am 29.07.1995 wurde Olivia Pilhar in die Universtitäts-Kinderklinik Wien verlegt.

Sie litt zwischenzeitlich zudem an einer Lungenentzündung und ihre Atmung war durch die Kompression der Lunge infolge des raumgreifenden Tumorgeschehens stark beeinträchtigt.

Infolgedessen mußte zusätzlich zu der medikamentösen Therapie eine Bestrahlung des Tumors vorgenommen werden. Auch die Flüssigkeit aus dem Pleuraraum, die sich infolge der Lungenentzündung angesammelt hatte, mußte abgeleitet werden.

Olivia Pilhar mußte unter künstlicher Beatmung ca. 14 Tage lang auf der Intensivstation behandelt werden.

Der Tumor des Kindes bildete sich unter dieser Therapie auf etwa 1/10 des ursprünglichen Volumens zurück, so daß die tumortragende Niere am 18.09.1995 operativ entfernt werden konnte.

Postoperativ wurde die bereits begonnene Chemotherapie fortgesetzt.

Durch das Verhalten des Angeschuldigten, der die Eheleute Pilhar in ihrem Vorhaben bestärkte, eine schulmedizinische Behandlung des Kindes zu unterbinden und gemeinsam mit diesen das Kind über einen Zeitraum von 2 Monaten praktisch unbehandelt ließ, hat sich der Gesundheitszustand massiv verschlechtert.

Im Zeitraum zwischen dem 25.05.95 und dem 24.07.95 wuchs der Wilms-Tumor zuletzt bis auf ein Volumen von mehr als 4 Litern mit den oben dargelegten Folgen. Zudem bildeten sich Metastasen in Lunge und Leber. Allein diese Verschlechterung des Zustandsbildes machte eine zusätzliche Bestrahlung und die Gabe von Anthrazyklin notwendig. Hätte mit der erforderlichen schulmedizinischen Behandlung bereits Ende Mai 1995 begonnen werden können, wäre Olivia Pilhar zudem nicht an der beschriebenen Lungenentzündung erkrankt, die zu einer beatmungspflichtigen Lungeninsuffizienz führte.

Zudem erlitt das Kind unter der „Behandlung“ durch den Angeschuldigten Schmerzen, die bei rechtzeitigem Therapiebeginn hätten vermieden werden können.

Der Angeschuldigte bestreitet die dargelegte Behandlung von Olivia Pilhar nicht, ist jedoch der Auffassung, die von ihm gewählte Behandlungsmethode sei richtig und sachgerecht gewesen und hätte – bei ungestörter Fortführung derselben – zur Heilung des Kindes geführt. Seiner Ansicht nach litt das Kind in erster Linie an einem Leberkarzinom, zudem an einem „Sammelrohr-Ca“ der rechten Niere und einer „Nierenzyste„. Zudem will er eine „Hirnmetastase“ (Herd in Leber-Relais des Gehirns) festgestellt haben.

Ursache hierfür sei ein „Wasser-/Flüssigkeits-Konflikt„, ein Konfliktgeschehen, welches Olivia im Alter von ca. 1 ½ Jahren erlebt habe, als sie mit ihrer Tante in einem Schlauchboot gefahren sei, dieses Luft verloren habe und Olivia die Panikreaktion ihrer Tante miterlebt habe.

Als Begründung für die von dem Kind beklagten Schmerzen im Bauchraum gab der Angeschuldigte gegenüber den Eltern an, es handle sich um einen „Verhungerungs-Konflikt„, da die Zeugin Erika Pilhar ab September 1994 ihre Berufstätigkeit als Lehrerin wieder aufnahm und nicht mehr täglich dem Kind das Essen zubereiten hätte können. Gegen das Essen der Großmutter habe sich das Kind gewehrt und seine Leber habe dadurch „gewisse Funktionen verstärkt„.

Beide Konflikte betrachtete Dr. Hamer als bereits gelöst und erklärte, das Kind befinde sich in der von ihm so genannten „Heilungsphase„.

Die Einlassung des Angeschuldigten wird durch die Ausführungen der drei medizinischen Sachverständigen zweifelsfrei widerlegt.

Diese stellen übereinstimmend fest, daß am 19.05.95 bzw. 22.05.95 bei Olivia zwar ein Wilmstumor Stadium I diagnostiziert werden konnte, jedoch Metastasen weder in der Lunge noch an der Leber vorhanden waren.

Zu diesem Zeitpunkt habe das Kind unter der geplanten präoperativen, niedrigdosierten Chemotherapie mit anschließender radikaler Tumorentfernung eine Heilungschance von mehr als 95% gehabt.

Durch die vom Angeschuldigten zu verantwortende Verzögerung des Therapiebeginns habe nicht nur der Primärtumor massiv an Größe zugenommen, sondern es bildeten sich zudem die oben beschriebenen Fernmetastasen.

Aufgrund des bis 24.07.95 weit fortgeschrittenen Tumorleidens habe trotz des deutlich verschlechterten Allgemeinzustandes des Kindes eine aggressivere therapeutische Strategie zur Anwendung gelangen müssen, um das Überleben von Olivia sicherzustellen.

So sei u.a. eine Bestrahlung des Tumors erforderlich geworden sowie die Gabe des Medikamentes Anthrazyklin, ein Zytostatika, das als Nebenwirkung eine ausgeprägte Knochenmark- und Schleimhauttoxizität hat und Nebenwirkungen am Herzmuskel entfaltet.

Insgesamt wurden – nach Angaben der Sachverständigen – dem Kind physische Schmerzen, Atemnot und psychische Belastungen zugefügt, die bei rechtzeitigem Therapiebeginn Ende Mai 1995 hätten vermieden werden können.

Soweit die als Zeugen benannten Ärzte Dr. Stemmann und Prof. Dr. Pogady schriftliche Stellungnahmen verfaßt haben, in denen die vom Angeschuldigten vertretene „Eiserne Regel des Krebses“ als wahrscheinlich richtig bezeichnet wird, haben sich beide Zeugen bislang auf pauschale Behauptungen beschränkt.

Weder wurden die von ihnen überprüften Fälle benannt und dargelegt, noch haben sie irgendwelches wissenschaftliche Material zur Verfügung gestellt, anhand dessen die angebliche „Überprüfung“ hätte nachvollzogen werden können.

Zudem haben sich beide Zeugen – eigenen Angaben zufolge – nur mit der vom Angeschuldigten praktizierten Diagnostik, jedoch nicht mit seinen Behandlungsmethoden auseinandergesetzt.

III. Rechtliche Würdigung:

Soweit der Angeschuldigte das Kind Olivia Pilhar auch in Österreich und Spanien behandelte, kann dieses Verhalten nicht als Verstoß gegen §§ 1 und 5 HPG geahndet werden.

Die Vorschriften der §§ 1 und 5 HPG schützen ihrem Sinngehalt und Wortlaut nach nur das spezifisch inländische Rechtsgut der Volksgesundheit, so daß die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 StGB vorliegend nicht erfüllt sind /zu vgl. Herbert Tröndle, StGB, 48. Auflage, § 7 Rdnr. 7)

Es wird beantragt, das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – in Köln zu eröffnen und – gemäß § 29 Abs. 2 GVG zum Verfahren einen zweiten Richter hinzuziehen.

(Neiß)
Staatsanwältin

Anmerkung von HPilhar

Die Anklageschriften der Inquisition im Mittelalter dürften ähnlich geklungen haben. Es war ja auch der selbe Geist, der damals wie heute „unsere“ Justiz beseelt.

PS:

Zu diesem Strafprozess gegen Dr. Hamer wegen Olivia kam es allerdings nie.

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