Olivia ist wieder daheim. Heute will ein Ärztekonsilium in Wien beraten, ob und wann das krebskranke Mädchen operiert werden kann. Und alle hoffen, daß es nach mehr als acht Wochen „Flucht“ der Eltern vor der Schulmedizin nicht zu spät ist.

Druck wegnehmen

Natürlich ist es jetzt vernünftig, von der krebskranken Olivia – und den Eltern! – „Druck wegzunehmen“, um eine Atmosphäre des vernünftigen Überlegens zu ermöglichen.

Allerdings war es der „Medienrummel“, der die Aufmerksamkeit auf die bedenklichen Vorgänge rund um den „Wunderheiler“ für Olivia gelenkt hat.

Aber die Eltern seien doch durch ein Versagen der Schulmedizin zu dem Guru mit den seltsamen Theorien getrieben worden, heißt es. Die „Schulmedizin“ nehme sich zuwenig Zeit, so könne man kein Vertrauen aufbauen. Gewiß – jeder „Wunderheiler“, auch der politische, nimmt sich Zeit. Sendungsbewußte wirken immer überzeugender als abgestrampelte Routiniers. Dennoch muß auch die Schulmedizin überlegen, wie sie von sich selbst „Druck wegnehmen“ kann, um vertrauenerweckender zu wirken.

Rau

Heimkehr zum Kampf ums Leben

Geheime Rückholaktion mit Ambulanzjet und Polizeischutz / Eltern verweigern weiter Chemotherapie und Schmerzmittel / Konsilium am Dienstag
Ilse Schmid,

Martina Prewein, Malaga

„Wir sind so froh, zwei Monate Horror sind vorbei!“ Nach der Heimkehr nach Maiersdorf an der Hohen Wand in Niederösterreich wirkte Helmut Pilhar, Vater der kleinen Olivia, Montag mittag am Telefon, wie von einem Alptraum befreit. Die schreckliche Flucht quer durch Europa war vorbei, die Angst vor einer gewaltsamen Trennung der Familie ist vorläufig überwunden.

An der Ursache der verzweifelten Flucht, der panischen Angst vor Schulmedizin und Chemotherapie, hat sich inzwischen freilich nicht viel geändert. Vater Pilhar: „Chemotherapie kommt nicht in Frage, sie würde Olivia mit 95prozentiger Sicherheit töten, aber wir wollen den besten Bauchchirurgen für die Kleine und haben auch den Bundespräsidenten diesbezüglich um Unterstützung gebeten.“

Auch die Vorbehalte gegen Schmerzmittel sind noch immer da. Nur die Meinung des umstrittenen „Heilers“ Geerd Hamer, der Organismus müsse Schmerzen überwinden, zählt.

Das Unvermögen aller in die Affäre verwickelten Ärzte, Behördenvertreter und wohlmeinender Verwandter, den Einfluß Hamers zu schwächen, dürfte auch den Entschluß zur plötzlichen, bedingungslosen Rückkehr ausgelöst haben. Im Interesse des schwerkranken, mit der Mutter besonders eng verbundenen Kindes wurde für eine friedliche Heimkehr der ganzen Familie gesorgt.

Vor der Ankunft im ruhigen Maiersdorf beherrschten allerdings Hektik und Dramatik die Szene. Alle Pläne wurden über den Haufen geworfen.

Ursprünglich hätten am Montag der Chef des St.-Anna-Kinderspitals, Helmut Gadner, und die Kinderärztin Marina Marcovich mit der Ärzteflugambulanz nach Malaga fliegen sollen. Dort sollte das Kind im Beisein der österreichischen Ärzte in der Kinderklinik untersucht werden. Erst dann sollte über eine eventuelle Rückkehr gesprochen werden.

Doch Sonntag abend sah plötzlich alles anders aus. Nach stundenlangen Telefonaten stimmten die Pilhars und ihr mittlerweile nach Köln verreister Mentor einer sofortigen Rückkehr zu. Zu dem Pakt gehörte auch größtmögliche Geheimhaltung und Abschirmung.

Während Professor Gadner in Wien wartete, flog Dr. Marina Marcovich allein nach Malaga. Die Pilhars hatten inzwischen mitten in der Nacht ihr Versteck bei Hamer-Anhängern außerhalb der Stadt verlassen und waren mit den schlaftrunkenen Kindern zum menschenleeren Flughafen gefahren. Niemand kümmerte sich um die Wartenden und den um fünf Uhr früh landenden Ambulanzjet.

Nach einer knappen Stunde waren alle Formalitäten erledigt. Konsul Walter Esten winkte zum Abschied, dann rollte die aufgetankte Maschine zur Rollbahn. Nach drei Stunden waren die Flüchtlinge in Wien. Die wartenden Reporter wurden umgangen. Der Pilot setzte abseits der normalerweise frequentierten Piste auf. Die Rettung und ein Autokonvoi mit Polizeibegleitung brachten die Heimkehrer direkt nach Maiersdorf.

Polizeiaufgebot

Selbst der für die Ankunft zum Flughafen geeilte Chef von St. Anna, Professor Gadner, konnte Olivia nur kurz untersuchen, ehe der Konvoi davonbrauste.

Trotzdem rückte eine beachtliche Polizeistreitmacht zum St.-Anna-Spital aus. Im allgemeinen Chaos erwartete man die baldige Ankunft Olivias. Und auch das Spital in Wiener Neustadt, wo vor mehr als acht Wochen die schreckliche Diagnose gestellte wurde, bekam Bewachung.

Die Familie will zumindest die nächsten drei Monate völlig ungestört verbringen. Dann sollte das Mädchen nach ihrer Meinung über dem Berg sein. Neben der Hilfe von Chirurgen sollen vor allem Ärzte der Neuen Medizin Geerd Hamers Rat und Hilfe bieten. Ob die Behörde damit kooperiert, wird sich weisen.

Eine neuerliche Flucht der Eltern mit Olivia ist allerdings kaum zu befürchten. Das geschwächte und ausgezehrte Kind wäre weiteren Strapazen, auf keinen Fall gewachsen.

Die Heilung Olivias ist das gemeinsame Ziel aller Beteiligten. Doch der gemeinsame Weg muß erst gefunden werden – im Wettlauf mit dem Tod.

Diplomatin im weißen Mantel holte Olivia heim

„Das Mädchen ist sehr krank, aber ich hoffe, sie ist zu retten!“ Müde, aber optimistisch berichtete die Kinderärztin Marina Marcovich am Montag vor dem St.-Anna-Kinderspital über den Zustand der kleinen Olivia und den überraschenden Heimflug im Morgengrauen. Der Startschuß dazu war Sonntag um 23 Uhr gefallen. Doktor Marcovich: „Nach einem letzten Telefonat mit Herrn Hamer war es soweit. Ich glaube, er hat eingesehen, daß sein Therapieansatz die Ausschaltung krebsauslösender Störfaktoren in dieser Situation und in der Umgebung nicht zu verwirklichen ist. Vielleicht hat aber auch die Sorge vor den unausweichlichen Vorwürfen bei einem tragischen Ausgang der Affäre eine Rolle gespielt.“ Ihr eigenes Negativimage bei vielen Schulmedizinern habe ihr sicher den Zugang zu den Eltern und Hamer erleichtert, meinte die Kinderärztin. Die Meinung des umstrittenen „Heilers“ sei allerdings nicht zu erschüttern. Wahrscheinlich hätten die jahrelangen Auseinandersetzungen um seine Theorien zu einer Persönlichkeitsveränderung geführt.

Für die Familie sei die Rückkehr ohne Angst vor weiterer Verfolgung jedenfalls eine große Erleichterung, betonte die Ärztin. „Am Anfang saßen da fünf völlig erschöpfte Leute in der Maschine, dann war der Druck weg. Sie haben gegessen, die drei Kinder haben aus dem Fenster geschaut, Olivia hat einmal sogar wieder gelacht.“

Gelacht – aber auch geweint. Der Schmerz im Bauch ließ das kleine Mädchen auch im Flugzeug nicht los.

„Ohne Chemo keine Chance“

„Ihr Zustand ist schlecht, aber stabil“, urteilte Professor Helmut Gadner nach der Landung Olivia Pilhars in Wien. Der Leiter des St.-Anna-Kinderspitals sieht derzeit keine Lebensgefahr für das Kind.

Eine Blutabnahme und eine Computertomographie seien in den nächsten 24 Stunden jedoch dringend erforderlich: „Wir müssen kontrollieren, wie weit sich der Tumor in den Bauchraum und Brustkorb ausgedehnt hat.“ Zudem müsse man abklären, ob sich bereits im Hirn Metastasen gebildet haben.

Ob es dazu kommt, wird sich am Dienstag entscheiden.

Der Leiter der Kinderabteilung im Krankenhaus Wiener Neustadt, Primarius Olaf Arne Jürgenssen, sieht für das Kind nur eine Überlebenschance. Dann, wenn es einer Chemotherapie unterzogen wird. Die lehnen die Eltern aber ab.

Jürgenssen: „Vor acht Wochen war der Wilms-Tumor im Stadium I und heilbar. Ich befürchte, daß die Metastasen schon in der Lunge sind. Aber auch dann besteht noch eine Heilungschance. Ich hatte schon so einen Fall.“

Trotz allem führe aber kein Weg an einer Chemotherapie vorbei: „Der Tumor ist sicher schon im Stadium III. Eine Behandlung ohne Chemo würde zu einem medizinischen Kunstfehler führen.“

Franz Resperger

Krankenkassa würde zahlen

Die Kosten für die Rückholaktion Olivias und ihrer Familie werden auf 150.000 bis 200.000 S geschätzt. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat sich bereit erklärt, „aus humanitären Gründen“ diese Kosten zu übernehmen. Allerdings wußten die Krankenkassenbosse zu dem Zeitpunkt noch nicht, daß den Flug ein Wochenmagazin finanziert hat, um exklusivere Bilder zu bekommen. Die Versicherung würde aber auch die Untersuchungskosten in Spanien zahlen, sollten von Spanien entsprechende Rechnungen vorgelegt werden. Rechtlich wäre der Hauptverband auch dazu nicht verpflichtet, wird betont. Den Aufenthalt der Familie Pilhar in Spanien will man nicht finanzieren.

Hamer drohen 17 neue Anzeigen und Kündigung

Die Hotline der Ärztekammer läuft heiß / Burgau: Antrag auf Hinauswurf aus dem Schloß.

Die Hamer-Hotline (031 6/8044/54) der steirischen Ärztekammer war schon – am ersten Tag, also Montag, stark frequentiert. Aus ganz Österreich meldeten sich 50 Menschen, die entweder am Schicksal Olivias Anteil nahmen oder als Betroffene ihre negativen (auch positiven) Erfahrungen mit dem selbsternannten Krebsguru Geerd Hamer berichteten.

Kammeramtschef Herbert Emberger läßt 17 Krankengeschichten (Tumorerkrankungen, multiple Sklerose) mit teils tödlichem Ausgang, in denen Hamer offenkundig eine bedenkliche Rolle zukommt, genauer prüfen. Verdachtsfälle werden der Staatsanwaltschaft übermittelt.

Warum die Kammer erst jetzt massiv tätig wird, beantwortet Emberger mit der Bewußtseinslage in der Öffentlichkeit. „Sie wird erst aktiv, wenn Beispiele vor Augen geführt sind.“ Vorher waren Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Graz gelandet – ohne Erfolg.

Hamer droht jetzt im oststeirischen Burgau auch die Kündigung. Im Schloß hat der deutsche Ex-Internist 1990 ein „Beratungszentrum für Neue Medizin“ eröffnet. Angeblich für nur 7000 S Monatsmiete, aber mit der Auflage, zur Renovierung beizutragen. Hamer war über die Frau des VP-Bürgermeisters Wallner nach Burgau gekommen. Sie wurde nach Richtlinien der „Neuen Medizin“ behandelt, sei aber „letztlich erfolgreich schulmedizinisch therapiert worden“, wie SP-Fraktionsführer Adam Schmidt meint.

Er hat für Mittwoch abend im Gemeinderat den dringenden Antrag gestellt, das Mietverhältnis mit Hamer zu lösen.

Ulli Jantschner

Keiner im Ort will die Flucht von Olivias Eltern verurteilen

Seit Olivia Pilhar und ihre Eltern aus Malaga im Heimatort Maiersdorf im südlichen NÖ, direkt am Fuße der Hohen Wand, eingetroffen sind, will keine Ruhe im Dorf einkehren. Dutzende Journalisten umlagern das Wohnhaus. Ortsbewohner stehen in kleinen Gruppen beisammen, bereden die Ereignisse.

Und sind sich in einem einig: Niemand will in der Haut der Eltern des Mädchens stecken.

Niemand wagt, sie zu verurteilen.

Manche Bewohner verhalten sich Besuchern gegenüber ablehnend. Im Gemeindeamt ist gerade zu erfahren, daß der Bürgermeister nicht da und auch nicht erreichbar ist. Kein Wort mehr.

„Wer mit seinem Kind das erste mal ins St.-Anna-Kinderspital kommt, könnte einen Schock erleben. Man sieht Kinder, denen es schlechtgeht. Da könnte ich eine Panikreaktion verstehen. Als wir mit unserem Kind dort waren, wollte man eine kleine Hautverwachsung sofort operieren. Die ist aber nach kurzer Zeit von selbst verschwunden“, erzählt Alfred Kaiser aus der Nachbarschaft der Pilhars.

Auch er bestätigt, daß die Eltern des kranken Mädchens nett und höflich, aber äußerst zurückhaltend sind.

„Sie sind ja erst vor einem halben Jahr aus Grünbach hergezogen.“ „Unsere Kinder haben manchmal mit Olivia gespielt. Aber es gab sonst wenig Kontakt“, berichtet ein anderer Nachbar.

„Ich verstehe schon, daß man durchdreht, wenn einem gedroht wird, das Kind wegzunehmen“, bekundet ein anderer Maiersdorfer Verständnis für die wochenlange Flucht des Ehepaares.

Das Haus der Pilhars wird seit der Rückkehr der Familie von mehreren Gendarmeriebeamten beobachtet.

„Damit sie nicht noch einmal davonfährt“, vermutet eine Nachbarin.

Gilbert Weisbier

Anmerkung von HPilhar

Die sensationsgeilen Medien argumentierten gerne mit der Ausrede, die Behörden wären gegenüber Hamer zu nachsichtig und es wäre ihr Verdienst gewesen, durch den Fall Olivia diesen Bösewicht das Handwerk zu legen.

Ich finde es heute gut, dass sich die Medien hierfür selbst verantwortlich machen.

Die Wirklichkeit sieht aber ein bißchen anders aus.

In Österreich gibt es keine Heilpraktiker wie in Deutschland. In Österreich haben wir den sog. Kurpfuscherparagrafen. Alles, was nicht Schulmedizin ist, ist also Kurpfuscherei. Punkt! 

Dieser Kurpfuscherparagraf greift aber erst dann, wenn Geld fließt. Eh‘ klar, oder?

Da aber Dr. Hamer kein Geld von seinen Patienten genommen hat, konnte er sein „Unwesen in Österreich weiter treiben“ ohne von den Behörden behelligt zu werden. 

Nun sann man auf Abhilfe! Man wartete, bis Hamer ein Kind übernahm. Dieses Kind sollte medial sichtbar krank sein. Mithilfe der Medien könnte man so in der Öffentlichkeit ein „Bewusstsein“ schaffen, behördlich diesem bösen Hamer endlich das Handwerk legen zu müssen! Dann erst konnten die Behörden aktiv werden!

Dr. Hamers damalige Lebensgefährtin warnte Dr. Hamer genau aus diesem Grund eindringlich davor, Olivia als Patientin zu übernehmen. Wir Eltern wußten bereits nach unserem ersten Besuch bei Hamer in Köln, dass die Behörden auf einen Fall Olivia geradezu warten. Dass Dr. Hamer dennoch uns zu helfen bereit war, rechneten wir ihm hoch an. Allerdings ahnten wir damals noch nicht, was da alles auf uns zukommen sollte und mit welcher grausamen Macht wir uns da anlegten.

Medizinisch konnte man gegen Hamer nicht argumentieren, also mußte die Justiz helfend eingreifen. So erklärte der Ärztekammerfunktionär Hammer in einem Interview sinngemäß, dass die Frage der Richtigkeit der Germanischen Heilkunde nicht an den Universitäten, sondern vor Gericht geklärt werde.

Dass hierbei die Öffentlichkeit und somit Millionen von Krebspatienten hinters Licht geführt wurden, verstanden nur hellere Köpfe, nicht aber die breite Masse.

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