Intensive Gespräche zwischen Dr. Marcovich, spanischen Ärzten und den Eltern
Ist sie ein Todesengel oder Medizin-Revolutionärin?
Marina Marcovich, 42 Jahre alt. Kinderärztin – und als solche umstritten.
Ihre Schwierigkeiten begannen, als sie anfing, sich für alternative Methoden der Behandlung von frühgeborenen Kindern zu interessieren. Die „Kurzformel“; Weg vom Brutkasten, hin zur Mutter! Ein Kind braucht die Wärme der Frau, die es in die Welt gesetzt hat, und nicht technische Wärme unter Plexiglas.
Einer Untersuchung, die „offiziell“ gar nichts mit den Methoden der Ärztin zu tun hatte, folgte Anfang 1994 die Beurlaubung der Leiterin der Frühgeborenen-Abteilung im Mautner-Markhof’schen Kinderspital. Sie wurde für den Tod von 16 Neugeborenen verantwortlich gemacht.
Anhänger der Ärztin sahen in dieser Absetzung die „Rache der Schulmedizin„. Ihre Methode, die Neugeborenen zu behandeln, erregte internationales Aufsehen. Die „Methode Marcovich“ wurde in Deutschland und auch in der Schweiz mit großem Interesse aufgenommen.
Die (ledige) Sammlerin von Oldtimern sieht sich selbst als Opfer, das als Nestbeschmutzer das schulmedizinische System angegriffen hat und dadurch Schwierigkeiten bekam.
Die Querelen um die Ärztin sollten Mitte 1994 „typisch österreichisch“ gelöst werden: mit einer Versetzung in ein anderes Spital. Die einzige Auflage: Sie dürfe nichts mehr mit Neugeborenen zu tun haben. Ein schwerer Schlag für die Ärztin, die dadurch ihre Lebensaufgabe bedroht sah.
Im Wiener Wilhelminenspital kam es schließlich zu einer Abstimmung unter dem Personal auf der Geburtenstation, dessen Ergebnis eindeutig war: Die Mehrheit der Ärzte und Schwestern wollte nicht mit Marina Marcovich zusammenarbeiten. In einer anderen Station nahm sie schließlich eine Stelle an.
Über ihr schwebt nach wie vor das Damoklesschwert eines Gerichtsverfahrens. Die Staatsanwaltschaft ermittelte in mehreren Todesfällen von Frühgeborenen. Die Hauptfrage: „Sind diese Kinder gestorben, weil Marcovich sie behandelt hat? Könnten sie noch leben, wenn sie Marina Marcovich nicht behandelt hätte?“
Ob es zu einer Anklage kommen wird, ist noch immer nicht entschieden.
M. Marcovich: „Keine Gewaltaktionen gegen Olivias Eltern“
Das krebskranke Mädchen Olivia Pilhar (6) wird in einem Spital untersucht – aber nicht schulmedizinisch behandelt! Diesen Kompromiß handelte die Wiener Kinderärztin Marina Marcovich in Malaga mit den Beteiligten der Tragödie aus. Dafür verzichtet die Vertretung Österreichs in Spanien darauf, den Eltern das Kind wegzunehmen. Der Haftbefehl wurde bis Montag ausgesetzt.
Olivia ist im Krankenhaus Malaga (Spanien) – aber nur zur Beobachtung.
Diesen Kompromiß handelte die Wiener Kinderärztin Marina Marcovich mit den Eltern Helmut und Erika Pilhar, den Behörden und dem „Krebsheiler“ Dr. Geerd Hamer aus.
Stand der Dinge: Das Sorgerecht für Olivia ist gesetzmäßig auf den österreichischen Konsul Walter Esten in Malaga übertragen worden. Er hätte folgende Möglichkeit gehabt: die Eltern von Olivia in Handschellen legen zu lassen – sie haben, rechtlich gesehen, ihre eigene Tochter „entführt“ und das Kind zwangsweise nach Wien zu bringen.
Dr. Marcovich: „Da hätte ich nicht mitgespielt.“
Walter Esten verzichtete aber auf diese Möglichkeit und läßt das Kind bei seinen Eltern, übertrug das Sorgerecht sogar wieder der Mutter. Seine Begründung: „Die Arzte haben mir versichert, daß für Olivia keine unmittelbare Lebensgefahr besteht. Olivia gehört zu ihrer Mutter, das respektiere ich. Auch in Osterreich sterben Kinder bei konventionellen Krebstherapien.“
Olivias Gesundheitszustand selbst will Dr. Marcovich nicht kommentieren: „Da bin ich zuwenig kompetent.“ Nur soviel: „Vom Augenschein her ist ihr Zustand nicht lebensbedrohlich. Allerdings ist Olivia apathisch, als ob sie sich ‚ausgeklinkt’ hätte. Das Ganze ist ein tiefgreifendes Schockerlebnis für sie.“ Nachsatz: „Ihre Wurstsemmeln ißt sie aber mit großem Appetit.“
Die Ärztin sah es im Gespräch mit „täglich ALLES“ als „Riesenerfolg“ an, daß Olivia überhaupt ins Spital zur ambulanten Behandlung gekommen ist. Sie will nun nach Wien zurückfliegen, um mit dem Leiter des St.-Anna-Kinderspitals nach Malaga zurückzukehren. Diese Visite soll am kommenden Montag erfolgen. Bis zu diesem Termin wurde von Österreich aus auch der Haftbefehl gegen Olivias Eltern ausgesetzt.
Geerd Hamer, jener Mann, dem die Eltern der kleinen Olivia vertrauen, sieht durch die ambulante Behandlung des Mädchens seine Therapie nicht gefährdet.
Seine Bedingung: eine schriftliche Vereinbarung. Darin wurde festgelegt, daß Olivia nicht schulmedizinisch behandelt, sondern lediglich einmal pro Woche im Spital untersucht wird. Das soll bis August dieses Jahres gehen. Hamer ist überzeugt, daß bis dahin der Heilungsprozeß bei dem Mädchen abgeschlossen sein wird (siehe dazu „So will er das Kind heilen“).
Erstaunlich: Einwände gegen den Kompromiß brachten auch die örtlichen Schulmediziner nicht vor. Dr. Marina Marcovich liefert eine mögliche Erklärung: „Für mich ist das kein Vertrag. Nach meinem Dafürhalten hat Dr. Hamer seine Gedanken zu dem Fall schriftlich festgelegt. Und das habe ich eben unterschrieben.“
„Niemand darf mir Olivia wegnehmen“
Aufatmen bei den Eltern der kleinen Olivia. Helmut (30) und Erika (32) Pilhar sind mit ihren drei Kindern in einem Landhaus des deutschen „Krebsheilers“ Geerd Hamer untergebracht – nahe der andalusischen Hauptstadt Malaga in Südspanien.
Verfolgt von den Behörden, ein todkrankes Kind in ihrer Obhut – das kostet Substanz.
Da erschien ihnen die Wiener Kinderärztin Dr. Marina Marcovich als rettender Engel. Die Medizinerin konnte nach langen Gesprächen einen Kompromiß aushandeln, mit dem sich alle Beteiligten zufrieden zeigten (siehe vorige Seite).
Erika Pilhar zu „täglich ALLES“: „Es war hoch an der Zeit, endlich auf unser Kind Rücksicht zu nehmen.“ Denn letztlich geht es ja um das Kind, dem die volle Aufmerksamkeit der Eltern gehören sollte. Die eine schwere Verantwortung tragen müssen mit ihrer Entscheidung, bei der Heilung der kleinen Olivia auf alternative Methoden zu setzen.
Helmut Pilhar zum Thema Chemotherapie: „Ich werde meinem Kind sicher nichts injizieren lassen, was Löcher in die Kleidung ätzt, wenn es danebentropft.“ Die neueste Entwicklung der Dinge bringt den Mann zu der Ansicht: „Die Chemotherapie für Olivia ist abgewendet.“
Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Familie seit Wochen auf der Flucht. Tausende Kilometer weit führte ihre Odyssee durch mehrere Länder Europas, weil den Eltern des Kindes das Sorgerecht entzogen worden war.
Mutter Erika kann aufatmen: „Jetzt ist endlich der rechtliche Druck von uns genommen. Der österreichische Vertreter hier in Malaga verzichtet darauf, das Sorgerecht auszuüben. Er hat es mir wieder zurückgegeben.“
Aber auch die äußeren Umstände in Spanien kommen der Familie entgegen. Vater Helmut: „Wir sind hier sehr gut aufgenommen worden und bestens untergebracht.“
Jetzt wollen sich alle Beteiligten voll der Heilung von Olivia widmen. Und da ist innere und äußere Ruhe oberstes Gebot.
Erika Pilhar: „Die ständige Verfolgung war nicht gut für uns und ganz sicher nicht gut für Olivia.“
Die Verfolgung und die Aufregung gäbe es allerdings nicht, wenn sich die Eltern nicht zur Flucht entschlossen hätten.
Helmut Pilhar dazu: „Wir hatten lediglich die Wahl, Olivia in die Chemotherapie zu hetzen oder die Strapazen der Flucht in Kauf zu nehmen.“
Völlig unverständlich bleibt ihnen das Vorgehen der österreichischen Behörde, die ihnen das Sorgerecht für Olivia entzogen hatte.
Erika Pilhar: „Ich kann mir ganz einfach keinen Umstand vorstellen, unter dem mir Olivia weggenommen werden könnte. Niemand darf mir Olivia wegnehmen!“
Vater Helmut, beruhigend: „Ich habe das Gefühl, daß es meinem Kind immer besser geht und daß sie jetzt vom Tod sehr weit entfernt ist.“
Ob das stimmt?
Die Eltern von Olivia hoffen jedenfalls, daß im Herbst der Heilungsfortschritt des Mädchens eine Rückkehr nach Österreich erlaubt. „Damit Olivia endlich wieder in vertrauter Umgebung vollständig genesen kann.“
„Schützt Patienten vor Hamer!“
Der Präsident der niederösterreichischen Ärztekammer, Dr. Weintögl, fordert von den Politikern: „Schützt die Patienten vor zweifelhaften Heilmethoden“. Auch wenn der Fall Hamer nicht direkt unter Kurpfuscherei fällt, sei die Gesetzeslage, so Weintögl, in Österreich völlig ineffizient geregelt. „Schließlich geht es um die Gesundheit der Bevölkerung!“
Der Jurist und Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer, Dr. Ernst Chlan, geht auf den Fall Olivia ein: „In vergleichbaren Fällen, wie bei den Zeugen Jehovas, wird hart durchgegriffen. Wenn die Eltern einer Bluttransfusion nicht zustimmen, übernimmt die Pflegschaftsbehörde die Vormundschaft.“ Das formelle Sorgerecht für Olivia liegt ja nun beim österreichischen Konsul in Malaga. Dazu Chlan: „Der Vormund müßte dafür Sorge tragen, daß dem Kind eine ordentliche Behandlung zukommt. Denn das Mädchen ist, wie sich nun zeigt, weiterhin in der Gewalt der Eltern.“ „Allerdings“, betont der Jurist, „kenne ich die rechtlichen Möglichkeiten in Spanien nicht.“
Originalton eines Mannes, der nicht als Arzt arbeiten darf
Ryke Geerd Hamer, jener Mann, zu dem die Eltern der kleinen Olivia Pilhar Vertrauen haben, erklärt seine Diagnose und spricht über seine Heilmethode:
„Bei unserer Olivia handelt es sich nicht um einen Wilms-Tumor“ – diesen diagnostizierten Ärzte im St. Anna Kinderspital, „sondern um eine Nierenzyste. Diese verfestigt sich immer mehr, wird dann ein Teil der Niere und beginnt schließlich sogar, Urin zu produzieren.“
Laut Hamer wäre diese Zyste das „Ergebnis eines Wasserkonfliktes“. Die Ursache für ihn: „Das Mädchen ist mit seiner Tante in einem Boot gefahren, das plötzlich leck wurde. Darauf begann die Tante wie irr zu schreien. Das Mädchen erlitt einen Schock und bildete deshalb eine Zyste.“
Auch die Ursache für die von ihm diagnostizierte „Leberzyste“ will der Mann kennen: „Als die Mutter wieder arbeiten ging, hat sie aufgehört, für das Kind zu kochen.“ Die Kleine habe das so erfahren, daß sie die Zuwendung nicht mehr im selben Ausmaß wie vorher bekam, als die Mutter die ganze Zeit bei ihr zu Hause war.
Für die Heilung „muß man warten, bis die Zyste reif ist und sich genug verfestigt hat“. Dann könne man ganz normal damit leben.
„In Olivias Fall“, gesteht Hamer allerdings ein, „ist das aber wahrscheinlich nicht möglich. Denn die Zysten sind so groß, daß sie eine mechanische Behinderung darstellen“.
Die weiteren Schritte stellt er sich so vor: „Neben der Gesprächstherapie versuchen wir nun, das Mädchen aufzupäppeln, damit sie genug Gewicht hat, um operationsbereit zu sein. Dann kann die Zyste herausgeschnitten werden, ohne daß die Niere dabei beschädigt wird.“
Rätselraten um Diagnosen der spanischen Mediziner
Rätselraten um das Gutachten der spanischen Ärzte: Sie stellten, nach ersten Meldungen, bei Olivia eine völlig andere Krebsart fest als ihre österreichischen Kollegen.
Spezialisten der Universitätsklinik in Malaga haben die kleine Olivia untersucht.
Nach ersten Meldungen sieht die Diagnose der spanischen Ärzte so aus: Das Mädchen hat Leberkrebs und eine Nierenzyste.
Das widerlegt die Befunde ihrer Kollegen aus Österreich. Denn die heimischen Mediziner stellten bei Olivia einen sogenannten Wilms-Tumor fest. Diese Krebsart befällt, wie berichtet, die Niere, und nicht die Leber.
Welche Ärzte Irren sich also?
„Wir sicher nicht“, sagt Dr. Jürgenssen, der Olivia zum erstenmal untersucht hatte. „Der Tumor geht von der Niere aus. Da fährt die Eisenbahn drüber.“
Er schickte das Mädchen seinerzeit ins St. Anna Kinderspital. Auch dort stellten die Ärzte einen Wilms-Tumor fest.
Helmut Gadner, der ärztliche Leiter des Spitals, wollte zu den widersprüchlichen Befunden der spanischen Kollegen heute allerdings keinen Kommentar abgeben.
Der Urologe Dr. Reiner Simak vom Wiener AKH: „Kein Arzt kann einen Nierenkrebs mit einer Zyste verwechseln. Eine Zyste ist nicht lebensbedrohlich. Ich kann mir das Ganze, wer immer sich auch geirrt haben mag, einfach nicht erklären.“
Entflammt jetzt ein internationaler Ärztestreit? Aussage steht gegen Aussage. Es gibt zwei Möglichkeiten:
Erstens: Die spanischen Ärzte haben recht. Dann wäre Olivias Eltern in Österreich das Sorgerecht für ihr Kind vor einem eigenartig anmutenden Hintergrund entzogen worden – einer falschen Diagnose nämlich.
Die zweite Möglichkeit: Die Ärzte aus Österreich haben recht. Dann wäre Olivia in der spanischen Uni-Klinik äußerst schlecht aufgehoben.