Eltern der krebskranken Olivia in Spanien verhaftet.

Kind soll mit Ärzteflugambulanz zur Behandlung nach Österreich gebracht werden

Die Eltern der krebskranken Olivia Pilhar sind am Mittwoch in Spanien verhaftet worden, obwohl aus Sicht der österreichischen Behörden kein Grund für eine Verhaftung vorliegt. Olivia und ihre Eltern sollen heute mit der Ärzteflugambulanz von Malaga nach Wien gebracht werden.

Neue Hoffnung für Olivia

Eltern und das Mädchen sind im Justizpalast – Ärzteflugambulanz holt heute alle nach Österreich – Olivia kann sofort behandelt werden

„Wir haben keine Hoffnung mehr, daß sie doch noch zurückkommen“, war die Paten-Tante der kleinen krebskranken Olivia, Silvia Janauschek, verzweifelt. „Jetzt, nachdem meinem Bruder mit dem todkranken Kind die Flucht nach Spanien gelungen ist, glauben wir nicht mehr an einen guten Ausgang.“

Doch nach völlig überraschenden Verhaftung der Eltern am Mittwoch spät abend in Malaga besteht neue Hoffnung, daß Olivia doch noch rechtzeitig mit zielführenden Methoden behandelt wird.

Der Grund für die Festnahme in der spanischen Ferienmetropole ist zwar noch unbekannt, fest steht lediglich, daß die gesamte Familie im Justizpalast von Malaga festgehalten wird.

Familie Pilhar wird heute mit einem Jet der Ärzteflugambulanz von Malaga nach Österreich gebracht werden.

Schon am Nachmittag, lange bevor man von der Festnahme wußte, war auf dem Flughafen Wien ein Jet der Ärzteflugambulanz mit der Kinderärztin Marina Marcovich bereit gestellt worden, um das Kind auf schnellsten Weg zur Behandlung ins St. Anna Kinderspital zu bringen, falls die Eltern doch noch freiwillig zurückgekehrt wären.

Im Justizministerium hatte man am Nachmittag bereits die Pläne für einen Aussetzung des Haftbefehls ausgearbeitet. Pressesprecher Gerhard Litzka: „Wenn die Eltern nach Österreich zurückkommen und bereit sind, Olivia adäquat behandeln zu lassen, werden wir den Haftbefehl für einige Tage aussetzen.“ Nun ist man im Justizministerium mit den neuen Fakten konfrontiert und etwas ratlos: Denn gegen die Eltern von Olivia liegen aus österreichischer Sicht keinerlei Gründe für eine Verhaftung vor, ein internationaler Haftbefehl war ja noch nicht ausgestellt worden. Litzka dazu: „Kommt das Kind, in Behandlung, so fällt auch der Haftgrund weg.“ Hauptsache das Kind bekommt die dringend notwendige Therapie.

Eine Therapie, an die Primar Olaf Arne Jürgenssen, der beim Bezirksgericht Wiener Neustadt den Obsorge-Entzug initiiert hatte, nicht mehr glauben wollte: „Helmut Pilhar hat sich auch bei mir gemeldet und behauptet, daß er mit dem Kind zu einem spanischen Arzt gehen werde. Olivia behandeln zulassen, hat er aber schon x-mal versprochen.“

Nur einmal in den vergangenen Tagen hatte der Arzt Hoffnung: „Nachdem die Eltern in die Schweiz geflüchtet waren, wären sie beinahe zurückgekommen.“ Sofort sei aber ihr „Guru“ Ryke Geerd Hamer (siehe Kasten) zu ihnen geflogen und habe sie wieder „auf Linie“ gebracht.

Den Verdacht der Angehörigen Helmut Pilhars, die junge Familie sei in das Netzwerk einer Sekte geraten; bestätigt auch Doktor Jürgenssen: „Es dürfte Fiat Lux im Spiel sein.“

„Fiat Lux“ ist eine Sekte mit Hauptsitz in der Schweiz, deren Gedankengut auf Reinkarnationslehre, Karma-Gedanken, Farbenlehre, dubiosen medizinischen Behandlungsweisen beruht und sektiererisch eine „neue göttliche Lehre offenbart“, deren einzige Vermittlerin Erika Bertschinger ist. Die Schweizerin nennt sich seit einem Reitunfall, bei dem sie auf den Kopf fiel, Uriella und behauptet, Visionen zu haben.

Betroffen sind unterdessen auch die Ärzte im St.-Anna-Kinderspital. Andreas Zoubek, Oberarzt an der onkologischen Abteilung, spricht von einer „Lähmung, die das gesamte Haus erfaßt hat“. Und weiter: „Hätten wir gewußt, daß die Eltern ,Schüler Hamers‘ sind, hätten wir das Gespräch vielleicht anders angelegt.“

Das Furchtbare für Olivia: Seit 1989 ist in Österreich kein einziges der 32 Kinder, bei denen der Wilms-Tumor wie bei Olivia im Anfangsstadium erkannt wurde, gestorben. In St. Anna konnten bisher 900 krebskranke Kinder geheilt werden. Dr. Andreas Zoubek: „Diese Kinder retten uns jetzt.“

Für das, was Erika und Helmut Pilhar ihrer Tochter antun, finden die Mütter und Väter anderer krebskranker Kinder keine Worte. Karin Benedik von der Elterninitiative im St.-Anna-Kinderspital: „Was geht in den Eltern von Olivia vor? Warum versagen sie ihrem Kind die lebensrettende Behandlung? Nach dem dritten oder vierten Rückfall würde ich sie verstehen. Aber beim ersten Mal und den guten Heilungsprognosen?“

Karin Benediks elfjähriger Sohn Manuel ist gesund geworden – nach mehreren Chemotherapie-Behandlungen und einer Transplantation. Er war mit eineinhalb Jahren an Leukämie erkrankt. „Ich verstehe den Schock von Eltern, deren Kind krebskrank wird. Ich verstehe auch die Angst der Eltern vor der Behandlung mit all den schrecklichen Begleitumständen, von Haarausfall bis zum Erbrechen, die sie dem Kind sozusagen aufbürden sollen. Aber ich habe auch gesehen, wie mein Kind den Spitalsaufenthalt erlebt hat. Seine weiße Robbe, ein Kuscheltier, hat es überall hin begleitet. Gemeinsam haben die beiden diesen schwierigen Lebensabschnitt gemeistert. Das St.-Anna-Kinderspital hat es nicht vergessen. Es besucht dort immer wieder Kinder.“

Susanne Mauthner-Weber
Karin Mück
Susanne Bobek

Hinter den Kulissen: Zwei Familien im Zwist

Hinter den Kulissen spaltet die tragische Erkrankung von Olivia Pilhar eine ganze Familie. Die Verwandten Erika Pilhars, der Mutter, sind überzeugte Hamer-Anhänger. Die Fernsehbilder vom aufgequollenen Bauch des Mädchens, das mit schmerzverzerrtem Gesicht daliegt und nicht mehr gehen kann, halten sie für gefälscht: Der Tumor befinde sich in der Abheilungsphase und sei längst zurückgegangen, genau wie Hamer es prophezeit hatte.

Die Angehörigen des Vaters, Helmut Pilhar, dagegen kämpfen seit Wochen verbissen um eine Behandlung Olivias. Die Patentante: „Die Großeltern sind verzweifelt. Als Helmut einmal angerufen hat, mußte er plötzlich auflegen, weil jemand ins Zimmer kam. Wir haben den Eindruck, daß er abgeschirmt wird und nicht mehr tun darf, was er tun möchte. Und von Erikas Familie wurden wir in den vergangenen Tagen beschimpft, daß wir die Genesung des Kindes gefährden.“

Mittlerweile wurde der Kontakt zwischen den Familien abgebrochen.

Hamer: „Realitätsverlust“ im Urteil konstatiert

Ryke Geerd Hamer hat alle Eigenschaften eines Gurus: Hohe Intelligenz, Charisma und Durchsetzungsvermögen. Nur wenn es um seine eigene Gesundheit geht, versteht der „Heiler“ keinen Spaß. Als er in den achtziger Jahren an Hodenkrebs erkrankte, begab er sich selbstverständlich in die Hände der Schulmedizin und ließ den Tumor operativ entfernen. Nur seinen Anhängern erzählt er bis heute, daß er erst durch seine „Neue Medizin“ gesund geworden sei.

Monomane Idee und Persönlichkeitswandel

Seine „monomane Idee mit massivem Realitätsverlust“, verbunden mit einer „Persönlichkeitsveränderung“ trug dem Kölner Internisten 1986 ein Berufsverbot in Deutschland ein. Seit Jahren ermitteln die steirischen Behörden gegen den Mann, der im Alten Schloß von Burgau im Bezirk Fürstenfeld ein „Büro“ unterhält und von ihm Wohlgesinnten großzügig unterstützt wird. Als studierter Mediziner konnte er aber nie wegen Kurpfuscherei belangt werden.

Doch das soll sich so rasch wie möglich ändern: Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat die Ermittlungen gegen den 59jährigen Hamer „wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit“ aufgenommen.

Hamer lehnt nicht nur alle Erkenntnisse der Schulmedizin ab, sondern stellt sich auch gegen alle alternativen Heilmethoden. Seine einfache These lautet: Jede Krankheit wird durch ein Konflikt-Schock-Erlebnis ausgelöst. Die einzige Therapie dagegen sei es, den Konflikt ganz ohne Einsatz von Medikamenten zu lösen. Bei Olivia stellte er einen „Flüchtlingskonflikt“ und einen „Verhungerungskonflikt“ als Krankheitsursache fest, weil das Mädchen das Essen der Großmutter verweigert hatte.

Ein Guru seit der Ermordung des Sohns

Hamer wird von Ärztkollegen, die jahrelang mit ihm zusammengearbeitet hatten, als „gefährlich“ bezeichnet, „weil er nichts mehr zu verlieren hat“. 1978 wurde sein einziger Sohn DIRK während eines Badeurlaubs in Korsika vom italienischen Prinzen Vittorio Emanuele erschossen. Seine Frau, eine Ärztin, erkrankte daraufhin an Krebs. Sie starb „im Gefolge des Leides um ihren geliebten Sohn 1985 in meinen Armen an einem akuten Herzinfarkt„. Hamers „Neue Medizin“ baut auf diesen Schicksalsschlägen auf. Gewidmet ist sie „in Ehrfurcht den Toten – in Wahrhaftigkeit den Lebenden“.

Angeblich hält sich Hamer zur Zeit in Spanien auf. Olivias Eltern berät er via Telefon.

Wienerin wollte vermitteln

Eine Wienerin appellierte an die Eltern von Olivia, via KURIER Kontakt mit ihr aufzunehmen: „Mein Sohn hatte einen Tumor. Ein Jahr lang behandelten wir erfolglos mit Alternativmethoden. Wir haben uns auch nicht vorstellen können, daß mit so etwas Zerstörerischem wie der Chemotherapie ein Heilungsprozeß eingeleitet werden könnte. Dann haben wir uns aber doch für Operation und Chemotherapie entschlossen. Mein Sohn wurde geheilt.“ Sie kenne eine Klinik, wo die Schulmedizin mit ganzheitlichen Methoden arbeite. Dort werde intensiv auf die Patienten eingegangen. „Wenn sich die Familie meldet, kann ich ihr von meinen guten Erfahrungen erzählen.“

MENSCHLICH GESEHEN

Olivia und andere Opfer

Kurt Markaritzer

In der Trafik haben zwei Frauen über die krebskranke Olivia geredet, deren Schicksal Österreich bewegt, und sie haben gemeint: Die Eltern des Mädchens, die ihm ärztliche Hilfe verweigern, gehören psychiatriert, und jener deutsche Ex-Arzt, der sie beeinflußt, muß eingesperrt werden.

Dazu müßte man allerdings alle Beteiligten erst einmal haben, und davon ist keine Rede: Wo Vater, Mutter und kranke Tochter sind, weiß man nicht genau, und auch der ehemalige deutsche Arzt Hamer – den die beiden Frauen immer nur „den Pfuscher“ genannt haben – ist nicht auffindbar. Und den Eindruck, daß alles getan wird, um das Kind in Sicherheit zu bringen, hat man leider keineswegs. Alle reden über Olivia – aber wer weiß, wie viele vergleichbare Schicksale es gibt, von denen niemand erfährt, wie viele schwerkranke Menschen, die überall Hilfe suchen, auch bei Scharlatanen?

Sie tun es aus Verzweiflung, und das weist auf den Kern des Problems: Ein einziger Fehler eines Arztes überdeckt die Erfolge in Hunderten anderen Fällen und vergrößert das Mißtrauen gegenüber der herkömmlichen Medizin. Und jede Heilung, die einem Kurpfuscher zugeschrieben wird, macht ihn zur Legende, von Fehlschlägen ist nicht die Rede; auch deswegen, weil seine Opfer ihn nicht anklagen können: Die liegen unter der Erde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.