Erika und Ing. Helmut Pilhar
Maiersdorf 221
2724 Hohe Wand
17.9.1995
An die
Direktion des Allgemeinen Krankenhauses Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
An das
Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien
Herrn Prof. Dr. Radvan Urbanek
Vorstand der Kinderabteilung
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Herrn Prof. Dr. Horcher
Vorstand der Kinderchirurgie
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Betr.: Unser Kind Olivia Pilhar
Bedenken gegen die ärztliche Vorgangsweise (Operation)
Sehr geehrter Krankenhausdirektion!
Sehr geehrte Ärzteschaft!
Aus mündlichen Andeutungen ist zu vermuten, daß Sie morgen Montag den 18. d.M. (Uhrzeit unbekannt) unser Kind einer Operation unterziehen wollen, deren medizinische Begründung uns Eltern bislang nicht offengelegt wurde. Die Vermutung wird dadurch bestärkt, weil Sie Olivia bereits in die chirurgische Abteilung Ihres Hauses überstellt haben.
Wir legen Wert darauf, daß vor der entscheidenden Operation Klarheit in einigen wichtigen Fragen, die wir nachfolgend darzustellen versuchen, geschaffen wird. Wir sind (durchaus in Übereinstimmung mit anderen Ärzten) nicht davon überzeugt, daß der Zeitpunkt richtig gewählt wurde, können dies begründen und empfinden Ihr Vorgehen daher als übereilt und für uns jedenfalls nicht nachvollziehbar. Ohne dadurch natürlich in die Kompetenz des Amtsvormundes eingreifen zu können und zu wollen, sprechen wir uns daher zum gegebenen Zeitpunkt gegen einen chirurgischen Eingriff aus und ersuchen davon Abstand zu nehmen, bis wir Eltern alle notwendigen Informationen erhalten, um eine Beratung durch unsere Vertrauensärzte vornehmen zu können.
Zur Frage unseres Informationsdefizites:
Bekanntlich wurde mir, Helmut Pilhar, das Gespräch mit den behandelnden Ärzten dadurch unmöglich gemacht, daß die Behauptung aufgestellt wurde, ich sei „gefährlich“ und würde die Behandlung gewaltsam zu behindern trachten. Diese unwahre Behauptung wurde von Verantwortlichen des Krankenhauses in einer Weise kolportiert, daß sie sogar im Pflegschaftsakt bei Gericht aktenkundig wurde. Meine Gesprächsversuche mit den Ärzten wurde von diesen großteils mißbilligt und negativ kommentiert: „Der Vater wolle nur debattieren!“ Auch diese unfaire Auslegung meiner Bemühung um Verständnis der ärztlichen Vorhaben, wurde umfassend gegen mich eingesetzt, um mir dadurch über Wochen den Zugang zu meinem Kind, zum Teil fast gänzlich zu unterbinden.
Zwischenweilig ist mir zwar der Zugang zu meinem Kind tagsüber erlaubt worden, eine gehörige ärztliche Auskunftserteilung an mich ist aber nach wie vor nicht erfolgt. Auch der bislang tätig gewordene Vertrauensarzt der Eltern, Dr. Adolf Langer, hat keineswegs jene Auskünfte erhalten, die es ihm ermöglicht hätte, die Eltern umfassend ärztlich zu informieren. Unter den gegebenen Umständen konnten wir als Eltern bisher nicht riskieren die Krankengeschichte vom Krankenhaus zu fordern, weil wir nach unseren Erfahrungen damit rechnen müßten, daß dieses Begehren wiederum mit Repressalien (z.B. Besuchseinschränkung) beantwortet worden wäre.
Wir als Eltern hatten daher bis jetzt keine Möglichkeit, uns ein klares und vollständiges Bild darüber zu verschaffen, wie die Diagnosen wirklich lauten und wie die nun seit Wochen laufende Therapie tatsächlich angelegt ist. Wir wissen nicht, was die dramatische Verschlechterung nach der Einlieferung ins AKH auslöste. Wir haben keinen vollständigen Überblick über die Medikation und die sonstigen Behandlungen. Nicht einmal im Pflegschaftsakt oder beim Herrn Amtsvormund dürfte sich die Krankengeschichte befinden.
Widersprüchlichkeiten in ärztlichen Aussagen und Auskünften, die auch eine Vertrauensbildung unmöglich machen:
Am zweiten Tag des Aufenthaltes von Olivia im St. Anna Kinderspital informierte uns eine Ärztin des Hauses, daß auf der Leber ein Schatten zu sehen wäre.
Die praktische Ärztin Dr. Rozkydal hat uns am 22.5.95 informiert, daß bei Olivia u.a. „ein Geschehen“ an der Leber bestehe. Kurz danach hat Dr. Hamer nach einem Gehirn-CT ein Leberkarzinom diagnostiziert. Am 5.7. vertrat Dr. Hamer in einer Fernsehsendung neuerlich seine Diagnose (Leberkarzinom), die vom Anzeiger des Falles Dr. Jürgenssen entschieden bestritten wurde. Danach in Spanien hat Prof. Rius diese Diagnose nach dem CT bestätigt. Anläßlich der Rückkehr aus Spanien am 24.7.95 befaßte sich Frau Dr. Rozkydal und Herr Amtsarzt Dr. Stangl neuerlich mit dem vorhandenen Bildmaterial und kamen übereinstimmend zu der Diagnose, daß ein Leberkarzinom vorliegt. Am Mittwoch nach der Einlieferung ins AKH hat uns der Chef der Strahlentherapie Prof. Pötter erklärt, er könne Metastasen an Lunge und Leber erkennen, wobei der Schaden an der Leber bereits aus den Bildern des Krankenhauses Tulln (Stockerau) erkennbar wäre. Am 7.8.95 dementierte Prof. Waldhauser und meinte, nicht an der Leber, sondern „nur“ an der Lunge seien Metastasen (auf den CTs aus Stockerau) erkennbar.
Bemerkenswert sind die ärztlichen Aussagen gegenüber dem Amtsvormund laut Protokoll des Pflegschaftsaktes vom 27.7.95, in welchen ausdrücklich behauptet wird, daß die Lunge metastasenfrei ist. Das CT aus Stockerau datiert vom 26.7.95. Zwischenweilig – so Prof. Waldhauser damals – seien auch im AKH Metastasen an Leber und Lunge erkannt worden.
Über die Presse gelangten wir zu einigen Presseaussendungen der AKH-Ärzte. Am 8.8.95 wird darin von „winzigen auf Metastasen verdächtigen Rundherden“, am 10.8.95 von „auf Metastasen verdächtigen Rundherden im Bereich der Lunge und Leber“ und am 11.8.95 bereits von „einer deutlichen Verringerung der Leber- und Lungenmetastasen – Tochterstellen der Nierengeschwulst“ gesprochen.
Seit geraumer Zeit können wir nichts mehr über den Zustand der Lunge und Leber erfahren, nach ärztlichen Andeutungen seien diese Geschehen durch die Chemotherapie bewältigt.
Der auch für den Laien auf den Bildern sichtbare, faustgroße dunkle Fleck auf der Leber sei laut ärztlicher Auskunft der Nierentumor, der die Leber durchdringe und zum Teil auf eine restliche Stärke auf 5 mm komprimiere. Dr. Hamer blieb weiterhin bei seiner Diagnose „Leberkarzinom“ (neben anderen Geschehen), welches in der Heilungsphase mit einer Leberschwellung einhergehen kann. Der Rückgang des Bauchumfanges wäre in erster Linie auf den Rückgang der Leberschwellung zurückzuführen.
Ebenso widersprüchlich waren die Überlebensprognosen, vor allem auch der behandelnden Ärzte. Diese schwankten nicht nachvollziehbar zwischen 95% und unter 10% wie aus den Pressestellungnahmen der Ärzte bekannt ist. Dr. Jürgenssen prophezeite bereits für Mitte Juli den Tod innerhalb von Tagen. Innerhalb der Ärzteschaft scheint dieser Fall zu erheblichen Spannungen zu führen. Während unserem Vertrauensarzt Dr. Langer umfassende Auskünfte von Arzt zu Arzt verweigert werden, er von Beratungen auch als Beobachter ausgeschlossen ist, erschien kürzlich Primarius Dr. Vanura aus Tulln, um unser Kind zu besuchen. Aus für den Beobachter nicht durchschaubaren Gründen, zeigte sich dieser Arzt bei der Visite verärgert, die diensthabende Schwester erstattete Meldung, was dazu führte, daß der Abteilungsvorstand angeordnet habe, Dr. Vanura dürfe nur in Begleitung des jeweils diensthabenden Arztes Olivia besuchen. Während einerseits der Umgang mit der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht auch gegenüber der Presse in der Vergangenheit nachdenklich stimmt, wird andererseits den Eltern und Vertrauensärzten gegenüber Information zurückgehalten. Das Vertrauen mußte dadurch naturgemäß wieder schwer beeinträchtigt werden.
Unsere Wünsche:
Aufgrund all dieser Umstände sprechen wir uns in diesem Stadium mit aller Entschiedenheit gegen übereilte, im Detail nicht transparente Operation an Olivia aus und ersuchen höflichst, raschestmöglich die Vertrauensärzte Dr. Johann Loibner und Dr. Adolf Langer (ersterer hat sich bereits mit Schreiben vom 11.9.95 bei Ihnen gemeldet, letzterer hat sowieso schon mehrfach versucht, Auskünfte zu erhalten) über den Krankheitsverlauf, die Behandlung und die weitere geplante ärztliche Vorgangsweise vollständig zu unterrichten und die Krankengeschichte, sowie Kopien des gesamten (teils auch von uns zur Verfügung gestellten) Bildmaterials auszufolgen. Sodann möge uns die entsprechende Zeit zur Entscheidungsfindung eingeräumt werden und wir werden dann unverzüglich und fristgerecht eine endgültige Stellungnahme zu der beabsichtigten Operation und überhaupt zur angeblich bereits festgelegten Vorgangsweise abgeben.
Eben erhalten wir eine Nachricht, daß Prof. Klippel, Präsident der deutschen onkologischen Gesellschaft, Urologe und vermutlich Primararzt am städtischen Krankenhaus in Celle, Wilms-Tumor kaum noch operiert und er über gute Behandlungsmethoden verfügt, die in unserem Fall anscheinend noch nicht diskutiert worden sind. Auch dieser Umstand erfordert die Verschiebung der Operation, ein sachlicher Grund für die Eile ist nicht ersichtlich.
Wann immer die Operation stattfindet, verlangen wir und bitten darum eindringlich, im Interesse aller an der Angelegenheit Beteiligten, zumindest einen Vertrauensarzt von uns als Beobachter teilnehmen zu lassen und das Operationsgeschehen filmisch zu dokumentieren, sowie alles vorzukehren, damit eine über jeden Zweifel erhabene Dokumentation erfolgt. Als Laien könnten wir uns vorstellen, daß auch die Konservierung aller entnommenen Gewebeteile dieser wichtigen Beweissicherung dienlich sein wird.
All das was in der Vergangenheit von Betroffenen und Nichtbetroffenen, von offiziellen und weniger offiziellen Stellen, von Ärzten verschiedener fachlicher Auffassung geäußert und zum Teil angedroht wurde, läßt befürchten, daß der Fall unseres Kindes noch vielfach Gerichte und Behörden beanspruchen wird. Es wird sohin an Ihnen liegen, eine allfällige Operation umfassend zu dokumentieren und alle Beweise so zu sichern, daß später darüber kein Streit geführt werden muß. Durch Zulassung von Vertrauensärzten und durch Bewilligung der filmischen Aufzeichnung (es ist ja nichts Neues, daß Operationen gefilmt werden, auch wenn es um wesentlich geringfügigere Anlässe geht) würden die behandelnden Ärzte viel von dem in der Patientenschaft herrschenden Mißtrauen abbauen können.
Eben wird uns mitgeteilt, daß Bundeskanzler Dr. Kreisky die Operation an seiner Niere nicht durch ein österreichisches Team vornehmen ließ und wir müssen davon ausgehen, daß der Bundeskanzler eine bessere Möglichkeit hatte als wir, sich kompetent ärztlich versorgen zu lassen und ihm Auskünfte über seinen Gesundheitszustand und seine Krankengeschichte gewiß nicht vorenthalten wurden.
Bei uns häufen sich Hinweise über Mißstände in Krankenhäusern der Stadt Wien, es ist uns derzeit noch nicht möglich alles zu sichten. Auch ist uns das Buch von Herrn Dipl. Ing. Fröhlich „Der mißbrauchte Patient“ vor kurzem geschenkt worden und wir bitten Sie, es uns nicht zu verübeln, wenn unser Vertrauen wieder auf den Null-Punkt gesunken ist. Herr Dipl. Ing. Fröhlich hat uns wissen lassen, daß es der Stadt Wien nicht gelungen sei, seine Schriften gerichtlich verbieten oder beschlagnahmen zu lassen. Dies bedeutet, daß es der Stadt Wien nicht gelungen ist, die entscheidenden Vorwürfe (asbestverseuchte Infusionen seien verabreicht worden, Sterilisationsmängel etc.) zu widerlegen.
In einer der ersten großen ärztlichen Pressekonferenzen wurde es als selbstverständlich hingestellt, daß die wesentlichen Behandlungsmaßnahmen nur nach Billigung des Pflegschaftsgerichtes stattfinden werden. Wir haben nichts von einer Bewilligung der Operation durch das Pflegschaftsgericht gehört. Auch wir vertreten die Meinung, daß dieser außerordentliche Eingriff, über den umfangreiche Meinungsverschiedenheiten herrschen, der gerichtlichen Bewilligung bedarf.
Außerdem ist das Kind, wie auch wir wissen, erkältet und schon deshalb keinesfalls operationstauglich.
Nachdem das Kind heute Abend noch zu Essen bekommen hat, gingen wir bis vor wenigen Minuten davon aus, daß morgen sowieso keine Operation stattfindet, schließlich ist die Operation definitiv bisher nicht bekanntgegeben worden.
Eben jetzt gegen 21.30 hat mir, Erika Pilhar, der diensthabende Arzt erklärt, daß morgen in der Früh um 6 Uhr Vorbereitungen zu einer Operation beginnen werden. Näheres über Art, Methode und Umfang der Operation hat der Arzt nicht bekannt gegeben.
Wir sind entsetzt über dieses Vorgehen und sehen uns gezwungen die notwendigen rechtlichen Schritte zu ergreifen.
Wir bitten Sie alle involvierten Stellen des AKH von unserem Anliegen und unserem Standpunkt unverzüglich zu informieren.
Hochachtungsvoll
Erika Pilhar
Ing. Helmut Pilhar
Dr. Adolf Langer (Vertrauensarzt)