Zustand des Mädchens soll sich drastisch verschlechtert haben. Schwere Vorwürfe gegen „Wunderheiler“:
Jener Arzt, der den „Fall Olivia“ ins Rollen brachte, verteidigt die Chemotherapie
„Ich würde mein Kind genauso behandeln“
Deutsche Privatsender haben ihn ziemlich in der Luft zerrissen. Als verkorksten Mediziner der alten Schule. Im ORF kam er anfänglich auch nicht gerade gut weg. Olaf Arne Jürgenssen, jener Arzt, der den „Fall Olivia“ ins Rollen brachte, hat die schwersten Tage seines Lebens hinter sich. Wir besuchten ihn in seiner Kinderklinik. Und erlebten unser Wunder.
Wer jemals Solschenizyns „Krebsstation“ gelesen hat, kann sich ausmalen, wie es in solchen Horrorkliniken zugeht. Ausgemergelte, dahinsiechende Leiber, Gesichter, die wenig Hoffnung und viel mehr Verzweiflung widerspiegeln, zitternde Hände, die sich an vergitterten Betten festkrallen, weiße Götter, zynische Herrscher über Leben und Tod. Das gräßliche Gesicht der Schulmedizin.
Wir sind in der Kinderklinik in Wiener Neustadt (NÖ). Hier arbeitet, schläft, lebt, lacht und leidet Olaf Arne Jürgenssen. In einem Zimmer wiegt eine junge Mutter ihr Baby im Arm. Sie lacht. Auf einem riesigen Berg aus Stofftieren, Spielsachen und Malbüchern thront Mohamed. Er stammt aus Afghanistan. Eine Splitterbombe hat ihm ein Bein zerfetzt. Er lacht, wie nur jemand lachen kann, der das Grauen kennt und den Frieden gefunden hat. Auch die Schwestern, die Assistenzärzte lachen. Ja, hier scheinen sogar die hellen, mit Kinderzeichnungen verzierten Wände zu lachen. Das freundliche Gesicht der Schulmedizin.
Komisch, das soll das Reich jenes Mannes sein, der in den vergangenen Tagen von diversen Wunderheilern ungefähr so beschrieben wurde: Ein böser Onkel Doktor, der kleine krebskranke Kinder am liebsten per Chemotherapie bis zum Gehtnichtmehr quält und der Eltern, die da nicht mitmachen wollen, anzeigt und quer über den Erdball jagen läßt. An dieser Beschreibung stimmt genau eines – der Doktortitel nämlich.
Wer ist dieser Mann? Er ist Kunstliebhaber: Mit seiner Frau Ulrike, ebenfalls Ärztin, besucht er regelmäßig Klassikkonzerte, die Wände seines Büros sind mit Werken seiner malenden Schwester tapeziert. Er ist Hobbygärtner: „Dabei kann ich wirklich abschalten und entspannen.“ Und: Er erzählt gerne Geschichten. Zum Beispiel heiterharmlose, warum er und seine Söhne Lars Olaf (21) und Niels Holger (19) zumindest in unseren Breiten so seltsam klingende Vornamen haben. „Das ist nichts als ein Gag, den ich von meinem Vater übernommen habe. Der war Kinderarzt und heißt Olaf. Wir sind beim Skandinavischen geblieben, weil’s so gut zu Jürgenssen paßt.“ Oder dramatische. Zum Beispiel von einem krebskranken Buben, der vor ein paar Jahren bei ihm im Spital war. Die Mutter hat ihr Kind aus „den Fängen der Schulmedizin“ befreit, wenig später war der kleine Patient tot. „Sowas“, sagt Jürgenssen, „will ich nie mehr erleben. Nie mehr.“ Auch nicht bei Olivia.
Frage: Warum können Sie als Schulmediziner nicht mit Alternativmedizinern gemeinsame Sache machen? Schließlich geht’s ja nicht darum, welcher Experte jetzt recht hat, sondern um das Leben des Kindes. „Ich habe nichts gegen neue Methoden. Auch bei uns wurden Kinder mit Kräutern, ja sogar mit Stierblut behandelt, weil es die Eltern gewünscht haben. Ich lasse das zu – solange es dem Patienten nicht schadet. Weil allein der Glaube, daß es hilft, hilft. Aber nur parallel zur herkömmlichen, zu unserer Methode.“ Und dieser „Wunderheiler“ Hamer, könnten Sie mit ihm überhaupt nicht zusammenarbeiten? „Nein. Er schließt die Schulmedizin aus. Er ist selbst krank, er hat den Bezug zur Realität verloren.“
Und Olivias Eltern?
„Ich will nicht, daß sie ins Gefängnis müssen, daß ihnen ihr Kind weggenommen wird. Ich will nur, daß Olivia lebt. Ich will, daß sie so behandelt wird, wie ich auch meinen eigenen Sohn behandeln würde. Dann wäre sie längst gesund.“
Spitalsdirektorin in Malaga sagt: „Olivias Gutachten sind gefälscht!“
„Hamers Helfer kommen aus dem Spital“
Ungeheuerliche Entwicklung im Fall um das kleine krebskranke Mädchen Olivia Pilhar (6): Das spanische Gutachten, das Freitag auftauchte und das die Diagnosen der österreichischen Ärzte widerlegt, also Geerd Hamers Behauptungen unterstützt – „ist eine Fälschung“! Das erklärte die Direktorin jener Klinik in Malaga, aus der das Gutachten ausgesendet worden war, in einem Interview mit „täglich ALLES“. Mittlerweile hat Olivia das Spital wieder verlassen. Sie ist mit ihren Eltern und dem „Krebsheiler“ angeblich in ein Haus in den umliegenden Bergen übersiedelt.
Als einzige Zeitung weist „täglich ALLES“ (siehe Faksimile) seit drei Tagen darauf hin, daß die Ergebnisse der spanischen Untersuchungen die Diagnosen der österreichischen Arzte widerlegen.
Während die Mediziner in Niederösterreich und Wien bei Olivia Pilhar (6) einen sogenannten Wilms-Tumor feststellten, eine Krebserkrankung der Niere also, meinen die Kollegen in Spanien, es handle sich dabei um Leberkrebs; an der Niere „diagnostizieren“ die Spanier lediglich eine Zyste (eine verhältnismäßig harmlose, mit Flüssigkeit gefüllte „Blase“).
Höchst unterschiedliche Aussagen also. Unsere Reporter in Malaga, Ronald Pötzl und Andreas Zeppelzauer, gingen der Sache auf den Grund und versuchten mit den untersuchenden Ärzten im „Hospital Matorno Infantil“ zu sprechen.
Erstaunlich: Abfuhr bei Chefarzt Calvo (der hatte kurzfristig einen Urlaub angetreten); Abfuhr bei Vizechef Prof. Giacomo Marineli (kein Interesse an einem Gespräch). Dann endlich ließ sich die Direktorin des Kinderklinik, Frau Dr. Rosa Alcaniz, zu einem Termin bewegen.
„Sie haben recht, die Ergebnisse widersprechen einander“, gab die Frau Doktor nach einigem Zögern zu.
Wie ist das möglich? Ist die Diagnose der Österreicher falsch?
„Wir haben Olivia ja nur physisch untersucht.“
Wie bitte?
„Als wir das Mädchen sahen, war uns klar: sofort einweisen, sofort stationär aufnehmen! Das lehnten Olivias Eltern aber kategorisch ab. Wir hatten nur eineinhalb Stunden Zeit. Die Eltern hatten uns auf Anraten Dr. Hamers dieses Limit gesetzt. Wir durften die Kleine nur äußerlich untersuchen.“
„Was heißt das genau?“
„Wir mußten uns darauf beschränken, Olivia den Bauch abzutasten und ihr den Puls zu fühlen.“
„Geerd Hamer spricht aber von einer Computer-Tomographie, die an dem Mädchen durchgeführt wurde.“
„Das wurde uns untersagt.“
„Wie konnten Sie dann derartige Ergebnisse vorlegen? Einen Nierenkrebs widerlegen und statt dessen Leberkrebs diagnostizieren. Das ist doch keine Kleinigkeit! Immerhin haben Sie dazu entsprechende Diagnosen mit dem Briefkopf Ihrer Klinik veröffentlicht.“
„Das waren gar nicht unsere Ergebnisse.“
„Was war das dann?“
Die Frau zögert, dann platzt es aus ihr heraus: „Das ist eine Fälschung.“
„Ungeheuerlich, diese also gefälschte Diagnose unterstützt doch Geerd Hamers Behauptung, Olivia hätte eine Nieren-Zyste und keinen Wilms-Tumor?“
„Ja, deswegen nehmen wir auch an, daß die Fälschung zumindest aus Hamers Dunstkreis stammt.“
„Aber wie kann es passieren, daß der oder die Täter zum Briefpapier Ihrer Klinik kommen?“
Die Frau rutscht unruhig auf ihrem Sessel hin und her, dann gibt sie zu: „Die Helfer kommen vermutlich aus unserem Haus.“
„Wie bitte, Hamer-Sympathisanten in einer Uni-Klinik?“
„Ja, Hamer hat schon mehrmals zumindest versucht, sich mit Leuten aus unserem Krankenhaus kurzzuschließen.“
„Und ist dem Mann das gelungen?“
„Das wissen wir noch nicht: Aber die Vermutung steht im Raum.“
„Laufen entsprechende Ermittlungen?“
„Ja, sicher …“
Das reicht, unsere Reporter verabschieden sich.
Wir recherchieren auf eigene Faust weiter. Und kommen bald zu Ergebnissen. Der Verdacht fällt auf Spitalsmitarbeiter in der Radiologie (Röntgen etc.; Anmerkung der Redaktion).
Aus diesem Bereich könnte auch das Stichwort „Tomographie“ herkommen, das Geerd Hamer im Zusammenhang mit Untersuchungen an Olivia gebrauchte. Und so könnte die Sache gelaufen sein: Tage vor der offiziellen Untersuchung (Spitalsdirektorin Dr. Alcaniz meint jene am Freitag, die auf Vermittlung der Wiener Kinderärztin Marina Marcovich stattfand) wurde das Mädchen in der Klinik vermutlich von Geerd Hamer-Vertrauten durchleuchtet. Ein schulmedizinischer Eingriff, den der „Krebsheiler“ entgegen seiner sonstigen Haltung möglicherweise zugelassen hat, weil er eben von Medizinern durchgeführt wurde, denen er vertraut.
Für diese Variante würde auch jene Aussage sprechen, die von Hamer und Olivias Eltern getätigt wurde, als ihr Versteck in Malaga am Donnerstag aufflog: „Wir haben Olivia bereits in einer Klinik schulmedizinisch untersuchen lassen. Es gibt auch schon Ergebnisse.“
Unnötig sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob irgendeine dieser Fälschungen den Rang von offiziellen, von der Klinikleitung abgesegneten Ergebnissen erlangen könnte, gab Dr. Rosa Alcaniz zu verstehen.
Die Folgen: Das Verhältnis zwischen Hamer und dem „Hospital Materno Infantil“ ist jetzt vermutlich denkbar schlecht. Der „Krebsheiler“ wird wahrscheinlich keinen Zutritt mehr bekommen. Damit würden auch Olivia und ihre Eltern – die nach wie vor zu Hamer stehen – von schulmedizinischen Untersuchungen ferngehalten. Eine Niederlage für die österreichische Delegation, die zu vermitteln versuchte, eine Niederlage für Dr. Marina Marcovich (siehe Interview)?
Weder Geerd Hamer noch die Familie Pilhar konnten für einen Kommentar erreicht werden. Sie waren aus dem Hotel „Las Vegas“ verschwunden. Angeblich halten sie sich in einem Haus in den umliegenden Bergen auf.
Vor seiner Abreise schmetterte Dr. Hamer allerdings noch ein weiteres schreckliches Gerücht ab, wonach sich Olivias Zustand dramatisch verschlechtert habe: „Stimmt nicht. Dem Mädchen geht es besser. Es hat auch schon zugenommen. Es braucht viel Ruhe und die herzliche Fürsorge seiner Mutter.“ Was nun, nach den neuesten Entwicklungen, zu hoffen übrigbleibt: daß die kleine Olivia alle Stürme übersteht, und daß sie bald in eine Situation kommt, in der ihre Genesung so rasch wie möglich voranschreitet.
„Der Hamer ist ein Hund!“
Kinderärztin Marcovich im Interview über die Entwicklungen im Fall um die kleine Olivia
„Die Situation ist wieder sehr schlecht“
„Wenn der Hamer die Gutachten gefälscht hat, dann werden sie ihn in der spanischen Klinik nicht mehr reinlassen. Und damit kann auch Olivia nicht überwacht werden.“ Das sagt Marina Marcovich. Jene Frau, die als Vermittlerin zwischen den Behörden in Wien und Familie Pilhar dient.
Sie ist die einzige, die in der verzwickten Situation in Malaga den Überblick hat. Der Kinderärztin Marina Marcovich hören beide Seiten zu. Einerseits die Schulmediziner und auf der anderen Seite der „Krebsheiler“ Hamer.
Jetzt, nach den neuesten Entwicklungen um die gefälschte Diagnose, dürfte das Gesprächsklima aber auf einem Tiefpunkt angelangt sein.
„Ich habe Hamer mit den neuen Vorwürfen noch nicht konfrontieren können. Ich hab ihn bis jetzt noch nicht erreichen können.“
Wie wird er reagieren?
„Ich habe sehr lange mit ihm verhandelt. Also kann ich das ein bißchen einschätzen. Ich glaube, daß er alles abstreiten wird. Er ist von seiner Sache überzeugt. Und dafür würde er auch alles tun.“
Was passiert mit der kleinen Olivia?
„Die Situation ist wieder sehr schlecht. Ich schätze, die spanische Klinik wird Hamer nicht mehr reinlassen. Und damit kann Olivia auch nicht mehr von den Medizinern überwacht werden.“
Kann man den Eltern anhand der gefälschten Diagnose nicht klarmachen, daß Hamer ein Schwindler ist?
„Ich hoffe. Aber glauben tu ich es nicht. Denn Hamer wird ihnen einfach sagen, daß das wieder eine Lügenkampagne gegen ihn ist.“
Wie wird es jetzt also weitergehen?
„Ich fliege wahrscheinlich am Montag wieder nach Malaga. Dort werde ich mich sofort mit der Familie Pilhar treffen. Dann werde ich mich auch mit der spanischen Klinik in Verbindung setzten. Ich muß nun aber drei Seiten an den Verhandlungstisch bringen: den Hamer, die Eltern, die Schulmediziner und ihre Kollegen aus Wien. Das wird sicherlich nicht sehr einfach werden. Aber ich hoffe, daß es funktioniert.“
Und was ist, wenn es nicht klappt?
„Das stelle ich mir lieber nicht vor. Denn die Behörden in Österreich haben den Haftbefehl gegen die Eltern nur bis Montag abend aufgeschoben.“
Was halten Sie eigentlich vom „Krebsheiler“?
„Der Hamer ist ein Hund!“