HV fortgesetzt

am 11.10.1996, 09.00 Uhr

Zeuge Dr. Heinz Zimper

geb. 25.11.1955, Beamter, p.A. Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt, Neuklosterplatz 1 gibt nach WE vernommen an:

Meine Angaben im Protokoll vor dem Untersuchungsrichter vom 25.08.1995 sind richtig.

Der ER: Welche Position bekleiden Sie in der Bezirkshauptmannschaft und daher in diesem Verfahren?

Zeuge: Ich bin in der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt der Stellvertreter des Bezirkshauptmannes und in dem Verfahren selbst habe ich die

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Position der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt als gesetzlicher Vormund wahrgenommen, weil der Bezirkshauptmann selbst zu dieser Zeit im Urlaub war.

Der ER: Das angeklagte Delikt nach § 195 StGB ist ein Antragsdelikt, abhängig vom Antrag des Berechtigten, in diesem Fall der Bezirkshauptmannschaft. Theoretisch ist es möglich, ihn zurückziehen. Bleibt es bei diesem Antrag?

Zeuge: Es bleibt bei diesem Antrag.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie heute auch in Ihrer Funktion als Leiter der Bezirkshauptmannschaft hier anwesend? Stehen Sie heute der BH Wr. Neustadt vor?

Zeuge: Nein, der Bezirkshauptmann ist im Amt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie daher überhaupt der richtige Ansprechpartner, um Sie zu fragen, ob dieser Antrag aufrecht bleibt? Haben Sie sich vorher eine Weisung vom Herrn Bezirkshauptmann geholt?

Zeuge: Nein, eine ausdrückliche Weisung habe ich mir nicht geholt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Seinerzeit wurde ein Antrag auf Bestrafung nach § 195 StGB gestellt. Haben Sie diesen Antrag gestellt?

Zeuge: Nein, der Antrag wurde seinerzeit, als der Beschluß auf Verlust der Obsorge mit Gerichtsbeschluß dem Ehepaar Pilhar übermittelt worden ist und wir feststellen mußten, daß Olivia nicht mehr da war, an das Gericht weitergetragen, damit wir die Aufenthaltsermittlung bzw.

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unsere Möglichkeit, Olivia zu helfen, in Anspruch nehmen konnten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie diesen Antrag damals gestellt?

Zeuge: Nein, das habe ich nicht. Damals war der Bezirkshauptmann noch da bzw. hat der Leiter der Pflegschaftsstelle, Herr Gruber, diesen Antrag weitergegeben.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sind aber der Vorgesetzte des Herrn Gruber?

Zeuge: Zur damaligen Zeit war ich es, jetzt ist es der Bezirkshauptmann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen in Erinnerung, daß Sie, als die Eheleute Pilhar mit Olivia in Spanien waren, ein Fax dorthin geschickt haben mit dem Inhalt, daß Sie keine Anträge auf Zwangsausübung bei der Staatsanwaltschaft stellen werden?

Zeuge: Ich korrigiere, das war kein Fax, das war ein Fernschreiben, das in der Folge mit der Ärzteflugambulanz übermittelt worden ist. Dieses oft zitierte Fernschreiben von mir hat sich in der damaligen Situation ja auf die Festnahme bezogen. Man darf das nicht isoliert betrachten und sagen, das sei eine Erklärung gewesen, die auf alle Fälle und unabänderlich gilt; sondern es war zur damaligen Zeit die Frage, die Ehegatten Pilhar in Spanien sofort zu verhaften oder nicht zu verhaften. Darauf hat sich diese Mitteilung bezogen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die Mitteilung lautet: „Im Falle einer freiwilligen Rückkehr der Familie Pilhar nach Österreich und Durchführung der erforderlichen Untersuchungen sowie Absprache der Behandlungen wird die BH Wr. Neustadt die notwendigen Schritte für eine Rückgabe

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des Sorgerechts unterstützen und bei der Staatsanwaltschaft keine Anträge auf Zwangsausübung stellen.“ Was bedeutet „keine Anträge auf Zwangsausübung“?

Zeuge: Das bedeutet, für den damaligen Zeitpunkt gesehen – der Antrag auf Ermächtigung zur Strafverfolgung ist ja schon vorher gestellt worden – nur die Festnahme bzw. Verhaftungsmöglichkeit. Man darf auch nicht vergessen, es steht ja dabei „und Absprache der vorhandenen Möglichkeiten“. Die Absprache hat in der Folge nicht stattgefunden.

Verteidiger Mag. Rebasso: In Spanien hat es doch einen Konsens zwischen Dr. Marcovich, dem Konsul und den Eheleuten gegeben? Wissen Sie darüber Bescheid?

Zeuge: Es hat in Spanien sicher sehr viele Erklärungen gegeben. Tatsache ist, daß Frau Dr. Marcovich mit der Ärzteflugambulanz nach Spanien geflogen ist und sicher nicht, um als Beauftragte der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt irgendwelche Konzessionen zuzulassen. Diese Möglichkeit hatte sie ja gar nicht.

Verteidiger Mag. Rebasso legt vor ein handschriftliches Dokument „Vereinbarung“ (Briefkopf „Amici di Dirk“), datiert mit 24.07.1005, und gibt hierzu an: Der Briefkopf betrifft nicht das Beweisthema. Dieser wurde damals offenbar zufällig verwendet. Der Inhalt betrifft eine Vereinbarung, daß eine Behandlung im Konsens zwischen der Schulmedizin und den Vorstellungen der Kindeseltern erfolgen soll.

Das vorgelegte Dokument wird verlesen und zum Akt genommen.

Der StA: Wer hat dieses Schreiben verfaßt?

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Verteidiger Mag. Rebasso: Wer das Schreiben verfaßt hat, kann ich nicht sagen. Ich war nicht dabei. Es ist jedenfalls von den gefertigten Personen unterschrieben worden. Das ist, glaube ich, entscheidend.

Der ER: Das Schriftstück trägt zwei Unterschriften, eine von Dr. Marcovich. Von wem ist die zweite Unterschrift?

Erstbeschuldigter: Diese ist von Konsul Esten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen diese Vereinbarung bekannt?

Zeuge: Dieses Schreiben ist mir bekannt, ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wieso wurde bei Ihrem Fernschreiben nicht dazugeschrieben, daß Anträge auf eine Strafverfolgung zu diesem Zeitpunkt schon gestellt wurden? Offenbar war es doch so, daß sie schon gestellt waren. Sie schreiben, Sie werden keine Anträge auf Zwangsausübung stellen, wissen aber, daß solche bereits gestellt worden sind.

Zeuge: Sie verwechseln Anträge auf Strafverfolgung und Antrag auf Zwangsausübung. Strafverfolgung bedeutet, daß die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt als Obsorgeträger das Gericht bittet, das Strafverfahren durchzuführen und die erforderlichen Schritte zur Strafverfolgung einzuleiten. Wir als Obsorgeträger, der damals berechtigt gewesen war, haben die Ermächtigung dazu gegeben. Die Zwangsbewährung bedeutet, wie das durchgesetzt wird. Es ging damals nur um die Festnahme oder Verhaftung und um die sofortige Zugriffsmöglichkeit auf Olivia. Ich bin am Sonntag um 22:30 Uhr angerufen worden; die Ärzteflugambulanz hat mir mitgeteilt, daß sie hinunterfliegen wird, und daß sie eine derartige

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Stellungnahme haben möchte. Verlangen Sie von mir, daß ich seitenlange juristische Elaborate an eine abfliegende Ärzteflugambulanz übermitteln soll? Ich war gezwungen, in Kurzfassung die damalige Vorstellung zu präzisieren.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wäre es nicht zweckmäßig gewesen, sich etwas präziser auszudrücken?

Zeuge: Das war für mich damals nicht notwendig.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wann haben Sie diesen Beschluß bekommen, mit dem die Übertragung der Obsorgerechte stattgefunden hat? Ich meine damit die zuständige Person, die Sie ja in dem Sinn waren, da Sie damals den Bezirkshauptmann vertreten haben.

Zeuge: Der Beschluß wurde der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt am 27.06.1995 übermittelt. Er wurde einem Beamten der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt der Gerichtsbeschluß übergeben.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie dann dafür Sorge getragen, daß dieser Beschluß zugestellt worden ist, auch den Eltern?

Zeuge: Nein, das war an sich nicht unsere Aufgabe. Die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt hat aber bei der versuchten Vorsprache bei den Eltern eine Fotokopie des Beschlusses dort deponiert.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie sich vergewissert, ob dieser Beschluß den Eltern auch zugekommen ist, was ja Voraussetzung wäre, damit die Sache auch gegenüber den Eltern Rechtswirksamkeit erlangt?

Zeuge: Nein, das habe ich nicht getan.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was haben Sie letztlich für eine Information über diese Intervention

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bekommen, die glaublich am 28.06.1995, am Folgetag, war? Haben Sie daran noch eine persönlich Erinnerung?

Zeuge: Nein, zu dieser Zeit war der Bezirkshauptmann noch im Amt und ist erst in der Folge im Juli im Urlaub gewesen. Ich kann mich für diese Zeit nur auf den Akteninhalt verlassen. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit der Sache nicht befaßt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie, ob der Herr Bezirkshauptmann damals gegenüber den Beamten der Jugendabteilung eine Weisung gegeben hat, einen Antrag auf Strafverfolgung zu stellen?

Zeuge: Das ist mir nicht bekannt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Der Antrag war ja weder von Ihnen noch vom Herrn Bezirkshauptmann gefertigt. Das ist aktenkundig.

Zeuge: Es gibt ein Schreiben vom 03.07.1995 an die Staatsanwaltschaft mit darauffolgendem Aktenvermerk auf Ermächtigung, beides vom Leiter der Jugendabteilung gefertigt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Der Leiter der Jugendabteilung unterfertigt so einen Antrag und Sie geben den Eltern gegenüber die Erklärung ab, Sie werden keinen Antrag auf Zwangsausübung stellen. Meinen Sie nicht, daß das zumindest eine unklare rechtliche Situation sein muß?

Zeuge: Überhaupt nicht. Das eine war am 03.07.1995 und das andere war irgendwann im Juli, um den 25.07.1995; das genaue Datum weiß ich nicht mehr.

Verteidiger Dr. Schefer: Zu welchem Zeitpunkt hatten Sie die Obsorge inne in Vertretung des Herrn Bezirkshauptmannes?

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Zeuge: Das muß in der ersten Juliwoche gewesen sein, als der Bezirkshauptmann auf Urlaub gegangen ist. Das genauere Datum weiß ich nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Waren Sie zu diesem Zeitpunkt in Kenntnis der Krankenhausunterlagen, der Krankenakten von Olivia?

Zeuge: Als ich mit dem Fall das erste Mal befaßt worden bin von der Jugendabteilung, hat man mir selbstverständlich dann den Beschluß gezeigt und alle Unterlagen, die dem Beschluß beigelegt waren.

Verteidiger Dr. Schefer: Waren das die kompletten Krankenhausunterlagen? Ich verstehe darunter, daß man diese Unterlagen durchschaut und kontrolliert, ob Sie das auch in Ihren Akten haben.

Zeuge: Nein, das geht bei uns ein bißchen anders: Ich habe die Stellungnahme von Prim. Jürgenssen hinsichtlich der Art der Erkrankung gehabt, weiters die Unterlagen des Bezirksgerichtes, des Vormundschaftsgerichtes, und auch die zeugenschaftliche Einvernahme bzw. die Sachverständigenstellungnahme Dris. Hawel.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben zu dem Zeitpunkt, als Sie „Vater des Kindes“ waren, Ihre Kenntnisse auf ein Gutachten des Prof. Jürgenssen als auch bezuggenommene Auswertung des Dr. Hawel gestützt?

Zeuge: Ja, und natürlich auch auf den Gerichtsbeschluß, der uns zum Tätigwerden verpflichtet.

Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie sich erinnern, daß nach der Rückkehr aus Spanien im Krankenhaus Tulln Gespräche über die weitere Fortsetzung der Behandlung stattgefunden haben, an denen die Ärzte Dr. Rozkydal und Dr. Stangl teilgenommen haben?

Zeuge: Ja.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie sich erinnern, daß von diesen beiden Personen das Vorliegen eines zweiten Krebsgeschehens an der Leber zumindest ins Treffen geführt wurde?

Zeuge: In Tulln selbst war das nicht der Fall. Als Olivia nach Österreich gekommen ist, wurde am selben Tag in der Ordination von Frau Dr. Rozkydal mit den sogenannten Vertrauensärzten und unter Zuhilfenahme der Befunde, die wir ja bisher noch nicht hatten, die ja im Besitz der Ehegatten Pilhar gewesen sind, vereinbart, sich die medizinische Situation anzusehen und die weitere Vorgangsweise zu besprechen. Bei diesem Gespräch haben Dr. Rozkydal und Dr. Stangl medizinische Überlegungen angestellt; wieweit sich diese auf ein eventuelles Krebsgeschehen in der Leber bezogen haben, ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich weiß nur, daß hier die verschiedenen CT´s durchgesehen worden sind. Tatsache ist, daß am nächsten Tag, am Dienstag, während der Besprechung mit den Ärzten im St.Anna-Kinderspital, Dr. Rozkydal und Dr. Stangl ausdrücklich erwähnt haben, daß in dem Fall Dr. Hamer in keinem Fall mehr zu glauben ist, und daß unbedingt medizinisch vorgegangen werden muß.

An eine Aussage, daß noch ein Krebsgeschehen in der Leber sei, kann ich mich nicht erinnern.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ab welchem Zeitpunkt hat die Bezirkshauptmannschaft tatsächlich die Sachgewalt über das Kind gehabt bzw. das weitere Geschehen bestimmt, die weitere Behandlung. Den Eltern wird ja vorgeworfen, nicht die Behandlung gewählt zu haben, die schulmedizinisch angezeigt sei. Letztlich ist es ja dann

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doch geschehen. Ab welchem Zeitpunkt hat die BH Wr. Neustadt die Geschehnisse in diese Richtung bestimmt?

Zeuge: Medizinisch sicher seit der Rückkehr von Olivia aus Spanien, weil da auch die Zugriffsmöglichkeit bestanden hat. Mit Übergabe des Beschlusses hatten wir rechtlich die Möglichkeit. Wir sind dann beweisbar, aus dem Akt ersichtlich, tätig geworden mit der Hinkunft von Sozialarbeitern, die den Beschluß vollstrecken sollten. Das war sicher der erste Ansatz, wo die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt ihre Kompetenz wahrgenommen hat. Das war am 29.07.1995.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt nicht an der Rückführung des Kindes aus Spanien mitgewirkt? Es liegt ja dieses Fernschreiben vor, wo Sie sich selbst zu Wort gemeldet haben. Ist das so zu verstehen, daß Sie meinen, die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt hat sich für die Rückführung des Kindes nach Österreich nicht eingeschaltet?

Zeuge: So ist das sicher nicht zu verstehen. Wir haben uns vehementest eingeschaltet, damit das Kind wieder nach Österreich zurückkommt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Meinen Sie, daß diese Rückkehr freiwillig erfolgt ist?

Zeuge: Unter den damaligen Umständen war sie sicher freiwillig.

Zeuge Prim. Dr. Olaf Arne Jürgenssen

geb. 15.07.1946, Kinderarzt, p.A. Krankenhaus Wr. Neustadt, fremd, gibt nach WE vernommen an: Ich bin seit 01.10.1986 Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde im Krankenhaus

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Wr. Neustadt. Vorher war ich an der Universitätskinderklinik und habe dort die onkologische Station als Oberarzt geleitet.

Der ER: Wer hat mit dem Kind den ersten Kontakt zu Ihnen gesucht? Beide Elternteile oder nur Herr Pilhar?

Zeuge: Ich war da selbst noch nicht dabei, als Frau Pilhar am Nachmittag oder Abend mit dem Kind, das Schmerzen hatte, unsere Ambulanz aufgesucht hat. Sie wurde für den nächsten Tag zur Ultraschalluntersuchung wiederbestellt. Das muß dann der Donnerstag gewesen sein. Da war diese Diagnose durch den Ultraschall eigentlich klar, so daß wir unter dem Bedürfnis, keine Zeit zu versäumen, gesagt haben, das Kind soll möglichst schnell ins St.Anna-Kinderspital gebracht werden, damit eine Behandlung möglichst bald beginnen kann; das Wochenende hat ja gedroht. Das war unsere Intention. Ich habe mit den Eltern das Gespräch geführt. Was mir persönlich als einziges sehr eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist, ist, daß Frau Pilhar damals zusammengezuckt ist, als ich gesagt habe, daß eine Nefrektomie, d.h. eine Entfernung der Niere notwendig sein würde. Ich habe mir das deswegen so gut gemerkt, weil ich das meistens als Trost anbringe, daß man sagt, der Mensch hat ja zwei Nieren, man kann sehr gut mit einer Niere leben, und wenn man auf diese Weise einen Tumor restlos und ohne Probleme entfernen kann, ist das sozusagen aus unserer Sicht immer etwas, was die Eltern beruhigt hat. Da ist Frau Pilhar sichtlich erschrocken.

Der ER: Es haben also beide Elternteile mit Ihnen gesprochen, bevor das Kind ins St.Anna-Kinderspital gekommen ist?

Zeuge: So ist meine Erinnerung. Ich weiß nur, daß der Vater in seinem Tagebuch es anders dargestellt

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hat. Ich habe auch meine Ärzte befragt, ob ich da einer Täuschung unterliege; sie waren auch absolut der Meinung, daß das so gewesen sei.

Der ER: Wie haben Sie die Transferierung in das St.Anna-Kinderspital den Eltern gegenüber begründet?

Zeuge: Wie immer in diesen Fällen; daß eine onkologische Erkrankung im Kindesalter eine recht seltene Angelegenheit ist – es gibt 180 Fälle pro Jahr in Österreich und daher muß es in einem Zentrum behandelt werden, das dafür ausgerüstet ist, weil sozusagen auch die jüngste Krankenschwester sich bei diesen Therapieformen auskennen muß.

Der ER: Bei Erkrankungen dieser Art, die relativ selten sind, gibt es nur St.Anna?

Zeuge: Alle Stellen, die sich mit Kinderonkologie beschäftigt haben, haben sich innerhalb von Österreich zusammengeschlossen. Weil die Fallzahl so klein ist, ist es absolut notwendig, um Ergebnisse zu haben, daß man das Ganze großräumig macht. Die Protokolle sind verbindlich für Österreich bzw. wird versucht, je nachdem, welche Tumorart das ist, vor allem mit Deutschland, aber wenn möglich europaweit, wenn nicht weltweit diese Patienten zu sammeln und die verschiedenen Therapieformen, Entwicklungen usw. durchzuführen. Wenn jeder für sich allein einmal so einen Tumor behandelt, wird er keine Erfahrungen sammeln können. Daher sind diese Sachen immer sehr gut dokumentiert.

Der ER: Im Akt steht, egal, bei welchem österreichischen Spital ein solcher Fall anfällt, er wäre dem St.Anna-Kinderspital zu melden, um ihn zu erfassen?

Zeuge: Das ist richtig.

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Der ER: Welche Rolle spielt das St.Anna-Kinderspital daher?

Zeuge: In der Entwicklung war es so, daß Prof. Kreter seinerzeit der erste war, der Leukämien massiver behandelt hat. Das war Anfang der 70er-Jahre. Dann hat sich die Universitätskinderklinik dem angeschlossen. Wir waren mehr für die soliden Tumoren zuständig. Wir selbst haben das erste Wilmstumorprotokoll für Österreich entwickelt bzw. die Daten gesammelt. Das war ungefähr Ende der 70er-Jahre. Dann ist St.Anna, auch durch den neuen Leiter Prof. Gadner, zu dem bedeutsamen Zentrum herangewachsen, das war eine historische Entwicklung. Alle pädiatrischen Onkologen kommen da freiwillig regelmäßig zusammen. Die Aufgaben sind schon geteilt. Neuroblastome machen vor allem die Grazer, wir haben, wie gesagt, eine Zeitlang die Lymphome gemacht und den Wilmstumor und St.Anna war vor allem für die Leukämien. Inzwischen ist es vor allem mit diesem Forschungslabor das bedeutende Zentrum in Österreich.

Der ER: Das war für Sie der Grund, zu sagen, das Kind soll nach St. Anna?

Zeuge: Ja. Wenn ich bei uns in Wr. Neustadt so etwas behandle, mache ich genau das, wogegen ich früher immer eingetreten bin, daß eben ein kleines Spital so etwas behandelt. Auch wenn ich mich auskenne, meine Leute kennen sich ja nicht aus.

Der ER: Sind diese Überlegungen zur Bedeutung des St.Anna-Kinderspitals auch den Eltern Pilhar gesagt worden?

Zeuge: Darf ich eine Einschränkung machen: Sicherlich habe ich über die Bedeutung des St.Anna-Kinderspitals gesprochen, vor allem auf jeden Fall bei

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unserem zweiten Gespräch, als dann der Vater Pilhar gekommen ist. Ob ich das alles so im Detail erwähnt habe, wie dieses Netz ist, weiß ich nicht. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ist aber erfahrungsgemäß so, daß diese Diagnose, daß ein bösartiger Tumor vorliegt, eine sehr niederschmetternde ist. Wir wissen, daß nur ein kleiner Teil dieser Dinge, die da gesagt werden, in Erinnerung bleiben. Man muß trotzdem am Beginn sehr viel davon erzählen, um den Eltern den Eindruck zu geben, daß man nichts für sich behält.

Der ER: Sie haben gesagt, das Wochenende drohte. Wo war der Zeitdruck? Worin begründet er sich?

Zeuge: Wenn der Verdacht auf einen bösartigen Tumor auftritt, sollte möglichst schnell die Diagnose verifiziert werden und dann möglichst bald mit einer Behandlung begonnen werden. Es kann z.B. gerade beim Wilmstumor durchaus eine Ruptur eintreten, d.h. der Tumor kann platzen. Dann ist das Stadium ein wesentlich höheres.

Der ER: Es ist Ihnen darum gegangen, so rasch wie möglich im St.Anna-Kinderspital die Diagnose bestätigt zu erhalten und damit den Grundstein für die weitere Beurteilung zu legen?

Zeuge: Ja.

Der ER: Es hat ein zweites Gespräch mit Herrn Pilhar alleine gegeben. Wieviele Tage später war das etwa?

Zeuge: Etwa zehn Tage später. Jedenfalls war es ein Montag, als ich ihn angerufen habe, und am Dienstag war er sofort bereit zu kommen.

Der ER: Was war Ihr Interesse, noch einmal mit ihm sprechen zu wollen?

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Zeuge: Ich wußte von St.Anna, daß die Eltern das St.Anna-Kinderspital wieder verlassen gehabt haben; natürlich war mein Interesse, wieder Kontakt aufzunehmen und zu fragen, was los ist, vielleicht aufklärend zu wirken, wie auch immer.

Der ER: Was hat Herr Pilhar in diesem Gespräch im wesentlichen gesagt?

Zeuge: Ich hatte nicht von vornherein den Eindruck, daß hier irgendeine fundamentalistische Weltanschauung vorliegt, wo man sozusagen absolut gegen eine Wand redet; man hat den Eindruck gehabt, er beschäftigt sich damit, und ich habe immer den Eindruck gehabt, wir könnten ihn überzeugen, auch in diesem Gespräch. Er hat mich zwar dann ein Protokoll unterschreiben lassen, das ich dann ergänzt habe, aber im Prinzip hatte ich keinen negativen Eindruck. Er hat sich halt den Kopf darüber zerbrochen, wie man mit seinem Kind am geschicktesten vorgeht, und ich war daran interessiert, ihn zu überzeugen, daß unsere Methode die richtige ist. Ich habe das nicht als Streitgespräch im bösen Sinne empfunden. Wie er es empfunden hat, weiß ich nicht.

Der ER: Wozu dann dieses schriftliche Festhalten? Was sollte das für einen Sinn haben?

Zeuge: Diese Frage ist an Herrn Pilhar zu richten. Ich habe mich sehr über das Protokoll gewundert; das ist mir noch nie passiert, aber ich habe eingewilligt, dadurch, daß ich einige Ergänzungen in meinem Sinn gemacht habe, in der Hoffnung, daß ich ihn auf diese Weise gewinnen kann.

Der ER: Was war Ihre Überlegung, das schriftlich festzuhalten?

Der Erstbeschuldigte gibt an:

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Meine Überlegung war sicherlich dahingehend. Es ist uns im St.Anna-Kinderspital von der Ärztin 70 bis 80% Heilungschance genannt worden, von Dr. Mann bis nahe 90%; es ist uns bei der Operation 40% Heilung diagnostiziert worden. Es geht immerhin um das Leben unseres Kindes. Wir müssen uns auf Aussagen von Ärzten verlassen. Ich habe mir gedacht, ich muß sichergehen, ich möchte mir das alles dann in Ruhe überlegen können.

Der ER: Heißt das, wenn Sie sagen, daß Sie sichergehen wollen, Sie halten das schriftlich fest, damit Ihnen im Nachhinein nichts abgestritten werden kann?

EB: Im Prinzip.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hätte das den Zweck haben sollen, allenfalls Ihre Vertrauensärzte damit zu konfrontieren und zu erfahren, was diese dazu sagen?

EB: Richtig. Wir hatten vor, verschiedene Ärzte aufzusuchen, verschiedene Methoden, Krebs zu therapieren, anzuschauen, mit den Ärzten zu diskutieren und dann die Aussagen der Ärzte zu den verschiedenen Therapierichtungen auch abwägen und überlegen zu können.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die Eltern sind zunächst einmal vollkommen normal wie jeder andere Patient freiwillig zu Ihnen ins Krankenhaus gekommen?

Zeuge: Ja, absolut.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie dann weiterverfolgt, daß sie auch tatsächlich Ihren Anweisungen entsprechend ins St.Anna-Kinderspital gegangen sind?

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Zeuge: Ich hatte überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln. Natürlich interessiert es uns, was mit den Patienten, die wir weiterüberweisen, passiert.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie sich dann dort erkundigt, wie es weitergeht? Wie sind Sie in Kenntnis gelangt, daß die Eltern weggegangen sind?

Zeuge: Das kann ich im einzelnen nicht mehr beantworten. Es ist so, daß zwischen einem Spital wie dem meinen und den Wiener Spitälern natürlich immer enge Kontakte bestehen, so daß der Informationsfluß ständig hin und her geht. Auf welcher Schiene er jetzt gelaufen ist, kann ich nicht mehr sagen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben davon erfahren, noch einmal angerufen und mit Herrn Pilhar gesprochen. Was war aus Ihrer Sicht das Ergebnis dieses Gespräches? Welches Gefühl hatten Sie?

Zeuge: Ich hatte immer den Eindruck, wenn wir uns genügend anstrengen, können wir ihn überzeugen, daß er mit der Therapie einverstanden ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie war Ihr konkretes Gefühl nach diesem Gespräch?

Zeuge: Ich hatte noch immer den Eindruck, wenn ihm klar wird, worum es geht, wie gefährlich das ist, wird er sich überzeugen lassen. Ich habe das eigentlich bis Malaga geglaubt, sonst hätte ich mich nicht bemüht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es ist aktenkundig, daß Sie dann auf eine andere Linie umgeschwenkt sind. Sie haben sich aktiv an die Staatsanwaltschaft gewendet.

Zeuge: Sie bringen zwei Dinge durcheinander. Einerseits bin ich verpflichtet, in all diesen Fällen mit dem Jugendamt Kontakt aufzunehmen, wenn ich

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den Eindruck habe, daß ein Kind Schaden nimmt. Das ist eine gesetzliche Auflage. Eine Anzeige habe ich andererseits ausschließlich wegen Hamer nach dem Kurpfuscherparagraphen gemacht, nachdem mir dieser Herr schon von früheren Dingen bekannt gewesen ist. Ich habe Herrn Pilhar bei meinem Telefongespräch am nächsten Tag auf den Kopf zugesagt, daß es sich vermutlich um Hamer handelt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Herr Pilhar sagt, daß Sie ihm durchaus in weiterer Folge rechtliche Schritte in Aussicht gestellt haben.

Zeuge: Bei diesem Gespräch ist es darum gegangen, daß er mit der Zeitung gedroht hat, er würde das in die Zeitung geben, denn es könne doch nicht sein, daß in Österreich ein Kind gegen den Willen seines Vaters behandelt wird. Ich habe gesagt, daß ich mir rechtliche Schritte vorbehalten muß, daß ich verpflichtet bin, diese Dinge zu machen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was versprechen Sie sich davon, wenn Sie Eltern rechtliche Schritte in Aussicht stellen?

Zeuge: Ich bin verpflichtet, ihnen vor Augen zu führen, daß es in einer Rechtsordnung nicht möglich ist, einfach ein Kind unbehandelt zu lassen, wenn es durch diese Behandlung zu retten ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben zunächst versucht, zu überzeugen und dann haben Sie gemeint, wenn es so nicht geht,…

Zeuge: Dieses Gespräch hat ungefähr 5/4-Stunden gedauert. Ich kann mich an den genauen Ablauf nicht erinnern. Es war ein Versuch, den Vater zu beeindrucken. Dann ist es einmal dazu gekommen, daß ihm

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die rechtlichen Schritte vor Augen geführt worden sind. Er hat dann gemeint, er würde ja ohnedies zu einem anderen Arzt gehen. Ich sagte, bestens, ich müßte nur wissen, welcher Arzt das sei.

Verteidiger Mag. Rebasso: Der Versuch, den Vater zu beeindrucken, hat letztlich auch Wirkung gezeigt. Sehen Sie das auch so?

Zeuge: Nach meiner Ansicht offenbar nicht, sonst wäre das Kind zur Behandlung gekommen zu einem Zeitpunkt, wo es noch viel einfacher gewesen wäre.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sehen Sie das im nachhinein als den richtigen Weg?

Zeuge: Es geht nicht darum, ob das der richtige Weg ist oder nicht. Man kann da, glaube ich, nicht zuschauen. Wenn ein Kind eine akute Blinddarmentzündung hat und die Eltern sagen, es darf nicht operiert werden, muß ich ja auch Schritte setzen. Ich kann nicht zuschauen, daß das Kind an der Blinddarmentzündung stirbt. Dann bin ich schuldig. Es hat kürzlich erst einen Prozeß in Linz gegeben, wo Prof. Holmayer verurteilt worden ist, weil er, den Eltern entsprechend, ein Kind nicht mit Transfusionen behandelt hat. Ich mache mich selbst strafrechtlich schuldig, wenn ich diesen Schritt nicht setze. Das ist offenbar auch die Auffassung des österreichischen Justizwesens, sonst wäre die Verurteilung von Prof. Holmayer nicht erfolgt.

Der ER: Wieweit haben Sie den Eheleuten Pilhar die prognostische Entwicklung klargemacht? Wie lange haben sie Zeit, um eine endgültige Entscheidung darüber zu treffen, was mit Ihnen gesprochen worden ist? Ist bei Ihren persönlichen Kontakten mit dem Vater allein oder den beiden Eltern über den Zeitfaktor gesprochen worden?

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Zeuge: Über den Zeitfaktor ist sicherlich schon beim ersten Gespräch insofern gesprochen worden, als ich Wert darauf gelegt habe, daß das Kind möglichst rasch ins St.Anna-Kinderspital kommt, daß ich eine Behandlung als unumgänglich und möglichst schnell angesehen habe. Eine Prognose, zu sagen, ob das in einer Woche gefährlich wird oder in drei Monaten, ist unmöglich. Wenn der Tumor durch Betasten z.B. platzt, ist die Gefahr schon wesentlich schneller gegeben. Wir haben z.B. die Regel, wenn ein Bauchtumor kommt und es klar ist, daß es ein Bauchtumor ist, sollen nicht alle vorbeiströmen und das abtasten, weil die Gefahr besteht, daß bei einer Palpation so etwas platzt.

Der ER: Der Zeitfaktor war also in Ihrem Gespräch insofern wesentlich, als die Abklärung so rasch wie möglich erfolgen sollte?

Zeuge: Und der Beginn der Behandlung; aber ich kann nicht sagen, ob das gefährlich ist, wenn man zwei oder drei Wochen versäumt. Das ist in der Situation nicht möglich, noch dazu, weil uns das gesamte Ausmaß der Erkrankung ja nicht klar war. Es hätten schon Metastasen sein können oder auch nicht. Das weiß man ja nicht. Die Untersuchung ist ja dann nicht zu Ende geführt worden. Die Eltern haben ja dann die Bilder bei sich gehabt, die haben wir ja nicht mehr gehabt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Alternativen auch nur in Erwägung zu ziehen war für Sie kein Thema?

Zeuge: Wenn Sie von Komplementärmedizin sprechen und meinen, man solle das ergänzend machen, war es schon an der Universitätskinderklinik immer so, daß wir alles zugelassen haben, wenn es unsere Therapie nicht beeinträchtigt hat. Unsere Patienten haben von Stierblut angefangen über irgendwelche Tropfen bis hin zu Wenderin,

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also Handauflegen und das Unheil abwenden, usw. alles machen dürfen, wenn wir unsere Therapie durchführen durften. Das ist mit der Medizin nach Hamer ja nicht möglich.

Verteidiger Dr. Schefer: In welchem Stadium der Wilmstumorerkrankung befand sich Olivia, als sie von Ihnen untersucht wurde?

Zeuge: Unter Annahme von Stadium 2. Das weiter müssen Sie Prof. Gadner fragen, der eine Ultraschalluntersuchung bzw. Computertomographie gemacht hat.

Verteidiger Dr. Schefer: Welche Überlebenschance in % hätten Sie Olivia zu diesem Zeitpunkt eingeräumt, wenn die Erkrankung in diesem Stadium operiert worden wäre?

Zeuge: Ich lasse mich sicherlich in keine Prozentangaben ein, weil das keinen Sinn macht. Es ist absolut fahrlässig, hier nicht die komplette Therapie zu machen und nur mit einer Operation das Auslangen zu finden. Mit Operationen hat man früher, vor der Chemo- und Strahlentherapie, ja auch gearbeitet und dann sind die Patienten trotzdem gestorben. Bezüglich einer Prozentangabe würde ich bitten, daß Sie Prof. Gadner fragen.

Verteidiger Dr. Schefer: Eher 10 oder eher 90%?

Zeuge: Ich lasse mich jetzt auf keine Prozentangaben ein.

Verteidiger Dr. Schefer: Eine sofortige Operation hätte doch eine große Heilungschance.

Zeuge: Ja, nur hat die andere Methode eine 100%ige Heilungschance. Was soll ich mit einer halben Heilungschance machen, wenn ich das Kind gesund machen kann? Ich habe Patienten, die heute 30 Jahre alt sind und selbst Kinder in die Welt gesetzt haben, und denen geht es

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gut. Und da soll man zuschauen, wie ein Kind langsam vor laufender Fernsehkamera stirbt? Das ist ein bißchen zu viel verlangt.

Verteidiger Dr. Schefer: Können Sie nach durchgeführter Operation sagen, mit ziemlicher Sicherheit ist das Kind dann geheilt?

Zeuge: Nein, das kann man eben nicht, weil man nicht weiß, welche Zellen irgendwo im Körper noch herumschwappen. Auch beim Stadium 1 oder 2 kann, wenn die Operation zunächst erfolgreich ist, durch die Blutbahn trotzdem eine Krebszelle irgendwo hingetragen werden.

Verteidiger Dr. Schefer: Nach allgemeiner Ansicht – so hat es Ihr Kollege Dr. Scheithauer vorgetragen beträgt in diesem Stadium 2 die Überlebenschance ungefähr 95%, aber gerechnet auf fünf Jahre. Kann es sein, daß das stimmt?

Zeuge: Wenn, dann macht man beim Wilmstumor zwei Jahre. Ich würde trotzdem bitten, daß Sie diese Frage an Prof. Gadner stellen. Es hängt immer von der Tumorart ab. Es gibt Tumore, z.B. Medulloblastome, da braucht man zehn Jahre.

Man sollte endlich davon wegkommen, immer von dem Tumor zu sprechen. Es ist einfach so, daß im Bereiche der Onkologie unzählige Diagnosen mit ganz unzähligen Behandlungsmöglichkeiten, unzähligen Charakteren existieren. Der Begriff „Krebs“ ist in dem Fall sogar falsch. Kein Mensch käme auf die Idee, von den Infektionen zu sprechen und dann meint man damit vom Furunkel angefangen über Masern bis zur Pest oder AIDS alles damit. Man kann nur den Tumor als solchen, diese eine Erkrankung, getrennt von allen anderen sehen. Das immer auf einen Haufen zu werfen, ist leider fachlich ein Unsinn.

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Der Erstbeschuldigte gibt hierzu an: Wir sind eigentlich davon ausgegangen, daß die Prognosen – die dritte Prognose war dann über 90% sich auf eine Fünf-Jahres-Überlebensrate beziehen. Sie beziehen sich in Wirklichkeit auf eine Zwei-Jahres-Überlebenschance?

Zeuge: Das hängt vom Stadium ab. Wenn man alle vier Stadien zusammenrechnet, hat man eine geringere Prozentangabe, wenn man Stadium 1 oder 2 nimmt, hat man eine wesentlich höhere. Ich würde beim Stadium 1 und 2 auch ohne weiteres 98% annehmen.

EB: Ich zitiere Dr. Gadner: „Stadium 2 und 3 hat 86%“.

Zeuge: Stadium 2 und 3 zusammengenommen, das ist wieder etwas anderes.

EB: Sie haben damals an einem Montag angerufen. Ich vermute, Sie sind da vom St.Anna-Kinderspital verständigt worden.

Zeuge: Ich habe schon vorher gewußt, daß Sie nicht mehr dort sind. Wir wollten Ihnen Zeit geben. Dann habe ich gedacht, jetzt muß ich mich sozusagen wieder einmischen. Ich habe mich verantwortlich und zuständig gefühlt. Ich habe Sie ja hineingeschickt. Wenn Sie das dann nicht mehr wahrnehmen, fällt der Ball ja sozusagen wieder auf mich zurück.

EB: Dr. Gadner, Dr. Mann und Sie haben sich zuständig erklärt. Wir haben dann versucht, Sie als unseren zuständigen Arzt anzusprechen. In diesem Telefonat haben Sie mir erklärt, so ein Fall sei Ihnen noch nie untergekommen, und bevor Sie uns anzeigen, solle ich am nächsten Tag zu Ihnen kommen.

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Zeuge: Das haben Sie mir schon öfters vorgehalten. Ich verstehe bis heute nicht, was Sie damit meinen.

EB: Es hat einen ersten Zeitungsartikel gegeben. Daraufhin hat sich eine gewisse Frau Kargl aus Grünbach bei uns gemeldet und hat mir folgende Geschichte erzählt:. Sie war 1990 mit einem 11 Monate alten Mädchen bei Ihnen in der Klinik. Sie haben dem Mädchen Kugelzellenanämie diagnostiziert und der Mutter erklärt, eine sofortige Entfernung der Milz könne nur mehr das Leben des Kindes retten. Die Mutter hat sich jedoch dieser Operation enthalten, sie ist zu einem Naturheiler gegangen. Sie haben sie angeblich bei Gericht angezeigt. Die Fürsorge hat sich eingeschaltet. Wir haben mittlerweile 1996, 1995 habe ich mit Frau Kargl gesprochen. Die Fürsorge ist nach wie vor bei dieser Mutter, die alleinstehend ist und drei Kinder hat. Das Mädchen ist mittlerweile fünf Jahre alt, hat die Milz drin und ist gesund. Kann es sein, daß Sie damals eine Fehldiagnose gestellt haben?

Zeuge: Nein. Das ist ein Sphärocytose. Das ist angeboren und wird immer eine Spährocytose bleiben. Es hängt vom Ausmaß der hämolytischen Krisen ab; wie häufiger sie eine solche hat, um so mehr Katastrophen werden auf das Kind früher oder später zukommen. Es ist das nur nicht so unmittelbar lebensbedrohend wie in Ihrem Fall. Ich weiß, Sie haben in Ihrem Tagebuch geschrieben, daß Frau Kargl leider nicht bereit war, öffentlich gegen mich aufzutreten und haben das sehr bedauert. Es wird daraus trotzdem keine größere Wahrheit. Das ist eine Sphärocytose. Die läuft überall auf der Welt so, wie sie abläuft. Man stirbt nur nicht sofort daran, aber man kann mit der Zeit im Erwachsenenalter alle möglichen Probleme bekommen, die vermeidbar wären.

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Zweitbeschuldigte: Sie haben gesagt, wir sollen sofort ins Krankenhaus fahren, sofort alles aufnehmen, sofort zur Operation bereitmachen.

Zeuge: Zum Behandlungsbeginn.

ZB: Sie haben damit gerechnet, daß Olivia sofort operiert wird, deshalb hatten Sie auch diesen Zeitdruck vor dem Wochenende. Sie haben gesagt, Sie muß morgen gleich operiert werden.

Zeuge: Nicht operiert. Soweit sind mir die Therapieformen schon bekannt. Zu meiner Zeit hätte man gleich operiert und dann die Chemo- und Strahlentherapie gemacht. Das macht man inzwischen anders, weil die Ergebnisse wesentlich besser sind. Sie haben völlig recht, ich habe damit gerechnet und war etwas verblüfft, daß das nicht so der Fall war; daß man nicht gleich, spätestens am Samstag, angefangen hat.

ZB: Im St.Anna-Kinderspital sind noch einmal CT´s gemacht worden. Man hat dann plötzlich gesagt, keine Operation, es muß chemotherapiert werden. Außerdem hat man noch einen Schatten in der Leber festgestellt, den man nicht genau zugeordnet hat. Das war für uns ein Unsicherheitsfaktor. Was kommt noch dazu?

Zeuge: Das konzediere ich Ihnen auch, daß Sie plötzlich einer Situation gegenübergestellt werden, wo Sie sich mit medizinischen Fachausdrücken auseinandersetzen müssen, die Sie vorher in Ihrem Leben nicht gehört haben. Es ist nicht immer einfach so, daß ich einen Befund habe, anschaue und genau das Ausmaß beurteilen kann.

ZB: Wir als Laien waren ja auf Ihre Meinung und die Meinung von St.Anna angewiesen, und es wird jedesmal etwas anderes daraus.

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Zeuge: Das ist eine Schwierigkeit, das ist mir schon klar. Das ist nicht nur bei Ihnen der Fall.

ZB: Wir haben gesagt, wir wollen noch etwas anderes hören und sehen.

Zeuge: Das habe ich dem Vater nie abgesprochen. Ich habe immer gesagt, ich finde es völlig in Ordnung, wenn er sich woanders erkundigt, aber wenn jemand die Behandlung übernimmt, brauche ich den Namen. Das war die einzige Bedingung.

ZB: Ist es jetzt nur Wilmstumor oder geht es weiter? Das war für uns ein absoluter Unsicherheitsfaktor.

Zeuge: Das verstehe ich, aber es war ein Wilmstumor.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie, bevor Sie begonnen haben, meinungsbildend auf das Ehepaar Pilhar einzuwirken, sich mit den Befundungen des St.Anna-Kinderspitals ausgestattet?

Zeuge: Die gab es doch nicht mehr. Die Eltern haben alle Bilder mitgenommen. Die einzigen Bilder, die wir gehabt haben, waren unsere eigenen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gemeint, das wird schon so sein und seine Richtigkeit haben?

Zeuge: Dr. Mann hat auch wieder im Bedürfnis Vertrauen zu schaffen, alle Unterlagen – was sonst gegen alle Regeln ist – den Eltern in die Hand gedrückt. Das sind die Bilder, die man dann in dem berühmten Video von Hamer bei Prof. Rius sieht, wo Hamer zumindest beweist, daß er Wilmstumor nicht kennt, weil er Neuroblastom und Nephroblastom dauernd verwechselt, was immerhin beachtlich ist für jemanden, der Medizin studiert hat.

Wir hatten also keine weiteren Unterlagen als unsere eigenen.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Wann haben Sie von der Geschichte von Frau Kargl erfahren? Hat Ihnen das Frau Kargl selbst erzählt?

Erstbeschuldigter: Sie ist ins Elternhaus gekommen und hat bei meinem Vater vorgesprochen. Der Vater hat mich dann angerufen und ich bin dann zu Frau Kargl nach Grünbach gefahren. Das war ca. Anfang Juni 1995.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wieso glauben Sie, kommt Frau Kargl dazu, Sie mit ihrer Geschichte zu konfrontieren?

EB: Weil die Fälle Parallelitäten aufgewiesen haben.

Zeuge Dr. Georg Mann, geb. 02.02.1953, Arzt, p.A. St.Anna-Kinderspital, fremd, gibt nach WE vernommen an:

Der ER: Welche Funktion haben Sie damals im Spital gehabt, als Sie mit dem Ehepaar Pilhar Kontakt gehabt haben?

Zeuge: Ich war Stationsarzt; von der Funktion her habe ich damals die Funktion eines Oberarztes erfüllt, allerdings nicht vom Titel her.

Der ER: Wer hat Sie mit dem Kind erstmals kontaktiert?

Zeuge: Das Kind war an dem Tag, das war ein Montag, bereits einige Tage auf dieser Station stationär aufgenommen. Ich als stationsverantwortlicher Arzt habe von mir aus im Rahmen einer kurzen Stationsvisite an diesem Vormittag den ersten Kontakt aufgenommen, indem ich in das

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Zimmer hineingegangen bin. Ich glaube, der Vater war vorher einmal kurz am Gang heraußen, da habe ich ihn gesehen, während ich ein anderes Gespräch geführt habe. Es war dann eine weitere Untersuchung, eine sogenannte Kernspintomographie, außerhalb des Hauses nötig, so daß ich ein definitives Gespräch erst am Nachmittag dieses Montags führen konnte, wobei das Kind schon am Donnerstag Abend, glaube ich, im St.Anna-Kinderspital aufgenommen worden war.

Der ER: Sie sagen, ein definitives Gespräch gab es am Montag Abend. Ist das das mehrfach zitierte Aufklärungsgespräch?

Zeuge: Wir haben früher einen etwas unglücklicheren Terminus gehabt, der Erstgespräch geheißen hat. Dieses Gespräch ist aber zunächst einmal ein Diagnoseaufklärungsgespräch und gleichzeitig benutzt man die Gelegenheit, um zunächst die Behandlungsrichtlinien zu erklären, die Risiken und natürlich auch die Folgen der Erkrankung bei Nichtbehandlung. Dieses Diagnoseaufklärungs- und bereits Therapiegespräch versuchen wir meistens zusammenzulegen, auch aus dem Grund, weil wir damit gleichzeitig Optimismus vermitteln können.

Der ER: Was haben Sie wem über Ihre Diagnose gesagt? Wie wurden die Eheleute Pilhar darüber informiert, worum es sich handelt?

Zeuge: Nachdem die Eltern mit dem Kind am frühen Nachmittag von der Untersuchung zurück waren, bin ich ins Zimmer gegangen mit der für mich eher positiven Botschaft, daß es nach unserem Dafürhalten wahrscheinlich nur ein Wilmstumor ist und daß damit die Chancen, daß das Kind ohne wesentliche Beeinträchtigung ganz gesund werden kann, sehr gut sind; wenn die Eltern einverstanden wären,

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könnte man mit einer relativ milden Form der Behandlung heute noch beginnen. Die Eltern haben daraufhin gemeint, da wäre sicherlich noch ein ausführlicheres Gespräch notwendig, was für uns ja auch selbstverständlich ist. Ich wollte nur keine Zeit verlieren und habe das quasi angeboten. Weil die Eltern ein Gespräch völlig zu Recht urgiert haben, sind wir dann ins Ärztezimmer gegangen und ich habe ihnen sehr detailliert die Verhältnisse erklärt, auch anhand des Bildmaterials, das zur Verfügung gestanden ist. Ich habe allgemein über das Wesen von onkologischen Erkrankungen gesprochen, kurzum, eine schulmedizinische Aufklärung betrieben, so wie sie gemacht werden soll, was sehr ausführlich war. Die Eltern haben auch sehr detaillierte Fragen gestellt und waren sehr besorgt und interessiert an diesen Verhältnissen.

Der ER: Die Beschuldigten haben ausgesagt, sie hätten sich – vielleicht auch aus anderen Gründen – nicht so richtig behandelt gefühlt.

Zeuge: Das ist mir nicht verständlich.

Der ER: Hat es zwischen Ihnen bei diesem Gespräch irgendwann einen Disput gegeben, ist gestritten worden?

Zeuge: Von der Form her war das nie der Fall. Durch ganz gezieltes Befragen habe ich langsam mitbekommen, daß sie eigentlich nicht dableiben wollen. Der Vater hat mich damals gefragt, was passierte, wenn sie nicht mehr kämen. Ich kann das wörtlich so sagen, ich erinnere mich, weil das ja nicht oft vorkommt. Ich habe gemeint: „Ich sage Ihnen das sehr ungern, aber es kann sein, daß Sie das alleine nach unseren Regeln dann gar nicht mehr entscheiden dürfen, wenn die Verhältnisse so kraß sind und das Kind auf jeden Fall sterben muß und auf der anderen Seite wir eine

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Behandlung anbieten, wo ohne große Nebenwirkungen das Kind gesund werden kann.“ Ich habe auch betont, daß ich das sehr ungern sage. Es war durchaus kein Streitgespräch, weil wir wissen, daß wir auf das Vertrauen der Eltern angewiesen sind und auf keinen Fall gegen die Eltern behandeln möchten. Wir haben ja primär das Interesse des Kindes im Auge, das ist unsere Aufgabe. Im Interesse des Kindes ist es auch immer, daß die Entscheidungen mit den Eltern zusammen getroffen werden. So ungefähr war der Tenor des Gespräches. Die Art und Weise, wie ich gesprochen habe, war ziemlich genauso, wie ich es jetzt hier erklärt habe.

Der ER: Was ist den Eheleuten Pilhar gesagt worden, welche medizinischen Konsequenzen das haben wird, wenn sie mit dem Kind weggehen?

Zeuge: Das ist sehr detailliert gefragt worden. Ich habe zunächst erklärt, daß eine kurzfristige Entfernung sicher keine wesentliche Verschlechterung für die Prognose des Kindes bedeuten wird. Ich habe das ganze Bildmaterial original unkopiert dem Vater mitgegeben und ihn gebeten, mir wenigstens die Bilder zurückzubringen, damit ich sie noch kopieren könne. Man könne dann ja weiterreden, innerhalb von Wochen und Monaten werde allerdings genau das eintreten, was eingetreten ist. Ich habe es wirklich so vorhergesagt. Ich habe gesagt, der Tumor wird so groß werden, daß Atemprobleme auftreten werden, der Tumor wird metastasieren, d.h. es werden Absiedelungen in der Lunge zunächst entstehen, damit steigt das Risiko, daß der Tumor platzt, wenn das Kind dann erst operiert wird, und man das Kind zusätzlich bestrahlen muß, daß also die Therapie intensiver werden muß und damit einhergehend natürlich auch die Überlebenschancen des Kindes mit der Zeit immer geringer werden. Das sei keine Sache von Tagen, aber sicher

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eine Sache von Wochen bis Monaten, bis das Kind sicher an der Erkrankung sterben muß.

Der ER: Sie haben es so vorhergesehen, wie es tatsächlich passiert ist und den Eheleuten Pilhar auch gesagt, was ohne eine Behandlung, wie Sie sie vorschlagen, geschehen wird?

Zeuge: Ja, das ist auf gezieltes Befragen des Vaters von mir so gesagt worden.

Der ER: Sie haben von Wochen und Monaten gesprochen. Haben Sie das medizinisch eingrenzen können? Ist den Eheleuten Pilhar auch eine Zeitspanne gesagt worden, die sie noch Zeit haben, sich die Sache zu überlegen?

Zeuge: Es ist eine ganz konkrete Zeitspanne von zunächst zwei Tagen von mir angegeben worden, um wieder zu erscheinen und weitere Gespräche zu führen; dies aus Angst davor, daß innerhalb von Wochen der Tumor ein Volumen erreichen kann und dann spontan rupturieren kann; es wurde von mir davon gesprochen, daß diese Gefahr weiterhin steigt. Das ist ein Risiko von Wochen.

Der ER: Die Eheleute Pilhar haben den Standpunkt, in erster Linie wäre es ihnen um die Chemotherapie gegangen. Ist diese Chemotherapie bei diesem Gespräch besprochen worden?

Zeuge: Ja. Ich habe den Eheleuten zunächst das Wirkprinzip der Chemotherapie, die Wirkungsweise erklärt, wie man mit diesen Medikamente erreichen kann, Tumoren wegzubehandeln, daß also das Wachstum der Krebszellen gehemmt wird, daß zum Teil auch ein rascheres Absterben von Krebszellen durch diese Medikamente bewirkt werden kann und daraus sich auch schon die wesentlichsten Nebenwirkungen der Medikamente erklären, weil diese

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Behandlung leider nicht nur auf die entarteten Zellen wirkt, sondern zu einem dosisabhängig unterschiedlichen Ausmaß auch auf normale Körperzellen, vor allem jene, die sich besonders rasch teilen, die sich rasch vermehren müssen. Es resultiert also als wichtigste Nebenwirkung eine Unterdrückung der Körperabwehr, weil die weißen Blutzellen, die sich fast täglich erneuern müssen, dies nicht können unter dieser Behandlung, die ja Zellwachstum, Zellvermehrung verhindert. Das ist für uns ein Standardaufklärungsgespräch. Das ist die Nebenwirkung, die unmittelbar mit der Wirkung verknüpft ist, deshalb eigentlich auch gar nicht Nebenwirkung genannt werden sollte. Damit ist sicher zu rechnen, daß eine mäßige Beeinträchtigung der Abwehr auftreten wird. Das gilt besonders für die Behandlung von Wilmstumoren, daß selbst diese Nebenwirkung relativ geringfügig ist, weil die Dosierung, die notwendig ist, um vor einer Operation chemotherapeutisch zu behandeln, relativ gering ist. Genauso habe ich es den Eltern erzählt. Das ist eigentlich ein standardisiertes Gespräch, das aber auf der anderen Seite von der Form her nicht so routinemäßig gesagt wird, daß man meinen könnte, das wird nicht gehört.

Der ER: Hatten Sie den Eindruck, daß die Eltern Pilhar verstanden haben, was Sie ihnen gesagt haben?

Zeuge: Ja, absolut.

Der ER: Welche Argumente in Richtung Chemotherapie sind Ihnen entgegengehalten worden?

Zeuge: Da war die Befürchtung, daß das Kind die Medikamente generell nicht vertragen würde. Sie hätten das Gefühl, daß das für ihr Kind unmöglich der richtige Weg sein könnte. Diese Medikamente könnte das Kind nicht aushalten. Das waren die Argumente.

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Der ER: Was heißt „nicht aushalten“?

Zeuge: Ich habe dem nur entgegnet, daß wir sehr viele Kinder mit einer relativ milden Form der Chemotherapie behandeln und daß hier kein Grund zur Befürchtung bestehe, daß eine wesentliche Bedrohung für das Kind entstände. Theoretisch können diese Medikamente natürlich schon Nebenwirkungen haben, die unter Umständen sogar lebensbedrohlich werden können. Das muß ich dazusagen. Das ist diesen Medikamenten schon zu eigen, allerdings im speziellen Fall ganz, ganz unwahrscheinlich. Das ist auch von mir so gesagt worden.

Der ER: Haben Sie zu dem Zeitpunkt schon auf alle Fälle eine, wenn auch milde, Chemotherapie am Anfang besprochen? Es ist ja auch im Raum gestanden, nur und gleich zu operieren.

Zeuge: Auch das ist angesprochen worden. Es ist angesprochen worden, daß wir dieses Konzept momentan als Standardkonzept verfolgen, daß wir zunächst Chemotherapie machen mit dem Ziel – was auch vom Vater genau hinterfragt worden ist und ihm erklärt worden ist – den Tumor zunächst zu verkleinern; das hat den Vorteil, daß der Tumor möglicherweise bei der Operation nicht platzt, operieren muß man sowieso. Auf der anderen Seite ist damit vielleicht sogar möglich, die Niere als tumortragendes Organ zu erhalten, wenn der Tumor noch kleiner wird. Ich habe aber zugestanden, daß man, wenn so große Bedenken bestehen, so eine Behandlung beim Kind durchfuhren zu lassen, selbstverständlich auch primär eine Operation machen kann und nachher sozusagen weiterreden kann, wenn die Eltern Probleme mit der Diagnostik des Tumors haben. Wir haben ja keine Gewebsprobe entnommen, sondern ja nur anhand der Bildgebung eine höchstwahrscheinliche Diagnose gestellt.

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Nach unseren Regeln erlaubt uns das, so einen Tumor auch zu behandeln. Weil wir verstehen, daß man selbstverständlich mit diesem Vorgehen Probleme haben kann, habe ich natürlich auch angeboten, den Tumor primär zu operieren.

Der ER: Herr Pilhar hat geschildert, daß das, was er über das Wochenende im Krankenhaus gesehen hat, für ihn sehr erschütterlich war. Er konnte im Zimmer ein schwerkrankes Kind beobachten; er hat das auf die Behandlung mit Chemotherapie zurückgeführt. Ist so etwas zwischen Ihnen beiden bei diesem Gespräch zur Sprache gekommen?

Zeuge: Es ist möglich, daß er es erwähnt hat, aber ich habe auch betont, daß er die spezielle Behandlung, die für sein Kind vorgesehen ist, damit nicht vergleichen soll. Das ist angesprochen worden.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wieviel Zeit ist für dieses Aufklärungsgespräch zur Verfügung gestanden?

Zeuge: Von meiner Warte aus ist unbegrenzt Zeit zur Verfügung gestanden. Ich bin unter keinem Zeitdruck gestanden, weil wir routinemäßig für solche Gespräche ein open end haben. Ich habe mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die Eltern zu überzeugen, daß sie im Guten hierbleiben oder im Guten wiederkommen. Zwischendurch habe ich den Vater gebeten, daß er ein Telefonat mit einer Ärztin seines Vertrauens führen soll, um ihn zu überzeugen, daß wir nicht gegeneinander arbeiten wollen, sondern daß wir das beste für das Kind herausholen wollen. Das Ganze hat wahrscheinlich ca. eineinhalb Stunden gedauert, schätze ich. Ich weiß es aber nicht mehr genau.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Herr Pilhar sagt, daß zunächst von Ihnen ein Ärztegespräch in Aussicht gestellt wurde, dann sind Sie gekommen und haben gesagt, man muß die Chemotherapie sofort beginnen, und erst, als Herr Pilhar dann das Gespräch eingefordert hat, waren Sie bereit, sich mit ihm zusammenzusetzen. Wie ist da Ihre Erinnerung?

Zeuge: Das ist nicht völlig widersprüchlich, und zwar insofern, als ich am Nachmittag mit dem endgültigen Ergebnis dieser kernspintomographischen Untersuchung ins Zimmer gekommen bin und gemeint habe, man könne, wenn die Eltern einverstanden wären, mit der Behandlung beginnen. Daraufhin haben die Eltern gesagt, das wäre nicht möglich, ohne daß dieses angekündigte Erstgespräch geführt worden wäre. Tatsächlich haben wir uns dann nach hinten gesetzt und ich habe das den Eltern sehr genau erklärt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Herr Pilhar sagt, Sie hätten dann zugestanden, einen Fehler gemacht zu haben. Sie hätten gesagt, Sie sehen das ein, Sie hätten vorher reden müssen. Dann hätten Sie sich mit ihm hingesetzt.

Zeuge: Das kann sicher so nicht gewesen sein. Das kann sich höchstens darauf bezogen haben, daß ich die Diagnose und das Angebot der Behandlung gemacht habe, bevor ich mich hingesetzt habe und diese lange Erläuterung gegeben habe. Sehr oft kommt es ja vor, daß Eltern primär das Vertrauen haben und einverstanden sind und man das parallel machen kann. Keinesfalls wollte ich die Eltern überfahren mit irgendeiner Art der Behandlung. Wir haben uns ja dann auch sofort nach hinten gesetzt, ohne daß ich mich irgendwie unter Druck gesetzt gefühlt hätte. Für

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mich ist das Aufklärungsgespräch eine Selbstverständlichkeit.

Verteidiger Mag. Rebasso: Allgemein ist bekannt, daß das durchaus in Krankenhäusern ein Problem ist. Am 29.08.1995 gab es aus Anlaß dieses Falles ein Interview mit Dr. Stacher im Fernsehen. Frau Brigitte Xander hat ihn gefragt: „Die Schulmedizin hat Vertrauen eingebüßt. Was kann man dagegen tun?“ Er hat darauf gesagt: „Es muß ein Kommunikationstraining stattfinden und bei den Ärzten eine diesbezügliche Schulung erfolgen, da die Ärzte im Rahmen ihrer Ausbildung dafür nicht geschult werden.“ War das wirklich so, wie Sie uns das jetzt geschildert haben?

Zeuge: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Würde ein Geschehen an der Leber den Einsatz von Chemotherapie kontraindizieren?

Zeuge: Das kann man so grob sicher nicht sagen.

Der ER: Ist davon die Rede gewesen bei diesem Gespräch, daß auch die Leber betroffen ist?

Zeuge: Das war eine ganz detailliert Frage, die ganze genau mit dem Vater besprochen worden ist, der das ja auch genau verstanden hat als Techniker.

Der ER: Also ist über die Leber und die Chemotherapie gesprochen worden?

Zeuge: Das hat sich primär überhaupt nicht auf die Chemotherapie bezogen. Dieser Wilmstumor, der auf der rechten Seite gesessen ist, ist in die Höhe gewachsen und hat sich kugelförmig in die Leber hineingedrückt. Es hat Schnittbilduntersuchungen der Lunge gegeben. Da war auf unteren Schichten nur Leber drauf und noch nicht Niere. Das hat den Eindruck erweckt, als sei hier etwas in der Leber.

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Das war aber der originäre singuläre Tumor, der sich nur in die Leber hineingedrückt hat. Das war auch der Grund, warum an diesem Vormittag noch diese zusätzliche Untersuchung, diese Kernspintomographie gemacht wurde. Genau das habe ich auch dem Vater erklärt und bereut, daß wir nicht schon früher reden konnten, weil sie noch einmal unterwegs waren für diese Bildgebung. Ich habe erklärt, daß hier kein originärer Lebertumor besteht, sondern daß es tatsächlich Gott sei Dank nur so ist, daß ein Tumor der Niere hinaufwächst, sich in die Leber hineindrückt und wenn man nun ein Schichtbild der Leber macht, kann es so aussehen.

Der ER: Ist eine Chemotherapie bei einer Leberschädigung vorgesehen, nicht vorgesehen oder kontraindiziert?

Zeuge: Generell kann man die Frage so nicht beantworten. Es kommt auf die Form und Intensität der Chemotherapie, die Auswahl der Medikamente an. Es gibt selbstverständlich bösartige Erkrankungen, die man behandeln kann, selbst wenn die Funktion der Leber – und darum geht es vom fachlichen her – beeinträchtigt ist; selbst dann gibt es in der Regel Möglichkeiten, chemotherapeutisch zu behandeln, die unter Umständen eingeschränkt sind.

Verteidiger Dr. Schefer: Wie groß war der Wilmstumor, als Sie diese Erscheinungen auf der Leber feststellen konnten?

Zeuge: Ich schätze, 4 x 5 cm ungefähr.

Verteidiger Dr. Schefer: Bei dieser Größe war es möglich, daß er bereits in dieser Weise auf die Leber einwirkt, daß eine solche Erscheinung stattfindet?

Zeuge: Ja, das ist bei Tumoren des oberen Nierenpols möglich. Der Tumor ist gegen die Leber verschieblich und von der Niere ausgehend. Das war die

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wichtigste Frage, die ich an diesem Vormittag klären wollte. Für mich war schon klar, daß das kein Lebertumor ist. Das haben wir von anderen bildgebenden Untersuchungen ohnehin schon gewußt. Ich habe nur diesen Kernspintomographietermin an diesem Vormittag stehen lassen, um die Verschieblichkeit des Tumors, die Abgrenzbarkeit zu beurteilen. Ich habe das auch dem Vater erklärt, der das damals verstanden hat, daß es, wenn man später ohnehin operieren muß, wichtige Frage sein kann, ob der Tumor sich gut abgrenzen läßt oder ob man theoretisch eine Verletzung der Leber bei der endgültigen Operation mit in Kauf nehmen muß, weil der Nierentumor dort hineinwächst.

Verteidiger Dr. Schefer: Das war um den 22.05.1995. Zu diesem Zeitpunkt war Ihnen klar, daß ein Krebs an der Leber nicht vorlag?

Zeuge: Das ist richtig. Nach allen unseren bildgebenden Methoden war das völlig ausgeschlossen.

Erstbeschuldigter: Wir sind am Donnerstag Abend ins St.Anna-Kinderspital gekommen. Es hat dann ein Gespräch mit einer Ärztin am Freitag Vormittag stattgefunden. Dabei wurde uns erklärt, daß dieser Fleck in der Leber noch nicht zu interpretieren sei. Sie haben diesen dann als Wilmstumor, der in die Leber drückt, interpretieren können?

Zeuge: Ja. Ich habe versucht, Ihnen das an diesem Nachmittag zu erklären. Ich bin mit den Bildern zu Ihnen gekommen.

Erstbeschuldigter: Wir haben im Krankenhaus Wr. Neustadt CT´s aufnehmen lassen. Am Freitag mußten wir noch einmal CT´s aufnehmen und am Montag nochmals Bilder aufnehmen. Im Prinzip ist die Serie, die in Wr. Neustadt aufgenommen worden ist, in Wien noch

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einmal aufgenommen worden mit der Bemerkung, daß die in Wr. Neustadt nicht so genau wären. Stimmt das?

Zeuge: Das kann ich so nicht sagen. Von mir kam diese Bemerkung nicht.

EB: Warum sind dieselben CT´s noch einmal aufgenommen worden?

Zeuge: Das waren nicht dieselben. Auch das habe ich Ihnen damals zu erklären versucht. Es gehört zur Routinevoruntersuchung, daß man die Lunge mit CT untersucht. Das war, soviel ich mich erinnere, nicht vorhanden. Es war ein Abdomen-CT vorhanden, also eine Computertomographie des Bauches. Auf dieser Computertomographie war die Diagnose eigentlich schon höchstwahrscheinlich. Das hat bereits Prim. Jürgenssen veranlaßt, der ja auch Onkologe ist. Er hat gesagt, er schickt ein Kind mit einem Wilmstumor nach St.Anna. Die Untersuchungen, die zunächst bei uns gemacht worden sind, waren ein Ultraschall, der selbstverständlich noch einmal gemacht werden muß, weil es da auf den Untersucher ankommt, wie das gemacht wird. Weiters wurde eine Computertomographie der Lunge gemacht. Diese war so geschichtet, daß sie unterhalb der Lunge aufgehört hat. Die untersten Schichten sind schon durch die Leber gegangen. Damit war die Untersuchungsserie zu Ende. Wer die Lungenbilder gesehen hat, hat gemeint, das könne ein Lebertumor sein, weil er halt keine ausreichenden Informationen gehabt hat. Das war eine rein theoretische Vermutung, die dazu Anlaß gegeben hat, auch noch eine kernspintomographische Untersuchung der Leber zu veranlassen. Das ist mir an dem Montag in der Früh bekanntgeworden. Ich sagte, diese Untersuchung machen wir jetzt nicht mit der Frage nach einem Lebertumor, sondern nach der Frage, wie sich der Wilmstumor zur Leber wirklich

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verhält. Deswegen ist diese dritte Untersuchung erfolgt, die ich nicht mehr abgebrochen habe.

EB: Sie haben mehrmals davon gesprochen, daß Ihre Diagnose auf wahrscheinlich nur Wilmstumor gelautet hat. Sie haben aber auch mehrmals davon gesprochen, daß Olivia bei Nichtbehandlung sterben muß.

Zeuge: Das ist eine 100%ige Prognose.

EB: Sie sagen, wahrscheinlich Wilmstumor und verabreichen die Chemotherapie. Wieso wissen Sie, daß, wenn die Behandlung nicht erfolgt, das Kind sterben muß? Gibt es eine Vergleichsstudie, können Sie diese nennen, die vorweist, was mit Kindern mit Wilmstumor passiert, wenn man sie nicht chemotherapeutisch behandelt und sie vielleicht auch nicht operiert?

Zeuge: Das war übrigens auch Inhalt unseres ersten Gespräches. Ich habe gesagt, ich kann keine historischen Zahlen nennen, aber es ist bekannt, daß mit Operation allein theoretisch 20 bis 30% Überleben erreicht werden kann, daß das aber heute klassischerweise niemand mehr tun würde, weil die Prognose um so viel besser ist, wenn man kombiniert vorgeht. Ich habe Ihnen damals auch erklärt, die ersten Erfolge sind mit der Bestrahlung erreicht worden, und zwar mit Operation und Bestrahlung ohne Chemotherapie. Um den Kindern so wenig wie möglich zu schaden, d.h. Bestrahlung einzusparen, die ja schon an die 80% Überleben gebracht hat, hat man begonnen, die Bestrahlung zum Teil durch Chemotherapie zu ersetzen.

Verteidiger Dr. Schefer: Woher wissen Sie, daß bei Nichtbehandlung mit Sicherheit der Tod eintritt?

Zeuge: Ich persönlich weiß es nicht mehr aus eigener Erfahrung. Seitdem ich so tätig bin, werden alle Kinder behandelt. Das gibt es nur in diesem historischen

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Vergleich. Ich weiß das aus der Vergangenheit, daß früher alle gestorben sind.

Es gibt einen Krebs bei Kindern, den man nicht behandeln muß. Das ist ein ganz anderer Tumor, der bei Säuglingen – und auch das ist aus der Vergangenheit bekannt – sozusagen von selber verschwinden kann. Wir können diese Tumoren mittlerweile sehr genau charakterisieren und würden sie keinesfalls behandeln. Das ist eine andere Diagnose. Man kann nicht sagen, das ist auch irgend etwas im Urogenitaltrakt.

Der StA: Dabei handelt es sich jedoch nicht um Wilmstumor?

Zeuge: Das ist richtig.

Verhandlungsunterbrechung von 10.40 Uhr bis 10.50 Uhr

Verteidiger Mag. Rebasso: Der Zeuge Dr. Mann hat gesagt, er hat damals die Meinung vertreten und geäußert, daß Sie eigentlich bei so krassen Verhältnissen gar kein Recht mehr hätten, etwas zu bestimmen, was die Heilbehandlung des Kindes betrifft. Hat er das in dieser Form gesagt?

EB: Definitiv in diesem Wortlaut nicht; er hat aber sehr wohl erklärt, er müßte dies dann seinem Vorgesetzten Dr. Gadner melden und der würde dann juristische Schritte gegen uns Eltern einleiten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was war letztlich der Grund, warum Sie offenbar auch nach diesem von Dr. Mann geschilderten Aufklärungsgespräch das Vertrauen nicht gewinnen konnten?

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EB: Durch überhasteten Beginn oder gewollten Beginn der Therapie. Wir hatten den Eindruck von Dr. Mann, daß er eigentlich überlastet ist; er hat einen abgearbeiteten Eindruck gemacht; letztendlich sicherlich auch die zu diesem Zeitpunkt widersprechenden Aussagen der Ärzte. Uns hat Dr. Jürgenssen erklärt, es solle eine Operation stattfinden und dann eine Chemotherapie; dann war das Gespräch mit der Ärztin am Freitag Vormittag, welche gesagt hat, es sei etwas an der Leber, die Heilungschancen betragen 70 – 80%. Dr. Mann hat erklärt, es ist eindeutig, wahrscheinlich Wilmstumor, die Heilungschancen betragen 90%. Einerseits dieser Krankenhausbetrieb, wo die Kinder anscheinend alle nach einem Schema behandelt werden, trotzdem wurden uns Eltern aber von den Ärzten unterschiedliche Prognosen erklärt, und letztendlich auch der Einfluß des Arztes selbst, der überarbeitet erschienen ist.

Zeuge Prof. Dr. Helmut Gadner

geboren 16.08.1940, Arzt, p.A. St.Anna-Kinderspital, fremd, gibt nach WE vernommen an:

Ich bin seit 1980 ärztlicher Direktor des St.Anna-Kinderspital. Meine Spezialität, beruflich gesehen, ist die Behandlung krebskranker Kinder. Ich habe eine Ausbildung über etwa 30 Jahre in diesem Gebiet und habe in diesem Falle als Vorgesetzter im Krankenhaus über bestimmte Ereignisse informiert werden müssen, die der Chef halt wissen muß. Damit war ich, nachdem ich am Montag von einer Kongreßreise nach Wien zurückgekommen bin, im St.Anna über das Vorkommnis informiert worden.

Der StA: keine Fragen.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Welche Heilungsprognosen haben Sie damals angestellt, als das Kind erstmals nach St.Anna gekommen ist?

Zeuge: Ich habe Olivia im St.Anna-Kinderspital nie gesehen. Ich habe dort auch nie einen Elternteil gesehen. Ich glaube, eine Woche, nachdem die Familie Pilhar mit Olivia und den Unterlagen von St.Anna weggegangen ist, um eine zweite Meinung einzuholen, hatte ich Gelegenheit, mit Herrn Pilhar am Telefon zu sprechen, wobei ich versucht habe, ihn zu überreden, er möchte doch auch mir eine Chance geben, einmal mit ihm unter vier Augen zu reden. Ich habe die ganze Geschichte von meinen Mitarbeitern gehört und pflege immer, wenn es irgendwie geht, selber ein Gespräch mit den Eltern in den ersten Tagen dieser Diagnose zu führen. Nachdem hier etwas nicht so gelaufen ist, wie es zum Glück meistens geht, war ich umsomehr besorgt und habe mich da selbst einbringen wollen. In diesem etwa 20-minütigen Gespräch gelang es mir nicht, Herrn Pilhar am Telefon dazu zu bringen, mir diese Chance zu geben. Er hat bereits seine Entscheidung getroffen gehabt. Ich habe das Gespräch, das er dann beendet hat, damit geschlossen, daß ich ihm die Tür offenhalten würde und daß er jederzeit kommen könnte, um noch einmal darüber zu reden. Das war es.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind damals keine Prozentzahlen hinsichtlich der Heilungschancen genannt worden?

Zeuge: Ich kann nicht sagen, was die einzelnen Kollegen an Prozenten geäußert haben. Ich kann nur ganz allgemein sagen, daß wir über alle unsere Erfolge, die wir in der pädiatrischen Krebsbehandlung im Laufe der

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letzten Jahrzehnte weltweit erreicht haben, daß eben Krebs im Kindesalter zum Großteil eine heilbare Erkrankung ist, Zahlen kennen. Diese Zahlen, die den Wilmstumor betreffen, werden auch bei solchen Gesprächen geäußert. Diese beziehen sich auf Studien und Dachstudien, die wir in Österreich durchführen. Es kommt darauf an, auf welche Studien man sich bezieht. Die Studien haben ja unterschiedliche Behandlungsvorgänge, die nicht sehr weit auseinander liegen, aber doch kleine Nuancen in der Therapieart, in der Kombination von Medikamenten und in der Vorgangsweise beinhalten; dadurch ergeben sich auch unterschiedliche Daten, in Prozenten ausgesprochen, die in den einzelnen Gruppen um 5 bis 10% schwanken. Das ist nur ein Faktum; das zweite Faktum ist immer noch, daß man eine klare Aussage über die Prognose, rein statistisch gesehen, nur machen kann, wenn man genau weiß, welches Ausmaß dieser Tumor bei Diagnosestellung hat, zu dem Zeitpunkt, zu dem die Behandlung begonnen wird; ob das ein sogenanntes Stadium 1 ist, wo der Tumor ganz klein am Ursprungsorgan behaftet ist, ob es ein Stadium 2 ist, wenn schon das Ursprungsorgan ausladet und nach außen wächst, Stadium 3, wenn schon die Umgebung involviert ist usw. bis zum Stadium 4, wo dann Lungen- oder Lebermetastasen vorliegen. Das sind alles unterschiedliche Krankheitsstadien, die natürlich ganz unterschiedliche Prognosen haben. Es braucht Tage, bis wir diesen Tatbestand fest dokumentieren können. Wir müssen Sonographie machen, eine Magnetresonanz, eine Computertomographie; alle diese Untersuchungen, die am Anfang sehr belastend für Kinder sind, sind dazu da, daß man mit einer weitgehenden Sicherheit das Stadium der Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose festlegen kann. Wenn die Eltern mit den Fragen zu

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einem Zeitpunkt an die Ärzte herantreten, wo das alles noch nicht in toto erfaßt ist – und das war ja bei Olivia die Schwierigkeit, das rasch innerhalb von ein, zwei Tagen so zu erfassen – dann kann es ohne weiters sein, daß der eine Oberarzt oder eine Stationsarzt, der am Wochenende Dienst hatte, gemeint hat, es ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Stadium 2, ein anderer hat vielleicht gemeint, die Eltern wollen eine globale Information über den Wilmstumor; dadurch ergeben sich Unterschiede. Ich kann Ihnen genau sagen, wie die Stadien in Österreich bei unseren eigenen Behandlungsprogrammen ausschauen, welche Prognose wir dann haben. Wenn ich heute von Ihnen weiß, Sie möchten wissen, wie in Österreich in den letzten sieben Jahren, wo wir 121 Kinder mit Wilmstumor österreichweit gehabt haben und behandelt haben, das Stadium 1 bei diesen Kindern gelaufen ist, wobei 45 Kinder im Stadium 1 waren, kann ich Ihnen sagen, es sind 98% der Kinder, d.h. 44 Kinder heute am Leben und haben keinen Tumor. Beim Stadium 2 sind es 90%, beim Stadium 3 sind es 80% und beim Stadium 4 sind es 76%. Das sind die Zahlen, die wir in Österreich haben. Wenn Sie jetzt eine amerikanische Studie hernehmen, dann sind es vielleicht im Stadium 4 78 oder 80%. Wenn jemand meiner Mitarbeiter sich auf eine amerikanische Studie bezieht und ein anderer auf die österreichische, dann ergeben sich zwangsläufig Unterschiede. Es ergeben sich auch Unterschiede, wenn ich nicht klarlege, welches Stadium ist; und das war zu dem Zeitpunkt sehr schwer. Die Annahme besteht, daß es zum Zeitpunkt der Diagnose mit großer Wahrscheinlichkeit ein Stadium 2 war, aber das kann man nicht beweisen. Später war es ein Stadium 4.

Verteidiger Mag. Rebasso: Zum Zeitpunkt, als bereits feststand, daß man mit der Verabreichung von

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Zytostatika beginnen wollte, mußten ja diese Klarheiten schon hergestellt worden sein.

Zeuge: Dr. Mann hat aus seiner Sichtung aller Unterlagen, die ihm zur Verfügung gestanden sind, an diesem Montag gesagt, für ihn ist es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Stadium 2 und wir beginnen diese Therapie- die Chance nach unseren Bemessungen für das Kind ist eine 90%ige, daß es gelingt, diesen Tumor mit Chemotherapie so zu verkleinern, daß wir ihn nachher entfernen können und daß wir nachher nur mehr eine kurze Nachbehandlung brauchen. Das war seine Einschätzung. Die Tage vorher waren noch nicht alle Untersuchungen abgeschlossen. Wenn ein Oberarzt dann gefragt wurde, konnte er das wahrscheinlich in dieser Form nicht sagen; er wird sich halt annähernd an diese Zahlen herangearbeitet haben. Ich glaube, es ist in allen unseren Köpfen, daß der Wilmstumor das Paradebeispiel eines heilbaren krebsartigen Geschehens im Kindesalter ist.

Verteidiger Mag. Rebasso. Sind das im wesentlichen statistische Betrachtungen, die da angestellt werden?

Zeuge: Das sind statistische Betrachtungen. Wir können nie das einzelne Schicksal vorhersehen. Eine Statistik bedeutet entweder Überleben oder Tod, egal, ob das im Einzelfall 100%, 99% oder 20% Chance sind.

Verteidiger Mag. Rebasso: Auf welchen Überlebenszeitraum ist diese Statistik ausgelegt?

Zeuge: Der Wilmstumor ist eine Krankheit, die schon seit Jahrzehnten in den niedrigen Stadien 1 und 2 eine hervorragende Heilungschance hat. Da kann man alte Bücher lesen, die einem nichts über den Wilmstumor, wie er sich verhält, welche Biologie er hat, erzählen; Sie werden sehen, daß der Wilmstumor im Stadium 1 und 2 in den alten

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Büchern bereits mit 80% Heilungschance erscheint. Das ist wirklich, seitdem die Chemotherapie ihren Einzug gehalten hat, der Paradetumor, von dem wir glauben, wir können wirklich helfen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Ihnen Fälle bekannt, wo die Verabreichung von Zytostatika letztlich eine Verschlechterung oder Beschleunigung des Krankheitsgeschehens herbeigeführt hat?

Zeuge: Es gibt eigentlich nur diese Verhaltensweise eines Tumors, der als zytostatikaempfindlich eingestuft wird, daß er in den allermeisten Fällen hervorragend auf die Behandlung anspricht, zusammenschrumpft und besser wird. Es gibt in seltenen Fällen den Fall, daß dieser Tumor nicht anspricht. Er wächst weiter, obwohl man die verschiedenen Medikamente gibt, die bei der Mehrzahl der Kinder sehr gut wirken. Es besteht in einzelnen Fällen eine tumorimmanente, also in der Tumorzelle verankerte, natürliche Resistenz gegen die Medikamente, die wir verabreichen. Das kann man nicht vorhersehen. Da gibt es keine Methode, das vorher zu bestimmen. Wir können das nur vom Ansprechen ableiten. Deshalb finden wir ja auch, daß heutzutage diese Chemotherapie vor der Operation einen so elementaren Bestandteil einer Voraussage eines Krankheitsverlaufes darstellt, weil wir, wenn wir den Tumor in toto entfernen, nicht wissen, ob das ein Tumor ist, der auf eine Behandlung empfindlich ist oder nicht. Wir haben nichts zu messen. Wenn wir sehen, wie schön der Tumor zusammengeht, wissen wir, daß es Sinn macht, auch eine Nachbehandlung zu machen. Sterben kann ein Kind natürlich an den Folgen der Chemotherapie. Das ist möglich; aber da sind weltweit Experten unterwegs und sind ausgebildet, die den Umgang mit den Zytostatika gelernt haben. Es kommt

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heute zum Glück praktisch nicht mehr vor, daß ein Kind an den Folgen der Chemotherapie stirbt. Ich möchte nicht ausschließen, daß es nicht ab und zu einmal passiert, in ganz extremen, schweren Fällen, aber daß man durch eine Chemotherapie einen Wilmstumor zum explodieren bringt, ist absurd.

Verteidiger Mag. Rebasso: Auf welchen Zeitraum bezieht sich die Überlebensstatistik?

Zeuge: Die von mir erwähnte Überlebensstatistik beinhaltet die Patienten, die von 1989 bis jetzt in unsere Studie in Österreich eingeflossen sind. Die Daten decken sich mit solchen, die in den USA seit 15, 20 Jahren und auch in Europa verfolgt worden sind. Wir wissen ganz genau, der Wilmstumor hat eine Gefahrenchance von zwei Jahren. Wenn ein Kind zwei Jahre nach Entdeckung und Behandlung dieser Krankheit gesund bleibt, diese zwei Jahre gesund ohne Rückfall durchsteht, dann ist dieses Kind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesund.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wenn es sich ausschließlich um den Wilmstumor handelt?

Zeuge: Ja. Jeder Tumor hat seine spezielle Biologie. Es gibt auch beim Wilmstumor sehr ungünstige Formen, die wir ganz anders behandeln müssen und wo wir wissen, daß wir diese Chance nicht haben. Das war auch bei Olivia am Anfang gar nicht so klar, weil wir die Histologie nicht kannten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wenn es sich hingegen darüber hinaus um weitere Krebsgeschehnisse handeln würde, so wären diese statistischen Angaben in der Form nicht gültig?

Zeuge: Nein. Für jede Tumorkrankheit gibt es ein ganz spezielles Krankheitsgeschehen, einen speziellen

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Verlauf, spezielle Aussagen. Es ist ein Fehler, wenn man alles in einen Topf schmeißt. Ich glaube, das muß jemand einmal beweisen, daß eine bestimmte Heilmethode bei einem Wilmstumor wirkt oder nicht wirkt. Man kann nicht sagen, das hat bei vielen anderen Tumoren gewirkt, das wirkt auch bei Wilmstumor.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, zu dem Zeitpunkt, als Sie mit Herrn Pilhar telefonierten, daß dann noch keine Prognose abgegeben werden kann, wenn das alles in toto noch nicht erfaßt ist?

Zeuge: Das ist ein bißchen verdreht. So habe ich das sicher nicht formuliert. Ich habe nur gesagt, solange nicht sämtliche Untersuchungen abgeschlossen sind und solange nicht auch die Bildgebung von qualifizierten Kollegen beurteilt worden ist – das war am Wochenende – solange kann ich nicht 100%ig die Stadienzuteilung machen. Wenn am Wochenende ein junger Kollege in der Radiologie Dienst macht und ein technisch so hochwertiges Bild liefert, was den Tumor anbelangt, dann kann ich mich auf die Aussage und Interpretation eines jungen Kollegen, der nicht einen erfahrenen Kollegen hinter sich hat, nicht 100%ig verlassen. Ich muß hinterfragen. Das war auch der Grund, warum offensichtlich am Wochenende die Kollegen gemeint haben, daß man noch warten muß, nachdem eine Interpretation, die sich nicht mit unserer deckte, auf den Tisch geflattert ist. Zum Zeitpunkt, als Dr. Mann aufs Podium getreten ist, wurde das dann eigentlich geklärt.

Verteidiger Dr. Schefer: Es war aber so, daß meine Mandanten, bevor sie mit Ihnen telefonierten, den ganz sicheren Eindruck hatten, daß die ärztliche Information, die ihnen erteilt worden ist, besagt, man wisse, was es ist, man wisse, wie zu heilen ist, man wisse die Prognose, man wisse

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das Stadium. Sie hingegen sagen, zu diesem Zeitpunkt sei eine Prognose noch nicht abzugeben, wenn noch nicht alles in toto erfaßt ist. Das war der Eindruck meiner Mandanten.

Zeuge: Ich kann das auch verstehen und es tut mir auch leid. Sie müssen sich aber einmal vorstellen, wie das am Wochenende zugeht. Das war ein Feiertag, an dem sie ins Spital gekommen sind. Da ist eine Dienstmannschaft. Am Freitag war die gesamte Mannschaft da, es wurden die Untersuchungen begonnen. Es ist mühsam, diese ganzen Termine zu kriegen. Man wollte sie relativ rasch haben. Am Samstag Vormittag kam wieder eine neue Dienstmannschaft, die zwar von der vorherigen informiert wird, am Sonntag wieder eine neue Dienstmannschaft. Das ist unser Leben. Wir können nicht mehr als 80 Stunden im Wochendurchschnitt arbeiten. Deswegen müssen die Wochenenden halt abgedeckt sein. Das sind kompetente Leute, aber es ist nicht die Kontinuität einer Aussage. Die Variationen, wenn wir das erzählen, sieht man ja hier. Wenn Sie interpretieren, was ich sage, und wenn jemand anderer mich interpretiert, und wenn ich mich selbst interpretiere, dann sind das drei verschiedene Aussagen, wenn man nicht ganz genau aufpaßt; und so passiert es. Der Drang, den wir haben, wenn wir Eltern die Diagnose eröffnen müssen, ist ja schrecklich. Wir sind ja alles Menschen. Stellen Sie sich vor, wir müssen diesen armen Leuten klarmachen, daß ihr Kind, das bisher völlig gesund war, das ihr Lebensinhalt war, an einer bösartigen Krankheit leidet, die mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod führt, wenn man nicht sofort etwas macht. Dann ist die nächste Frage, was kann man machen. Dann kann man sagen, dies und jenes kann man machen. Wir können helfen, weil wir wissen, daß wir so viele Kinder mit einer bestimmten Heilmethode nachweislich, weltweit geprüft, wirklich vor

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diesem Schicksal retten können. Dann ist man als Arzt froh, zu sagen, das ist zum Glück eine Krankheit, die große Möglichkeiten offenläßt, daß es gutgeht. Dann werden die Eltern fragen, welche Chance das Kind wirklich hat. Der erstbeste wird sagen, die Chance ist hervorragend; und es fällt ihm halt ein, das liegt so bei 80, 90%. Das stimmt ja ganz global. Dann kommt der nächste, und der hat halt die Zahl 70 im Kopf und sagt 70%. Ich glaube, das sind Dinge, die man hier einfach nicht auf den Tisch legen kann. Das ist eine hochsensible und sehr kritische Situation, in der sich die Ärzte befinden, in der sich die Eltern befinden und in der sich das Kind befindet. Das alles unter einen Hut zu bringen, braucht auch Vertrauen, Öffnung. Ich glaube, das muß von beiden Seiten da sein.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie sagten, das jeweilige Stadium festzustellen, sei sehr schwer. Dann sagten Sie den Satz „Das kann man nicht beweisen“.

Zeuge: Wir haben uns insofern geholfen, als wir in den letzten Jahren ein Therapiekonzept entwickelt haben, das vorsieht, das wir bei allen Stadien während der ersten vier Wochen die gleiche Behandlung machen. Wir gehen davon aus, daß das Stadium selbst nichts über die Empfindlichkeit der Tumorzelle gegenüber der Chemotherapie aussagt. Wir behandeln alle Stadien im ersten Anlauf gleich. Erstens haben wir dann viel Zeit, und nach vier Wochen kommt der Chirurg und operiert. Mit diesem und dem Radiologen besprechen wir alles: welchen Eingriff, wie und wo, was ist das beste für das Kind. Dann wird operiert. Der Chirurg macht dann eigentlich die Stadienzuweisung, die relevant ist; ob neben dem Tumor in der Niere noch Lymphknoten befallen sind. Er holt sich diese Gewebsproben heraus, das wird dann untersucht und dann wird die genaue

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Stadieneinteilung getroffen. Aufgrund dieser Stadieneinteilung haben wir dann die Dauer der nachfolgenden Behandlung. Ob eine zusätzliche Bestrahlung notwendig ist oder nicht, ist davon abhängig. Das ist der Vorgang. Bevor wir diese Therapieform weltweit gewählt haben, haben wir auch in Österreich die Wilmstumoren vor Jahren sofort operiert. Bei dieser Operation wurde die Stadieneinteilung vom Chirurgen mit uns zusammen festgelegt. Heute, nachdem wir die Stadieneinteilung erst nach vierwöchiger Vorbehandlung exakt brauchen, genügt uns die approximative Zuordnung, damit wir den Eltern in etwa sagen können, wir schätzen das als günstig oder ungünstig ein. Ich glaube, da kommt es wirklich nicht darauf an, daß man so exakt ist. Das exakte Vorgehen wird zu einem anderen Zeitpunkt bestimmt.

Verteidiger Dr. Schefer: Können Sie noch etwas hinsichtlich der bekannten Daten bei Wilmstumor nach zehn Jahren sagen?

Zeuge: Ich habe schon gesagt, daß bei 99% der Ereignisse bei Wilmstumoren, wenn eine moderne Behandlung erfolgt, nach zwei Jahren eigentlich nichts mehr passiert, was Rückfall anbelangt. Die Kinder kriegen keinen Rückfall. Die Kinder könnten durch diese Behandlung, die sie in diesem Zustand gebraucht haben, wenn diese besonders aggressiv war oder viel Strahlentherapie inkludiert war oder wenn sie sehr viele Medikamente beinhaltet, von denen wir wissen, daß sie auf lange Sicht Nebenwirkungen verursachen können, unter Umständen später von dieser Behandlung noch Folgen tragen, z.B. wenn eine hohe Bestrahlung im Bereiche der Niere gegeben worden ist, kann es sein, daß dort eine leichte Krümmung der Wirbelsäule reflektiert. Wenn sehr viele Medikamente, die das Herz angreifen, in sehr hohen Dosen gegeben worden sind, kann es sein, daß nach zehn,

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zwanzig Jahren diese Kinder Veränderungen in der Herzleistung haben. Das sind aber Erfahrungen, die wir heute machen bei Kindern, die vor 20, 30 Jahren mit ganz anderen Konzepten behandelt worden sind, weil wir damals das Überleben als solches im Auge gehabt haben. Da hat man noch um das Überleben gekämpft. Heute weiß man, daß man in vielen Bereichen mit dieser Behandlungsintensität zurückgehen kann, sich anpassen an das individuelle, einzelne Kind und seinen Tumor. Das ist, glaube ich, mit ein Grund, warum man diese Chemotherapie vorgeschaltet hat. Das ist eine sehr milde Chemotherapie, die eigentlich nur äußerlich Probleme macht, aber im wesentlichen keine bleibenden Folgen. Wenn man dann das Stadium festgelegt hat, kann man feststellen, daß 50% aller Wilmstumoren zu diesem Zeitpunkt ein Stadium 1 geworden sind, also das günstigste Stadium mit einer ganz kurzen Nachbehandlung und ohne Strahlentherapie. Das ist zur jetzigen Zeit unser Beitrag, um Spätfolgen irgendwelchen Art den Kindern zu ersparen. Wir wollen ja Kinder am Leben halten, die ein glückliches Leben führen können, die gesund bleiben, die sich ihres Daseins und auch ihres Körpers freuen können. Deswegen ist da weltweit ein sehr großes Bemühen, diese Behandlung wirklich an den Tumor und natürlich an das Kind anzupassen. Das gelingt, glaube ich, zunehmend. Wir sehen diese Veränderungen, die wir heute erst entdecken und von denen wir früher nicht gewußt haben, daß sie später zum tragen kommen, eigentlich nicht mehr und werden sie nach allem Wissen, das wir auf dem Gebiet haben, auch nicht mehr sehen.

Zeuge Dr. Leopold Leeb

geboren 16.02.1950, praktischer Arzt, wh. 2500 Baden Kaiser Franz Joseph-Ring 27

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fremd, gibt nach WE vernommen an:

Der ER: Im Akt erliegt ein Protokoll, welches am Bezirksgericht Baden im Vorverfahren am 15.01.1996 mit Ihnen aufgenommen worden ist. Beziehen Sie sich grundsätzlich darauf? Kann ich von Ihrer Aussage als richtig ausgehen?

Zeuge: An Einzelheiten aus diesem Protokoll kann ich mich eigentlich nicht mehr erinnern. Das ist schon zu lange her.

Der ER: Nachdem Sie es unterschrieben haben, nehme ich an, daß das stimmt, was Sie angegeben haben?

Zeuge: Damals habe ich es so gesagt, aber ich kann mich heute nicht mehr an jeden Satz erinnern. Ich bin niedergelassener praktischer Arzt in Baden mit der Fachrichtung Naturheilkunde, Spezialgebiet Homöopathie.

Der ER: Sind beide Beschuldigten oder nur Herr Pilhar und das Kind bei Ihnen gewesen?

Zeuge: Es war die Familie Pilhar mit Olivia am 14.06.1995 bei mir in der Ordination. Sie müssen meine Adresse von irgendwo erfahren haben und haben sich telefonisch angemeldet.

Der ER: In diesem Gespräch sagen Sie als Zusammenfassung: „Ich versuchte, Schulmedizin mit alternativen Medizin zu verbinden.“ Was wollten die Eheleute Pilhar von Ihnen?

Zeuge: Sie wollten von mir eine Befunderhebung und einen Behandlungsvorschlag.

Der ER: Haben Sie Befund erhoben, wenn ja, wie?

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Zeuge: Ja. Ich habe einen Tastbefund bei Olivia erhoben und dabei eine deutliche Leberschwellung festgestellt. Ich kannte die Diagnose Wilmstumor. Herr Pilhar hat mir vorher den bisherigen Verlauf geschildert. Ich war erstaunt, auch eine Leberschwellung festzustellen.

Der ER: Heißt das, daß Ihre Diagnose im Betasten des Bauches bestand und weiter nichts?

Zeuge: Als Zusatzbefund zu den Röntgenaufnahmen, die mitgebracht wurden.

Der ER: In Ihrem Protokoll steht weiters: „Bei Herrn Pilhar hatte ich den Eindruck, daß ich mit diesem meinem Anraten auf taube Ohren stoße.“ Was meinen Sie damit?

Zeuge: Das muß ich erläutern. Es ist um die Frage einer möglichen Chemotherapie gegangen. Nach dieser Befunderhebung haben wir gesprochen, wie die Chancen und Risiken der Behandlung durch Chemotherapie sind. Da habe ich die Familie Pilhar aus diesem Buch „Chemotherapie Maligne Erkrankungen“ von Prof. Stacher und Moser informiert, in welchem steht, daß bei der Behandlung des Wilmstumors sehr aggressive Zytostatika angewandt werden, die Schäden im Nervensystem, im Herzmuskel und speziell in der Leber hervorrufen können.

Der ER: Was wollten Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Sie „auf taube Ohren stoßen“?

Zeuge: Dazu komme ich dann. Es hieß, daß man auch die Ausgangssituation des Patienten berücksichtigen muß, also auch vor allem den Zustand der Leber. Aus diesem Befund und diesen Informationen kann man sagen, daß die Anwendung der Chemotherapie in diesem Fall eher bedenklich wäre.

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Um noch einen zusätzlichen fachlichen Rat einzuholen, habe ich vorgeschlagen, daß sie einen mir bekannten Urologen in Deutschland aufsuchen. Ich glaube, auf diesen Rat bezieht sich diese Aussage, daß ich auf taube Ohren stieß.

Der ER: Im nächsten Absatz heißt es: „Wir sprachen im Zuge des Besuches auch über den allgemeinen Zustand von Olivia, wobei ich aber keine Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf stellte.“ Heißt das, daß darüber, wie es mit dem Kind weitergeht, mit Ihnen nicht gesprochen worden ist?

Zeuge: Ich habe einen Behandlungsvorschlag gemacht, nämlich Operation des Tumors mit alternativen Begleitbehandlung mit homöopatischen Mitteln, biologischen Heilmitteln.

Der ER: Welche Aussicht auf Erfolg das hat, ist offenbar nicht besprochen worden, wenn keine Prognose gestellt wurde?

Zeuge: Ich sagte, dazu kann ich nichts sagen.

SV Dr. Scheithauer: Waren Sie jemals im Rahmen Ihrer Ausbildung zum praktischen Arzt an einer onkologischen Abteilung tätig?

Zeuge: Nein.

SV Dr. Scheithauer: Haben Sie außer Olivia jemals einen Patienten mit Wilmstumor behandelt?

Zeuge: Nein, das habe ich nicht.

SV Dr. Scheithauer: Trotzdem haben Sie über Nebenwirkungen der Chemotherapie gesprochen?

Zeuge: Die Information habe ich aus diesem Buch genommen.

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Der StA: Wissen Sie, wieviele Arten der Chemotherapie es gibt?

Zeuge: Nicht genau.

Der StA: Wissen Sie, daß das St.Anna-Kinderspital auf Wilmstumoren spezialisiert ist?

Zeuge: Ja.

Der StA: Wissen Sie, daß diese Spital keinen Schaden an der Leber festgestellt hat, sondern nur, daß der Tumor auf die Leber drückt; das ist etwas anderes?

Zeuge: —

SV Dr. Scheithauer: Auch meinte Prof. Gadner, daß man das Abdrücken des Bauches bei dieser Erkrankung tunlichst vermeiden sollte, damit die Kapsel nicht aufreißt.

Zeuge: Ich war nur irgendwie verwundert. Ein Wilmstumor geht ja von der Niere aus und ist daher am vorderen Rippenbogen sicher nicht leicht zu tasten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die Eheleute Pilhar sind zu Ihnen gekommen, nachdem Diagnosen bereits vorhanden waren?

Zeuge: Das ist richtig.

Verteidiger Mag. Rebasso: Und zwar einerseits die Diagnose des Krankenhauses, die Ihnen die Eheleute Pilhar mitgeteilt haben, welche Wilmstumor gelautet hat?

Zeuge: Ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie bereits von seiten der Eheleute Pilhar mit der Möglichkeit konfrontiert worden, daß noch etwas an der Leber ist oder haben Sie das vollkommen selbst festgestellt?

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Zeuge: Diesen Befund habe ich selbst festgestellt. Ich habe ihnen geraten, zur weiteren Klärung diesen Urologen in Nürnberg aufzusuchen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie haben Sie den Eheleuten Pilhar erklärt, warum Sie zu der Annahme gelangen, daß an der Leber etwas sein könnte? Was war Ihre Überlegung, aus dem Tastbefund auf eine Schwellung der Leber zu schließen?

Zeuge: Das war in diesem Fall leicht tastbar, weil der übrige Bauch weich war und nur am Rippenbogen eine deutliche Verhärtung zu tasten war, die ich als Leberschwellung erkannt hatte, aufgrund der Lokalisierung des Organs.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wenn es damals geheißen hat, es soll ein Wilmstumor vorliegen, was hätte aufgrund Ihres Tastbefundes eher für eine Leberschwellung und weniger für einen Wilmstumor gesprochen?

Zeuge: Die Lokalisation am vorderen Rippenbogen. Das habe ich den Eheleuten Pilhar so erklärt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie dann einen weiterführenden Weg aufgezeigt?

Zeuge: Dann habe ich erklärt, daß in diesem speziellen Fall die Anwendung der Chemotherapie sehr kritisch geprüft werden müßte, weil bekannt ist, daß die Zytostatika stark leberschädigend wirken.

Verteidiger Mag. Rebasso: In welcher Form hätten Sie sich die weitere Überprüfung vorgestellt?

Zeuge: Ultraschalluntersuchung, Oberbauchcomputertomogramm.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie das auch so empfohlen?

Zeuge: So detailliert nicht.

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Verteidiger Mag. Rebasso: War das nur ein einziger Besuch des Ehepaares Pilhar?

Zeuge: Ja, am 14.06.1995.

Verteidiger Mag. Rebasso: Welchen Eindruck hatten Sie überhaupt? Es lag ja schon ein Krankenhausbefund vor. Warum kommt man, wenn man eigentlich eh schon einen Befund hat, doch noch zu einem anderen Arzt?

Zeuge: Ich hatte den Eindruck, daß die Familie Pilhar um das Wohl ihres Kindes sehr besorgt war und allein aus diesem Grund verschiedene Meinungen einholen wollte, um dann die bestmögliche Behandlung auszuwählen.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, Sie haben die Eheleute Pilhar an einen weiteren Urologen verwiesen. Wo hat dieser Urologe seine Ordination?

Zeuge: Er hat seine Praxis in Nürnberg.

Verteidiger Dr. Schefer: In Österreich gibt es auch Urologen. Warum denn nach Nürnberg?

Zeuge: Ich kannte den Arzt von früher, von einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit einem nierenkranken Kind und dachte daher, daß die Familie Pilhar mit Olivia diesen Arzt aufsuchend sollte. Ich kannte den Arzt seit drei Jahren.

Verteidiger Dr. Schefer: Wissen Sie, wie lange dieser Urologe praktiziert?

Zeuge: Nein.

Verteidiger Dr. Schefer: Gab es darüber hinaus einen weiteren Grund, weshalb Sie der Meinung waren, daß gerade die Eheleute Pilhar in der geäußerten Problematik der Chemotherapie zu diesem Urologen gehen sollten? Gab es einen Zusammenhang zwischen der chemotherapeutischen Problematik und Ihrem Hinweis, diesen

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Urologen aufzusuchen? Beispielsweise, daß dieser Urologe Ihnen dafür bekannt war, daß er mit chemotherapeutischer Behandlung besonders vorsichtig ist oder in diese Richtung?

Zeuge: Ja, das schon, daß er wirklich sehr genau abwägt, in welchem Fall welche Therapie ideal ist.

Zeuge Dr. Johann Loibner

geboren 04.02.1944, Arzt für Allgemeinmedizin, wh. 8563 Ligist 89 fremd, gibt nach WE vernommen an:

Meine Angaben beim Bezirksgericht Voitsberg vom 18.12.1995 sind richtig. Das ist im wesentlichen meine Aussage. Es war ein sehr junger Untersuchungsrichter. Er hat nicht alle meine Formulierungen im einzelnen niedergeschrieben, aber im großen und ganzen ist es das, was ich gesagt habe. Es stimmt mit der Wahrheit überein.

Der ER: Wie ist überhaupt der Kontakt zum Ehepaar Pilhar hergestellt worden?

Zeuge: Herr Pilhar hat mich eines Tages angerufen, ob er in meine Behandlung kommen könne. Homöopathische Ärzte werden im allgemeinen auch von Patienten aufgesucht, die weiter weg von der Ordination des Arztes wohnen. Es ist durchaus üblich, daß ich aus dem Raum Wiener Neustadt einen geringen Teil der Patienten habe.

Der ER: Sie selbst sprechen von Homöopathie. Haben Sie sich in der Praxis auf Homöopathie spezialisiert?

Zeuge: Ich war sieben Jahre Landarzt, habe mich dann immer mehr auf die homöopathische Heilmethode ausgebildet und führe seit über 16 Jahren eine rein homöopathische Praxis.

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Der ER: Können Sie den Tag noch sagen?

Zeuge: Ja, es war ein Dienstag Nachmittag um 15.00 Uhr, wo ich normalerweise nicht ordiniere. Da die Sache dringlich war, habe ich außerhalb meiner regulären Ordinationszeit Herrn Pilhar und seine Tochter Olivia drangenommen. Bezüglich das Datums habe ich nochmals nachgesehen. Normalerweise schreibt meine Ordinationshilfe das Datum in meine Kartei. Ich selbst habe möglicherweise nicht auf den Kalender geschaut. Es war mit Sicherheit der Dienstag, weil ich da nachmittags normalerweise keine Patienten drannehme. Das war der 05.07.1995. Ich müßte nochmals im Kalender 1995 nachsehen; es war der erste Dienstag des Monats Juli.

Der ER: Sind beide Eltern zu Ihnen gekommen?

Zeuge: Nein, Herr Pilhar ist mit Olivia gekommen.

Der ER: Was wollte man von Ihnen?

Zeuge: Er ersuchte mich um einen Beistand vom homöopathischen Heilmittel her. Er hat einen Arzt gesucht, der seine Tochter auch in der nächsten Zeit behandelt. Das hat er von mir gewünscht. Ich habe tags zuvor oder am gleichen Tag in einer Pressemeldung gelesen, daß Eltern ihr krebskrankes Kind aus dem Krankenhaus herausgenommen haben; ich wußte nicht, daß das sein Name war. Dann habe ich erfahren, daß das seine Geschichte ist. So habe ich ihm dann in dieser Situation geraten. Ich habe in der Ordination erfahren, daß er im Krankenhaus gewesen ist; aufgrund seiner Angst oder seiner Einschätzung der Chemotherapie wollte er einen anderen Weg einschlagen und war bei Dr. Hamer. Außerdem hat er dann noch mich aufgesucht. Das war sehr schwierig; er wußte auch, daß er

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sein Kind wieder ins Spital zurückbringen sollte. Ich habe gehört, daß ein Verfahren laufen soll, daß er sein Kind zurückbringen solle. Ich habe ihm geraten, es gebe eine Möglichkeit an der Grazer Kinderchirurgie, nämlich Herrn Univ.-Prof. Hugo Sauer, einen sehr anerkannten Kinderchirurg, mit dem ich persönlich ein gutes Verhältnis habe, aufzusuchen. Ich werde mich dafür einsetzen, daß möglicherweise, wenn es von chirurgischer Seite abzuschätzen ist, eine chirurgische Entfernung des Tumors von Prof. Sauer ohne präoperative Chemotherapie durchgeführt wird. Ich habe gleich am nächsten Tag mit Prof.Dr. Hugo Sauer persönlich gesprochen und ihn gebeten, die Patientin Olivia zu übernehmen, wenn die Eltern kommen sollten. Er hat mir das auch zugesagt und hat mir erklärt, er ist ab 15.08.1995 im Urlaub, d.h. er ist noch fünf Wochen da, es würde sich also ausgehen. Das war das eine. Das andere war, daß ich natürlich Olivia untersucht habe, so gut ich konnte, weil ich ja für gewöhnlich auch die Angaben der Mutter brauche, die natürlich andere Krankheitssymptome von Olivia gewußt hätte; es war mir aber aufgrund der wesentlichen Symptome und der Geschichte ziemlich klar, daß ich ein passendes Heilmittel finde. Ich habe daher ein Tumor-Leber-Nieren-Mittel verordnet und Herrn Pilhar aufgetragen, er solle mich in den nächsten Tagen ständig unterrichten; wenn sich der Zustand bessert, können wir so fortfahren, sollte sich nichts ändern, dann müßte er doch in der nächsten Zeit zumindest den Chirurgen aufsuchen. Es war so, daß die Atembewegungen nicht ganz symmetrisch waren. Wenn ich nicht aus der Presse gewußt hätte, daß es sich um einen Wilmstumor handelt, hätte ich primär angenommen, es handle sich um einen Lebertumor, auch aufgrund anderer Symptome. Ich habe Olivia schließlich ein

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homöopathisches Heilmittel verabreicht. So sind wir dann in Verbindung geblieben. Es sind in den Tagen darauf mehrere Male telefonische Anrufe erfolgt. Einige Tage gab es eine wesentliche Erleichterung. Ich habe das aber mit Vorsicht beurteilt, weil ich natürlich auch die Situation der Eltern gekannt habe, es solle jetzt schnell besser werden. Es gibt bei jeder Krankheit einmal einige Tage Besserung und auch Verschlimmerung. Es hat sich aber im nachhinein doch gezeigt, daß gerade jenes Heilmittel, das ich verabreicht habe, tatsächlich sehr gutes bewirkt hat.

Der ER: Was wußten Sie zum Zeitpunkt, als Herr Pilhar mit seiner Tochter Sie in der Ordination aufgesucht hat, definitiv über den Grad der Erkrankung?

Zeuge: Als ich wußte, daß Herr Pilhar mich mit Olivia aufsuchen wird, habe ich mich natürlich sofort informiert und auch mit der pathologischen Anatomie Graz Kontakt aufgenommen, um mir Unterlagen zu erwerben, die ich auch bekommen habe. Nach der Untersuchung wußte ich, so wie ich es auch niedergeschrieben habe: Sie war in einem relativ guten Allgemeinzustand, hat im Laufe dieser Stunde der Untersuchung zeitweise stechende Schmerzen gehabt, aber der Tumor war ausgedehnt, es war ein großer, raumfordernder Prozeß im Entstehen, der nach der Einschätzung in den letzten Monaten zugenommen haben mußte. Das war der Zustand, den ich mit meinen Möglichkeiten der Anamnese, der Schilderung der Krankheitsgeschichte, der feinen Symptome und auch des Abtastens mit den Händen und der äußeren Inspektion festgestellt habe.

Der ER: Worauf bezieht sich von Ihrem Standpunkt und Ihrer Therapie aus die Homöopathie, die Verabreichung homöopathischer Mittel? Hat das auch

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etwas mit dem Tumor selbst zu tun und mit den allfälligen Operationen? Welche Funktion sollten Sie bei der ganzen Sache haben?

Zeuge: Es gelingt auch in der Homöopathie nicht sehr häufig und überaus regelmäßig, aber doch auch, daß Tumoren unter der homöopathischen Behandlung zurückgehen. Ich habe eigene Erfahrungen und auch die meiner Kollegen und die ganze homöopathische Literatur.

Der ER: Heißt das, daß Sie geglaubt haben, daß durch eine homöopathische Behandlung allein diese Krankheit zu beherrschen wäre?

Zeuge: Das wäre vom Verlauf abhängig gewesen. Wenn das zurückgegangen wäre, wie es auch schon vorgekommen ist, dann hätten sich weitere Schritte erübrigt. Ich habe aber, gerade in der Einschätzung der schon vorhandenen Größe des Tumors, im Auge behalten, daß höchstwahrscheinlich eine Operation zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu umgehen sein wird. Deshalb habe ich auch Kontakt mit Prof.Dr. Sauer aufgenommen.

Der ER: Mit welchem Ergebnis ist Herr Pilhar von Ihnen weggegangen? Was haben Sie ihm gesagt? Sie geben ihm das homöopathische Mittel und damit wird alles gut, oder, das Mittel wird nur vorübergehende Linderung bringen? Wie ist Herr Pilhar von Ihnen fortgegangen?

Zeuge: Ich sagte ihm, er müsse mich in den nächsten Stunden und Tagen über den Verlauf der Erkrankung informieren, und wenn sich in der nächsten, kürzeren Zeit nichts ändert, müsse er doch einen chirurgischen Arzt aufzusuchen, weil sonst bei weiterer Zunahme doch eine tatsächlich akut bedrohliche Situation

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eintreten wird. Das habe ich ja auch erreicht, daß er immerhin etliche Wochen später nach Tulln gegangen ist.

Der ER: Zu dem Zeitpunkt, als Herr Pilhar mit Olivia bei Ihnen war, haben Sie die Situation noch nicht als akut betrachtet?

Zeuge: Akut gefährlich, bedrohlich, so war es nicht. Sie konnte herumgehen, sie sprach normal und hatte zeitweise stechende Schmerzen. Der Lebertumor war zwar in einer sicherlich beunruhigenden Größenzunahme, aber daß man im Augenblick von einer Lebensbedrohung sprechen konnte, war sicherlich nicht der Fall.

Der ER: Wo waren Sie zum Zeitpunkt 05.07.1995? Sie waren nicht mehr zu Hause?

Erstbeschuldigter: Ich muß einen Irrtum aufklären: Ich war mit Olivia am 04.07.1995 bei Dr. Loibner. Ich weiß das deshalb, weil wir dann am frühen Morgen, gegen 3.00 Uhr, nach Deutschland aufgebrochen sind. Am 05.07.1995 war dann die Help-TV-Sendung; diese war an einem Mittwoch. Wir sind schon von Kärnten aufgebrochen.

Der ER: Am 24.07.1995, nach der Rückholung, sagen Sie in Ihrem Protokoll, wären Sie auf einer Nachtvisite gewesen?

Zeuge: Ja.

Der ER: Was war der Grund dafür?

Zeuge: Ich war in meinem Urlaubsort in Niederösterreich. Als ich aus den Medien gehört habe, daß die Familie Pilhar zurückgekehrt ist, habe ich mich gemeldet. Falls sie wieder mit mir Kontakt aufnehmen wollten, war ich ja nicht in meiner Ordination. Ich habe ausrichten lassen, daß ich unter dieser Telefonnummer erreichbar wäre, falls der Wunsch bestünde, meine Hilfe oder meinen Rat in Anspruch zu nehmen. Ich wurde dann etwas später darum gebeten. Das

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war an einem Nachmittag. Bis ich dann dort war, war es 20.00 Uhr abends oder etwas später.

Der ER: Sie sagen „Der Allgemeinzustand der Patientin war sehr schlecht“?

Zeuge: Er hat sich gegenüber dieser Zeit auffällig verschlechtert. Das habe ich beschrieben. Sie war wesentlich blasser. Das hat mich im Augenblick sehr beeindruckt. Ich habe ganz ehrlich jetzt diesen Zustand so beurteilt, daß nur mehr geringe Chancen bestanden und schon ein kleines Wunder passieren müßte, wenn Olivia noch mit dem Leben davonkommen sollte. Das deckt sich auch mit der Beurteilung vieler anderer Kollegen.

Der ER: Offenbar ist die Überlebenschance im jetzigen Zeitpunkt auch zwischen Ihnen besprochen worden, denn es heißt in Ihrem Protokoll: „Desgleichen sprach ich aus, daß die Patientin voraussichtlich eine Chemotherapie zum jetzigen Zeitpunkt schwerlich überstehen würde.“ Wie ist das zu verstehen?

Zeuge: Ich habe gemeint, daß jeder Eingriff, ob ein chirurgischer Eingriff oder eine Chemotherapie, für das Kind sehr schwer zu überstehen sein würde, weil es in einem sehr, sehr schlechten Zustand war. Ich konnte mir das eigentlich nicht vorstellen, daß es überhaupt noch davonkommt. Es wurde auch kurz überlegt, ob sie nach Graz gehen sollte. Ich hätte ihr nicht einmal einen Transport nach Graz zugemutet. Als ich am nächsten Tag gehört habe, daß die Familie mit Olivia nach Tulln gegangen ist, dachte ich, diese kleine Reise wird sie überstehen.

SV Dr. Scheithauer: Mich irritiert, daß zuerst der Allgemeinzustand gut war, nach Verabreichung der Homöopathika besser war. Zu dem Zeitpunkt ist bei dem Wilmstumor keine Chemotherapie, keine operative

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Intervention überlegt worden. Wenige Wochen später erwartungsgemäß in Kenntnis des Krankheitsverlaufes befindet sich das Kind in einem sehr schlechten Zustand, und da wurde keine Chemotherapie, keine Operation mehr für möglich erachtet. Daran, daß man einen Patienten mit einer so seltenen Krankheit, die ausschließlich an spezialisierten Zentren behandelt wird, umgehend an ein spezialisiertes Zentrum weiterleiten sollte und zusätzlich homöopathische Maßnahmen machen sollte, haben Sie nicht gedacht?

Zeuge: Es ist nicht richtig, wenn Sie sagen, ich hätte eine chirurgische Intervention nicht erwogen. Davon habe ich gesprochen und aus diesem Grund habe ich auch mit Prof. Sauer sofort Kontakt aufgenommen. Ob das allein mit homöopathischen Mitteln behandelbar ist, hängt – wie ich schon ausgeführt habe – von den nächsten Tagen ab. Innerhalb der nächsten Tage müßte sich zeigen, ob die Therapie greift, und wenn nicht, wird eine chirurgische Intervention notwendig werden. So war das.

Der ER: Haben Sie nicht die Einlieferung in ein anerkanntes österreichisches Therapiezentrum erwogen?

Zeuge: Zu diesem Zeitpunkt, als Herr Pilhar in so einer Verfassung gewesen ist, wo er sich schon mehr oder minder auf der Flucht befunden hat, war es unvorstellbar, zu einer Chemotherapie oder einem Zentrum, wo mit Sicherheit Chemotherapie begonnen wird, zu raten. Ich glaube, Herr Pilhar hat mich auch nicht aus diesem Grund als homöopathischen Arzt aufgesucht, daß ich ihn umgehend zur Chemotherapie schicke. Ich habe zumindest soviel Vertrauen gewonnen, daß ich ihm sagen konnte, wenn das nicht greift, wird es nicht ausbleiben, eine chirurgische Intervention durchzuführen.

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Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie aktiv eine Empfehlung für die Chemotherapie abgegeben?

Zeuge: Nein. Ich habe mich seit vielen Jahren natürlich auch immer wieder mit der Chemotherapie beschäftigt; nach über 20 Jahren homöopathischer Tätigkeit und gründlicher freiberuflicher ärztlicher Tätigkeit habe ich nicht dieselbe Sympathie für die Chemotherapie wie andere meiner Kollegen. Ich halte die Chemotherapie für eine ultima ratio, eine ratio ultissima, die allerletzte Möglichkeit. Nachdem auch in Amerika etwa auch beim Wilmstumor eine präoperative Chemotherapie nicht durchgeführt wird, nur eine postoperative, teile ich die Meinung der Chemotherapeuten nicht, daß das das einzig Maßgebliche wäre. Eigentlich ist die chirurgische Intervention bei der Behandlung das eigentlich bislang Erfolgversprechende. Bei Olivia wurde eine Bestrahlung neben der Chemotherapie durchgeführt. Das möchte ich betonen, weil das so dargestellt wird, als ginge es nur um die Chemotherapie.

Verteidiger Dr. Schefer: In welchem Krankenhaus ist der von Ihnen genannte Prof. Dr. Sauer tätig?

Zeuge: Er ist der Vorstand der Universitätskinderchirurgie Graz.

Verteidiger Dr. Schefer: Wie haben Sie Olivia untersucht?

Zeuge: Mit den Möglichkeiten, mit denen ein Allgemeinarzt untersucht; erstens eine sorgfältige, gründliche Anamnese mit Beginn der Erkrankung. Ich muß ergänzen, ich habe noch um 22:00 Uhr abends mit Frau Pilhar telefonisch noch eine ca. viertelstündige Exploration gemacht, wobei sie

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mir noch ergänzende Symptome durchgegeben hat; weiters nicht labormäßig und nicht apparativmäßig, sondern mit den Möglichkeiten der Inspektion und der Palpation, d.h. man tastet den Tumor, betrachtet die Größe und die Blutarmut. Sie war zu diesem Zeitpunkt z.B. nicht blutarm, sondern sie war gar nicht angegriffen. Was zu diesem Zeitpunkt vorgelegen ist, war der beeindruckend größere Tumor über der Lebergegend bzw. zeitweise stechende Schmerzen.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben also eine Tastbefundung geführt?

Zeuge: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: SV Dr. Scheithauer hat ausgesagt, daß die Tastbefundung bei Wilmstumoren nicht durchgeführt werden sollte, weil die Gefahr einer Ruptur besteht und daß es sich um einen absoluten Kunstfehler handeln würde, wenn man in Kenntnis des Wilmstumors eine solche Untersuchung durchführt.

Zeuge: Der homöopathische Arzt wird zu den sanften gerechnet. Ich habe nicht mehr getastet als einen großen Bauch. Wirklich die Lebergröße oder den Leberrand intensiv, wie man das durch heftiges Eindrücken macht, habe ich mich nicht getraut. Die rechte obere Körperhälfte, speziell der rechte Oberbauch und die Schmerzen, die darunter angegeben wurden, waren das einzige, was ich feststellen konnte, aber richtig zu palpieren, indem man den Bauch eindrückt, um den Leberrand wirklich zu ertasten, war ohnehin nicht möglich.

Verteidiger Dr. Schefer: Es gibt also eine differenzierte Möglichkeit, einen Tastbefund durchzuführen?

Zeuge: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, wenn Sie nicht gewußt hätten, daß es sich um einen

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Wilmstumor gehandelt hat, hätten Sie aufgrund Ihrer Untersuchung angenommen, es handle sich um einen Lebertumor. Warum?

Zeuge: Das habe ich angenommen. Es war ein Geruch im Stuhl, der gewöhnlich doch auf Verdauungsstörungen hinweist.

Verteidiger Dr. Schefer: Wurde Ihnen das berichtet oder war das eine eigene Wahrnehmung?

Zeuge: Nein, das war ein Bericht, den ich später durch die Mutter erfahren habe. Das war ein giftiger Geruch, so wurde es mir geschildert. Das war das erste Symptom, das im Stuhl aufgetreten ist. Dann waren stechende Schmerzen im rechten Bauch bzw. im rechten Unterbauch. Stechende Schmerzen, von stechendem Charakter, sind für gewöhnlich sowohl bei Leber- als auch bei Nierenerkrankungen häufig anzutreffen. Es ist nicht wesentlich für mich, einen Lebertumor festzustellen; das ist für die homöopathische Diagnose nicht entscheidend, sondern die Gesamtzahl der Symptome. Der dritte Grund, warum ich eine Lebererkrankung sicherlich miteingeschlossen habe, war das Gemütsverhalten. Sie wurde mir nämlich als leicht beleidigt, als leicht gekränkt geschildert. Es ist bekannt, daß besonders Menschen, die mit der Leber sensibel sind, zu Ärger und Beleidigung besonders geneigt sind. Das hätte ich angenommen, aber ich habe vorher gewußt, es handelt sich um einen Wilmstumor; daß die Leber im ganzen Geschehen mitbeteiligt sein müsse, war mir klar, aber einen Lebertumor selbst definitiv festzustellen, war mir nicht möglich und auch nicht entscheidend.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist diese Möglichkeit, die sich in Graz geboten hätte, mit Operation ohne

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vorherige Chemotherapie vorzugehen, mit den Eheleuten Pilhar besprochen worden?

Zeuge: Das habe ich, glaube ich, wohl dem Herrn Pilhar angedeutet, daß ich mich verwenden werde.

Verteidiger Mag. Rebasso: Gab es da ein Einvernehmen, ein Einverständnis, eine Zustimmung?

Zeuge: Als Herr Pilhar dann aus Spanien zurückgekommen ist, war eines seiner ersten Worte, die er zu mir gesagt hat, „Ich hätte auf Sie hören sollen“; schon in diesem Sinne, daß den operativen Weg zu Prof. Sauer, was auch noch eine Zeitlang erwogen worden ist, einzuschlagen wahrscheinlich günstiger gewesen wäre.

Verteidiger Mag. Rebasso: Mir liegt ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 07.05.1995, in welchem Herr Gruber für das Jugendamt firmiert und sinngemäß das Einverständnis erklärt, so vorzugehen, also in Graz die Behandlung fortzusetzen. Haben Sie das koordiniert?

Zeuge: Mit Dr. Vacarescu, der Herrn Pilhar kurz vertreten hat, habe ich Gespräche geführt. Ich glaube, auch er hat sich bei Prof. Sauer gemeldet wie auch ich.

Verteidiger Mag. Rebasso: Das war sozusagen mit dem Jugendamt koordiniert?

Zeuge: Er hat eine Nachricht bekommen und wollte mir sogar faxen, daß ein Vorhaben besteht, Olivia bei Prof. Sauer in Behandlung zu bringen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Gab es dazu eine Zustimmung von seiten des Jugendamtes Ihrer Erinnerung nach?

Zeuge: Er hat es mir vorgelesen und wollte es mir faxen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt kein Faxgerät, worauf ich mir das dann wenig später nachgeholt habe. Dann

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hätte ich das in der Hand gehabt. Er hat es mir vorgelesen, aber ich habe den Inhalt nicht so in Erinnerung.

Verteidiger Mag. Rebasso: Also koordiniert wurde es nicht von Ihnen, sondern von Dr. Vacarescu?

Zeuge: Ja, aber er wollte es mir schicken, weil ich es initiiert habe, weil es von mir ausgegangen ist.

Der ER: Warum ist es nicht zur Operation in Graz gekommen, wenn man von dem ausgeht, was Dr. Loibner sagt?

Erstbeschuldigter: Ich möchte auf Dr. Leeb zu sprechen kommen mit dem Urologen Davaruca aus Nürnberg. Wir haben mit Herrn Davaruca einen Termin ausgemacht gehabt, allerdings für eine Woche später aus Termingründen. Eine Woche später haben wir aber Kenntnis davon erhalten, daß uns das Sorgerecht entzogen worden ist. Es ist ziemlich drunter und drüber gegangen. Ähnlich war es bei Dr. Loibner. Ich war mit Olivia am Nachmittag, am Abend bei Dr. Loibner. Es hat dann um 22.00 Uhr das Telefonat zwischen Dr. Loibner und meiner Frau stattgefunden. Wir haben uns dann gegen 3.00 Uhr morgens überstürzt zusammengepackt und sind sofort nach Deutschland gefahren, weil Gerüchte laut geworden sind, daß wir mit Interpol in Österreich gesucht werden. Von Deutschland aus habe ich mit Dr. Loibner noch des öfteren telefoniert. Es war auch so, daß sich der Gesundheitszustand, das Befinden von Olivia wirklich gebessert hat. Es gibt da auch entsprechende Videoaufnahmen.

Der ER: Sie haben doch gesagt, so schlecht wie in Deutschland ist es Olivia sonst nie gegangen.

EB: Einige Tage; wie Dr. Loibner angedeutet hat, gibt es Schwankungen im Krebsgeschehen. Es gibt

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Aufnahmen vom Chiemsee, auf denen man Olivia mit dem dicken Bauch im Badeanzug sieht. Ich meine, sie ist baden gegangen; sie hat sich eigentlich wohlgefühlt. Das war am Mittwoch. Eine Woche später, als das Spiegel-TV-Team bei uns war, hat Olivia kaum gehen können. Sie hat richtig Schweißperlen gehabt; nach zwei, drei Tagen konnte sie wieder gehen. Das ist nur so dahingegangen.

Der ER: Heißt das, daß es in Graz zu dieser Möglichkeit, von der Dr. Loibner gesprochen hat, deshalb nicht gekommen ist, weil Sie mit dem Kind auf der Flucht waren?

EB: Wir haben sehr wohl Kenntnis von Dr. Loibner bekommen, daß es diese Möglichkeit gäbe. Zu diesem Zeitpunkt war aber auch die Möglichkeit im Gespräch, die Frau Dr. Petrovic in Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Pichler aus der Help-TV-Sendung zu erarbeiten versucht hat, daß ein Team von Ärzten der Neuen Medizin und ein Team der Schulmediziner Olivia, in Behandlung nehmen könnten. Wir haben auch dahingehend gesprochen, glaube ich, daß wir Dr. Sauer mit einbeziehen möchten. Das ist parallel gegangen. Die Information von Dr. Pichler war die, daß sich kein Schulmediziner bereiterklärt. Wir haben zwar unsererseits Ärzte nennen können, aber Dr. Pichler sagte wortwörtlich: „Die Schulmediziner haben Hosenflattern“.

Der ER gibt bekannt, daß die Zeugin Dr. Elisabeth Rozkydal am heutigen Morgen mit einem Telegramm bekanntgegeben hat, daß sie erkrankt sei und nicht zur Verhandlung erscheinen könne.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was war der Grund für Ihr Verschwinden nach Deutschland, weswegen es

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nicht mehr dazu gekommen ist, daß man dieser Behandlung in Graz nähertreten konnte?

EB: Ich habe zuvor erwähnt, es hat Gerüchte gegeben, daß wir in Österreich mit Polizei gesucht werden sollen. Natürlich haben wir uns vor der Zwangstherapie gefürchtet. Deshalb sind wir um 3.00 Uhr morgens nach Deutschland aufgebrochen.

Verhandlungsunterbrechung
von 12.20 Uhr bis 13.40 Uhr

Zeuge Dr. Willibald Stang

geboren 28.06.1939, prakt. Arzt, wh. 3430 Tulln, Wildgasse 7, fremd, gibt nach WE vernommen an:

Meine Angaben im Protokoll vom 19.12.1995 vor dem Bezirksgericht Tulln sind richtig.

Amtsarzt oder Bezirksarzt umfaßt die Tätigkeiten in prophylaktischer Hinsicht für den ganzen Bezirk, ob das nun Impfungen sind, Wasserhygiene, Abwasserbeseitigung, Luftreinhaltung, Gewerbeordnung, alles, was in den menschlichen Bereich an nachteiligen Sachen hineinspielen könnte; in der prophylaktischen Medizin sind Impfungen enthalten, Beratungen, wenn Leute etwas brauchen, amtsärztliche Zeugnisse auszustellen bei den Gelegenheiten, die im Gesetz vorgesehen sind.

Der ER: Wie kam der Kontakt mit den Eheleuten Pilhar zustande; in Ihrer Funktion als Amtsarzt oder hat das mit etwas anderem zu tun?

Zeuge: Sicher als praktischer Arzt.

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Der ER: Waren sie bei Ihnen in der Ordination als praktischer Arzt?

Zeuge: Nein. Es war ca. Mitte Mai des vergangenen Jahres. Herr Pilhar, der mir unbekannt war, hat mich angerufen und mir mitgeteilt, daß bei seiner Tochter eine Krebserkrankung festgestellt worden sei; ich möge ihm helfen. Durch das Telefon gebe ich nicht gerne Auskünfte, denn diese können prinzipiell alle falsch sein. Ich habe ihn gefragt, wer die Diagnose gestellt hat und was er bereits unternommen habe. Er hat mir mitgeteilt, er sei im St.Anna-Kinderspital gewesen und dort habe man ihm zu einer Chemotherapie und anschließend vielleicht einer Operation geraten. Er fürchte sich aber vor der Chemotherapie für sein Kind. Am Telefon so plötzlich konfrontiert kann man natürlich keine wirklich umfassenden Auskünfte geben. Ich habe ihm damals geraten, er solle neuerlich eine Computertomographie machen lassen, um festzustellen, ob der Tumor wirklich so groß ist, oder ob er Tendenz zum Wachsen zeigt. Wenn das der Fall wäre, dann muß gehandelt werden. Das hat er getan. Er hat mich dann wieder angerufen, ich glaube, das war eine Woche später, und hat mir mitgeteilt, der Tumor sei gewachsen. Daraufhin habe ich ihm gesagt, jeder Tumor, der wächst, kann Probleme machen, hier muß etwas geschehen, er solle sich mit Ärzten in Verbindung setzen, die diese Dinge behandeln können. Das St.Anna-Kinderspital hat ihm offenbar absolut nicht goutiert. Daraufhin habe ich ihm gesagt, es gibt auch andere Kliniken, man kann auch nach Graz oder Innsbruck oder, wenn man es sich leisten kann, privat irgendwo hingehen, damit die Sache einmal in den Griff kommt. Das war es schon. Ich bin dann auf Urlaub gegangen. Damit war der erste Kontakt mit der Familie Pilhar vorbei.

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Der ER: Von wann an haben Sie Kontakt gehabt?

Zeuge: Das kann etwa nach dem 15.05. bis zum 28.05.1995 gewesen sein. Es war nicht sehr lange, weil ich schon Urlaubsvorbereitungen gehabt habe und dann weg war.

Der ER: Das war die Zeit vor Spanien. Wie und warum sind Sie nach der Rückkehr aus Spanien wieder eingebunden worden?

Zeuge: Warum weiß ich nicht. Ing. Pilhar hat nach der Rückkehr aus Spanien angerufen und hat mich um Hilfe gebeten. Es solle etwas geschehen. Ich sagte, ich kann ihm nicht helfen, als Praktikus hat man mit Tumoren wenig zu tun. Das kommt einem vielleicht ein-, zweimal in der Praxis unter, aber allein aus den TV-Bildern war mir klar, daß das Kind in keinem guten Zustand gewesen ist. Ich habe ihm angeboten, daß man das Kind eventuell in Tulln im Krankenhaus aufnehmen kann, um einmal zu schauen, was wirklich los ist oder, was man einmal an Behandlung machen kann. Ich habe mich dann sofort mit dem Leiter der Kinderabteilung, Prim. Vanura, in Verbindung gesetzt, bin persönlich zu ihm hingegangen und habe ihm die Situation geschildert. Er hat ja schon einiges aus den TV-Sendungen gewußt und hat sich sofort bereiterklärt, das Kind aufzunehmen, wenn die Familie einverstanden ist. Ich habe dann Herrn Pilhar zurückgerufen und habe ihm das mitgeteilt und zu ihm gesagt, sie können am Vormittag, das war glaublich ein Dienstag, in das Krankenhaus Tulln kommen; es sei alles vorbereitet, sie haben ein Zimmer für sich, die Mutter muß dabeisein. Das war dann das Telefongespräch. Am Abend haben wir uns noch mit Dr. Zimper und Dr. Marcovich in der Ordination von Frau Dr. Rozkydal

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getroffen. Herr Pilhar wollte immer wieder wissen, ob bei dem Kind eine Chemotherapie gemacht wird oder nicht. Das habe ich ihm nicht versprechen können, denn die Behandlung in einem Krankenhaus geht mich nichts an. Das macht der Abteilungsleiter. Wir haben versucht, Herrn Pilhar zu informieren, daß es jetzt wichtig ist, daß das Kind auf die Station kommt, um eventuell Infusionen zu geben bzw. Schmerzbekämpfung zu machen. Das hat ziemlich lang gedauert, bis in die Nacht hinein. Die Familie Pilhar ist am nächsten Tag prompt zur vereinbarten Zeit im Krankenhaus Tulln erschienen. Das war mein Beitrag. Damit hat es sich schon gehabt.

Der ER: In Ihrer Aussage (AS 453) heißt es: „Am Tag nach der Einlieferung der Olivia ins Krankenhaus Tulln verweigerte Herr Pilhar plötzlich jegliche diagnostische Untersuchung bzw. auch die geplante Behandlung mit Zytostatika. Unter welchem Einfluß er dies plötzlich machte, kann ich nicht sagen, jedoch vermute ich die Beeinflussung durch verschiedene alternative Gruppen, die skurrile und absurde Ideen vorbrachten, wie das Kind zu heilen sei.“ Wieso war es für Sie plötzlich?

Zeuge: Ich wurde von Dr. Zimper bzw. von unserem Bezirkshauptmannstellvertreter angerufen; diese haben mir mitgeteilt, es gibt Schwierigkeiten bei der Untersuchung des Kindes und auch bei der Behandlung. Ich möge ins Krankenhaus kommen. Das habe ich auch getan.

Der ER: Inwiefern war das für Sie plötzlich?

Zeuge: Weil es anders ausgemacht war. Die Familie Pilhar hatte zugestimmt, das Kind ist ja dann am Tag nach der Aufnahme zu einer Untersuchung geführt worden

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nach Stockerau oder Korneuburg, ich weiß nicht mehr wohin. Das ist ja durchgeführt worden. Dann plötzlich war diese Zäsur.

Der ER: Weiter heißt es in Ihrer Aussage: „Jedenfalls vermute ich, daß die Familie Pilhar nicht ausschließlich unter dem Einfluß Hamers stand.“

Zeuge: Was sind Vermutungen? Es war ein Faktum da, daß die Behandlung nicht durchgeführt werden kann. Ich habe nur im Krankenzimmer so viele Leute gesehen, was mir persönlich eigentlich weh getan hat, denn wenn ein schwerkranker Mensch im Bett liegt und Schmerzen hat, und es gehen so viele Leute aus und ein, es ist mit Handys telefoniert worden, das tut einem eigentlich weh, wenn man weiß, daß ein Patient dauernd Ruhe braucht. Es waren Leute drin, die mir persönlich nicht sehr sympathisch vorgekommen sind, aber das ist mein persönlicher Eindruck. Der hat ja nichts Sachliches zu sagen.

Der ER: Sie sagen „…vermute ich die Beeinflussung durch verschiedene alternative Gruppen, die skurrile und absurde Ideen vorbrachten… Meinen Sie damit, daß das nicht ausschließlich Hamer, sondern auch diese ´skurrilen Gruppen´ sind? Haben Sie einen Anhaltspunkt dafür?

Zeuge: Ich habe keinen Hinweis, ob eine Verbindung mit Dr. Hamer hergestellt worden ist. Ich habe mit Dr. Hamer zu keinem Zeitpunkt über die Causa Olivia gesprochen. Wie weit die Familie Pilhar mit ihm Kontakt gehabt hat, weiß ich auch nicht. Es hat mich nur eines gestört in diesem Krankenzimmer, daß eine Frau mit einer Beschwörungsformel gekommen ist und mit einem deutschen Kollegen telefoniert hat und gesagt hat: „Hier liegt ein Kind mit einem Platzbauch, hilf uns, es muß hier etwas

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geschehen.“ Das war für mich etwas, was mich gestört hat. Das meine ich mit ´skurril´.

Der ER: Wer wäre Ihrer Meinung nach noch beteiligt gewesen, wenn Sie sagen „nicht ausschließlich“?

Zeuge: Das weiß ich nicht. Ich kenne die Leute nicht. Ich habe sie nicht gekannt. Das ist eine reine Vermutung. Die will ich nicht näher ausführen.

Der ER: Der letzte Satz in Ihrem Protokoll lautet: „Abschließend möchte ich sagen, daß von Ing. Pilhar die Darstellung des lebensbedrohenden und gefährlichen Zustands von seiten der Ärzte und auch von mir nicht angenommen wurde und deshalb eine Kooperation mit ihm unmöglich war.“ Auf welche Fakten beziehen Sie sich bei dieser Schlußfolgerung?

Zeuge: Als die Mitteilung gekommen ist, daß die Behandlung dort nicht durchgeführt werden kann, habe ich mich mit ihm längere Zeit unterhalten. Ich habe ihn gebeten, daß er doch zustimmen solle, daß dem Kind etwas an schmerzstillenden Medikamenten gegeben wird, daß man doch etwas unternehmen müsse, denn nach den Röntgenbildern war ja nur mehr eine Tumormasse im Bauch zu sehen. Das gibt einfach lebensbedrohliche Probleme. Er war irgendwie fast zugemacht, weil er geglaubt hat, dem Kind werden Morphiumtabletten gegeben. Ich habe versucht, ihm das auszureden. Ich sagte, diese Medikamente, die das Kind bekommen hat, waren Kinder-Asprotabletten, die waren originalverpackt, das kann man nachweisen. Er sagte, nein, er vermutet, daß dem Kind schon irgendwelche schweren schmerzstillenden Medikamente morphinhältigen Inhaltes gegeben worden seien. Ich habe mich bemüht, das alles zu

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erklären, aber ich bin nicht an ihn herangekommen. Warum und wieso, das weiß ich nicht.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was hat Herrn Pilhar Ihrer Meinung nach bewogen, Sie damals anzurufen.

Zeuge: Das weiß ich nicht. Er hat eben wegen seiner Tochter angerufen. Es ist kein Gespräch vorangegangen, mit niemandem. Das war ein Anruf aus heiterem Himmel.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat er Ihnen damals gesagt, ob schon Befunde vorliegen, hat er Ihnen etwa den Status geschildert, und wenn ja, wie?

Zeuge: Er hat mir gesagt, laut vorliegenden Befunden ist es ein Tumor der Niere, ein sogenannter Wilmstumor. Das war beim ersten Telefongespräch schon der Fall.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat er Ihnen auch über die Therapievorschläge bzw. über die angeordnete Therapie von seiten der Krankenhäuser etwas gesagt?

Zeuge: Ich habe ihn gefragt, was er bereits unternommen hat, was in der Zwischenzeit geschehen ist, ob er irgendjemanden konsultiert hat. Dann war die Mitteilung, ja, das St.Anna-Kinderspital, aber mit dem sei er nicht einverstanden, weil er die Chemotherapie vorgeschlagen bekam und die fürchtet er. Ich habe ihn ja vorher nicht gekannt, aber es war direkt Panik in seiner Stimme, als er über die Chemotherapie gesprochen hat. Was soll man darauf sagen, wenn man den Menschen nicht kennt, den Patienten nicht kennt und so plötzlich konfrontiert wird? Dann versucht man halt, irgendwelche Auskünfte zu geben, die ein

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bißchen zielführend sind, aber am Telefon ist das natürlich immer eine heikle Sache.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie haben Sie aus Ihrer Sicht am Telefon die Möglichkeiten, ohne eine Chemotherapie auszukommen, geschildert?

Zeuge: Beim zweiten Anruf, als ich gehört habe, daß der Tumor gewachsen ist und die Chemotherapie nicht gewünscht wird, habe ich gedacht, vielleicht kann man fragen, ob man den Tumor nicht vorher bestrahlen kann, um dann operieren zu können – aber hier bin ich kein Fachmann. Ich kann nur andeuten, aber nicht sagen, das kann nur so geschehen oder es muß so geschehen. Das sind Auskünfte, soweit man sie als Praktiker geben kann und welche auch gegeben wurden.

Verteidiger Mag. Rebasso: Aber Wilmstumor an sich war Ihnen ein Begriff?

Zeuge: Ja, sicher, man lernt es im Studium, aber wenn man das 20 Jahre nicht braucht, muß man sich wieder erkundigen, was ein Wilmstumor ist. Das habe ich auch getan. Man schlägt halt in den Büchern nach und vergewissert sich, was das für ein Tumor ist, welche Bösartigkeit er hat, welches Wachstum, Verdrängungserscheinungen, Metastasierungen etc. Das habe ich natürlich gemacht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie haben Sie aufgrund dessen dann die Möglichkeiten, ohne eine Chemotherapie auszukommen, dem Herrn Pilhar dargelegt? Oder haben Sie ihm gesagt, er muß auf jeden Fall eine Chemotherapie machen?

Zeuge: Nein. Ich habe ihn gebeten, er soll sich mit Leuten in Verbindung setzen, die diese Sachen beherrschen. Es muß nicht das St.Anna-Kinderspital sein, es

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können auch andere Ärzte, andere Kinderabteilungen oder Kliniken sein. Das muß nicht in Wien geschehen, das kann in Graz oder woanders auch passieren, aber ich kann ihm nur anraten, das Kind stationär aufnehmen zu lassen. Es wäre vermessen, wenn ich irgendwie bestimmen würde, welche Behandlung dann angewendet wird, wenn ich raten oder abraten würde.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie speziell zu den Behandlungsvorschlägen von Dr. Hamer Stellung genommen?

Zeuge: Nein. Ich habe immer gesagt, ein Tumor, der wächst oder Wachstumstendenz zeigt, muß angegangen werden; auf welche Art und Weise, kann ich nicht bestimmen, aber ein Tumor, der wächst, muß behandelt werden. Zur Art und Weise bin ich einfach nicht kompetent.

Verteidiger Mag. Rebasso: Soweit ich aus diversen Kompetenzstücken nachlesen konnte, haben Sie sich ja selbst auch etwas mit Konfliktlösung nach Hamer befaßt und mit anderen Heilmethoden, die im gesamten alternativen Bereich angesiedelt sind?

Zeuge: Ja, das stimmt; ich habe mich sehr intensiv mit den Büchern des Dr. Hamer befaßt, weil ich von Patienten und anderen Gruppen immer wieder aufmerksam gemacht worden bin, in meiner prophylaktischen Tätigkeit. Wenn jemand eine Impfung verweigert hat, oder wenn jemand überhaupt anderer Meinung war, daß man Dinge nicht so machen muß und Hamer zitiert wurde, muß man halt einmal nachschauen, was da drin steht, bevor man eine Antwort geben kann. Ich habe mich damit auseinandergesetzt. Diese Situationen, Konflikte, Streßsituationen, Kränkungen usw., grobe Belastungen, die ein Mensch in seelischer Hinsicht hat,

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fallen einem in der Praxis immer wieder auf. Zusammenhänge, wie es sich dann auf die Organe auswirkt, habe ich bei Hamer zum ersten Mal nachgelesen. Das war irgendwie schon korrelierbar mit Beobachtungen aus der Praxis, was seelische Belastungen betrifft. Das habe ich auch in mein Protokoll hineinschreiben lassen; es ist sicher wünschenswert, daß man bei jeder Behandlung, egal, ob das ein Tumor, eine Entzündung oder eine Verletzung ist, den Leuten immer die nötige psychische Betreuung angedeihen lassen muß, daß man sich auch ein bißchen weiter erkundigt, was unter Umständen den Menschen in diese Krise geführt hat. Dann kann eine Operation sinnvoll sein und erfolgreich sein, dann kann auch eine Bestrahlung unter Umständen sinnvoll sein. Man kann nicht die Leute in ihrem Elend schmoren lassen und hoffen, daß man mit der normalen Therapie, ob es ein Antibiotikum, eine Bestrahlung, eine Operation oder etwas anderes ist, hoffen, daß damit alles aus der Welt geräumt ist. So läuft es in der Medizin sicher nicht. Diese Erfahrung habe ich gemacht. Nur ganz kann ich mich dem, was Dr. Hamer sagt, nicht anschließen; daß man nichts tun muß, nur die Konfliktlösung, das geht nicht. Wenn ein Tumor da ist, oder wenn eine lebensgefährliche Situation besteht, muß man das gesamte Repertoire der Schulmedizin oder auch alternativen Methoden, anwenden, um den Menschen aus dieser Krise zu holen. Dann kann man ja weitere Maßnahmen setzen, psychotherapeutisch bzw. die Situation analysieren, was ihn eventuell dazu gebracht hat. Die Zusammenhänge sind derart auffällig.

Der ER: Haben Sie diese Darstellung auch dem Ehepaar Pilhar gesagt?

Zeuge: Ja, das habe ich gemacht. Ich habe Herrn Pilhar gesagt, daß auch Dr. Hamer in seinen Büchern

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schreibt – das war mein letzter Trumpf, den ich ausspielen wollte – daß ein Tumor, der da ist, operiert werden muß; daß es auch manchmal notwendig ist, zu bestrahlen, wenn die Verdrängungserscheinungen oder Lymphknoten sehr groß sind. Das beschreibt er ja selber auch. Das war etwas, was ich zum Schluß noch angeführt habe in dem letzten Gespräch, daß er hier einsteigt, damit dem Kind die notwendige Behandlung, ob Bestrahlung oder Operation, zukommt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie auch der Auffassung, daß ein gewisses Defizit dieser Komplementärbereiche in der herkömmlichen Behandlung in den Krankenhäusern gegeben ist?

Zeuge: Manchmal schon, ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie in diesem Telefongespräch auch Verständnis gegenüber Herrn Pilhar aufgebracht?

Zeuge: Wenn ein Vater kommt und sagt, mein Kind hat Krebs, durchzuckt es einen wie ein Blitz; wenn man selbst Kinder hat und weiß, was da herauskommt. Da ist alles gespannt und dann rechnet man nach, was könnte man jetzt einfädeln, was könnte man jetzt Sinnvolles machen, damit alles zu einem guten Ende kommt? Es ist in der Medizin so, daß nichts perfekt ist. Sonst hätte man nicht so viele Methoden und Alternativen. Es führt keine Methode allein zum Ziel, aber eine sinnvolle Zusammenführung, eine Kongruenz wäre natürlich für die Patienten in allen Fällen günstig. Ich versuche es zumindest in meiner Praxis.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist diese Meinung auch im Gespräch gegenüber Herrn Pilhar so zum Ausdruck gekommen?

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Zeuge: Ich glaube schon, daß ich das hin und wieder gesagt habe, aber im Detail erinnere ich mich nicht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Herr Pilhar hat gesagt, nach der Rückkehr aus Spanien waren Sie gemeinsam mit Frau Dr. Rozkydal im Krankenhaus beigezogen, um dort die Lage zu besprechen. Sie hätten dort bei der Frage der Diagnose Wilmstumor ein Krebsgeschehen in der Leber nicht ausgeschlossen bzw. sogar für wahrscheinlich gehalten. Wie war das?

Zeuge: Das dürfte ein Mißverständnis sein. Auf den Röntgenbildern, den Computertomogrammen, die wir gesehen haben, war eine Tumormasse. Ich habe nicht unterscheiden können, ob das Leber oder Milz ist oder ineinander geht. Soweit meine Kenntnisse dazu ausreichen, ich bin kein Röntgenologe oder Radiologe – habe ich nur gesagt, hier muß eine Klärung stattfinden, oder es müssen neue Bilder angefertigt werden, aber die Beurteilung kann ich nicht vornehmen. Das ist ja dann auch am Tag später gemacht worden.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie nicht anhand eines Kopf-CT´s auch selbst eine Beurteilung abgegeben?

Zeuge: Nein, das habe ich nicht. Ich habe zwar ein Kopf-CT gesehen, aber da habe ich mich nicht drübergetraut, etwas auszusagen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Auch keine Vermutungen?

Zeuge: Wenn man so unter Druck ist, ist das schwierig zu machen. Solche Bilder schaue ich mir in aller Ruhe an und kann dann vielleicht mit dem Betreffenden darüber reden; aber wenn so ein Druck da ist, ist das immer

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schwierig, und bevor ich eine falsche Aussage mache, schweige ich lieber.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat Herr Pilhar Sie damals noch vor der Reise nach Spanien gebeten, sei es am Telefon oder zu einem anderen Zeitpunkt, die Behandlung von Olivia zu übernehmen?

Zeuge: Er hat mich gefragt, ob ich ihm helfen kann, soweit ich mich erinnere. Eine Behandlung bei einem Tumor zu übernehmen, überfordert einen Praktiker.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat er gebeten, das zu tun? Ist er mit dem Anliegen an Sie herangetreten?

Zeuge: Ich glaube, der Wortlaut war der: „Können Sie was tun“ oder „Können Sie helfen“ oder „Können Sie die Behandlung übernehmen“. Ich erinnere mich nicht mehr so genau. Wenn die Frage danach gefallen ist, eine Behandlung zu übernehmen, dann habe ich sicher verneint. Das geht über meine Möglichkeiten weit, weit hinaus.

Verteidiger Schefer: Haben Sie eine Erklärung für die Ursachen von Wilmstumor?

Zeuge: Ich habe Vermutungen, aber Vermutungen zählen nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Wissen Sie, warum dieser Tumor vorwiegend bei kleinen Kindern auftritt?

Zeuge: Nein.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie Olivia untersucht?

Zeuge: Nein. Ich habe sie einmal im Krankenhaus gesehen, als sie aufgenommen worden ist. Ich habe mit der Mutter im Krankenzimmer oder bei der Aufnahme ein paar Sätze gesprochen. Sie hat mich gefragt, ob man dem Kind helfen kann. Ich habe gesagt, ich glaube

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schon, es wird sicher alles getan werden, um dem Kind zu helfen. Das war es schon. Soweit ich das gesehen habe, hat sie sich dem Kind gewidmet, war dauernd bei dem Kind, hat es getröstet. Das hat mich schon irgendwie beruhigt.

Verteidiger Dr. Schefer: Die Eheleute Pilhar wollten die chemotherapeutische Behandlung nicht haben. Es ging nicht um die operative Behandlung. Wir haben vorhin gehört, daß in Amerika der Wilmstumor vermehrt ohne präoperative chemotherapeutische Behandlung operiert wird. Ist Ihnen das bekannt?

Zeuge: Ja, das ist mir bekannt.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie zum damaligen Zeitpunkt die Eheleute Pilhar davon informiert, daß das woanders gemacht wird?

Zeuge: Nein, diese Information habe ich erst bekommen, als das Ganze schon gelaufen ist.

Verteidiger Dr. Schefer: Sollten Sie bei einem ärztlichen Konzilium beigezogen werden, bei der Zusammenkunft mehrerer Ärzte, Schulmediziner und Alternativmediziner. War so etwas mit Ihrer Anwesenheit geplant?

Zeuge: Wir haben eine Zusammenkunft im St. Anna-Kinderspital mit Prof. Gadner, Prof. Horcher und Radiologen des St. Anna-Kinderspitales und Frau Dr. Rozkydal gehabt. Hier ist es um eine rein sachliche Information gegangen, in welchem Stadium der Tumor ist, welche Auswirkungen er hat. Das wurde uns von dem Röntgenologen vorgezeigt. Ob eine andere Behandlung zu machen wäre oder nicht, war eigentlich nicht die Frage. Wir waren dabei, als diese Dinge besprochen worden sind. Ich habe dort auch gesagt, das Kind ist bereits stationär aufgenommen.

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Prof. Gadner hat das schon gewußt, hat dazu aber nichts gesagt.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie mit Prof. Gadner selbst gesprochen?

Zeuge: Wir haben mit allen Leuten persönlich gesprochen.

Der ER: Haben Sie in diesem Zusammenhang irgendwelche Schwierigkeiten von seiten der ärztlichen Institutionen gehabt?

Zeuge: Bei dieser Angelegenheit mit der Familie Pilhar überhaupt nicht.

Wenn man in der Medizin etwas unternimmt und es geht gut, ist es selbstverständlich. Wenn man etwas unternimmt und es geht schief, hat man immer die Kritik. Das hat man bei jeder Methode, die man anwendet. Damit muß man leben und damit lebe ich auch. Standesrechtlich bekommt man ganz sicher Schwierigkeiten, wenn man das Ärztegesetz gröblich verletzt, oder wenn man Kunstfehler macht usw. Ich bin zu keinem Zeitpunkt von der Ärztekammer oder der Standesvertretung irgendwie verfolgt worden. Das muß ich sagen. Ich habe mich sehr wohl mit der Standesvertretung besprochen. Wir haben den Vizepräsident der Ärztekammer in Tulln. Ich habe mit ihm ein ausführliches Gespräch geführt. Es ist keine wie immer geartete Pression seitens der Standesvertretung auf mich gewesen. Das muß ich fairerweise betonen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie ist Ihre Erinnerung an den Kontakt mit Dr. Stangl?

Erstbeschuldigter: Nachdem wir aus Köln zurückgekommen sind, haben wir telefonisch den Kontakt mit

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Dr. Stangl hergestellt. Er ist uns von Dr. Hamer empfohlen worden. Ich habe auch –

Festgehalten wird, daß der psychiatrische Sachverständige Univ. Doz.Dr. Pius Prosenz den Verhandlungssaal betritt, worauf der Erstbeschuldigte seine Aussage mitten im Satz abbricht.

Der SV Univ. Doz. Dr. Pius Prosenz

Generalien gerichtsbekannt, erstattet nach Erinnerung an seinen Sachverständigeneid nachfolgendes

Gutachten

Es handelt sich hier um eine Gutachtenserstellung nach Art eines Aktengutachtens, das seine Informationen aus einem umfangreichen Akteninhalt nach üblichen juristischen Begriffen bezieht, aber auch aus damit beigestellten zusätzlichen Informationen in Form von Schriften, Videobändern, zusätzlicher Literatur, die ja schon für das erste Gutachten zur Verfügung gestanden sind. In der Zwischenzeit hat jeder sich zusätzlich informieren können durch die allgemein zugänglichen Medien und auch durch die Selbstdarstellung des bzw. der Beschuldigten, wobei man sagen muß, daß die Informationen bezüglich Herrn Pilhar ganz wesentlich umfangreicher sind, als sie bezüglich Frau Pilhar zur Verfügung stehen. Wie schon gesagt, ist ein persönlicher Kontakt trotz Bemühungen meinerseits und andererseits verweigert worden.

Ich möchte auf die schriftlichen Gutachten vom 02.01.1996 hinweisen und halte diese Ausführungen und das Kalkül aufrecht. Dies betrifft die jetzige Fragestellung,

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nämlich zur psychischen Konstellation und Persönlichkeit der Beschuldigten.

Ich habe dazu im Gutachten betreffend Herrn Pilhar zu einzelnen Persönlichkeitsfacetten Stellung genommen, soweit sie aus dem zur Verfügung stehenden Material abzuleiten waren. Sicherlich ist primär die Frage nach der Intelligenz wichtig, wenn man die Zurechnungsfähigkeit beurteilen will, zumal ja auch gerade beim Fahrlässigkeitsdelikt die Frage der Intelligenz speziell erwähnt wird, weil eben eine Unterbegabung letztlich ein strafwürdiges Verhalten nicht möglich macht und eine Strafe gar nicht ausgesprochen werden könnte. Ich weiß es nicht, aber ich glaube, daß jeder hier Anwesende sich ein Bild machen konnte, das dieses Kalkül bestätigen wird, nämlich, daß man hier von einer gut durchschnittlichen bis über gut durchschnittlichen Intelligenz und Begabung ausgehen kann, und daß keinesfalls irgendeine Einschränkung der intellektuellen Fähigkeiten einen Grad erreichen kann, der an der Fähigkeit, rational begründete Entscheidungen zu treffen und sich kritisch mit Lebensproblemen auseinanderzusetzen, Zweifel aufkommen lassen würde. Freilich muß man schon hier anmerken, daß diese prinzipielle Kritikfähigkeit speziell auch in dem gegenständlichen Begutachtungsthema doch auch eine partielle Kritikschwäche beinhaltet. Die Frage ist, wie denn bei der vorliegenden Intelligenz und des sicherlich überdurchschnittlichen Wissensstandes eine solche partielle eingeschränkte Kritikfähigkeit möglich ist. Darauf werde ich dann noch eingehen. Rein prinzipiell aber ist es so, daß sich der Beschuldigte aufgrund von persönlichen Meinungen, Vorurteilen, Neigungen und eines sehr einseitig ausgewählten Selbststudiums auf bestimmte Richtungen festlegt und dabei zu einer Selbstüberschätzung gelangt, die man, konfrontiert

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man diese Meinungen mit der wissenschaftlich untermauerten Expertenmeinung, eigentlich letztlich als in der Überschätzung hypomanisch und in der rationalen Untermauerung als kritikschwach bezeichnen muß. So würde ich diese themabezogene partielle Kritikschwäche definieren. Damit ist auch das Erkenntnisvermögen partiell als eingeschränkt zu bezeichnen. Der Beschuldigte bezeichnet sich zwar selbst ausdrücklich als nicht ideologisch, religiös motiviert, er will auch absolut nicht als fanatischer Jünger Dr. Hamers sich selbst bezeichnen oder bezeichnet werden. Es ist aber doch sehr wahrscheinlich, daß in Herrn Pilhars Gedankenwelt schon immer eine gewisse Ablehnung behördlicher, schulmedizinischer, juristischer Strukturen, zugegebenermaßen mit allen ihren Mängeln, unterschwellig vorhanden war, und daß es dann unter dem emotionellen Druck der tödlichen Bedrohung der Tochter Olivia zu einer Ausformung dieser eingeschränkten Erkenntnismöglichkeit gekommen ist, nämlich daß Meinungen, die z.B. schulmedizinische Entscheidungen und Verhaltensweisen als schlecht bis verbrecherisch hinstellen sofort akzeptiert werden, daß die dazu ja reichlich vorhandene Literatur beschafft, verschlungen, zur absolut richtigen Meinung erhoben wird, und daß der unkritisch erhöhte Stellenwert von eigenen negativen Erlebnissen unkritisch zur Maxime dieser Ideologie erhoben wird. Wissenschaftlichkeit wird nur von der Gegenseite erwartet, wird aber für die eigene Meinung nur sehr begrenzt eingesetzt. Dadurch wird manches falsch interpretiert, und in dem ideologischen Gebäude, das dann errichtet wird, macht sich zunehmend eine Realitätsferne und ein mangelndes Realitätsverständnis bemerkbar. Herr Pilhar betont zwar immer wieder, es geht um nichts anderes als um das Leben von Olivia, aber es ist doch nicht zu übersehen,

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daß es ihm dann zunehmend auch darum geht, daß der, wenn man will, Guru Dr. Hamer gegen die Phalanx der Schulmedizin und der Pharmaindustrie obsiege.

Ein weiterer zu diskutierender Punkt ist eine paranoide Reaktionsbereitschaft beim Beschuldigten. Zuerst sei gleich festgestellt, daß zwischen einer z.B. paranoiden Psychose und einer paranoiden Reaktionsbereitschaft ein großer Unterschied besteht, denn eine Psychose ist eine Psychose, und die muß man erst einmal feststellen. Diese steht hier überhaupt nicht im Bereiche der Diskussion. Paranoide Verhaltensweisen, paranoide Reaktionen sind das Inventar einer sonst ganz normalen, unauffälligen Persönlichkeit, können es sein, aber immerhin, es führt dann doch, wenn diese Neigung besteht, zu auffälligen Verhaltensweisen, die wir hier in ihrem Stellenwert diskutieren sollen. Im gegenständlichen Fall müssen wir feststellen, und das können wir lesen, das können wir hören, sehen, in dem Material, das zur Verfügung steht, daß der Beschuldigte in seinem Kampf Reaktionsweisen zeigt, die mit der Realität und der tatsächlichen Bedrohung dann eigentlich nichts mehr realistischerweise zu tun haben, etwa in der Form: Olivia muß sterben, Dr. Hamer muß ausgelöscht werden, weil es Staatsterror, medizinische Machtbestrebungen und das Profitdenken der Pharmaindustrie so wollen. Freimaurerkreise bedienen die Hampelmänner der Justiz und der Gutachtenserstellung nach ihrem Belieben, Sachverständige vollziehen selbstverständlich nur das, was von diesen dunklen Mächten befohlen wird, sie sind die Vollstrecker der Auslöschung der Neuen Medizin und damit auch ihrer Vertreter, d.h. im gegenständlichen Fall der Familie Pilhar und Olivias; jede Entscheidung der zuständigen Ämter, jeder Gerichtsbeschluß, jede ärztliche

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Handlung wird aus böser Absicht gesetzt, und diesem verbrecherischen Mafiakomplott soll Olivia von diesen Mächten geopfert werden. Dagegen treten nun Herr und Frau Pilhar, Dr. Hamer und die Unzahl seiner von den Ermordungen durch die Schulmedizin geretteten Patienten an. Hier übernimmt der Beschuldigte voll Dr. Hamers Vorstellungen, ein Mosaikstein paßt für ihn zum anderen, das ausgefeilte paranoide Agieren Dr. Hamers gibt dazu den moralischen Rückhalt und den wissenschaftlichen Background. In Verfolgung dieser Ziele werden x Eingaben, Noten, Depeschen an Gerichte, Kliniken, verschiedene behördliche Instanzen bis hinauf zum Bundespräsidenten gemacht und ein Heer von Anwälten des Inlands und Auslands bemüht, die dann doch bisher relativ rasch gewechselt werden. Dieses paranoide Zeremoniell trifft natürlich auch für das Agieren gegen den psychiatrischen Sachverständigen zu. Allerdings, um das nochmals festzustellen, dieses paranoide Verhalten wird nicht von anderen erkennbaren psychopathologischen Phänomenen aus den Unterlagen begleitet, die es auch nur in die Nähe einer paranoiden Psychose rücken würden. Wenn man nun in dezidierter Stellungnahme zur Fragestellung gutachterlich zusammenfaßt, dann wird man bezüglich eines körperlichen Mangels nicht den Psychiater fragen, aber das steht ja auch gar nicht im Raum; jeder kann sehen, hier ist kein körperlicher Mangel vorhanden. Der Mangel des geistigen Bereiches, also Unterbegabung, Schwachsinn, sonst gestörte rationale Verhaltenssteuerung, kann hier, wie schon ausgeführt, ausgeschlossen werden.

Was bleibt, ist, zur Frage des emotionellen, charakterlichen und Persönlichkeitsbereiches Stellung zu nehmen. Hier wird ja davon ausgegangen, daß solche Komponenten nur dann für Schuldzumessung oder

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Schuldexkulpierung relevant werden sollen, wenn sie dem Schweregrad einer Psychose gleichzusetzen sind, d.h. wenn sie über den Punkt der Zurechnungsfähigkeit oder -unfähigkeit die Schuldzumessung behindern. Wenn man also solche Störungen des Persönlichkeits-, des Charakterbereiches berücksichtigen will, dann müssen sie so ausgeprägt sein, daß sie Zurechnungsunfähigkeit nach sich ziehen. Das ist Psychosewert.

Dazu kann man feststellen, daß die vorhandenen Persönlichkeitsauffälligkeiten einen solchen Psychosewert keineswegs erreichen. Ich würde die Persönlichkeit aufgrund der vorliegenden Informationen einmal als die eines Fanatikers bezeichnen und möchte ein paar Punkte skizzieren, was man unter diesem Begriff verstehen kann, und wie man das hier anwenden soll. Ich glaube, daß man einen Fanatiker als jemanden definieren kann, der sein Leben, aber auch das Leben möglichst vieler anderer um sich herum nach bestimmten Prinzipien und zur Erreichung eines bestimmten Zieles ausrichten will. Es gibt im Bezug der dazu gesetzten Aktivitäten die Möglichkeit, daß sich jemand völlig selbst genügt, oder wenn jemand in einer Höhle wohnt oder oben auf der Säule steht, bis er verdurstet und ausdörrt; dann ist niemand anderer davon mitbetroffen, als Extrem genannt. Wenn man aber z.B. für eine bestimmte Gruppe, für ein Volk, für die ganze Menschheit antritt, um sie diesen Prinzipien zu unterwerfen, dann kann, wenn es erfolgreich ist, eine sehr große, auch negative Auswirkung erwartet werden. Im gegenständlichen Fall geht es ja darum, daß der Beschuldigte auf einen Schutzbefohlenen, auf sein Tochter diese Prinzipien anwenden möchte, und die Frage ist, kann er das, darf er das; dürfen es andere. In diesem Sinn ist sicher vom psychiatrischen Standpunkt aus eine

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Erörterung und juristische Einschätzung dieser Frage für unser ganzes Land nicht unbedeutend.

Ein Fanatiker wird in den meisten Fällen bestimmte Umstände und reale Tatsachen, Erfahrungstatsachen der menschlichen Gesellschaft, von Institutionen usw., vor allem Mängel, Fehler, Ungereimtheiten, Ungerechtigkeiten mit Recht aufgreifen, aber dann kommt eben das wichtige, er macht aus solchen Bruchstücken dann eine Ideologie, er zimmert sich eine Ideologie, und diese zeigt dann ein zunehmend gestörtes Verhältnis zur Realität.

Ein Fanatiker wird auch, wenn er sich längere Zeit mit seinen Inhalten beschäftigt, ein sehr großes Detailwissen besitzen, aber die Schwierigkeit wird sein, daß er damit Zusammenhänge und Hintergründe erklären will und das dann meistens danebengeht und die wahren Hintergründe nicht erfaßt werden. Daher sind auch die Folgerungen, die daraus gezogen werden und die angebotenen Problemlösungen oft nicht unrichtig, aber doch oft zunehmend falsch und auch irreal, nicht anwendbar.

Bei einem Fanatiker kommt es dann oft dazu, daß das gesamte Denken eigentlich blockiert wird, denn es wird in den Dienst dazu gestellt, die Richtigkeit der eigenen Ideologie zu beweisen und die Falschheit des anderen Teils der Menschheit. Es resultiert daraus eine Unüberzeugbarkeit, eine Uneinsichtigkeit. Es besteht bei Fanatikern meist eine gesteigerte Aggressivität, es kann aber auch das Gegenteil sein. Religiös motivierte Menschen machen genau das Gegenteil von Aggressivität; wenn man sich selbst genügt, setzt man auch keine Aggressionsakte. Auf der anderen Seite gibt es Extreme, die in das Sadistische, Masochistische hineingehen, aber auch diese Extreme sind Begriffe, die man hier nicht verwenden braucht.

Die Aktivitäten, die aus einem Fanatismus heraus entspringen, können wie gesagt eng sein,

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Selbstzweck sein oder die ganze Menschheit erfassen, die Weltverbesserer. Sie können durch verbale Aktivitäten, predigen oder publizieren oder was auch immer, sich äußern oder auch durch Gewaltanwendung, extrem revolutionären Terrorismus usw. Sie können aber auch, und das ist hier vielleicht zutreffend, durch ihren Zwang auf nahestehende Menschen für diese schädigend sein, seien es nun Erwachsene oder seien es eben auch Kinder. Das ist dann ein Zwang, der absolut gut gemeint sein kann, aber eben zu einer Schädigung führt. Schädigung heißt, daß ein Fanatiker durchaus rücksichtslos sein kann gegenüber sich selbst, also zur Selbstzerstörung führen, und natürlich auch mit der Zerstörung von Eigentum, Leib und Leben anderer Menschen, die er beeinflußt, auch nicht zimperlich umgeht und das durchaus in Kauf nimmt.

Aufkommendes Schuldbewußtsein wird dann durch die Ideologie verdrängt. Vielleicht ist es hier von Bedeutung, daß man sich vorstellt, daß jemand es in Kauf nimmt, einen sichtlich sich verschlechternden Gesundheitszustand, der besorgniserregend bis hin zu einer Lebensgefahr führt, in Kauf nimmt und sich sagt, es muß gutgehen.

Damit wird bewiesen, daß das Prinzip, nach dem ich die Entscheidungen treffe, das richtige ist. Was ist aber dann, wenn es nicht so ist und das Kind stirbt? Dann kann man hinterher noch sagen, das war nicht richtig, aber das Kind ist eben dann tot. Diese Möglichkeit kann z.B. von einem Fanatiker in Kauf genommen werden.

Ich möchte noch einmal kurz die wichtigsten Punkte zusammenfassen: Es liegt hier kein Intelligenzmangel vor. Es liegt keine prinzipielle Einschränkung der Kritikfähigkeit vor. Die Handlungsfähigkeit ist auch prinzipiell nicht eingeschränkt. Für das tatgegenständliche Thema liegt eine partielle Kritikschwäche und ein eingeschränktes Entscheidungs- und Auffassungs-

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vermögen insoferne vor, als aufgrund der Persönlichkeitsstruktur nach Art eines ideologisch motivierten Fanatikers vermeintlich für das kranke Kind einzig lebensrettende Maßnahmen getroffen worden sind, und auch gegen den wiederholten Rat aller sonst damit befaßten Ärzte und eingesetzten Entscheidungsträgern dieses Verhalten verfolgt wurde, und auch durch das augenscheinliche Verschlechtern des Gesundheitszustandes bis in die Nähe des Sterbens nicht die sonst einem Menschen vergleichbaren Intelligenzniveaus, einem sonst in gleicher Weise absolut besorgten Vater klar werden mußte, daß so, wie die Schulmedizin niemals hundertprozentige Heilungen verspricht, auch offenbar bei der Hamerschen Neuen Medizin ein gewisser Prozentsatz von Therapieversagern geschehen kann, und daß er jetzt seine Verantwortlichkeit für seine Entscheidungen auch an anderer Stelle suchen müsse.

Diese Persönlichkeitseigenheit, gekennzeichnet vor allem durch den im vorigen näher beschriebenen Fanatismus und die paranoide Reaktionsbereitschaft, erklärt dieses Handeln, erklärt auch durchaus noch das jetzige Festhalten an dieser Einstellung, erreicht aber doch nirgends das Ausmaß, daß an der Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit gezweifelt werden könnte.

Zur Zweitbeschuldigten Erika Pilhar ist zu sagen, daß sehr, sehr wenig Information vorliegt und natürlich ebenfalls ein persönliches Gespräch verhindert wurde. Es kann daher nur aus den bekannten Unterlagen bezüglich der Zurechnungsfähigkeit und der intellektuellen Begabung ausgesagt werden, daß hier ebenfalls eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz vorliegt, daß sich kein Faktum herauslesen läßt, das an der Kritikfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit Zweifel erheben

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würde, und daß, soweit das Material es zuläßt, bezüglich der Behandlung bzw. Nichtbehandlung der kranken Tochter Olivia weniger Fanatismus und Aktivität sichtbar wird. Weitere Aussagen zur Persönlichkeit können aber nicht getroffen werden.

Es wird, soweit mir das bekannt ist, bei der dritten Gruppe der für die Beurteilung einer Fahrlässigkeit erörterten, im psychischen Bereich anzusiedelnden Eigenschaften von einigen Ausdrücken gesprochen. Es wird der Charakterbereich, der Persönlichkeitsbereich, der emotionelle Bereich erwähnt. Das am engsten gefaßte ist der emotionelle Bereich, denn dieser gehört natürlich in die Persönlichkeit hinein, solange er nicht psychotischen Veränderungen oder organischen Veränderungen unterworfen ist. Im gegenständlichen Fall ist dieser emotionelle Bereich nicht der, nach dem jetzt sehr viel geforscht oder gefragt wird, denn diese Kommentare meinen mit emotionellem Bereich eben die emotionelle Verarmung, die Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit, die überschießenden Affekte, Wut, Emotion, rasende Eifersucht usw. Das spielt hier ja alles keine Rolle.

Es ist ja so, daß im emotionellen Bereich gesehen werden muß, daß beide Elternteile in einer unglaublich aufopfernden Weise sich und ihr ganzes Leben, ihr Berufsleben usw. in den Dienst der Erkrankung ihrer Tochter gestellt haben, also eine aufopferungsvolle, positive emotionelle Beziehung, an der gar nicht gezweifelt werden kann. Der emotionelle Bereich ist hier eigentlich überhaupt nicht auffällig, im Gegenteil.

Allerdings reicht das Emotionelle dann hinüber in die Ausformung der paranoiden Reaktionsweise; denn hier kommen dann sehr starke Emotionen der Ablehnung, der Verweigerung, des Sichverweigerns, des Verweigerns anderer Menschen, über

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eigene Eigenschaften gefragt zu werden. Da gehört das Emotionelle auch hinein, aber das sind dann vorwiegend Facetten der Persönlichkeit und des Charakters, wobei man sagen muß, daß auch diese Kommentare abgestimmt sind auf, wie man sagt, psychopathische Persönlichkeitszüge, um das ganz kurz zu sagen – wobei aber hier überhaupt keine Rede davon ist; daß man z.B. den Begriff des Überzeugungstäters, was auch immer eigentlich darunter verstanden wird, oder des ideologisch motivierten Täters oder eben des Fanatikers nicht oder noch nicht findet, und daß man hier quasi Neuland beackert und schaut, wie man sich zurechtfindet, und wie das in der Beeinflussung einer Zurechnungsfähigkeit, einer Handlungsfähigkeit und natürlich dann im Ausmaß einer Schuldzumessung mildernd wirkt. Ich glaube nicht, daß es verstärkend wirken kann, eher mildernd.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Sachverständige in der Frage dessen, was hier in Hinblick auf die Therapie objektiv richtig ist, von klaren Vorstellungen dahingehend ausgeht, daß die schulmedizinisch angezeigte Form mit Chemotherapie usw. die richtige Vorgangsweise gewesen wäre, und dann zum Ergebnis kommt, daß, wenn das mit einer entsprechenden Hartnäckigkeit abgelehnt wird, das nur dem Bereich des Fanatismus zugeordnet werden kann. Habe ich Sie so richtig verstanden?

SV: Die Frage, ob die Neue Medizin oder die Schulmedizin Recht hat, spielt meines Erachtens bei der psychiatrischen Begutachtung keine wirkliche Rolle; eine Rolle spielt, wie es zu erklären ist, daß ein höchst besorgtes Elternpaar über ein halbes Jahr einem schlechter werdenden Verlauf, einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes, und zwar dramatischer Art, zusehen kann, und welche

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Persönlichkeitszüge dafür zur Erklärung herangezogen werden können.

Eigentlich müßte man ja sagen: Nachdem die Schulmedizin keineswegs 100% Heilungschancen irgendwo in Aussicht stellt und in der Lage ist, diese doch relativ genau anzugeben, müßte ein intelligenter Mensch sich eigentlich sagen, ich glaube zwar 100% an die Neue Medizin, aber scheinbar gibt es auch hier Therapieversager, denn es wird schlechter. Nach einer gewissen Zeit fragt man sich, warum man gerade hier eine 100%ige Heilung erwarten kann, trotzdem alles schlechter wird, und die Schulmedizin das aber nicht hat. Ich schließe daraus, daß es eben Persönlichkeitseigenheiten geben muß, die anders sind als ein normgerechtes Elternpaar. Daß man von den Schriften Dr. Hamers begeistert, hypnotisiert oder was auch immer sein kann – das ist auch bei Ärzten so, das ist bei Politikern so – ist ja auch schon ausgeführt und von mir auch festgestellt worden. Die Frage ist: es wird ein halbes Jahr lang schlechter, fast schon zum Sterben, und man nimmt immer noch nicht an, daß die Hamersche Neue Medizin auch Therapieversager haben kann. Da ist Erklärungsbedarf. Das heißt, daß meine Meinung zur Neuen Medizin hier eigentlich überhaupt nicht relevant ist und auch nicht einfließt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wieso lassen Sie außer acht, daß sehr wohl kritische Meinungen zur schulmedizinischen Behandlung ja nicht von den Beschuldigten selbst erfunden worden sind und auch nicht nur von Hamer vertreten werden, sondern aus verschiedenen Quellen kommen? Ich glaube, auch ohne bei der Verhandlung dabeigewesen zu sein, hatten Sie genug Gelegenheit, auch aus dem Akt zu entnehmen, welche Palette speziell bei diesem schwierigen Krankheitsgeschehen an Meinungen

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vorliegt. Wieso kommen Sie angesichts dessen zu Ihrem Ergebnis, daß etwas in Richtung Fanatismus vorliegt?

SV: Ich möchte betonen, daß ich ebenfalls sehr kritisch meiner Profession gegenüberstehe, aber ich kann eigentlich nur zu dem, was ich selbst mache, also meinem Fach, eine kritische Stellungnahme abgeben.

Ich glaube, daß auch bekannt ist, daß ich an der Schulmedizin und an Institutionen, soweit sie mein Fach betreffen, wiederholt heftige Kritik geübt habe.

Nur ein kleines Beispiel: Die Chemotherapie in meinem Fach hat sich als wirkungslos erwiesen, Hirntumoren können mit der Chemotherapie nicht behandelt werden. Therapieversuche sind schon seit längerem mit der systemischen Chemotherapie aufgegeben worden, und das ist gut so. Ich glaube, daß man der sehr kritischen, unterschiedlichen Zumessung von positiven Effekten für die Chemotherapie je nach Alter und Art des Tumors sich sehr genaue Aussagen von der Schulmedizin erwarten kann. Im neurologischen Fachgebiet gibt es praktisch keine systemische Chemotherapie mehr.

Ich glaube, daß der Erklärungsbedarf nicht dort liegt, warum jemand der Hamerschen Neuen Medizin sich ergibt. Es ist auch nicht der Erklärungsbedarf, vor allem nicht vor Gericht, notwendig, wenn ein Mensch das für sich selbst so entscheidet. Freilich, wenn er es für andere, die nicht selbst entscheiden können und seiner Obsorge obliegen, macht, kann es bei einer Grippe, bei einer Lungenentzündung unproblematisch bleiben, aber wenn es eine Erkrankung mit Lebensgefahr ist, muß man darüber reden und sich fragen, warum so besorgte und ihr ganzes Leben für Olivia einsetzende Eltern nach einem halben Jahr vom Staat gezwungen werden Hilfe an anderer Stelle zu suchen. Das zeigt sich eben, so wie auch in allen weiteren

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Dimensionen und Lebensabläufen, insbesondere natürlich auch quasi in der Konfrontation der Psychiatrie mit den Beschuldigten; eine Verhaltensweise, die nicht rational erklärbar ist, sondern da sind diese Persönlichkeitseigenschaften da, und da setzt sich das Bild so zusammen, daß man das mit einem Wort, glaube ich, nicht unzutreffend sagen kann, das ist das Bild eines Fanatikers.

Verteidiger Mag. Rebasso: Kann es vielleicht sein, daß die Problematik darin besteht, daß die Entscheidung, gerade wenn sie für einen anderen Menschen getroffen wird, noch schwieriger ist, als wenn man sich selbst retten muß?

SV: Es steht außer Frage, daß die gesamte Situation und das Treffen von Entscheidungen zu der damaligen Zeit ausgehend vom Zurkenntnisnehmen dieser vernichtenden Diagnose für beide Beschuldigte äußerst problematisch und schwierig war, und daß man nur jedem Menschen wünschen kann, daß er nicht in eine solche schwierige Situation kommt.

Zweifelsohne hat Herr Pilhar alles versucht, was in seiner Möglichkeit lag, sich über diesen Krankheitsfall, Prognose, Verlauf, Behandlung usw. zu informieren, und ist aber dann auf einen Weg geraten, der sicherlich durch seine Persönlichkeitsstruktur, die ich schon beschrieben habe, vorgegeben war; das hätte ja noch immer nicht Gegenstand einer juristischen Betrachtung werden brauchen, wenn es sich eben nicht um diese schicksalhafte, schwere, tödliche Erkrankung gehandelt hätte.

Ich glaube, das selbe Argument wurde schon einmal auch von der Verteidigung gebracht, und ich finde, daß das sehr zutreffend ist. Wie gesagt, beim Husten, bei einem Schnupfen oder auch bei einer Pneumonie oder sonst einer schweren Erkrankung, die nicht tödlich bedroht, wird man gar nicht in diese

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Konfrontation unbedingt eintreten wollen. Es war das schicksalhafte dieser tödlichen Bedrohung, die dazu geführt hat, daß das Ehepaar jetzt hier sitzt.

Verteidiger Dr. Schefer: Müßten Sie Ihre Einschätzung im Bezug auf fanatische Persönlichkeit und/oder paranoide Persönlichkeit dann ändern, wenn Anhaltspunkte für Sie vorliegen, daß diese Hamertheorien richtig sein könnten?

SV: Nein, ich glaube nicht, denn wenn sie richtig sind – ich glaube nicht, daß sie richtig sind, aber wenn sie richtig wären, es ist nie das letzte Wort zu sowas gesprochen worden – bleibt trotzdem das Unfaßbare, daß man wohl mit Recht sagt, die Schulmedizin ist nie 100%ig und hat Therapieversager. Das wird niemand Vernünftiger anders sehen. Aber wenn mein Kind ein halbes Jahr nach der Neuen Medizin behandelt wird und wird so schlecht, muß ich doch wohl auch annehmen, daß die Hamersche Medizin Therapieversager hat.

Verteidiger Dr. Schefer: Der Gutachter hat eine einseitige Ausrichtung der Eheleute Pilhar auf eine Theorie oder auf eine Behauptung, wie die Krankheit zu heilen sei, behauptet, und zwar hat er behauptet, diese einseitige Ausrichtung sei auf die Theorien Dr. Hamers erfolgt. Aufgrund dieser einseitigen Ausrichtung sei zu folgern, daß dies fanatisch sein müsse. Ist das richtig?

SV: Die Einschätzung als Fanatiker beruht hauptsächlich darauf, daß Maßnahmen der Schulmedizin doch vor allem und ganz eindeutig zugunsten der Hamerschen Neuen Medizin abgelehnt wurden und – und das ist meiner Meinung nach das wichtigste – daß auch die Anwendung anderer Methoden, bestimmter Naturheilmittel, homöopathischer Tropfen, jener Maßnahmen, die man

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eindeutig als alternative Maßnahmen bezeichnen muß, über eine längere Zeit der Behandlung und Beobachtung zu einer Verschlechterung des Zustands, und zwar in dramatischer Weise, geführt haben.

Der springende Punkt ist, daß ich dann immer noch damit weitermache und mir nicht sage, so sehr ich an diese Methoden glaube, so muß ich doch einsehen, daß es auch dort Therapieversager gibt. Das ist eben nicht erfolgt, sondern, ganz im Gegenteil, ein ganz massiver Kampf gegen das nunmehrige Einschreiten der Schulmedizin.

Ich glaube, daß man in so einer Situation sich sagen hätte können, geben wir doch, wenn es so schlecht wird, auch der Schulmedizin eine Chance. Auch hinterher ist die Hamersche Medizin ganz massiv von den Beschuldigten vertreten worden. Das ist ja nichts Schlechtes, nur läßt es eben darauf schließen, daß egal welche alternative Behandlungsmethoden herangezogen worden sind, wenn schon nicht am Anfang, aber zumindest dann, wenn der schlechte Verlauf unübersehbar herantritt, nicht die Verantwortung für das Schicksal des Kindes anderen Menschen angeboten wird und Hilfe gesucht wird.

Verteidiger Dr. Schefer: Ich habe das so verstanden, daß Sie Ihre Qualifizierung nunmehr hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur, die Sie geschildert haben, einschränken auf die Gesamtbehandlung, die im betreffenden Zeitraum die Familie Pilhar ihrer Tochter zuteil werden hat lassen; auch die homöopathische Behandlung sei ein Indiz für eine fanatische Persönlichkeit.

In Ihrem schriftlichen Gutachten gehen Sie davon aus, daß es evident sei, daß das, was Hamer macht, falsch sei, und wenn er sich somit einer auch für einen Laien erkennbaren evident falschen Behandlungsweise zuwendet, deshalb eine fanatische Persönlichkeit vorliegt. Verstehe ich es richtig, daß Sie

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nunmehr hinsichtlich dieser Einschätzung eine Einschränkung vorgenommen haben?

SV: Nein, das ist nicht der Fall. Das habe ich nicht gemacht und auch nicht gesagt. Das wesentliche ist, daß zwei besorgte Menschen in einer Situation, wo ihr todkrankes Kind schlechter wird, auf alternativen Behandlungsmethoden beharren, wobei im großen und ganzen die Prinzipien der Hamerschen Medizin in den Vordergrund gestellt wurden. Darum geht es ja auch jetzt dem Beschuldigten, daß man da den großen Durchbruch mit Mithilfe der Krankheit seiner Tochter wird erzielen können.

Verteidiger Dr. Schefer: Es wurde von einem sachverständigen Zeugen gesagt, daß in Amerika eine abweichende Methode der Behandlung von Wilmstumoren durchgeführt wird, nämlich sofortige Operation ohne chemotherapeutische Behandlung. Meine Mandanten wollten einfach keine chemotherapeutische Behandlung zu diesem Zeitpunkt. Es gibt verschiedene Behandlungsweisen, vor der Operation Chemotherapie oder nicht. Dann gibt es die Behandlungsweisen der Homöopathie. Dann gibt es Behauptungen des Dr. Hamer, er habe auch eine Behandlungsweise gefunden.

Die Frage ist, war es zulässig, daß mein Mandant sich neben anderen Methoden auch dieser zugewandt hat? Würde es Ihr Gutachten verändern, wenn Anhaltspunkte dafür da wären, daß diese Theorien Hamers von Relevanz in der Wissenschaft sind? Ich beziehe mich auf ein Gutachten in dem Habilitationsverfahren des Dr. Hamer, das mir gegeben wurde. Wissen Sie von einem solchen Habilitationsverfahren? In Ihrem schriftlichen Gutachten sagen Sie nämlich, Dr. Hamer sei nicht promoviert, das Promotionsverfahren sei nicht zu Ende geführt worden. Gesetzt den Fall, dieses Habilitationsverfahren an der Universität Tübingen sei abgeschlossen,

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Herr Dr. Hamer habe die Habilitation erreicht, würden Sie dann immer noch sagen, mein Mandant sei fanatisch?

SV: Manches an den Ausführungen trifft auf mich nicht zu. Ich habe nie an Lebensdaten des Dr. Hamer mehr Überlegungen verschwendet, als es absolut nötig war. Wie das im Moment mit seinem Habilitationsverfahren aussieht, weiß ich nicht. Ich weiß, es ist mehrfach abgelehnt worden. Das ist nicht relevant.

Auch wenn verschiedene Behandlungsverfahren abgelaufen wären, z.B. auch wenn eine schulmedizinische Behandlung mit Chemotherapie und Operation oder ohne Operation gelaufen wäre und das Kind nach einem halben Jahr schlechter und schlechter wird, würde niemand etwas daran bemängeln, daß man dann Alternativen versucht. Das wird sogar von der Schulmedizin durchaus empfohlen, daß man, wenn das nicht greift, und so ist es eben sehr oft bei der Schulmedizin, dazu rät, Alternativmethoden auszuprobieren. So sollte es in der anderen Richtung gehen. Wenn man sieht, es wird immer schlechter, muß man sich etwas einfallen lassen und kann bei dem nicht stehenbleiben. Darum liegt einer der Hauptfaktoren für die Diagnose auf einem Schuldausmaß, das hier erkennbar wird.

Verteidiger Dr. Schefer: Seitens der Verteidigung bestehen aufgrund der Aussage erhebliche Zweifel an der Kompetenz des Gutachters, wenn er für den Fall, daß jemand an einer wissenschaftlichen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland durch ein abgeschlossenes Habilitationsverfahren ein erfolgreiches Studium nachweist, zugrundezulegen, um einen Dritten als Fanatiker zu etikettieren.

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SV: Es sei darauf hingewiesen, daß bezüglich der Intentionen des Beschuldigten durchaus in seinen eigenen Worten und Schriften wiederholt gesagt wurde, daß ihm der endliche Durchbruch der Hamerschen Neuen Medizin mit einem Sieg über die Schulmedizin sehr, sehr am Herzen liegt und daß er sich sehr darüber freuen würde, wenn das anhand des Schicksals seiner Tochter gelänge. Da gibt es schriftliche Unterlagen über genau diese wiederholten Aussagen.

Verteidiger Dr. Schefer: Herr Pilhar hat mir ein Interview gegeben, das angeblich am 13.07.1989 in Düsseldorf geführt wurde, und zwar zwischen Prof. Dr. Mezger, Prof. Dr. Max Pfitzer, Professor für Pathologie und Psychopathologie, derzeit Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf, und Dr. Geerd Hamer, vormals Arzt für Innere Medizin, wo mehrere Fragen gestellt werden. Unter anderem wird auf die Frage des Dr. Hamer: „Spektabilität, meinen Sie nicht, wenn es sein könnte, was ich Ihnen hier vorschlage, daß das, was ich Ihnen hier vorgetragen habe, erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen müßte?“ Darauf sagt Dekan Prof. Dr. Pfitzer – wobei ich nicht weiß, ob das eine Fälschung ist: „Ja, vorausgesetzt, das ontogenetische (?) System der Tumoren ist auf allen Fallbereichen verifizierbar. Dann sind die Konsequenzen wirklich gewaltig.“ Im Endeffekt sagt Prof. Pfitzer: „Herr Hamer, ich kann Ihnen hier nicht zustimmen in allem. Wir haben es bisher immer anders gesehen. Ich sehe aber auch schon, daß wir für die alte Schulmedizin viele Zusatzhypothesen haben.“

Es geht um die Einfachheit, mit der der Gutachter meint, herleiten zu können, daß der Beschuldigte paranoisch und fanatisch sei. Ist das dann bei Prof. Dr. Pfitzer auch vorliegend? Das wäre die Frage.

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Verteidiger Dr. Schefer legt eine Kopie des vorhin zitierten Interviews vor, welche zum Akt genommen wird.

Verteidiger Mag. Rebasso: Für Sie zeigt sich dieser Fanatismus auch an der Ablehnung Ihrer Person als Sachverständiger zur Beurteilung im Zusammenhang mit Fragen in diesem Verfahren? Ist das richtig?

SV: Aus dem schließe ich das nicht. Es ist halt passend.

Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie ausschließen, daß vielleicht für Ihre Meinung doch ein gewisser Schutz vor Ihrem eigenen Berufsstand und eine gewisse Befangenheit ausschlaggebend sein könnte, wenn Sie meinen, man könne den Fanatismus daran festmachen, daß jemand eine Beurteilung seiner Person durch einen Psychiater ablehnt?

SV: Das, was mich als Psychiater betroffen macht, ist das Erfahren von Ängsten und Vorurteilen auch heute noch gegenüber einer Psychiatrie, die in den letzten Jahrzehnten ihr Gesicht ganz gewaltig verändert hat und ihre Verhaltensweisen sehr weitgehend auf die Bedürfnisse von kranken, verunsicherten, ausgegliederten und frustrierten Menschen ausrichtet, was auch in der Begutachtung natürlich zum Ausdruck kommt. Daraus, daß solche Vorurteile nach wie vor auch bei intelligenten Menschen vorhanden sind, würde ich mich jedoch nie in der möglichst objektiven Beurteilung nach den Kriterien meiner Profession beeinflussen lassen. Ich ärgere mich weder drüber noch finde ich es psychisch auffällig, daß jemand, der diese Vorurteile hat, sich zumindestens reserviert gegenüber der Psychiatrie verhält. Ich glaube aber nicht, daß das in irgendeiner Weise

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in die objektive Beurteilung einfließt in der konkreten Gutachtensfrage.

Verteidiger Mag. Rebasso: Der Hergang des Falles ist auch dadurch gekennzeichnet, daß die von der Schulmedizin angebotene Behandlung nicht nur, wie Sie sagen, im Prozentbereich gewisse Therapieversager aufweist, sondern durchaus in ganz massiver Weise von verschiedenen Seiten, und eben nicht nur von seiten Hamer kritisiert wird und überhaupt die Zweckmäßigkeit dieser Therapieformen in ganz massiven Zweifel gestellt wird. Würde das an Ihrer Beurteilung etwas ändern, wenn Sie das berücksichtigen? Wenn nicht, warum haben Sie das jetzt in Ihren Ausführungen nicht erwähnt, und spielt das letztlich für Sie keine Rolle bei der Beurteilung Ihrer Fragen?

SV: Ich glaube, daß ich das relativ ausführlich mitbehandelt habe, nämlich, daß einerseits die Erfolgsaussichten einer Chemotherapie äußerst unterschiedlich angegeben werden, je nach Alter, Tumorart und der Genese dieses Tumors, und daß z.B. in meinem eigenen Fach das gar nicht mehr gemacht wird, weil es keinen Erfolg hat. Auf der anderen Seite gibt es Erkrankungen, zu denen Gott sei Dank diese Erkrankung gehört, und daß einem, wenn man sich verantwortlich informieren will, auch als medizinischer Laie diese unterschiedliche Beurteilung klar werden muß. Wenn ich z.B. einen Hirntumor bei meinem Kind weiß und die Medizin sagt, Operation ist möglich, aber Chemotherapie bringt in dem Fall nichts, dann weiß ich, warum ich sie auch ablehne, denn die Erfolgschancen sind Null. Im gegenständlichen Fall hat man sich aber sagen lassen müssen, daß diese an einer großen Fallzahl statistisch abgesicherte Erfolgschance vorgelegen hat. Darüber muß man reden, nicht über diese ominösen 92

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% Chemotherapietote, die angeboten werden. Das ist ja unbrauchbar.

Zur Frage, ob denn nicht das Ablehnen einer Chemotherapie, wo die Kinder die Haare verlieren, einfühlbar ist, habe ich auch ausführlich Stellung genommen. Wenn besorgte Eltern am Beginn einer solchen Erkrankung, die ihnen auch schon von Anfang an als höchst bedrohlich mit tödlichem Ausgang geschildert wurde, zunächst nach Alternativen suchen, die weniger einschneidend sind und die auch der inneren Persönlichkeitsstruktur besser liegen, so würde ich das aus psychiatrischer Sicht verständlich, vertretbar und zunächst ohne wirklichen Schuldgehalt sehen, wenn man diese Alternativmethoden verfolgt. Es ist ja dann diese Entwicklung, die einen erhöhten psychologisch-psychiatrischen Erklärungsbedarf nach sich zieht. Wie kann man bei dieser Entwicklung glauben, die Neue Medizin sei 100%ig, da machen wir unbedingt weiter? Das ist der Punkt; nicht, daß man sagt, ich trau mich nicht über die Chemotherapie für mein Kind. Das ist verständlich. Daraus ist keine Abnormität abzuleiten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sagen unter anderem, es wird etwas zur Maxime erhoben, es geht darum, daß Hamer obsiegen möchte usw. Sie machen letztlich auch Ihre wissenschaftliche These daran fest, daß Sie zu dieser Erkenntnis gelangen und diese dann auswerten. Kann es nicht so sein, daß jemand, der ein Strafverfahren gegen sich laufen hat, dem letztlich zum Vorwurf gemacht wird, er hätte beinahe sein eigenes Kind in den Tod gebracht, natürlich ein gesteigertes Bedürfnis hat, jetzt schon auch unabhängig vom Schicksal des Kindes danach zu trachten, daß in diese Frage größtmögliche Objektivität hineingebracht wird und daß das überprüft wird und all diese Forderungen aufstellt, die aufgestellt werden?

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SV: Ich sehe aus dem Bestreben, die Prinzipien, nach denen ich das Kind behandelt sehen will, so zu überprüfen, daß Klarheit herrscht und sich das Prinzip womöglich als erfolgreich und einzig richtig oder überhaupt richtig herausstellt, nichts auffälliges und ziehe daraus auch keine Schlüsse. Da müßte man ja jeden Menschen, der sich um die Gesundheit bemüht, gewissermaßen ins psychiatrische Winkerl drängen. Das ist sicherlich nicht der Fall.

Selbstverständlich wird jeder Mensch schauen, daß die Prinzipien, die er für richtig hält und die für ihn ein so einschneidendes Erlebnis gebracht haben, überprüft werden, womöglich, daß sie sich als richtig herausstellen. Davon glaube ich nichts ableiten zu können, was darüber hinausgeht, was wir hier schon festgestellt haben.

Der SV Univ. Doz. Dr. Prosenz gibt an, die Gebühren dem Gericht binnen 14 Tagen bekanntzugeben.

Verteidiger Dr. Schefer: Werden Hirntumore mit Chemotherapie behandelt?

SV Dr. Scheithauer: Das wird nicht als Standardtherapie getan, ausschließlich in Studien mit neuen Substanzen, die vielversprechender erscheinen als die etablierte Chemotherapie.

SV Dr. Scheithauer zu den am ersten Verhandlungstag aufgeworfenen und bisher unerledigt gebliebenen Fragen:

Die erste Frage wurde von Prof. Gadner schon beantwortet. Zur Häufigkeit der Tumoren in Österreich wurde schon Stellung genommen. In Österreich wurden im Zeitraum von 1994 bis 1996 34 Neuerkrankungen von dieser speziellen Tumorart im St. Anna-Kinderspital, der Studienzentrale für

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Österreich registriert. Abgesehen von einem Säugling, der auch vom Feingeweblichen her die ungünstigste prognostische Konstellation aufwies, sind alle anderen am Leben. Ein einziger Säugling ist im Rahmen der Erkrankung gestorben.

Die Prognose im Stadium 1 beträgt bei diesen Patienten seit 1989 98%, jene im Stadium 4 76% Das sind ausschließlich die österreichischen Daten.

Verteidiger Mag. Rebasso beantragt, daß die am ersten Verhandlungstag vorgelegten Urkunden (Zeitungsartikel) als verlesen zum Akt genommen werden.

SV Dr. Scheithauer zu den vorgelegten Urkunden, welche ihm am ersten Verhandlungstag zur Einsicht und Stellungnahme überlassen wurden:

Insgesamt wurden von der Verteidigung acht Artikel bzw. Zeitschriftenauszüge vorgelegt, die sich global kritisch mit dem Thema Chemotherapie auseinandersetzen. Überwiegend handelt es sich um Beiträge, die in der medizinischen Laienpresse erschienen sind, lediglich zwei Artikel sind in wissenschaftlich allerdings nicht begutachteten Ärztezeitschriften erschienen.

Inhaltlich handelt es sich zum Teil um durchaus konstruktive Kritik an den tatsächlich leider in der Vergangenheit und von manchen nicht spezialisierten Ärzten noch ausgeübten, ungerechtfertigten Einsatz intensiver Chemotherapie bei Patienten mit metastasierten Tumoren, die nicht geheilt werden können; ein Problem bzw. ein Anliegen, mit dem sich auch die verschiedenen onkologischen Dachgesellschaften zunehmend befassen.

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Zum Teil handelt es sich aber nach meiner Ansicht um eine völlig kritiklose und nach objektiven Kriterien nicht nachvollziehbare globale Aburteilung der Chemotherapie unabhängig von der Krebserkrankung und der Indikation zu Chemotherapie. Auffallend scheinen dabei erstens die fragliche Qualität einzelner Zeitschriften, zweitens die zum Teil nachträglich vom Leser bzw. Verteiler handschriftlich zugefügten Ergänzungen und Bemerkungen, und drittens, daß von einzelnen Artikeln, z.B. über die Geschichte der Chemotherapie in der Frankfurter Allgemeinen, nur Auszüge, d.h. Teile des Artikels vorliegen, daß eben das erste Chemotherapeutikum vor rund 40 Jahren von Kampfgas abgeleitet wurde. Der Rest des Artikels fehlt.

Keiner der acht vorgelegten Artikel nimmt konkret auf die Wilmstumorpatienten, Behandlungsmöglichkeiten bzw. den zentralen Stellenwert der Chemotherapie bei eben dieser speziellen Tumorerkrankung Bezug.

Ich möchte die Verteidigung korrigieren: In Amerika wird auch nur dann nicht präoperativ chemotherapeutisch behandelt, wenn es sich um ein Stadium 1 handelt; dann wird primär operiert. Sonst wird postoperativ routinemäßig in Abhängigkeit von der Prognose chemotherapeutisch agiert. Ab Stadium 2 wird auch präoperativ behandelt.

Keiner der acht vorgelegten Artikel nimmt, wie gesagt, konkret auf den Wilmstumor Bezug. Lediglich in einem Artikel, der in der Zeitschrift „Spiegel“ erschienen ist, wird korrekt darauf hingewiesen, daß nur bei etwa 10% aller Tumorpatienten, allerdings mit Metastasen, chemotherapeutisch Heilungen erzielt werden können, wobei hierzu unter anderem Leukämien, Hodentumoren, bestimmte Lymphdrüsentumoren, Knochentumoren, Eierstocktumoren

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und auch einige Tumoren bei Kindern zählen. Ferner wird in diesem Beitrag auch darauf hingewiesen, daß aufgrund der teilweise, d.h. bei bestimmten Erkrankungen, erforderlichen Intensität dieser Therapiemaßnahme ausschließlich an Tumorzentren bzw. an erfahrenen onkologischen Abteilungen erfolgen sollte.

Zusammenfassend glaube ich nach meinem Ermessen, daß es sich um Publikationen handelt, die für den vorliegenden Fall nicht wirklich Relevanz haben, da sie nicht das Thema Wilmstumor bzw. den Fall Olivia Pilhar betreffen.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, nur bei Stadium 1 wird im amerikanischen Raum vor der Operation keine Chemotherapie gegeben. Prof. Gadner hat gesagt, welches Stadium wirklich vorliegt, könne man erst nach Vornahme des chirurgischen Eingriffs aussagen. Das ist ein Widerspruch.

SV Dr. Scheithauer: Das ist soweit richtig. Man kann nur eben mit präoperativen Maßnahmen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Stadium beurteilen. Man kann auf jeden Fall Fernmetastasen ausschließen, also das Stadium 4. Das ist ja das Entscheidende. Die Stadien 1 und 2 sind ja prognostisch, wie Sie gehört haben, nicht einmal so wesentlich unterschiedlich.

Verteidiger Dr. Schefer: Wenn man erst dann, wenn geschnitten worden ist, feststellen kann, welches Stadium vorliegt, ist es doch auch durchaus möglich, daß auch nicht chemotherapeutisch in einem Stadium 2 oder 3 in Amerika behandelt wurde.

SV Dr. Scheithauer: Bei einem Stadium 3, wo präoperativ dokumentiert ist, daß der Tumor nicht operabel ist, wird kein Mensch in Amerika operieren. Dafür gibt es ja die präoperative Chemotherapie, wo in 90% der Fälle ein

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downstaging, eine Verkleinerung des Tumors erreicht werden kann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben von Artikeln gesprochen. Eines davon ist eine sehr umfangreiche Studie von Prof. Abel.

SV Dr. Scheithauer: Das habe ich als konstruktiv gewertet. Er hat die Fehler der Vergangenheit gut angeprangert. Inzwischen, wie schon gesagt, wendet man diese Therapie ganz anders an, nur mehr bei bestimmten Krankheiten, nur mehr gezielt, eher vor der Operation oder eher nach einer potentiell heilenden Operation. Bei Patienten, die Fernmetastasen haben, bei Krankheiten die man nicht heilen kann mit Metastasen, wird ein guter, erfahrener Onkologe heute nicht operieren. Das ist das Prinzip der paliativen Tumortherapie. Das oberste Ziel ist sozusagen, die Lebensqualität zu erhalten, zu verbessern, im Idealfall auch, das Überleben zu verlängern.

Verteidiger Mag. Rebasso: Gibt es Fälle, bei denen ein Krebsgeschehen sich von selbst zurückbildet?

SV Dr. Scheithauer: Das gibt es im Prinzip. Das ist leider Gottes ein relativ seltenes Geschehen. Das findet überwiegend bei Tumoren, wo das Immunsystem involviert ist, z.B. bei Nierentumoren beim Erwachsenen gibt es in 0,1% der Fälle Spontanheilungen. Beim Melanom, dem Hautkrebs, ist das Immunsystem stark involviert, da gibt es sehr, sehr selten – das ist auch im 0-Bereich – spontane Heilungen. Das Problem ist, daß in vielen Einzelfällen, die als Wunderheilung oder Spontanheilung bezeichnet werden, eine Fehldiagnose erfolgt ist. Das hat man auch in der Schulmedizin systematisch erkannt, beispielsweise bei einem Bauchspeicheldrüsentumor. Auch wenn ein in hohem Maße erfahrener Chirurg im Rahmen der Operation Stein und Bein

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schwört, das ist ein Bauchspeichseldrüsenkrebs, der kann nicht operiert werden, wenn er keine Gewebsprobe entnimmt, nur anhand seiner Erfahrung, dann ist gesichert worden, daß er in 30% der Fälle irrt. Wir haben nicht selten an die Klinik Pankreaskarzinompatienten bekommen, wo während der Operation keine Gewebsprobe entnommen wurde. Nachdem die Krankheit hier nicht gesichert war, ist entsprechend auch keine Behandlung erfolgt und siehe da, die Patienten leben nach drei, nach fünf Jahren noch immer bei guter Gesundheit. Das sind 30% aller Patienten mit Bauchspeicheldrüsentumoren. Das war so. Heute wird das routinemäßig intraoperativ bei jedem Patienten feingeweblich abgesichert, daß es ein Tumorgewebe ist. Das ist die Problematik, anhand von Einzelfällen eine neue Methode oder irgendeine schulmedizinische Methode zu bewerten. Es ist erforderlich, daß man kontrolliert und viele Patienten mit gleichen Voraussetzungen untersucht. Die ganze Welt würde sicher eine Erkenntnis, die entsprechend abgesichert ist, übernehmen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie ist es mit jenen Fällen, die von der Schulmedizin aufgegeben werden und die dann trotzdem weiterleben und bei denen sich dann doch ein Heilungsprozeß einstellt?

SV Dr. Scheithauer: Es gibt, wie gesagt, sehr individuell unterschiedliche Krankheitsverläufe. Wir haben auch Patienten mit metastasierten Dickdarmkarzinomen gehabt, wo man nur, ein bißchen, nicht sehr viel chemotherapeutisch behandelt haben, die haben 15 Jahre gelebt. Auch ich habe solche Patienten kennengelernt, die eigentlich aussichtslos waren und doch entgegen jeglicher normalen Vorstellungen gelebt haben. Das sind aber leider Gottes nur Einzelfälle.

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Verteidiger Mag. Rebasso: So gesehen muß aber dann auch jede fixe Prognose, der Patient werde sterben, wenn nicht diese oder jene Behandlung einsetzt, relativiert werden.

SV Dr. Scheithauer: Von dem, was man erfassen kann, sind das Prozentsätze unter 0,00. Ich glaube nicht, daß man solche Prozentsätze, wenn man seriös ist, einem Betroffenen oder einem Patienten ernstlich anbieten kann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ich möchte festhalten, daß uns als Verteidigung keine Möglichkeit gegeben wurde, irgendwelche Befunde, auf deren Grundlage jetzt noch eine Stellungnahme erfolgen soll, einzusehen oder zu überprüfen.

SV Dr. Scheithauer: Es handelt sich um einen zusammenfassenden Bericht über die letzte Kontrolluntersuchung von Olivia, welche ich in der Pause der Verteidigung gerne vorlegen werde.

Verhandlungspause von 16. 00 Uhr bis 16. 15 Uhr

SV Dr. Scheithauer: Es handelt sich um die Zusammenfassung einer Kontrolluntersuchung vom 07.08.1996, als eine Reihe von Kontrolluntersuchungen durchgeführt wurde; derzeit besteht kein Hinweis auf ein Rezitivgeschehen, also kein Hinweis darauf, daß die Erkrankung wieder aufgetreten ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Patientin ohne jeglichen Tumorhinweis und potentiell geheilt.

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Der SV Dr. Scheithauer gibt an, seine Gebühren binnen 14 Tagen dem Gericht bekanntzugeben.

StA: keine Anträge

Verteidiger Mag. Rebasso verweist auf die schriftlich gestellten Beweisanträge, die sowohl mit Schriftsatz der Kanzlei eingebracht worden sind als auch auf jene, die im direkten Wege durch die Beschuldigten eingebracht worden sind.

Hinsichtlich des Beweisthemas wird ausgeführt, daß die Beischaffung sämtlicher Krankenakten auch zum Beweis dafür beantragt wird,

-) daß die Vermutungen des Vorliegens eines Lebertumors sich daraus zumindest für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum aus medizinischer Sicht begründen lassen, und zum Beweis dafür,

-) daß eine postoperative Therapie nach Tumorstadium 2 vorgenommen worden ist; das ist wesentlich für die Schwere der Verletzungsfolge, die verfahrensgegenständlich ist, so daß nicht von jener Schwere der Verletzungsfolge bzw. des Ausmaßes der Gesundheitsbeeinträchtigung auszugehen ist, von der auszugehen wäre, wenn mit allen Nebenwirkungen nach Stadium 4 therapiert worden wäre; letztlich auch zum Beweis dafür,

-) daß sich nach wie vor nach den aktuellen CT-Befunden durchaus noch Hinweise für ein Krebsgeschehen an der Leber finden.

Der ER: Heißt das, daß diesbezüglich das Gutachten bekämpft wird, denn der SV geht von einem Stadium 4 nach Rückkehr aus Spanien und Operation?

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Verteidiger Mag. Rebasso: Das Gutachten sagt aus, es liegt im Ermessen der Ärzte, zu entscheiden, ob es vielleicht Stadium 4 oder vielleicht doch nicht so schlimm war. Das gilt es mit der Krankengeschichte zu objektivieren.

Der Antrag ist ein Versuch, weiter zu objektivieren, in welchem Zustand das Kind nach der Rückkehr aus Spanien war – nämlich nicht nur in der Einordnung nach Tumorstadien, die ja im Prinzip für sich allein genommen keine Aussage darstellen über das Ausmaß an Gesundheitsbeeinträchtigung, an Schmerzempfindung; das ist ja im Zusammenhang mit der Behandlung und der nachfolgenden Therapie zu sehen.

Beweisthema ist nicht nur die Frage, was im Hinblick auf die Erkrankung des Kindes von den Ärzten jeweils geäußert wurde, sondern es ist Beweisthema die objektive Sorgfaltswidrigkeit. Daher ist auch alles Beweisthema, was zur Objektivierung aller Fragen des medizinischen Bereiches insgesamt notwendig ist. Selbst wenn wir hier nicht klären können und auch nicht klären wollen, wer letztlich Recht hat, um es einfach auszudrücken, so ist dennoch der Meinungsstand, der bestanden hat, objektiv zu erheben, und nicht nur, soweit er den Beschuldigten zur Kenntnis gelangt ist.

Daher wird beantragt,

-) daß zusätzlich dazu zumindest noch hinsichtlich der bestehenden medizinischen Meinungen weitere gutachtliche Stellungnahmen eingeholt werden, so wie sie bereits schriftlich beantragt worden sind. Was allgemein in der Bevölkerung für ein Bewußtsein bestanden hat, kann nur stichprobenweise erhoben werden. Dazu wird vorgelegt eine parlamentarische Anfrage und ebenfalls – als sozusagen punktueller Beweis – ein solcher Zeitungsartikel, der

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darstellen soll, wie allgemein derzeit der Bewußtseinsstand in der Bevölkerung sich im Hinblick auf Verläßlichkeit der Aussagen der Schulmedizin darstellt. Das ist wesentlich für die Beurteilung, ob objektiv sorgfaltswidrig vorgegangen wurde.

Zusätzlich wird dazu auf einen Artikel verwiesen, den wir schon vorgestern vorgelegt haben, wo ein Parallelfall eines Kindes geschildert wird, das ebenfalls ähnliche Symptome aufgewiesen hat, die dann zurückgegangen sind, also eine Art Selbstheilung stattgefunden hat. Obwohl dies den Beschuldigten lange nach dem anklagegegenständlichen Zeitraum zur Kenntnis gelangt ist, ist es wesentlich, sich vielleicht einen solchen Parallelfall in diesem Verfahren auch anzuschauen. Zusätzlich zu diesem Artikel gibt es ein Video, das Herr Pilhar mit hat, welches er nunmehr vorlegen wird, damit man sieht, wie so ein Krankheitsverlauf auch anders verlaufen kann, als es uns von den Ärzten, von den Sachverständigen hier geschildert wurde. Dieses Mädchen hat bei Vorliegen ähnlicher Symptome ohne die schulmedizinische Therapie bestens überlebt. Das ist ein Parallelfall, der auch dazu da ist, die Frage zu objektivieren, ob das Verhalten der Beschuldigten, selbst wenn man davon ausgeht, daß eine schulmedizinische Behandlung indiziert war, dennoch als objektiv sorgfaltswidrig, für den Laien erkennbar sorgfaltswidrig zu qualifizieren ist.

Weiters wird zusätzlich zu den schriftlich beantragten Zeugen beantragt

-) die zeugenschaftliche Einvernahme der Frau Hildegard Gergelyfi, Diplomkrankenschwester, Im Pyrach 13, 4400 Steyr, die ebenfalls in der fraglichen Zeit mit dem Ehepaar Pilhar Kontakt hatte und über lange Jahre als Kranken-

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schwester hautnah eigene Erfahrungen mit der Chemotherapie machen konnte und ebenfalls durch die Übermittlung ihrer eigenen Erfahrung entscheidend auf den Meinungsbildungsprozeß Einfluß genommen hat.

Zum Beweisantrag Dr. Hamer: Bei diesem Beweisantrag geht es ebenfalls nicht darum, daß Dr. Hamer als Zeuge die Richtigkeit seiner Thesen untermauern soll. Er soll nur Auskunft darüber geben, wie er auf die Beschuldigten gewirkt hat, welche Therapievorschläge er gemacht hat und was er letztlich zum Verlauf der Geschehnisse beigetragen hat.

Verteidiger Dr. Schefer: keine Anträge

Der StA: Betrifft das vorgelegte Video einen Wilmstumor?

Verteidiger Mag. Rebasso: Das kann von mir medizinisch nicht zugeordnet werden. Es betrifft ein Geschehen mit nahezu identer Symptomatik.

Der StA: Also an der Niere?

Verteidiger Dr. Schefer: An der Niere und äußerlich Dickerwerden des Bauches.

Der StA: keine Erklärung zu den bereits gestellten Beweisanträgen, da diese nicht wiederholt worden sind.

Zu den Krankenakten hat das Gutachten ergeben, daß kein Lebertumor vorliegt; zu diesem Beweis brauchen wir die Krankenakten nicht.

Der Sachverständige hat ausgeführt, daß aufgrund der Operation Stadium 4 gegeben war, nämlich mit Metastasen. Diese Metastasen sind bezeichnend für Stadium 4, daher wird der diesbezügliche Beweisantrag abgelehnt.

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Hinsichtlich der übrigen Beweisanträge: keine Erklärung.

Sohin verkündet der ER den

Beschluß

Zur neuerlichen Ladung der Zeugin Dr. Elisabeth Rozkydal sowie zur genauen Abklärung des Stadiums der Erkrankung des Kindes nach der Rückkehr aus Spanien und Beginn der „Zwangsbehandlung“ zur Klärung der Frage der Schwere der Gesundheitsschädigung wird die Hauptverhandlung auf den

11.11.1996, 09.00 Uhr
Schwurgerichtssaal,

vertagt.

Die Entscheidung über die weiteren Beweisanträge wird vorbehalten.

Ende: 16. 40 Uhr

Der Einzelrichter: Die Schriftführerin:

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