Krebskrankes Mädchen liegt in Tullner Krankenhaus / Staatsanwalt will Hamer und Eltern anklagen

Die krebskranke Olivia Pilhar erlitt am Dienstag einen Zusammenbruch und kam ins Tullner Spital zu Primar Hans Vanura. Die Chirurgen könnten die notwendige Operation vornehmen. Inzwischen erklärte der Staatsanwalt, er wolle Eltern und Hamer anklagen.


Ein paar Wahrheiten

Noch vor einem ärztlichen „Gipfel“ brach die krebskranke Olivia zusammen und mußte ins Spital. Hoffentlich hat irgend jemand dennoch den Eltern endlich ein paar Wahrheiten gesagt:

„Wir haben viel Verständnis für Sie. Aber bitte glauben Sie nicht, daß Olivia noch alle Zeit der Welt hat! Glauben Sie nicht, daß es allein in Ihrer elterlichen Gewalt liegt, zu entscheiden, ob und welche ‚schul’medizinische Behandlung nun Ihr Kind retten kann oder nicht! Fragen Sie sich bitte, ob das nicht eine Anmaßung ist, ganz abgesehen von dem Zirkus, den Sie seit Wochen veranstalten. Es ist nicht Aufgabe des Bundespräsidenten, für Sie eine Ausschreibung für ‚den besten Bauchchirurgen’ (so der Vater von Olivia) zu veranstalten. Der Bundespräsident kann höchstens einen Gnadenakt setzen, wenn es für Sie rechtliche Folgen geben sollte. Befreien Sie sich bitte aus Ihrer Selbstgerechtigkeit!“

Rau


Olivia endlich in Behandlung

Zusammenbruch, bevor Konsilium zusammentrat – Beschluß bleibt „geheim“ / Ankläger prüft Vorwürfe gegen Eltern und Hamer

Dramatische Wende im Fall der krebskranken Olivia Pilhar aus Maiersdorf an der Hohen Wand, NÖ: In der Nacht zum Dienstag noch bevor das Ärztekonsilium über die weitere Vorgangsweise beraten konnte – dürfte sich der Zustand des Kindes gefährlich verschlechtert haben. Rummel und Strapazen der vergangenen Tage waren für das geschwächte Kind wohl zuviel gewesen. Olivia wurde in das Tullner Krankenhaus gebracht. Noch am Vorabend hatten Eltern und Großeltern gegen eine baldige Spitalsbehandlung votiert. Das Leiden des Kindes brachte sie offenbar endlich zur Einsicht.

Am Nachmittag tagte dann mehr als drei Stunden lang ein Krisengipfel im St.-Anna-Kinderspital: Chefarzt Helmut Gadner, Bezirkshauptmann-Stellvertreter Dr. Heinz Zimper als amtlicher Vormund, die Kinderärztin Marcovich als Vermittlerin, die Vertrauensärzte der Eltern, Dr. Elisabeth Rozkydal aus Wien und der Tullner Amtsarzt Dr. Willibald Stangl, berieten die weitere Vorgangsweise. Am Ende verkündete Dr. Zimper nur, daß der lang gesuchte Konsens gefunden sei . . .

Die Eltern Olivias waren bei den Beratungen nicht dabei. Sie dürften bei Olivia im Tullner Spital sein.

In der Zwischenzeit wächst der öffentliche Ärger über selbsternannte Krebsheiler.

Bei einer Pressekonferenz am Dienstag hat auch das Wiener Rathaus schwere Geschütze gegen „Wunderheiler, Scharlatane, Gauner und potentielle Mörder“ in Stellung gebracht. Vizebürgermeister Sepp Rieder am Dienstag: „Ich hoffe, daß im Fall Olivia die Vernunft über Ratlosigkeit und Verunsicherung siegen wird. Dabei ist es äußerst wichtig, daß die Eltern in die Behandlung eingebunden werden. Nur so hat die kleine Patientin nämlich eine Chance. Eine Zwangsbehandlung gegen den Willen der Mutter würde Olivias Chancen dramatisch senken.“

Es gehe nicht um einen Methodenstreit zwischen Schul- und Alternativmedizin, meinte Rieder: „Hier geht es darum, Wunderheilern und gewissenlosen Profiteuren – ja, möglichen ‚Mördern’ – das Handwerk zu legen.“ Rieder kündigte noch für Dienstag eine „Sachverhaltsdarstellung an den Staatsanwalt“ an:

Um gegen die Scharlatane und Gauner vorzugehen, brauche man nicht einmal eine Gesetzesänderung. Rieder wörtlich: „Man muß sich nur endlich die Samthandschuhe ausziehen, wenn man mit derartigen Herrschaften zu tun hat.“

Im Justizministerium hat man den Fall Olivia mit größter Behutsamkeit aufgegriffen. Der drohende Haftbefehl wurde, wie berichtet, auf Ersuchen des Bundespräsidenten ausgesetzt. Tatsächlich öffnete sich dadurch ein Weg für die freiwillige Rückkehr der Familie nach Österreich. Für diesen Fall hatte man im Justizministerium den Eltern zwar nicht Straffreiheit, aber „wohlwollende Prüfung“ der strafrechtlichen Beurteilung versprochen.

Den Eltern droht jetzt trotz allem ein Verfahren nach §92 (Quälen oder Vernachlässigen eines Unmündigen). Je nach Folgen der Tat gibt es einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Straffreiheit muß das Gericht allerdings dann gewähren, wenn die „innere Tatseite“ fehlt, wenn z. B. Eltern nicht erkannt haben, daß sie Unrecht begangen haben, weil sie z. B. in einer Ausnahmesituation von anderen irregeleitet wurden.

Staatsanwalt Erich Reisner vom LG Wiener Neustadt will die strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Eltern gerichtlich prüfen lassen. Und gegen Geerd Hamer sammeln sich Anzeigen, vor allem aus der Steiermark. Hamer will er nicht nur der „Beihilfe“ anklagen: Sollte Olivia sterben, zumindest wegen fahrlässiger Tötung.

G. Krause, I. Schmid,
M. Prewein, F. Resperger


Dreißig Kinder wurden geheilt

Jährlich erkranken rund 30.000 Menschen in Österreich an Krebs. Die meisten an Darmkrebs (4400), 3800 an Brustkrebs, 3000 an Lungenkrebs und 2200 an Prostatakrebs. Diese Erfahrungswerte wurden am Dienstag in Wien bekanntgegeben.

Dabei wurde auch eine Lanze für die Chemotherapie gebrochen. Mit dieser Behandlungsmethode können bei zwölf Krebsarten Heilungen erzielt werden. Die höchsten Heilungsraten werden bei Patienten mit Hodenkarzinomen (90 Prozent), Coreonkarzinomen (98 Prozent) und Wilms-Tumoren (90 Prozent) erreicht.

An einem Wilms-Tumor leidet, wie berichtet, laut Befund auch die kleine Olivia. Diese Art des Nierentumors tritt zu 75 Prozent bei Kindern unter fünf Jahren auf. In Österreich erkrankten in den vergangenen fünf Jahren 30 Kinder daran. Alle konnten geheilt werden!

Die weltweite Überlebensrate betrug 1983 bis 1989 immerhin 88,4 Prozent. Zwanzig Jahre vorher hatten nur 33 Prozent der kleinen Patienten überlebt. Als geheilt gelten Krebspatienten ab fünf Jahren nach Behandlung.


Der Mann, der die Entscheidung über Olivia fällte: „Jetzt kein Zögern mehr“

„Zögern darf man jetzt nicht mehr“, meinte Dr. Heinz Zimper, 40, der vom Gericht bestellte „Anwalt“ der kleinen Olivia. Deshalb gab er Dienstag früh auch die Zustimmung für die Einweisung des Kindes in das Krankenhaus Tulln.

Der Fall der kleinen Olivia Pilhar berührt Doktor Heinz Zimper, 40, von der BH Wiener Neustadt menschlich zutiefst. Daß er vielleicht zum „Richter“ über Leben und Tod wird, versucht er noch zu verdrängen. Trotz allem will er seiner Rolle als Vormund des krebskranken Mädchens bis zur letzten Entscheidung – Chemotherapie ja oder nein – gerecht werden.

Im Behördenalltag ist der Jurist und Bezirkshauptmann-Vize ein Experte für die Altlasten-Entsorgung. Sein bisher größter Brocken: Der Umweltskandal in der Mitterndorfer Senke. Die Umwelt ist Zimpers persönliches Anliegen. Er ist ein naturverbundener Mensch, seine Hobbys: Wandern und Schwimmen.

„Familienmensch“ als Richter

Nebenbei ist der Beamte auch juristischer Berater für die Jugendabteilung der BH. In dieser Funktion wurde er vom Gericht als Vormund für Olivia Pilhar eingesetzt: „Das ist keine einfache Aufgabe. Vor allem auch deshalb, da das Schicksal des Mädchens bei mir bedrückende Gefühle auslöst.“

Zimper ist selbst Vater zweier Kinder, eines 20jährigen Sohnes und einer 10jährigen Tochter und leidenschaftlicher Familienmensch. Wie er in der Situation von Olivias Eltern entschieden hätte, wollte er nicht so recht beantworten: „Als Eltern will man für Kinder immer nur die beste Lösung. Aber keiner weiß, welche das ist.“

Eines steht für Dr. Heinz Zimper aber fest: „Die Ärzte müssen entscheiden, welche Behandlungsmethode den größten Genesungserfolg verspricht.“

F. R.


Olivia in Tulln im Spital: Arzt kein „sturer“ Schulmediziner

Daß Olivia Pilhar im Krankenhaus Tulln stationär aufgenommen worden ist, bestätigte dem KURIER Dienstag der Primar der Kinderabteilung, Primarius Hans Vanura: „Olivia wirkt auch äußerlich sehr geschwächt.“

Vanura hat mit den Eltern vereinbart, daß am Mittwoch mit den Untersuchungen begonnen wird. Geplant sind vorerst Bluttests und Röntgenaufnahmen. Die Befunde sollen am Donnerstag vorliegen.

Der Entscheidung, Olivia ins Tullner Krankenhaus zu bringen, gingen Verhandlungen zwischen dem Tullner Amtsarzt Willibald Stangl, Marina Marcovich und den Eltern voraus. Man wollte ein Spital für Olivia finden, in dem sie menschlich und medizinisch bestens betreut werden kann.

Primarius Vanura zählt zu den fortschrittlichsten Kinderärzten. Er hat schon vor 20 Jahren damit begonnen, Eltern bei ihren kranken Kindern im Krankenhaus aufzunehmen.

Große Verdienste erwarb er sich beim Aufbau eines Notarztsystems für Frühgeburten. Nach seinen Ideen wurde ein Rettungswagen entwickelt, der mit einem Spezialinkubator für Frühgeburten ausgestattet wurde. Vanura raste Tag und Nacht zu lebensbedrohlichen Geburten und rettete damit vielen Kindern das Leben.

Im Krankenhaus Tulln ist man überzeugt, daß Vanura wieder eine Vertrauensbasis zwischen Olivias Eltern und der Schulmedizin herstellen kann. Primarius Franz Stöger, Chef der Chirurgie: „Vanura ist menschlich und medizinisch die beste Lösung.“

Theoretisch könnte der Wilms-Tumor auch in Tulln operiert werden. Stöger: „Eine Operation wäre denkbar. Zuvor müßte der Tumor aber chemotherapeutisch behandelt werden. Alles andere wäre ein zu großes Risiko für das Kind.“

Franz Resperger

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