Vater verweigert Chemotherapie
Bei Mediziner-Gipfel wurden Behandlungsmöglichkeiten des Mädchens besprochen
Bei einem Mediziner-Gipfel im St.-Anna-Kinderspital in Wien wurde am Dienstag die weitere Behandlung des krebskranken Kindes besprochen – und festgestellt: Es führt kein Weg an einer Chemotherapie vorbei. Aber: Vater Helmut Pilhar weigert sich nach wie vor strikt, seine Tochter einer solchen Behandlung unterziehen zu lassen. Es scheint, als würde er noch immer unter dem Einfluß des umstrittenen „Wunderheilers“ Dr. Ryke Geerd Hamer stehen. Alle Argumente der Ärzte schmettert der Mann ab: Operation ja, Chemotherapie nein!
Als Olivias Eltern die schreckliche Krebsdiagnose erfuhren, zeigten sie sich gefaßt
„Fanatismus kam erst später“
Die Sorgen der Ärzte um Olivia sind nicht unbegründet. Primarius Dr. Arne Olaf Jürgenssen, der vor zwei Monaten im Krankenhaus Wiener Neustadt die erste Krebsdiagnose stellte, ist jedenfalls bestürzt. Er muß zur Kenntnis nehmen, daß Olivia Pilhar nach wie vor nicht zielführend behandelt werden darf. Als er den Eltern die schreckliche Nachricht mitteilte, war nichts von jenem Fanatismus zu spüren, der Olivia und Helmut Pilhar heute keinem vernünftigen Argument der Mediziner mehr zugänglich machen läßt, Auch wenn der „Wunderheiler“ in Spanien zurückgeblieben ist, sein Einfluß auf diese bei den Menschen scheint allgegenwärtig.
Jürgenssen: „Sowohl die Mutter als auch der Vater sind damals sanft und schweigend bei mir gesessen. Sicher ist die Mutter zusammengezuckt, als ich ihr sagte, daß eine Niere entfernt werden muß. Aber ich habe dann genau erklärt, warum das geschieht. Ich habe nicht mit Problemen gerechnet.“
Große Probleme gibt es leider jetzt. Primarius Jürgenssen hält ständigen Kontakt mit Prim. Prof. Dr. Helmut Gadner, dem Leiter des St.-Anna-Kinderspitals und zitiert seinen Kollegen: „Ich habe noch nie so einen großen Tumor gesehen!“
Dr. Jürgenssen: „Der Krebs ist eine riesige, mit Blutungsherden durchsetzte Masse. Da zerfällt alles, wenn man hineinschneidet. Hingegen gelingt es in den Stadien I und II durch eine Vor-Chemotherapie recht gut, die Tumorgröße so weit zu verringern, daß operiert werden kann. Es ist zum Verzweifeln: Wir haben in Österreich seit fünf Jahren kein Kind mit Wilms-Tumor mehr verloren, alle wurden geheilt, und jetzt diese Tragödie …“
Ärztegipfel, um Leid zu lindern
Bei einem Ärztegipfel im St.-Anna-Kinderspital wurde gemeinsam mit den Behörden beraten, wie man das Leid des Kindes lindern könne. Heinz Zimper, stellvertretender Bezirkshauptmann von Wr. Neustadt und Vormund von Olivia, hielt das Ergebnis geheim, um den Druck von der Sechsjährigen zu nehmen.
Kann Olivia endlich einmal Ruhe finden?
Wie sieht die Situation derzeit genau aus – was ist möglich? Primarius Jürgenssen: „Grundsätzlich sind auch fortgeschrittene Stadien noch behandelbar. Falls aber bereits Knochenmetastasen vorliegen, sieht die Sache mehr als kritisch aus.“ Erwachsene würden in diesem Stadium längst nicht mehr gehfähig sein. „Kinder aber sind zäh und belastbar.
„ Für die kleine Olivia stehen die Chancen allerdings bereits sehr, sehr schlecht. Sie wird in Maiersdorf (NÖ) abgeschirmt, Gendarmerie bewacht das hinter Bäumen versteckte Haus. Das Kind braucht Ruhe, soll zunehmen, zu Kräften kommen.
Der Vater freilich strahlt keine Ruhe aus. Nervös ist er, zittrig, fahrig – und aggressiv Besuchern gegenüber. Was geht in seinem Inneren vor? Ist er der Situation noch gewachsen? In Sachen Chemotherapie erteilt er den Medizinern jedenfalls nach wie vor eine Abfuhr. Und ins St.-Anna-Kinderspital will er Olivia auf gar keinen Fall mehr bringen.
Energisch meldete sich nun auch Wiens Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder zum „Fall Olivia“ zu Wort: „Es geht darum, Wunderheilern und gewissenlosen Profiteuren – ja möglichen Mördern – das Handwerk zu legen.“ Gleichzeitig kündigte Rieder eine „SachverhaltsdarsteIlung an die Staatsanwaltschaft“ an.
Dr. Marina Marcovich, die ihre diplomatischen Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt hat und der es nicht zuletzt zu verdanken ist, daß Olivia wieder in der Heimat ist, sucht auch jetzt einen Kompromiß: Sie empfahl den Eltern der kleinen Olivia eine alternative Medizinerin, die sich des Kindes annehmen soll. Nein – nicht einen neuen „Heiler“, sondern eine Ärztin, die Methoden anwendet, die über die Schulmedizin hinausgehen, ohne sie zu verwerfen. Erika und Helmut Pilhar sind bereit, die Behandlung dort fortsetzen zu lassen.
Damit kehrt vielleicht wieder nach und nach endlich Ruhe in die Familie ein. Ruhe, die Olivia jetzt wirklich braucht …