Eine junge Frau von 21 Jahren, RH, einzige Tochter die noch bei den Eltern lebt, hat seit 7 Jahren Epilepsie mit sog. Grandmal-Anfällen.

Zuerst hatte sie 3 Jahre lang alle paar Wochen jeweils einen großen Anfall gehabt, trotz Medikamente, danach 3 Jahre keine Anfälle. Seit 1 Jahr wieder alle 2 bis 3 Wochen einen Grandmal-Anfall.

Die junge Frau hat Abitur gemacht, arbeitet bei einer Bank.

Meine erste Frage lautete natürlich: „Was ist vor 7 Jahren passiert?!

Eltern: „Nichts. Wir haben schon so viel nachgedacht.“

Frage: „Ist gar nichts passiert? Das ist doch nicht möglich. Beginnen die Anfälle immer in gleicher Weise?“

Vater: „Ja, sie verdreht die Augen, im Beginn des Anfalls immer nach links.“

Frage: „Ach so, interessant, also immer als Rechtshänderin zur Seite der Mutter! Sie konnte also die Mutter mit den Augen (nach links) nicht mehr weiter verfolgen. Was war denn passiert mit der Mutter?“

Vater: „Kann man das so genau daraus erschließen?“

Eltern: „Könnte es auch damit zusammenhängen, daß wir (Eltern 50) ab und zu mal eine Ehekrise hatten?“

Frage: „Von ab und zu Ehekrise haben“ antwortete ich, „bekommt man keine Epilepsie (= motorischer Konflikt). Möglich ist es wohl, wenn es einmal ganz schlimm war. War die Mutter mal weggelaufen?“

Mutter: „Ja, einmal war es ganz schlimm, da bin ich für 2 Wochen ausgezogen. Eine Woche nach meiner Rückkehr bekam unsere Tochter den 1. Anfall vor 7 Jahren.“

Antwort: „Allerdings. Wenn man mal einen Zipfel der Differentialdiagnostik zu fassen gekriegt hat, ist meist der Rest nur noch Routine.“

Vater: „Was meinen Sie mit Routine?“

Antwort: „Nun, es gehört jetzt nicht mehr viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß nach der Rückkehr der Mutter der Ehestreit weitergegangen ist.“

Vater: „Ja, das stimmt.“

Antwort: Und immer hat das Mädchen gezittert: „Oh Gott, hoffentlich eskaliert das nicht wieder und die Mutter läuft nicht wieder weg.“

Vater: „Und was war mit den Medikamenten?“

Antwort: „Die sog. Anti-Epileptika verhindern, daß die pcl-Phase einsetzen kann. Manchmal setzt sie aber trotz Medikamenten ein, mit dem epileptischen Anfall in der Mitte dieser pcl-Phase.“

Mutter: Aber nach den ersten 3 Jahren hatte unsere Tochter 3 Jahre keinen Anfall.“

Antwort: „Es gehört auch hier nur etwas Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß das Mädchen bis 17 in ständiger (begründeter) Angst gelebt hat vor einer großen Eskalation, daß die Mutter wieder auszieht. Von da ab scheinen die Ehegeplänkel auf einem niedrigeren Level stattgefunden zu haben, sodaß für die Tochter kein begründeter Verdacht bestand, daß die Mutter nochmals ausziehen könnte.“

Mutter: „Herr Doktor, das war, wenn ich so darüber nachdenke, auch wirklich so.“

Antwort: „Das kann man alles kriminalistisch erschließen.“

Mutter: „Und warum bekommt sie – trotz Medikamenten – seit 1 Jahr jetzt wieder häufig große Anfälle, auch wenn sie Alkohol getrunken hat?“

Antwort: „Seit wann trinkt sie denn Alkohol?“

Vater: „Nicht so viel, aber am Wochenende gern mal einige Gläschen seit gut einem Jahr.“

Antwort: „Die Eheauseinandersetzungen scheinen seit 1 Jahr wieder heftiger geworden zu sein. Und die Tochter lebt zu Hause?“

Vater: „Ja, es stimmt, die ehelichen Auseinandersetzungen sind seit 1 Jahr wieder heftiger geworden. Meine Frau hat auch schon wieder des Öfteren mit Auszug gedroht. Aber was ist das denn mit dem Alkohol?“

Antwort: „Das ist die berühmte „Erweiterungsschiene“. Wenn die Tochter einmal unter Alkohol eine heftigere Eheauseinandersetzung miterlebt hat, kann der Alkohol als eigenständige Schiene wirken. (sog. Erweiterungsschiene). Von da ab erinnert sie Alkohol immer an die Ehestreitereien der Eltern. Der Alkoholgenuß selbst kann dann zum Rezidiv führen mit anschließender epileptischer Krise in der pcl-Phase.“

Vater: „Und was können wir machen?“

Antwort: „Sie sollten beide Ihre autotherapeutische Phantasie anstrengen:z.B. das Ehe-Kriegsbeil endgültig begraben, für die hübsche Tochter einen guten Ehemann/Freund besorgen, damit sie ihr eigenes Nest bauen und Kinder bekommen kann. Dann braucht sie nicht mehr bei der unredlichen Bank zu arbeiten, sondern kann eine ehrliche Mutter sein. Und ob dann die Eltern, die sie beide liebt, noch zusammen wohnen oder auseinander wohnen, ist dann nicht mehr so wichtig. Ich verspreche Ihnen, dann bekommt die Tochter nie mehr einen Anfall.“

Vater: „Herr Doktor, das leuchtet mir ein, aber meinen Sie, das ist so einfach?“

Antwort: „Wenn Sie an die Realisierung gehen, werden Sie feststellen, daß das nur „im Prinzip“ einfach ist. Ansonsten haben Sie jetzt eine Menge Schulaufgaben zu machen, Sie und Ihre Frau Gemahlin.“

Vater: „Vielen Dank, Herr Doktor, Sie haben uns schon sehr geholfen. Dürfen wir Sie wieder anrufen?“

Antwort: „Natürlich dürfen Sie, aber die Schulaufgaben müssen Sie schon selbst machen. Alles Gute und viel Erfolg!“

Eltern: „Vielen, vielen Dank!“


Anmerkung von H. Pilhar

Herzlichen Dank an Dr. Hamer für dieses Lehrbeispiel.

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