Anmerkung von HPilhar

wir Eltern wußten bereits im Jän/Feb 1996, dass wir aus präventiven Gründen zu 8 Monaten auf 3 Jahre bedingt verurteilt werden – Verhandlung hin, Verhandlung her – Angelo hin, Angelo her

So viele Reporter und keiner durfte die Wahrheit berichten

 

40 E Vr 534/95
40 Hv 143/96

Hauptverhandlung

Gericht: Landesgericht Wiener Neustadt
Tag und Stunde des Beginnes der Hauptverhandlung:
09.10.1996, 09:00 Uhr

Strafsache: gegen Ing. Helmut und Erika PILHAR

Anwesende:

Einzelrichter: HR Dr. Wolfgang Jedlicka
Schriftführer: VB Alexandra Hammer-Koretz
Ankläger: EStA HR Dr. Erich Reisner

Beschuldigte:
1. Ing. Helmut PILHAR
2. Erika PILHAR

Verteidiger:
Mag. Rebasso, V. ert.
Dr. Heike Schefer, V. ert.

Festgestellt wird, daß ein Einvernehmen zwischen den Verteidigern besteht. Nach Einsichtnahme wird die vorgelegte Urkunde Dris. Schefer betreffend ihre Zulassung zum Rechtsanwalt wieder ausgefolgt und eine Kopie zum Akt genommen.

Sachverständige:
Prof.Dr. Werner Scheithauer
Univ.Doz. Dr. Pius Prosenz

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Der (Die) Schriftführer(in) ruft die Sache auf.
Die Verhandlung ist öffentlich.

Der Erstbeschuldigte Ing. Helmut PILHAR gibt über seine persönlichen Verhältnisse an:

Generalien ON 90, AS 357/Band V überprüft und ergänzt:
Vermögen: Grundstück, Wert ca. S 400.000.-
Einkommen: keines; gelegentlich Spenden bzw. Einkommen von Fotoverkäufen an die Medien
Sorgepflichten: 4 Kinder
keine Vorstrafen

Die Zweitbeschuldigte Erika PILHAR gibt über ihre persönlichen Verhältnisse an:

Generalien ON 91, AS 367/Band V überprüft und ergänzt:
dzt. in Karenz, Karenzgeld ca. S 5.000.- monatlich
keine Vorstrafen

Der Richter ermahnt die Beschuldigten, aufmerksam der vorzutragenden Anklage und dem Gang der Verhandlung zu folgen.

Die Zeugen und Sachverständigen werden aufgerufen, soweit sie nicht erst für einen späteren Zeitpunkt vorgeladen worden sind. Der Richter teilt ihnen mit, wo sie sich bis zu ihrer Vernehmung aufhalten können und zu welchem Zeitpunkt sie sich für die Vernehmung bereitzuhalten haben.

Der Richter erinnert die Sachverständigen an den von ihnen abgelegten Eid und verfügt, daß die Sachverständigen während der Vernehmung der Beschuldigten und der Zeugen im Gerichtssaal bleiben.

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Der Ankläger trägt die Anklagepunkte samt Begründung vor. Hierauf vergewissert sich der Richter, daß die Beschuldigten von Gegenstand und Umfang der Anklage ausreichend in Kenntnis gesetzt sind.

Die Verteidiger erwidern auf den Vortrag der Anklage:
Verteidiger Mag. Rebasso erstattet Gegenäußerung.
Verteidiger Dr. Schefer erstattet Gegenäußerung.

Der Richter belehrt die Beschuldigten, daß sie berechtigt seien, der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes entgegenzustellen und nach Anführung jedes einzelnen Beweismittels Bemerkungen darüber vorzubringen.

Der Erstbeschuldigte Ing. Helmut PILHAR gibt an:
Ich bekenne mich nicht schuldig.

Die Zweitbeschuldigte Erika PILHAR gibt an:
Ich bekenne mich nicht schuldig.

Sohin verkündet der ER den

B e s c h l u ß

auf abgesonderte Vernehmung gemäß §250 StPO.
Die Zweitbeschuldigte verläßt während der Vernehmung des Erstbeschuldigten um 09.35 Uhr den Verhandlungssaal.

Verteidiger Dr. Schefer gibt bekannt: Meine Mandantschaft sieht sich nicht in der Lage, im Beisein des psychiatrischen Sachverständigen Univ.Doz.Dr. Pius Prosenz eine Aussage zu machen. Er würde vollständig und wahrheitsgemäß aussagen, wenn der Gutachter den Saal verlassen würde und er nicht die Befürchtung hegen müßte, daß aufgrund einer Aussage eine Begutachtung erfolgt, die für ihn nicht

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nachvollziehbar ist, die auch nur immanent mit Rechtsmittel angreifbar ist. Ein psychiatrisches Gutachten weist eine Qualität auf, die es einem für das weitere Leben sehr schwierig machen kann, noch als normal zu gelten. Diese Befürchtung besteht bei meinen Mandanten. Ich muß ersuchen, diesen Bedenken Rechnung zu tragen. Die Terminologie eines Psychiaters, die unbekannt und angsteinflößend ist, führt zu einer Etikettierung, die sehr weitgreifend ist. Im Hinblick auf die gerichtliche Fürsorgepflicht appelliere ich, eine Abwägung zu treffen dahingehend, ob dieser Befürchtung meiner Mandanten nicht zumindest teilweise Rechnung getragen werden kann. Der Strafvorwurf ist eine Kriminalisierung, die Begutachtung durch einen Psychiater, einen Fachmann für Geisteskrankheiten, führt zu einer weiteren Verfolgung aus der Sicht meiner Mandanten.

StA beantragt, diesem Antrag der Verteidigung nicht Folge zu geben und den Sachverständigen im Gerichtssaal zu belassen. Niemand nimmt an, daß dieser heute erklärt, daß Herr Pilhar geisteskrank ist, sondern nur eine bessere Aufmauerung des Fahrlässigkeitsdeliktes.

Nach Unterbrechung der Verhandlung von 09.40 Uhr bis 10.07 Uhr verkündet Der ER den

B e s c h l u ß

Dem Antrag der Verteidigung wird gemäß §241 Abs. 1 StPO stattgegeben. Die Beschuldigtenvernehmung wird in Abwesenheit des psychiatrischen Sachverständigen stattfinden.

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Um 10.15 Uhr verläßt der psychiatrische Sachverständige den Verhandlungssaal.

Der ER: Mit Ihnen wurde beim Untersuchungsrichter ein Beschuldigtenprotokoll aufgenommen. Bleibt es bei diesen Angaben so, wie Sie sich bisher verantwortet haben? Haben Sie es durchgelesen, bevor Sie es unterschrieben haben?

Der Erstbeschuldigte Ing. Helmut PILHAR gibt an: Richtig, ja.

Der ER: Ihr erster Kontakt mit dem Krankenhaus Wr. Neustadt war am 17.05.1995?

EB: Das ist richtig.

Der ER: Was hat Sie oder auch Ihre Frau bewogen, mit dem Kind das Krankenhaus Wr. Neustadt aufzusuchen?

EB: Grundsätzlich möchte ich vorausschicken, daß sämtliche Entscheidungen, sämtliche Schritte, die wir getätigt haben, immer gemeinsam getroffen wurden nach eingehender Beratung mit meiner Frau.

Wir haben am 17.05.1995 das Krankenhaus Wr. Neustadt aufgesucht, weil unsere Tochter Olivia bereits seit damals zwei Tage vehemente Bauchschmerzen gehabt hat und wir den Verdacht wegen Blinddarm gehabt haben. Wir sind am Abend, das war glaube ich ein Mittwoch, dann nach Wr. Neustadt gefahren zur Untersuchung. Diese Untersuchung hat aber eigentlich nichts ergeben. Wir sind nachher wieder nach Hause geschickt worden mit der Bitte, am nächsten Tag zu einer Kontrolluntersuchung zu kommen, die dann meine Frau allein mit der Olivia vorgenommen hat.

Der ER: Eure Vermutung war vorerst Blinddarm?

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EB: Richtig, ja.
Am nächsten Tag – ich war arbeiten – erhielt ich den Anruf ca. gegen 14.00 Uhr, daß mit Olivia etwas passiert sei, ich möge sofort nach Wr. Neustadt kommen. Ich bin dann sofort nach Wr. Neustadt gekommen. Dann hat mir meine Frau erklärt, daß bei Olivia Wilmstumor diagnostiziert worden sei. Es war natürlich eine sehr schockierende Diagnose. Wir waren im Moment ratlos. Es ist uns nahegelegt worden, am selben Tag das St.Anna-Kinderspital aufzusuchen.

Der ER: Sie sagen, das war eine niederschmetternde Diagnose. Was hat das für Sie geheißen? Was war für Sie ein Wilmstumor in diesem Augenblick, als man Ihnen das zum ersten Mal gesagt hat?

EB: Wilmstumor war kein Begriff für mich, aber Krebs ist sehr wohl ein Begriff, wie für jeden Menschen.

Der ER: Es war klar, es handelt sich um Krebs?

EB: Ja.

Der ER: Wer hat Ihnen empfohlen, ins St.Anna-Kinderspital zu gehen?

EB: Das war Prof. Dr. Jürgenssen.
Wir waren momentan ratlos. Meine Frau hat gleich eingewendet, daß sie andere Wege auch versuchen möchte. Es hat einige Zeit gebraucht, bis wir uns zusammengerichtet haben. Wir waren natürlich zuvor noch bei uns zu Hause, wir haben diese Diagnose unseren Schwiegereltern mitgeteilt, die natürlich auch geschockt waren. Wir haben uns dann zusammengerichtet und sind dann ins St.Anna-Kinderspital gefahren.

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Der ER: Warum sollte es das St.Anna-Kinderspital sein; warum nicht Wr. Neustadt? War das eine Empfehlung von Dr. Jürgenssen, wenn ja, warum?

EB: Ich war bei der Erstuntersuchung am Mittwoch dabei, bei der zweiten Untersuchung am Donnerstag war ich nicht dabei. Am Mittwoch war Dr. Jürgenssen nicht anwesend. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mit ihm keinen persönlichen Kontakt gehabt. Warum das St.Anna-Kinderspital empfohlen ist, habe ich damals nicht gewußt. Das ist vor allem eine Kinderkrebsklinik.

Wir waren dann wiederum gegen Abend im St.Anna-Kinderspital. Ich habe ein Tagebuch geführt. Wenn es um den chronologischen Ablauf geht, möchte ich dieses zu Hilfe nehmen. Am 18.05.1995 wurde Olivia ins St.Anna-Kinderspital transferiert. Das war jetzt der Donnerstag. Ich bin mir nicht mehr genau sicher; es hat einmal ein kurzes Gespräch mit einer Ärztin gegeben, ich weiß aber nicht, ob das noch am Donnerstag Abend oder am Freitag Vormittag war. Ich schätze, das war am Freitag Vormittag, so genau kann ich das jetzt nicht sagen. Die Ärztin hat uns erklärt, daß Wilmstumor zu 70 bis 80% heilbar sei, es müßte eine Chemotherapie vor der Operation erfolgen. Das war neu. Wie mir meine Frau erklärt hat, hat ihr Prof.Dr. Jürgenssen mitgeteilt, daß Chemotherapie postoperativ, also nach der Operation erfolgen wird. Im St.Anna-Kinderspital hat man uns erstmals erklärt, daß eine Chemotherapie vor der Operation erfolgen soll. Die Ärztin hat aber gesagt, daß ein Schatten auf der Leber vorhanden sei, der noch nicht zu interpretieren sei. Deshalb müßten noch einige Aufnahmen erfolgen. Es ist uns erklärt worden, daß die Aufnahmen, die in Wr. Neustadt gemacht worden sind, nicht so perfekt wären, die Interpretation von Wr. Neustadt auch nicht so hundert-

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prozentig sicher sei, und deshalb müßten sämtliche Aufnahmen noch einmal gemacht werden.

Es ist dann das Wochenende gekommen. Man hat uns lediglich ein Zimmer zugewiesen, man hat uns irgendwie mit dem Hausgebrauch auf dieser Station bekannt gemacht. Die ersten beiden Nächte hat meine Frau bei Olivia verbracht. Es war aber dann so, daß sie nervlich sehr mitgenommen war, so daß ich die folgenden beiden Nächte dann bei Olivia im Spital verbracht habe und meine Frau nach Hause gefahren ist, weil wir ja auch noch andere Kinder haben. Es ist dann am Sonntag meine Frau gekommen und hat gemeint, wir müßten auf alle Fälle andere Wege zumindest in Erwägung ziehen. Wir haben uns dann entschlossen, mit Verwandten zu sprechen. Über die Verwandten sind wir auf den Kölner Arzt Dr. Hamer aufmerksam gemacht worden. Es sind uns bei diesem Besuch bei den Verwandten – bei Olivia ist, glaube ich, einstweilen meine Schwester geblieben – die Unterlagen von Dr. Hamer, die Habilitationsschrift als auch die Celler-Dokumentation überreicht worden, verschiedene andere Zeitungsartikel und Dokumente; es ist uns die Geschichte in einem Zeitraum von mehreren Stunden näher gebracht worden. Ich muß vorausschicken, daß ich eigentlich, bevor wir zu diesen Verwandten gefahren sind, der Meinung war, daß es bei Krebs eben nur das Spital gibt; wenn überhaupt, dann nur das Spital. Als wir dann von diesem Verwandtenbesuch ins St.Anna-Kinderspital zurückgekommen sind, ist uns ein Mädchen ins Zimmer gelegt worden. Es war an und für sich ein Zweibettzimmer; aus Platzmangel hat man dann mir ein Feldbett im Zimmer aufgestellt und das Mädchen in das von mir zuvor benutzte Bett gelegt. Die Eltern sind mit dem Kind angekommen. Ich habe gleich gemerkt, daß sie sehr

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routiniert sind. Sie haben dem Kind gleich ein mitgebrachtes Telefon hingestellt, das war echt alles Routine. Sehr schockiert hat mich, als das Kind, welches mindestens acht Jahre alt war, sich auf die Waage gestellt hat und gesagt hat: „22,5 kg. Gott sei Dank zugenommen“. Wir waren wirklich schockiert vom Anblick dieses Mädchens. Es ist dann eine Schwester hereingekommen und hat gesagt, sie muß jetzt die Medikamente nehmen, – das Mädchen hat dies aber verweigert mit der Begründung, sie könne nicht schlucken. Dann ist ihr eröffnet worden, daß sie Tropfen nehmen kann, wenn sie das nicht schlucken kann. Wenn sie überhaupt nicht schlucken kann, bekommt sie das über die Venen. Die Vorgehensweise hat mich irgendwie sehr schockiert. Ich habe dann mit dem Vater des Mädchens gesprochen, der mir erklärt hat das dauert jetzt schon über ein Jahr, und man habe bei Erstellung der Diagnose einen Zeitraum von mehreren Monaten, sechs Monaten angekündigt. Mittlerweile habe sich das aber verlängert. Die Gesamtverfassung dieses Kindes war so derartig schlecht, daß ich in diesem Moment für mich den Entschluß gefaßt habe, daß ich wirklich nach Alternativen suche, weil ich mir vorgestellt habe, daß Olivia in dieser Verfassung, die dieses Mädchen gehabt hat, den Lebenswillen verliert.

Am folgenden Montag sind dann die letzten Aufnahmen erfolgt. Wir mußten das St.Anna-Kinderspital verlassen und sind zur Urania gefahren, dort ist ein Röntgeninstitut. Da ist unser Entschluß eigentlich schon festgestanden, daß wir zumindest eine zweite ärztliche Meinung einholen wollen. Als wir dann mit den erstellten CT´s ins St.Anna-Kinderspital zurückgekommen sind, habe ich versucht, mit dem verantwortlichen Arzt zu sprechen. Es hat längere Zeit gedauert, bis er mit anderen Angelegenheiten

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fertig war. Ich habe da ein Gespräch mit einem Pharmavertreter mitanhören können, wo der Arzt mehr oder weniger zugegeben hat, daß das nicht in seiner Kompetenz liegt, dieses Produkt anzunehmen oder nicht anzunehmen. Nach einiger Zeit ist dieser Arzt, es war Dr. Mann, zu uns ins Zimmer hereingekommen und hat gemeint, er möchte jetzt sofort mit der Chemotherapie beginnen, weil sämtliche Befunde eindeutig seien. Er möchte keine unnötige Zeit verlieren. Das erste Gespräch haben wir mit der Ärztin geführt, die gesagt hat, daß 70 bis 80% Heilungschancen bei Wilmstumor vorliegen; aber da ein Fleck in der Leber sei, hat sie erklärt, daß vor Beginn der Chemotherapie ein ausführliches Arztgespräch stattfinden werde. Einerseits mit dem Entschluß, daß wir eine zweite ärztliche Meinung einholen wollen, andererseits aber mit diesem Vorgehen des Arztes Dr. Mann, das wir als Übertölpelungsversuch interpretieren mußten, haben wir uns vehement gewehrt. Es ist dann von Dr. Mann geäußert worden, er habe jetzt einen Fehler begangen und er werde sofort das Arztgespräch mit uns führen. Es ist dann auch zum Arztgespräch gekommen. Er hat uns erklärt, daß bei Wilmstumor bis zu 90% Heilungschancen bestanden. Unser Einwand, daß wir eine andere ärztliche Meinung einholen wollen, hat ihm nicht besonders gefallen. Er hat gemeint, das St.Anna-Kinderspital ist nun einmal die beste Klinik. Er hat auch gleich mit juristischen Schritten gedroht. Wir haben uns aber nicht einschüchtern lassen. Wir wollten einfach eine andere Meinung einholen, wir wollten schauen, ob es einen anderen Weg gibt, Krebs zu behandeln, ohne diese Chemotherapie. Es ist dann zur Aufsetzung eines Revers gekommen, den Dr. Mann handschriftlich vorgenommen hat und den wir dann auch unterzeichnet haben. Wir sind dann zu der von den

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Verwandten empfohlenen Wiener Ärztin Frau Dr. Rozkydal gefahren.

Der ER: Was hat Sie veranlaßt, den Revers zu unterschreiben; das unbefriedigende Arztgespräch oder das, was Sie vorher im Krankenhaus gesehen haben bezüglich des anderen Kindes, haben Ihnen sozusagen die Umstände nicht zugesagt, oder das Gespräch am Wochenende bei Ihren Verwandten? Was war das ausschlaggebende Moment, zu sagen, wir gehen weg vom St.Anna-Kinderspital?

EB: Ich würde sagen, alles zusammen. Es war so, daß wir der Meinung waren, daß diese Chemotherapie für unser Kind nicht nur die Gesundheit schädigen, sondern auch direkt ihr Leben gefährden wird.

Der ER: Woher haben Sie diese Meinung bezogen? Warum und ab wann haben Sie sich gegen die Chemotherapie gewehrt; mit welcher Begründung, mit welcher Erkenntnis?

EB: In erster Linie war das der Eindruck der dortigen Kinder. Natürlich hat auch sehr mitgespielt, daß uns eine Möglichkeit aufgezeigt worden ist, Krebs mit einer anderen Methode zu behandeln. Eines habe ich bezüglich des Arztgespräches mit Dr. Mann zu erwähnen vergessen: Er hat uns die Prognose gestellt, Wilmstumor sei bis zu 90% heilbar. Da er aber gemerkt hat, daß wir gegen die Chemotherapie sind, daß wir vor dieser Therapieform Angst haben, hat er uns die alleinige Operation vorgeschlagen, hat aber erklärt, daß diese alleinige Operation nur 40% Heilungschancen hat. Das war für uns wiederum nicht akzeptabel.

Der ER: Das sogenannte Arztgespräch war nur mit Dr. Mann, oder war auch der Klinikchef dabei?

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EB: Nein. Das erste Gespräch war mit einer Ärztin, deren Namen ich nicht mehr weiß. Das sogenannte Arztgespräch wurde nur mit Dr. Mann geführt.

Der ER: Hat Ihnen Dr. Mann auch etwas über den zeitlichen Ablauf gesagt, wie brisant die Sache ist, wie schnell man das angehen muß, wie rasch sich dieser Tumor nach den medizinischen Erkenntnissen entwickelt?

EB: Ich habe mir das notiert. Ich weiß jetzt nicht mehr genau, was Dr. Mann gesagt hat. Er hat uns einen Zeitraum genannt bei Nichtbehandlung. Ich habe dieses Arztgespräch zusammengefaßt und dann Dr. Jürgenssen später vorgelegt. Dr. Mann hat uns eben die Diagnose gegeben, bei alleiniger Operation 40-50%, bei Nichtbehandlung verdoppelt sich der Tumor innerhalb von Wochen. Wegen Bildung von Metastasen wird dem Kind ein halbes bis ein Jahr noch zu leben eingeräumt.

Der ER: Wie kamen Sie zu Frau Dr. Rozkydal?

EB: Sie ist uns von unseren Verwandten empfohlen worden. Wir sind mit den CT-Bildern, die wir zum damaligen Zeitpunkt hatten, aber ohne schriftliche Befunde – diese hat uns Dr. Mann nicht mitgegeben – zur Frau Dr. Rozkydal gefahren. Sie hat sich die CT´s angeschaut. Das Schockierende für mich war, als sie gemeint hat, „die Leber ist durch“. Sie hat mir den Fleck in der Leber gezeigt und hat gemeint, die ist durch. Ich habe das als Loch in der Leber interpretiert. Wir haben gewußt, sie kennt die Methoden von Dr. Hamer. Sie hat gemeint, mit Wilmstumor kenne sie sich nicht aus. Sie hat uns zur Chemotherapie geraten. Wir sind aber bei unserem Willen geblieben, Dr. Hamer zu sprechen. Das haben wir dann ein paar Tage später auch

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wahrgenommen. Wir sind mit Olivia mit dem Zug nach Köln zu Dr. Hamer gefahren. Wir haben zuvor einen Termin vereinbart.

Der ER: Wann haben Sie sich das erste Mal mit Dr. Hamer getroffen?

EB: Das war am Donnerstag, den 25.05.1995. Wir haben sämtliche CT´s mitgehabt. Dr. Hamer hat lediglich das Kopf-CT auf seine Leuchtwand aufgespannt und hat uns erklärt, der Wilmstumor ist eine normale Nierenzyste, wo der Konflikt eigentlich bereits abgeschlossen ist. Gefährlich sei allerdings der Leberkrebs, da hierbei der Konflikt noch aktiv sei, d.h. nach der Neuen Medizin ist der Krankheitsverlauf des Krebses zweiphasig. Er hat uns vor dem Leberkrebs gewarnt, weil erst eine Konfliktlösung herbeigeführt werden müßte. Die Konfliktlösung bei einem Kind kann nur dadurch, daß sie eine reale Konfliktlösung ist, herbeigeführt werden. Das Problem bei Olivia war die Abwesenheit der Mutter. Wir haben uns kurzfristigst entschlossen, daß meine Frau ihre Berufstätigkeit aufgeben wird, – es war zu diesem Zeitpunkt sowieso nur mehr ein Monat Schulzeit – damit das Kind wieder ständig die Mutter um sich hat. Diese Erklärung war für uns recht plausibel, denn seit meine Frau berufstätig ist, mußten wir unseren alten Wohnort aufgeben. Wir sind zu meinen Schwiegereltern, den Eltern meiner Frau, umgezogen. Meine Frau war ab diesem Zeitpunkt berufstätig. Wir haben gesehen, daß Olivia am meisten darunter leidet, daß die Mutter nicht anwesend ist. Das hat sich immer so bemerkbar gemacht, daß sie dann unter Bauchschmerzen gelitten hat, wenn sie gewußt hat, daß die Mutter am nächsten Morgen keine Zeit hat, sie in den Kindergarten zu bringen. Das war bei den anderen Kindern,

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bei Alexander, der älter ist und bei Elisabeth, die jünger ist, bei weitem nicht so, nur bei Olivia.

Der ER: Mit welcher Erkenntnis sind Sie von Dr. Hamer weggefahren? Was war Ihr Standpunkt nach diesem Gespräch und nach dieser Konsultation?

EB: Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits durch meine Verwandten gewußt, daß durch Lösung bzw. durch Heilung auf natürlichem Weg sehr wohl Krebsheilung möglich ist. Die Verwandten haben selbst persönliche Erfahrungen mit der Therapieart von Dr. Hamer gehabt. Bei Dr. Hamer war eine Frau anwesend, die Hilfe bei ihm suchte. Sie hat uns ihr Schicksal erzählt. Das war ebenfalls sehr beeindruckend. Sie hat versichert, daß es ihr jetzt besser ginge, sie wüßte jetzt auch viel besser zu leben. Sie habe einiges in Ordnung bringen können in ihrem Leben, und es ginge ihr jetzt viel besser. Wir wußten aber auch von den Schwierigkeiten, die Dr. Hamer mit Behörden, mit Gerichten usw. hat. Wir wußten auch, daß sehr viele Ärzte die Thesen von Dr. Hamer anerkennen, diese Gesetzmäßigkeiten, die Dr. Hamer postuliert hat, überprüft und verifiziert haben. Wir sind dann bei diesem Besuch auch in den Besitz dieser Überprüfungsergebnisse gekommen.

Der ER: Als Sie Dr. Hamer verlassen haben, stand da Ihr Entschluß schon fest oder nicht, wie Sie mit dem Kind weiter verfahren werden?

EB: Uns sind mehrere Überprüfungsergebnisse überreicht worden. Der bekannteste Arzt ist sicherlich Dr. Jörg Birkmayer, der schreibt, daß bei einer gemeinsamen Überprüfung der Reproduzierbarkeit der Eisernen Regel des Krebses die Zusammenhänge sehr überzeugend waren. Da haben fünf Ärzte unterschrieben.

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Der ER: Von wem ist Ihnen das überreicht worden?

EB: Da war eine Wand mit Fächern, wo man sich mehr oder weniger bedienen konnte, was ich natürlich auch gemacht habe. Ich wollte mich umfassend informieren. Das war bei Dr. Hamer.

Der ER: War für Sie dann alles klar, als Sie von Dr. Hamer weggefahren sind, haben sie schon einen festen Entschluß gehabt oder noch nicht, wollten Sie noch etwas anderes überlegen?

EB: Wir wollten auf alle Fälle den Weg der Neuen Medizin versuchen, denn es ist uns auch einiges über die Chemotherapie erzählt worden. Was mir sofort einleuchtend war, ist, daß eine Therapie nach der Schulmedizin, eine operative Entfernung des Tumors aus dem Körper, eine Behandlung mit Chemotherapie vielleicht momentan das Leben retten kann, aber doch Nebenwirkungen hat, die sehr gravierend, sehr schwer sind. Es ist uns auch einleuchtend gewesen, daß eine Heilung, eine natürliche Heilung dem Patienten natürlich keinerlei Nebenwirkungen beschert und er sein normales, durchschnittliches Lebensalter erreichen kann. Das war natürlich unser Ziel. Wir wollten Olivia nicht nur, so wie die Schulmedizin schön sagt, eine 95%ige Heilung auf fünf Jahre und dann 20% nach zehn Jahren verschaffen, sondern wir wollten sie nach der bestmöglichen Therapie behandeln lassen.

Der ER: Das haben Sie für sich als bestmögliche Therapie erkannt und akzeptiert – Konfliktlösung?

EB: Es ist uns natürlich auch klar gewesen, daß wir einen Arzt brauchen, der Olivia weiter behandelt bzw. auch unter Kontrolle hat, der schaut, ob irgendwelche

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Komplikationen auftreten, damit man da eben rechtzeitig eingreifen kann.

Wir haben versucht, Frau Dr. Rozkydal zu gewinnen bzw. den Amtsarzt Dr. Stangl, der ebenfalls in der Liste der Überprüfer der Neuen Medizin aufscheint. Wir haben einen Zeitungsartikel aus einer österreichischen Tageszeitung aus Köln mitgebracht, in dem es heißt: „Neue Medizin. Wie ein Amtsarzt leiden muß.“ Das war im Zusammenhang mit einem Schreiben des Amtsarztes Dr. Stangl, der gleichzeitig Obmann der wissenschaftlichen Vereinigung der Amtsärzte Niederösterreichs ist, und der in diesem Schreiben meint, 120 Fälle überprüft zu haben, und wo die Neue Medizin seiner Meinung nach eindeutig zutrifft.

Am Freitag, den 26.05.1995 sind wir wieder nach Hause zurückgekehrt. Wir sind gegen Morgen angekommen. Am Nachmittag hat bereits Dr. Mann einmal angerufen gehabt bzw. habe ich dann auch mit ihm gesprochen. Er drängte damals darauf, Olivia wieder ins Spital zu bringen. Am Sonntag, den 28.05.1995, habe ich erstmals mit Amtsarzt Dr. Stangl telefoniert.

Der ER: Am 30.05.1995, zwei Tage später, hat dann noch einmal ein Gespräch mit Prof. Jürgenssen stattgefunden?

EB: Der Chronologie nach war es so: Es hat ein Telefonat zwischen Dr. Mann und mir stattgefunden am Tag der Rückkehr aus Köln, also am Freitag, den 26.05.1995. Ich habe ihn damals gefragt, ob durch seine Therapie nicht die Fruchtbarkeit unserer Tochter später einmal leiden wird. Er hat das immer negiert. Ich war natürlich in einer Situation, wo ich wußte, ich brauche unbedingt einen Arzt; ich habe mir aber überlegt gehabt, daß an und für sich die Arztwahl freistellt, und daß man das eigentlich niemandem

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bekanntgeben muß. Das war meine damalige Einschätzung der Rechtslage. Ich habe gegenüber Dr. Mann erklärt, daß unser Kind in einer Klinik sei bzw. in einer Therapie stehe, was aber nicht den Tatsachen entsprochen hat. Ich wollte Zeit gewinnen. Ich habe einen Arzt gesucht, der die Therapie von Olivia übernimmt.

Der ER: War Dr. Stangl Ihr Arzt, der die Therapie übernimmt? Welche Funktion hat er nach Ihrer Überlegung?

EB: Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat weitere Medikamente empfohlen. Er hat mir auch geraten, bei der Version, Olivia in einer anderen Klinik untergebracht zu haben, zu bleiben, – weitere CT´s sollten wir immer bei verschiedenen Ärzten vornehmen.

Der ER: Warum hat es das zweite Gespräch mit Prof. Jürgenssen am 30.05.1995 gegeben?

EB: Am Montag darauf hat sich noch einmal Dr. Mann gemeldet und bat, daß ich ins St.Anna-Kinderspital kommen solle, um mit Prof. Gadner zu sprechen. Es ist aber dann ein Telefonat mit Prof. Gadner erfolgt, in dem er gemeint hat, keine Klinik sei besser als die seine. Als er aber erklärt hat, wenn wir Hilfe benötigen, könnten wir uns jederzeit bei ihm melden, habe ich mich dann bedankt und das Gespräch beendet. Kurz darauf hat Prof. Jürgenssen angerufen. Das war das erste Mal, daß ich mit Prof. Jürgenssen gesprochen habe. Er hat sofort gedroht, daß er als Verantwortungsträger rechtliche Schritte unternehmen müßte, wenn wir nicht die Klinik nennen würden, die Olivia behandelt. Er hat gemeint, ein Fall wie dieser sei ihm noch nie untergekommen, und bevor er uns anzeigt, solle ich mich bei ihm zu einem Gespräch einfinden. Dieses Gespräch haben wir dann für den nächsten Tag, für Dienstag,

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vereinbart. Als Vorbereitung für dieses Gespräch habe ich dieses Schreiben aufgesetzt, das mir dann Dr. Jürgenssen auch unterfertigt hat, welches auch im Akt erliegt. Es ist darum gegangen, den Namen des behandelnden Arztes zu erfahren, den ich aber nicht preisgab.

Der ER: Einen behandelnden Arzt haben Sie doch eigentlich noch nicht gehabt? Das haben Sie gesagt, um Zeit zu gewinnen?

EB: Es war so, daß Frau Dr. Rozkydal die begleitende medikamentöse Behandlung, sprich Homöopathie usw. übernommen hat. Sie kennt auch die Neue Medizin bereits seit Jahren. Ich wußte, ich kann mich auf ihren Rat verlassen; ich dachte allerdings, sie zu benennen, geht sicherlich nicht durch.

Der ER: Prof. Jürgenssen wollte von Ihnen den behandelnden Arzt wissen und Sie haben ihn ihm nicht gesagt?

EB: Das ist richtig.

Der ER: Am 09.06.1995, nach etwas mehr als einer Woche, gab es dann die Tagsatzung beim Pflegschaftsgericht. Irgendwann in diesem Zeitraum muß das Pflegschaftsgericht eingegriffen haben. Wie war Ihr erster Kontakt mit dem Pflegschaftsgericht?

EB: Es liegen da einige Ereignisse dazwischen. Die Tagsatzung ist an einem Freitag erfolgt. Am Tag zuvor war das Jugendamt bei uns. Ich glaube, das war am Tag zuvor. Zum Pflegschaftsrichter bin ich freiwillig gegangen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits ein Schreiben vom Bundesministerium für Gesundheit gehabt. In diesem Schreiben steht, daß sämtliche Zytostatika im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Das ist mir natürlich ganz komisch vorgekommen; wie kann man Krebs mit krebs-

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erregenden Mitteln therapieren? Dieses Schreiben habe ich mitgenommen und dem Pflegschaftsrichter Mag. Masicek vorgelegt. Er hat das aber irgendwie geringschätzig abgetan. Ich habe dann den Pflegschaftsrichter darauf aufmerksam gemacht, daß meiner Meinung nach hier ein Fall ähnlich wie Dr. Semmelweis vorliegt, ein Streit zwischen Medizinern, woraufhin mir Mag. Masicek den Vorschlag unterbreitet hat, diesen Arzt, den ich noch immer nicht mit Namen genannt hatte, und Dr. Jürgenssen am Tisch vor ihm zu konfrontieren und sich dann selbst eine Meinung zu bilden. Er hat mir an diesem Freitag einen Zeitraum von drei Wochen eingeräumt, in welchem ich dieses Treffen organisieren konnte.

Der ER: Stimmt es, daß Sie auch bei dieser Tagsatzung einen Arzt nicht genannt haben?

EB: Das ist richtig.

Der ER: Wesentlich an diesem Protokoll erscheint mir, daß über eine Ultraschalldiagnose, durch wen auch immer, gesprochen wurde. Es wurde Ihnen nahegelegt, wenn Sie schon den Arzt nicht nennen, daß Sie eine Unterlage bringen, eine Ultraschalldiagnose?

EB: Das ist praktisch eine Woche später. Mag. Masicek hat mich glaublich am Mittwoch vor dieser Tagsatzung angerufen und hat gemeint, ich müßte sofort kommen, sämtliche Aussagen werden zu Protokoll gegeben und von diesem Treffen, dieser Gegenüberstellung Dr. Hamer / Prof. Jürgenssen wollte er nichts mehr wissen. Dann bin ich an diesem Freitag alleine zu dieser Tagsatzung erschienen. Zu diesem Zeitpunkt hat mir Frau Dr. Rozkydal bereits die Behandlung zurückgelegt. Ich habe zu diesem Zeitpunkt keinen Anwalt gehabt. Es hat zuvor, am Donnerstag vorher, ein Gespräch mit Frau Dr. Petrovic im Parlament gegeben. Sie hat mir versichert, daß Dr. Hamer nicht irre; sie

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hat mir erklärt, daß sie selbst bereits einmal ihr Kind vor der Chemotherapie retten mußte. Sie hat mir auch versichert, daß ich mir wegen eines Rechtsbeistandes keine Sorgen machen bräuchte, sie wüßte da sicherlich einen Rechtsanwalt. Es hat sich aber dann so ergeben, daß ich zu dieser Tagsatzung trotzdem ohne Rechtsanwalt erscheinen mußte.

Der ER: Ich habe diese Protokollierung beim Pflegschaftsgericht so verstanden, daß Ihnen gesagt worden ist, wenn es keinen Vertrauensarzt gibt oder Sie ihn nicht nennen wollen, brauchte man wenigstens eine Untersuchung durch einen Urologen und eine Ultraschalldiagnose. War das so?

EB: Es war so, daß bei dieser Tagsatzung ein sachverständiger Urologe anwesend war. Bei dieser Tagsatzung habe ich dann offen meinen Willen dargelegt, daß ich Olivia nach den Erkenntnissen der Neuen Medizin therapieren möchte. Es ist dann dem Richter Mag. Masicek darum gegangen, ob der Tumor wächst oder nicht. Ich habe aber dann entsprechend der schulmedizinischen Überlegung zur Entstehung der Metastasen erklärt, daß, selbst wenn der Tumor stehenbliebe, doch aus Sicht der Schulmedizin eine potentielle Gefahr der Metastasenbildung bestünde. Dies hat auch der Sachverständige bestätigt, woraufhin mir Mag. Masicek erklärt hat, wenn der Tumor stehenbliebe, würde er die Gefahr einer Metastasenbildung auf sich nehmen. Wir könnten dann praktisch Olivia bei uns belassen, wir brauchten nicht diese Chemotherapie, die uns nahegelegt wurde, zu machen.

Es ist dann eine weitere Untersuchung vereinbart worden bei einem Radiologen frei nach unserer Wahl. Das haben wir dann auch gemacht.

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Der ER: Der versprochene Rückruf ist aber laut Protokoll nicht erfolgt?

EB: Richter Masicek wollte in dem Befund stehen sehen, daß der Tumor nicht gewachsen sei. Das hätte ihn befriedigt. Wir waren dann am Dienstag, das war glaube ich der 13.06.1995, beim Radiologen Dr. Heder in Mödling. Dieser hat mir dann eröffnet, daß der Tumor angeblich gewachsen sei. Wir waren jetzt in der Situation, daß wir absolut nicht mehr gewußt haben, was wir tun sollen. Wir haben natürlich an der Diagnose von Dr. Hamer gezweifelt, ob er sich hier irre. Wir haben gewußt, daß uns jetzt nichts anderes übrig bleibt als die Chemotherapie. Wir haben uns aber dann entschlossen – vielleicht hat sich Dr. Hamer in diesem Fall geirrt, vielleicht muß dieser Tumor noch wachsen, vielleicht aber irrt sich der Radiologe; wir haben es nicht gewußt – egal welche Form von Krebs es ist, egal in welchem Stadium, uns erscheint der Weg der Neuen Medizin plausibler, erfolgversprechender als der Weg der Schulmedizin. Wir haben uns nochmals ganz definitiv für den Weg einer natürlichen Heilung entschieden. Allerdings hat sich dann auch das Problem ergeben, daß ich mit dem Befund eines größer gewordenen Tumors bei Mag. Masicek sicherlich auf kein Verständnis mehr stoßen werde. Wir haben uns dann eben sofort, nachdem wir diesen Befund in den Händen gehalten haben, dazu entschlossen, daß wir die Flucht antreten.

Der ER: Sie haben also mit der Entziehung der elterlichen Rechte gerechnet? Der Beschluß, der dann am 23.06.1995, also etwa eine Woche später, gefaßt worden ist, hat Sie nicht überrascht?

EB: Er hat uns sicherlich nicht überrascht, nein. Was uns aber überrascht hat, war, daß gleich das

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Jugendamt mit Polizei aufmarschiert ist, und wir dann eigentlich ein Kreuz geschlagen haben, daß wir nicht anwesend waren, weil uns da sicherlich das Kind mit Polizeigewalt entzogen worden wäre.

Der ER: Sie sagen, was dann passiert ist, hätten Sie nicht erleben wollen. Woher wissen Sie denn, was zu Hause passiert ist, als Sie nicht mehr da waren? Wie haben Sie von dieser Situation Kenntnis erlangt? Was ist dann tatsächlich passiert, soweit Sie das sagen können?

EB: Ich habe mich gelegentlich im Haus der Schwiegereltern telefonisch gemeldet.

Der ER: Dann war einmal dieses Telefonat, bei dem Ihnen die Schwiegermutter mitgeteilt hat, daß die Gendarmerie da war?

EB: Richtig, daß ein Beschluß abgegeben worden ist, und daß die Polizei da war. Ich habe mir das kurz vorlesen lassen und habe dann veranlaßt, daß meine Schwägerin diesen Beschluß an den Rechtsanwalt, den ich zu diesem Zeitpunkt bereits hatte, faxt.

Der ER: Warum war die Gendarmerie da; doch wohl nicht, um den Beschluß zuzustellen, sondern um das Kind zu holen?

EB: Das nehme ich an.

Der ER: Ist es richtig, daß Sie zu dem Zeitpunkt in Kärnten waren?

EB: Richtig.

Der ER: Warum waren Sie zu diesem Zeitpunkt in Kärnten?

EB: Es ist so, daß uns Dr. Hamer erklärt hat, daß der Konflikt erst gelöst werden kann, wenn die Mutter ständig bei der Tochter ist, daß wir unbedingt Ruhe brauchen.

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Er hat uns auch erklärt, wie der weitere Verlauf sein wird, daß eine Leberschwellung eintreten wird, daß Olivia des Nachts oft schwitzen wird, daß dies auch einen eigentümlichen Geruch haben kann. Das ist dann im Laufe der Zeit alles eingetreten. Unser Hauptgrund war, daß wir Gelegenheit haben, diesen Heilungsprozeß zu ermöglichen, daß Olivia Ruhe hat.

Der ER: Sie sagten Ihrer Schwägerin, sie soll den Beschluß dem Anwalt Dr. Vacarescu in Graz schicken. Was sollte er tun? Was haben Sie sich vorgestellt, was er tun kann?

EB: Das wird der Rechtsanwalt schon wissen.

Der ER: Haben Sie eine konkretere Vorstellung gehabt?

EB: Ich habe natürlich gehofft, daß dieser Beschluß durch den Rechtsanwalt irgendwie aufgehoben werden kann, indem er Einspruch erhebt oder etwas in der Art, damit wir nicht der Obsorge verlustig gehen.

Der ER: Sie haben gehofft, daß das noch nichts Endgültiges ist, daß man das anfechten kann?

EB: Das ist richtig.

Der ER: Wann haben Sie erfahren, daß es insofern endgültig war, als ein sofortiger Vollzug ohne Abwarten des Rechtsmittelverfahrens vom Richter verfügt worden ist? Wie haben Sie von dieser Konstellation erfahren? Oder ist Ihnen das etwas Neues?

EB: Es ist drunter und drüber gegangen. Ich weiß nur, daß Dr. Vacarescu einen Rekurs beantragt hat. Wann ich erfahren habe, daß dieser nicht fruchtet, weiß ich jetzt nicht mehr.

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Der ER: In diesem Beschluß steht: „Gemäß § 12 AußStrG wird der sofortige Vollzug angeordnet.“ Sagt Ihnen diese Formulierung irgend etwas?

EB: Im Nachhinein kenne ich mich rechtlich natürlich ein bißchen besser aus als damals und als medizinischer Laie auch medizinisch besser als damals. Jetzt sagt mir das sehr wohl, daß da eben kein Rechtsmittel einzubringen ist; damals glaube ich nicht, daß mir das irgend etwas gesagt hat. Es hat dann ein Telefonat mit Herrn Rechtsanwalt Vacarescu gegeben, wo er das Mandat niedergelegt hat. Ich muß auch vorausschicken, daß wir ja in dem Bewußtsein gehandelt haben, daß durch die parlamentarische Anfrage der Frau Dr. Petrovic die Möglichkeit bestünde, daß hier rechtlich etwas zu unseren Gunsten bewirkt wird.

Der ER: Sie wissen, daß die Gendarmerie da war. Was heißt das? Das kann nur so interpretiert werden, daß sofort etwas geschieht, sonst käme doch nicht die Gendarmerie. Haben Sie das anders gesehen?

EB: Wir haben sehr bald den Fall Katharina Scharpf aus Deutschland erfahren, wo die Eltern die Chemotherapie des Kindes abgebrochen haben, weil sie eingeschätzt haben, daß das Kind das nicht übersteht. Der Vater ist dann mit dem Kind geflüchtet. Der deutsche Staat hat dann dem Vater garantiert, daß er bei Rückkehr keine Chemotherapie mehr machen bräuchte. Er ist dann zurückgekehrt, der deutsche Staat hat sein Wort gehalten, die Chemotherapie hat nicht erfolgen müssen. Aber zu diesem Zeitpunkt damals war ebenfalls die Polizei anwesend und wollte das Kind holen. Allerdings ist das Kind nach zwei Jahren über Nacht gestorben, meines Wissens an Herzversagen bedingt durch die Chemotherapie.

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Der ER: Sie selbst bezeichnen das als „Flucht“. Hat dieses Telefonat, die Kenntnis, daß die Gendarmerie schon da war und das Kind holen wollte, etwas damit zu tun, daß Sie weiter, schließlich bis nach Spanien, gereist sind oder hat das andere Gründe gehabt?

EB: Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob wir von dem Umstand, daß die Polizei anwesend war, direkt durch meine Schwiegermutter erfahren haben oder erst nach unserer Rückkehr durch meinen Schwiegervater. Das weiß ich jetzt nicht mehr so konkret. Es hat ja von uns auch immer wieder Bestrebungen gegeben, die Schulmedizin und Ärzte, die die Neue Medizin kennen, zusammenzubringen, damit sie, vielleicht in Form eines Konsortiums, Olivia in die Therapie übernehmen würden. Es hat die „Help-TV“-Sendung gegeben, einen gewissen Prof. Pichler, der als Patientenanwalt vorgestellt worden ist, der aber meines Wissens nur rechtskundig ist im Patientenrecht. Mit dem habe ich dann noch Tage sehr intensiv telefoniert, um die Möglichkeit abzuchecken, ob sich nicht Schulmediziner bereit finden würden, zusammen mit Ärzten der Neuen Medizin Olivia zu behandeln. Unser Wunsch war es natürlich, Olivia unter ärztliche Aufsicht zu stellen. Für uns war diese Flucht ohne ärztlicher Aufsicht eine immense Belastung. Wir sind nur übers Telefon mit Ärzten in Kontakt gestanden. Wir haben versucht, ehebaldigst diese Situation zu ändern.

Der ER: Wohin ist es von Kärnten gegangen?

EB: Von Kärnten ist es direkt nach Deutschland gegangen, dann in die Schweiz und dann nach Spanien.

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Der ER: Laut Akteninhalt ging es nach Spanien deshalb, weil Dr. Hamer dort Beziehungen und Kollegen hat. Wollte das Hamer haben oder war das Ihr Wunsch? Wieso seid ihr letzten Endes in Spanien gelandet?

EB: Weil sich dort Ärzte bereiterklärt haben, Olivia in Behandlung zu übernehmen. Ich habe eine Bestätigung, die ich mir allerdings erst nachträglich habe schicken lassen, von einem gewissen Dr. Gutierez Vinuales, daß er Olivia in Behandlung übernehmen wollte.

Der ER: Wie sind Sie zu diesem Arzt gekommen?

EB: Das ist uns mitgeteilt worden, daß sich in Malaga drei Ärzte bereit erklären, Olivia in Therapie zu übernehmen, d.h. unter ständiger Aufsicht. Dr. Hamer hat uns das mitgeteilt.

Der ER: Stimmt es also, daß er Beziehungen nach Spanien gehabt hat, und daß dies der Grund dafür war, daß Sie nach Spanien gegangen sind; um dort Kontaktärzte aufzusuchen?

EB: Es war auch ein anderes Motiv, nämlich der Umstand, daß in Spanien die Vorstellung, daß Eltern das Kind weggenommen wird und einer Therapie ausgesetzt wird, die wahrscheinlich zu mehr als 90% tödlich ist, unvorstellbar ist. Das würden die spanischen Eltern nie dulden.

Der ER: Wo ist das Kind behandelt worden, und wie sind Sie über die Entwicklung dieser Krankheit auf dem laufenden gewesen? Der Tumor hat sich ja vergrößert.

EB: Die Frage ist nur, wodurch.

Der ER: Wie haben Sie kontrolliert, daß sich da etwas entwickelt?

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EB: Als wir noch in Deutschland waren, haben wir Kenntnis vom Befund des Prof. Rius aus Barcelona bekommen als auch von dem Video. In dem Befund steht, daß Olivia Cerebralmetastasen, sprich Kopfmetastasen, hat, die ein gewisser Prof. Lukayer und zwei weitere Ärzte diagnostiziert haben, daß bei Olivia Leberkrebs vorliegt, ebenfalls ein Sammelrohrkarzinom auf der rechten Niere und vermutlich auch ein Knochenkrebs an einem Lendenwirbel. Als wir nach Spanien gefahren sind, war natürlich auch für Dr. Hamer das wichtigste, weitere CT-Bilder erstellen zu lassen. Wir sind, glaube ich, an einem Dienstag angekommen und am Mittwoch Vormittag haben wir bereits einen Termin gehabt. Wir haben am Abend zuvor noch mit einem Arzt von der Universitätsklinik Malaga gesprochen. Wir haben dann auch am Vormittag sogleich einen Termin erhalten und haben Organ- als auch Kopf-CT´s erstellen lassen. Das war die Kontrolle. Es hat auch einen Befund gegeben – Dr. Hamer ist in Spanien relativ bekannt – dieser Befund stammt aber nicht von einem sogenannten Hamer-Arzt. Dieser Arzt schreibt, daß seine Diagnose 1. Nephroblastom und 2. Wilms ist.

Der ER: Haben Sie durch diese Untersuchungen gewußt, daß es ärger wird?

EB: Sie gehen vielleicht davon aus, daß der Wilmstumor immer größer geworden ist.

Der ER: Ich gehe davon aus, daß der Bauch größer geworden ist. Das hat man gesehen.

EB: Das haben wir gesehen, wobei das Befinden von Olivia nicht schlechter geworden ist. Das Befinden von Olivia hatte sicherlich seinen Höhepunkt in dem Zeitraum gehabt, wo Spiegel-TV die Aufnahmen gemacht hat, das war in Deutschland, also mindestens eine Woche zuvor. In Spanien war das Befinden von Olivia bei weitem

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nicht mehr so schlecht. Es hat sich von der Konstitution her gebessert. Wir sind mit dem Kind Eis essen gegangen. Es gibt da sehr schöne Fotos, wo das Kind lacht. Eine Woche davor konnte sie nicht einmal aufstehen. Es gibt eben so Schwankungen.

Der ER: Was hat Sie dann letztendlich veranlaßt, doch zurückzukommen?

EB: Es ist einiges geschehen in Spanien. Der Grund war eigentlich das Anraten von Dr. Hamer. Ich war anwesend, es sind Telefonate geführt worden zwischen Dr. Marcovich und Dr. Hamer. Die Situation in Spanien war unerträglich. Es ist vereinbart worden, daß, wenn wir eine schriftliche Erklärung bekommen, daß nichts gegen unseren Willen geschieht, wir nach Österreich zurückkehren.

Der ER: Sie sagen, es war unerträglich. Laut Aktenlage haben Sie es als unerträglich empfunden, daß Sie von den Journalisten und Fernsehreportern so belagert worden sind?

EB: Wir mußten uns verstecken. Wir sind, wenn wir aufgespürt worden sind, regelrecht gehetzt worden.

Der ER: Wenn der Rummel mit der Öffentlichkeit und der Presse nicht gewesen wäre, wären Sie geblieben?

EB: Ja, sicher. Bei einer Behandlung entsprechend der Neuen Medizin unter ärztlicher Aufsicht ist für mich der Ort nur insofern von Interesse, als es dort angenehm ist. In Spanien war es natürlich auch heiß, da ist mir natürlich ein Ort in Österreich, den Olivia gewohnt ist, sicherlich lieber.

Der ER: Zumindest über Telefon wußten Sie, daß in Österreich etwas mit der Aberkennung der elterlichen Rechte im Gange ist, und daß Sie das Kind

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eigentlich zurückgeben müßten. War da kein Gedanke in diese Richtung, daß Sie mit dem Kind gar nicht in Spanien sein dürften und es nach Hause bringen müßten, weil Sie gar nicht mehr Ihre elterlichen Rechte haben?

EB: Ein Kind ist kein Ding. Ein Ding gibt man gern her, aber ein Kind hergeben? Die Konsequenz wäre gewesen, daß sie der Chemotherapie ausgeliefert werden würde. Das haben wir nicht zusammengebracht. In Spanien war es so, daß uns bzw. meiner Frau der Konsul Esten beim Besuch der Klinik an dem Tag, als Frau Dr. Marcovich angekommen ist, das Sorgerecht zurückgegeben hat. Er war für uns der Vertreter der österreichischen Regierung. Er hat uns gesagt, wenn wir das Kind in die Klinik bringen, gibt er uns das Sorgerecht zurück. Lustigerweise hat er es nur Erika zurückgegeben und mir nicht.

Der ER: Sie haben tatsächlich gedacht, daß der Konsul das wirklich machen kann, obwohl der österreichische Richter etwas anderes sagt?

EB: Damals habe ich es angenommen; jetzt würde ich mich nicht mehr darauf verlassen.

Der ER: Die Rückkehr nach Österreich erfolgte am 24.07.1996?

EB: Das ist richtig. Das war ein Montag.

Der ER: Was war ausschlaggebend, daß Sie zunächst einmal mit der Aufnahme im Krankenhaus Tulln einverstanden waren?

EB: Es hat bei der Ankunft am Flughafen Wien-Schwechat ein Gespräch mit Dr. Zimper, Dr. Gadner und Frau Dr. Marcovich gegeben. Wir sind mit Olivia nach Maiersdorf zurückgekehrt. Ich habe dann wiederum versucht, Dr. Stangl telefonisch zu erreichen. Es ist mir nämlich mitgeteilt worden, daß sich Dr. Stangl bereiterklärt hat, die

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Behandlung von Olivia zu übernehmen. Das ist auch aus der schriftlichen Vereinbarung ersichtlich, daß eben nichts gegen unseren Willen geschieht; da ist Dr. Stangl auch angeführt worden gemeinsam mit Frau Dr. Rozkydal. Es waren natürlich meine Bestrebungen, sofort nach unserer Rückkehr diese Möglichkeit auszuloten. Ich habe Dr. Stangl dann noch am Telefon beknien müssen, weil er sich zuvor geweigert hat. Wir haben dann am Telefon vereinbart, weil mittlerweile auch in Maiersdorf wieder die Journalistenhorde eingetroffen war, daß ein geheimer Aufenthaltsort in einem Krankenhaus genau das wäre, was wir Eltern uns vorstellen würden, unter der Aufsicht von Dr. Stangl. Dr. Stangl hat dann das Krankenhaus Tulln vorgeschlagen und hat gemeint, der dortige Primar Dr. Vanura stünde kurz vor der Pension, er habe keine Profilierungswünsche, und selbst wenn dies alles schiefgehen sollte, würden ihm auch daraus keine besonders großen Nachteile erwachsen, so daß Dr. Stangl die Möglichkeit sah, im Einverständnis mit Dr. Vanura die Behandlung von Olivia im Tullner Krankenhaus zu übernehmen. Es hat dann in weiterer Folge ein Treffen bei Dr. Rozkydal in Wien gegeben. Anwesend war Frau Dr. Marcovich, Dr. Zimper.

Der ER: Es war dann diese Konziliarbesprechung. Im Protokoll heißt es dann „Herr Pilhar war mit der Chemotherapie einverstanden“. Ist das richtig protokolliert?

EB: Ja. Das möchte ich kurz erklären, wie das zustandegekommen ist. Es hat damals ein Gespräch stattgefunden zwischen Dr. Zimper und der damaligen Rechtsvertretung, die ich eigentlich selbst erst kurz zuvor kennengelernt habe. Es ging darum, wenn wir uns weiterhin der Chemotherapie verweigern würden, würde man uns das Kind wegnehmen und Olivia ohne unser Beisein therapieren.

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Ich habe der Chemotherapie zugestimmt, damit man uns nicht von unserem Kind fernhält.

Der ER: Warum haben Sie dann am nächsten Tag das Einverständnis widerrufen?

EB: Weil ich um das Leben meines Kindes gekämpft habe.

Der ER: Das haben Sie am Tag davor doch auch getan.

EB: Schon; das war Dienstag Abend. Wir sind am Montag früh nach zwei Stunden Schlaf in das Flugzeug gestiegen, ich habe bis Dienstag um Mitternacht kein Auge mehr zugetan. Ich war fix und fertig. Ich habe damals mehr oder weniger den Kampf aufgegeben, ich habe mein Kind praktisch geistig der Chemotherapie überreicht, weil ich einfach müde war.

Der ER: Haben Sie das richtig verstanden, was in dieser Situation Ihre Rolle als Vater war? Aberkannt war ja das elterliche, das väterliche Recht. Wie haben Sie das empfunden, was wurde Ihnen gesagt, warum es noch immer notwendig oder richtig oder wünschenswert war, daß die Eltern auch ja dazu sagen?

EB: Ich kann mir das an meinen zehn Fingern abzählen, daß eine Zwangschemotherapie ohne Beisein der Eltern niemals zum Erfolg führen würde, d.h. daß die Ärzte ohne die Eltern mit der Chemotherapie bei einem Kind ja überhaupt keine Chance haben. Das war mir sehr wohl bewußt. Das war mein Druckmittel, daß wir eben sagen, nein, mit uns nicht.

Der ER: Daß sich die Ärzte in Tulln dann geweigert haben und gesagt haben, wenn die Eltern nicht mitspielen, dann machen wir keine Zwangstherapie?

EB: Richtig. Das war meine Linie.

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Der ER: Sie haben erwähnt, Prof. Vanura hätte keine Profilierungsneurose mehr. Es kommt darauf hin, entnehme ich Ihrem Standpunkt, daß sie sagen, die Ärzte müssen ja die Chemotherapie machen, denn sonst bekommen sie Schwierigkeiten. Habe ich das richtig verstanden, daß Sie dieser Meinung waren? Haben Sie auch einmal daran gedacht, daß auch der Arzt eine Verpflichtung hat; daß, wenn er eine nicht anerkannte Methode, die Sie ihm vorschlagen, akzeptierte und mit dem Kind passiert etwas, er den Kopf dafür hinhalten muß? Daß es da schon gerichtliche Entscheidungen gibt, daß Ärzte verurteilt worden sind, wenn sie dem Patientenwunsch entgegen der herrschenden medizinischen Wissenschaft entsprochen haben?

EB: Wir können die Neue Medizin komplett weglassen. Die Schulmedizin hat immer gesagt, sie wollen den 95%igen Wilmstumor haben. Sie haben total ignoriert, daß Olivia Kopfmetastasen hat, daß sie Leberkrebs hat. Es gibt immerhin das Video, daß wir sofort nach Erhalt am 10.07.1995 an das Gericht weitergeschickt haben. Die Schulmedizin hat nie ein Sterbenswort darüber verloren. Wir haben ja gewußt, daß die Chemotherapie, die entsprechend dem Wilmstumor verabreicht wird, bei gleichzeitigem Vorhandensein von Metastasen und Leberkrebs niemals den Erfolg bringen kann, den der Wilmstumor bei dieser Therapie bringen würde.

Der ER: Sie unterstellen mehr oder weniger den Schulmedizinern, daß sie von der Pharmaindustrie abhängig sind; sie müssen so handeln, damit das Geschäft stimmt, grob gesprochen. Der andere Aspekt, daß der Arzt wirklich eine echte, persönliche Verantwortung hat, ist Ihnen nicht plausibel erschienen?

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Daß die Ärzte Ihrer Meinung, nach der Konflikttheorie zu heilen, gar nicht folgen konnten, ohne sich ihrerseits strafbar zu machen? Diese Aussage wurde nicht jetzt gemacht, aber sie ist aktenkundig. Habe ich Sie richtig verstanden, ist das Ihre Meinung über die Schulmedizin?

EB: Die Diagnose Kopfmetastasen, Leberkrebs ist ja auch durch Schulmediziner erfolgt. Wir sind mit der Geschichte von Olivia zwischen zwei Mühlsteine geraten. Dr. Hamer ist ja nicht erst durch uns bekannt geworden. Dr. Hamer ist ja ein Begriff in der schulmedizinischen Krebstherapie. Der Name Dr. Hamer ist jedem Onkologen klar. Wir sind in einen Kampf geraten, Schulmedizin gegen Dr. Hamer, wo wir als Eltern, die die Sorge um das Wohl des Kindes gehabt haben, gesehen haben, daß unter den Ärzten, also Schulmedizinern in Wien und Schulmedizinern in Spanien überhaupt keine Kommunikation herrscht. Was nicht in dieses System mit 95%iger Heilungschance hineinpaßt, ist einfach ignoriert worden. Prof. Rius ist ein habilitierter Doktor.

Der ER: Sie haben Ihre Verantwortung sehr nachvollziehbar und eloquent dargelegt. Warum sollte Dr. Prosenz das nicht hören? Was stört Sie daran?

EB: Ich habe nichts gegen Dr. Prosenz als Person.

Der ER: Warum sollte er nicht hier sein? Wie denken Sie wirklich darüber?

EB: Die ganze Geschichte Olivia ist der Kampf zwischen Schulmedizin und Dr. Hamer. Dr. Prosenz ist Schulmediziner.

Ich schließe mich im Prinzip dem an, was unsere Verteidigung hierzu bereits ausgeführt hat.

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Der StA: Wissen Sie, daß Dr. Hamer in Deutschland die Befugnis aberkannt worden ist, als Arzt tätig zu sein?

EB: Ja.

Der StA: Seit wann wissen Sie das?

EB: Im möchte mit den Worten von Dr. Stangl antworten. Das ist aus einem Schreiben an den Ärztekammerpräsidenten Routil: „Wenn nun Herr Dr. Hamer als Scharlatan eingestuft wird, in Deutschland Berufsverbot hat, kriminell und im höchsten Maß bedenklich ist und seine Thesen als abstrus, wirr oder skurril bezeichnet werden, dann frage ich mich, warum Sie als Präsident der Steiermärkischen Ärztekammer den Stier nicht schon längst bei den Hörnern gepackt haben und all die unbewiesenen Behauptungen durch wohlgemerkt unvoreingenommene Kollegen in einer Langzeitstudie sachlich überprüfen ließen…“

Ich darf mir solche Anmaßungen nicht erlauben, deshalb habe ich einen kompetenten Mann vorgeschoben.

Ich habe von Anfang an gewußt, daß Dr. Hamer die Befugnis zu praktizieren aberkannt worden ist.

SV Dr. Scheithauer: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, als der Beschluß des Pflegschaftsgerichtes zugestellt wurde, waren Sie schon in Kärnten. Wann haben Sie diesen Beschluß zum ersten Mal gesehen?

EB: Dieser Beschluß ist uns in Tulln von Mag. Masicek überreicht worden. Das war entweder am Donnerstag, den 27.07.1995 oder am Freitag, den

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28.07.1995. Das war vier, fünf Tage nach der Rückkehr aus Spanien.

Verteidiger Mag. Rebasso: Insofern stimmt die Behauptung des Staatsanwaltes, daß Ihnen der Beschluß persönlich zugestellt wurde?

EB: Ja, aber der Zeitpunkt liegt in Tulln. Vorher habe ich den Beschluß nicht persönlich zugestellt bekommen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie vorher vom Inhalt dieses Beschlusses Kenntnis erlangt und wenn ja, speziell von dieser Passage, daß dieser Beschluß sofort in Vollzug zu setzen ist? Haben Sie das gewußt?

EB: Ich kann es so erklären: Dieses Schriftstück ist mir von meiner Schwiegermutter am Telefon vorgelesen worden. Als nächsten Schritt habe ich veranlaßt, daß dies an den Rechtsanwalt geschickt wird, damit dieser etwas unternimmt. Daß das ohne aufschiebende Wirkung ist, war mir nicht bewußt bzw. rechtlich nicht so klar, wie es mir jetzt klar ist; sonst hätte ich mir das ja ersparen können.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie in Spanien auch in irgendeiner Form mit einem Gericht konfrontiert gewesen?

EB: Richtig, zweimal.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie ungefähr, wie dort die Situation im Hinblick auf Ihre Entscheidung betreffend die Heilbehandlung ausgesehen hat, wie das von dem spanischen Gericht beurteilt worden ist?

EB: Am Mittwoch, am zweiten Tag in Spanien, nachdem wir die CT´s in der Universitätsklinik erstellen haben lassen, sind wir durch die Interpol verhaftet worden, aufs Polizeirevier gebracht worden und von dort in ein Gerichtsgebäude. Es hat hektische Telefonate gegeben.

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Im Prinzip ist uns zuletzt ein Schriftstück ausgehändigt worden, auf spanisch allerdings, in dem ungefähr drinsteht, daß wir sehr wohl sorgende Eltern sind. Wir sind wieder entlassen worden mit der Auflage, erreichbar zu bleiben.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie dort so behandelt worden, daß Sie davon ausgehen mußten, daß Sie nicht mehr das Sorgerecht für Ihr Kind haben?

EB: Im Zeitraum in Spanien ist das mit dem Sorgerecht überhaupt hin und her gegangen. Einmal hat der Konsul meiner Frau das Sorgerecht wieder übergeben, das Gericht sagte, wir sind sehr wohl sorgende Eltern; es war überhaupt eine Situation, wo es keine klaren Linien gegeben hat.

Verteidiger Mag. Rebasso: Als Sie den Beschluß letztlich vom Richter Masicek bekommen haben, war allerdings die Situation für Sie schon klar?

EB: Eigentlich erst dann mit dem Beschluß. Wir haben damit gerechnet, daß das Wort von Konsul Esten auch in Österreich Bedeutung hat.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wo hat sich Olivia zu dem Zeitpunkt befunden, als Sie den Beschluß vom Richter Masicek bekommen haben?

EB: In Tulln im Krankenhaus. Das hat sich alles im Krankenhaus abgespielt.

Verteidiger Mag. Rebasso: War damals bereits die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt in die Entscheidungen dort im Krankenhaus vor Ort eingebunden?

EB: Ja. Dr. Zimper war dort als Vertreter anwesend.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat er auch mitgeredet?

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EB: Richtig bewußt geworden ist mir das erst, als es den Eklat gegeben hat, als Olivia wiederum an Infusionen angeschlossen war. Da ist mir ziemlich klipp und klar mitgeteilt worden, zuerst von Prim. Vanura und dann auch telefonisch von Dr. Zimper, daß wir rechtlich absolut nichts mehr mitzubestimmen hätten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Demnach hat also Dr. Zimper im wesentlichen die Entscheidungen getroffen? Er war damals schon der primäre Ansprechpartner?

EB: Das ist richtig.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wovon sind Sie ausgegangen, als Sie von Ihrer Schwiegermutter gehört haben, daß jemand da war und ein Schriftstück zurückgelassen hat, was diese Leute gewollt hätten?

EB: In erster Linie haben wir gesehen, daß das Kind sofort einer Therapie zugeführt werden soll. Das war für uns das Schlimmste. Mögliche rechtliche Konsequenzen betreffend die Obsorge waren nur eine Begleiterscheinung. Uns ging es um das Wohl des Kindes aus unserer Sicht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Bestand aus Ihrer Sicht ein Bewußtsein dahingehend, daß Sie in die Erziehungsrechte beispielsweise einer Behörde eingreifen?

EB: Es ging um die Chemotherapie. Wir haben unsere Kinder bisher immer selbst erzogen. Es ging ja nur darum, daß die Chemotherapie durchgeführt werden kann aufgrund der Anzeige der Schulmedizin; daß das Jugendamt herkommt und sagt, wir machen jetzt die Chemotherapie.

Verteidiger Mag. Rebasso: War diese Rückführung gemeinsam mit Frau Dr. Marcovich Ihres Wissens nach von der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt inszeniert und gestaltet oder von einer anderen Stelle?

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EB: Meines jetzigen Wissens nach ist das von der Zeitschrift NEWS und dem ORF inszeniert worden. Mir ist mitgeteilt worden, daß zu dem Zeitpunkt, als Dr. Zimper noch Angebote eingeholt hat wegen einer Fluggesellschaft, diese Maschine bereits am Flughafen Wien-Schwechat bereit gestanden hat, gesponsert von ORF und NEWS. Dann hat sich Dr. Zimper mehr oder weniger damit begnügt, daß nichts ohne sein Einverständnis passiert mit dieser Rückholaktion.

Verteidiger Mag. Rebasso: Dr. Vacarescu, der damals von Ihnen in dieser Situation bevollmächtigt war, noch bevor sie endgültig weggefahren sind, erklärt in einem Rekurs gegen diesen besagten Beschluß, daß Ihnen der Beschluß am 25.06.1995 zugestellt worden sei. Was sagen Sie dazu?

EB: Das dürfte er wahrscheinlich mißverstanden haben. Es ist so, daß der Beschluß bei uns zu Hause abgegeben worden ist, wir aber nie in diesem Zeitraum zu Hause waren und auch eine Woche später nicht zu Hause waren. Wir selbst haben den Beschluß nicht bekommen. Das ist ein Irrtum.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben eine Situation eines Mädchens geschildert, daß Sie gesehen haben, das bei Ihnen einen sehr bedrückenden Eindruck hinterlassen hat. Worauf haben Sie den Zustand dieses Kindes damals zurückgeführt?

EB: Einzig und allein auf die Therapieform. Das Kind konnte nicht schlucken, weil die Chemotherapie die Schleimhäute angreift. Das Kind war so unterernährt, daß es mit acht Jahren schon das Bewußtsein gehabt hat, es muß essen, es kann aber nicht essen. Die psychische Qual, die eine Chemotherapie verursacht, hat dieses Kind uns offenbart.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Woher haben Sie damals gewußt, daß die Chemotherapie diesen Zustand herbeigeführt hat?

EB: Das habe ich damals gewußt, eben durch das Gespräch mit den Verwandten und auch durch verschiedentliche Meldungen von Ärzten, von Dr. Mann und dieser Ärztin, daß die Chemotherapie die Schleimhäute angreifen wird.

Verteidiger Mag. Rebasso: Das war damals für Sie schon ausreichend klar?

EB: Das haben wir schon gewußt, ja, und das habe ich bei dem Kind erlebt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist bei dem nachfolgenden Gespräch mit Dr. Mann aus Ihrer Sicht dieses Problem auf der Leber nicht zur Sprache gekommen?

EB: Nein, direkt nicht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie das nicht zur Sprache gebracht? Zuvor hat das doch eine andere Ärztin festgestellt.

EB: Ja, sie hat es festgestellt, nur war mir dieser Umstand bei dem Arztgespräch mit Dr. Mann noch nicht so bewußt. Ich habe sehr wohl registriert gehabt, daß diese Bemerkung gefallen ist, bewußt geworden ist mir das erst später, als Frau Dr. Rozkydal gemeint hat, die Leber sei durch.

Verteidiger Mag. Rebasso: Dr. Mann hat von sich aus auch keine Erwähnung gemacht?

EB: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was war damals überhaupt Ihr Wissenstand im Zusammenhang mit der Chemotherapie, zu diesem Zeitpunkt ganz am Beginn?

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EB: Nur, daß die Chemotherapie eine Qual ist für die Patienten. Zwei Verwandte von mir sind an Krebs erkrankt und beide in der schulmedizinischen Therapie verstorben. Ich persönlich kenne überhaupt nur ein Kind, das war, glaube ich, ein Leukämiefall, das diese Krebstherapie über einen längeren Zeitraum überlebt hat. Das ist ein Kind, und ich kenne auch sonst sehr wenige bis überhaupt niemanden, der diese Therapie über einen langen Zeitraum, wo man z.B. sagen könnte, das war vor zehn Jahren, überlebt hätte. Ich kenne niemanden.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat Dr. Mann damals in dem Gespräch im Hinblick darauf, daß Ihnen offenbar aus eigenen Beobachtungen ein bißchen etwas über die konventionelle Krebstherapie bekannt war, über allfällige Nebenwirkungen und Spätfolgen gesprochen und Sie über diese Dinge umfassend aufgeklärt oder hat sich das damals darauf beschränkt, daß er gesagt hat, es gibt keinen anderen Weg?

EB: Wir haben erst mit der Zeit erfahren, daß die Chemotherapie Wachstumsstörungen verursachen kann, daß sie Fertilitätsstörungen verursachen kann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie damals von Dr. Mann darüber aufgeklärt worden?

EB: Nicht richtig; es ist erwähnt worden, daß das Kind nicht mehr schlucken kann, daß ihm die Haare ausgehen. Das mit den Haaren ist wirklich das minimalste.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie das Thema Begleitfolgen, Spätfolgen usw. damals in diesem Gespräch selbst angesprochen?

EB: Nein, das war mir noch nicht so bewußt, daß es überhaupt solche Begleit- und Nebenerscheinungen gibt in so einem Umfang und mit solcher Vehemenz.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sind nachher offenbar noch einmal mit Ihren Verwandten in Kontakt getreten, die dann den weiterführenden Weg zu Dr. Hamer aufgezeigt haben? Ist das richtig?

EB: Wir sind in Kontakt mit den Verwandten gekommen und diese haben uns erklärt, was ca. Dr. Hamer und ca. die Chemotherapie ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sind das auch diejenigen Verwandten, die selbst Erfahrungen mit Dr. Hamer hatten?

EB: Das ist richtig.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was haben Sie bezüglich eigener Erfahrungen mit der Therapieform Hamer von den Verwandten erfahren?

EB: Die haben einen 15- oder 16-jährigen Buben aus der Krebstherapie herausgenommen und ihn dann durch die Heilungsphase begleitet. Der Bub hat die ganzen Symptome gehabt, die Dr. Hamer erwähnt, eben epileptoide Krise; es schaut fürchterlich aus, aber die haben das Kind durchbegleitet und unterstützt. Das Kind ist auch gesund geworden. Der Cousin bzw. Schwager hat eigene, persönliche Erfahrungen; bei ihm hat man einmal einen Gehirntumor diagnostiziert, den er nie behandeln hat lassen und auch nie Sorge gehabt hat, weil er in Kenntnis der Neuen Medizin war und gewußt hat, daß das ein Hamerscher Herd ist, der die Heilungsphase eines Krebses verdeutlicht hat. Das ist auch abgeklungen und er hat nie eine schulmedizinische Therapie oder sonst etwas gehabt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Welche Schlußfolgerungen haben Sie zum damaligen Zeitpunkt für sich aus diesen Erfahrungen Ihrer Verwandten gezogen?

EB: Daß die Neue Medizin funktioniert.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Sind Sie dann noch mit weiteren Personen in Kontakt gekommen, die ebenfalls Erfahrungen diesbezüglich gesammelt haben?

EB: Ja; mit der ersten Person beim Treffen mit Dr. Hamer in Köln. Die nächste Person, die uns dann durch die ganze Zeit beigestanden ist, als wir wieder in Österreich waren, war eine Dame, die schulmedizinisch im Jahre 1990 aufgegeben worden ist mit dem Hinweis, daß sie nicht mehr lange zu leben hätte. Sie hat dann zufälligerweise am selben Tag das Goldene Buch von Dr. Hamer bekommen. Sie war dann bei Dr. Hamer. Er hat ihr erklärt, daß sie eine Konfliktlösung herbeiführen muß, daß sie nachher vier Monate Heilungsschmerzen haben wird. Das ist alles korrekt eingetroffen so, wie es Dr. Hamer prognostiziert hatte. Das ist mittlerweile sechs Jahre her.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie lange war es damals her, als Sie mit ihr in Kontakt gekommen sind?

EB: Fünf Jahre. Sie war in einem sehr guten Zustand.

Verteidiger Mag. Rebasso: Welche Schlußfolgerungen haben Sie daraus wieder gezogen?

EB: Allein die Erzählungen dieser Dame, die sogar ein vertrautes Verhältnis zu den Therapeuten im Lainzer Krankenhaus aufgebaut hat, weil sie dort immerhin über Jahre behandelt worden ist; als sie dann nach der Heilungsphase wieder zurückgekommen ist, um zu sagen, daß sie noch immer lebt und wie gut es ihr geht, hätten diese Ärzte plötzlich erklärt, daß sie diese Person nicht mehr kennen. Das hat mir verdeutlicht, daß sich die Schulmedizin absolut nicht mit der Neuen Medizin Dr. Hamer auseinandersetzen möchte. Sie will nicht. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Hat das für Ihren weiteren Entscheidungsverlauf subjektiv eine Bedeutung gehabt?

EB: Ja, sicherlich.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, Sie sind zur Frau Dr. Rozkydal gekommen, nachdem Sie schon zum ersten Mal bei Dr. Hamer waren?

EB: Nein, direkt vom St.Anna-Kinderspital aus sind wir zur Frau Dr. Rozkydal gegangen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, sie hat zur Chemotherapie geraten?

EB: Sie hat uns gesagt, sie kennt sich mit Wilmstumor nicht aus, sie wüßte auch nicht, wie man das nach Hamer behandelt. Es ist aber so, daß sie keine Kinder, also Minderjährige, nach der Neuen Medizin behandeln darf und sie uns eben zur Chemotherapie raten muß.

Verteidiger Mag. Rebasso: Aus welchen Gründen rät sie zur Chemotherapie?

EB: Weil sie – das hat sie uns auch in einem Schreiben mitgeteilt, als sie die Behandlung zurückgelegt hat – Sanktionen der Ärztekammer als auch strafrechtliche Konsequenzen befürchten muß. Aus medizinischen Gründen ist es gegen ihre ethische Überzeugung.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat Frau Dr. Rozkydal gesagt, daß das Kind sterben wird, wenn die Chemotherapie nicht durchgeführt wird?

EB: Zu diesem Zeitpunkt nicht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat sie Alternativen zu einer Chemotherapie aufgezeigt?

EB: Wir haben sie mit unserem Willen konfrontiert, daß wir zu Dr. Hamer wollen. Sie hat selbst auch Erfahrungen mit der Neuen Medizin bzw. überhaupt mit

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alternativen Therapien gehabt. Sie hat einige Zeit in Japan, im Osten verbracht und gesehen, daß sehr wohl auch andere Krebstherapien funktionieren und eine Chemotherapie nicht das alleinige ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie dann noch weitere Ärzte in Österreich konsultiert?

EB: Ja, wir waren dann bei Dr. Leeb in Baden. Das war glaublich am 14.06.1995. Ich habe ihm die CT´s gezeigt. Er sollte seine ärztliche Meinung mitteilen, wie es dem Kind geht. Wir wollten eben auch noch eine andere ärztliche Meinung hören. Dr. Leeb ist praktischer Arzt, der Konfliktlösung nach Dr. Hamer macht. Er ist uns empfohlen worden. Wir waren dann mit Olivia bei ihm. Er hat ebenfalls durch Abtasten eine Schwellung an der Leber festgestellt. Dadurch, daß ein Geschehen an der Leber ist, ist, glaube ich, jedem klar, daß man da nicht direkt zur Chemotherapie raten kann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie noch einmal präzise sagen, was Dr. Leeb festgestellt hat?

EB: Er hat eine Schwellung an der Leber festgestellt. Er hat uns sicherlich nicht zur Chemotherapie geraten. Er hat zu Konfliktlösung nach der Neuen Medizin geraten.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat er Medikamente empfohlen?

EB: Homöopathische Mittel; das haben so ziemlich alle Ärzte empfohlen, auch Dr. Stangl, der Olivia eigentlich vor Tulln nie gesehen hat.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie war Ihr Kontakt zu Dr. Stangl, den sie vor der Flucht nach Spanien gehabt haben?

EB: Telefonischer Kontakt.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Kann man aus diesen Telefongesprächen eine ärztliche Meinung daraus zusammenfassen, die er geäußert hat?

EB: Ich müßte jetzt im konkreten nachschauen. Er hat mir den Tip gegeben, immer bei verschiedenen Radiologen CT´s erstellen zu lassen, damit das nicht auffällt. Dr. Stangl ist Amtsarzt aus Tulln und Obmann der wissenschaftlichen Vereinigung der niederösterreichischen Amtsärzte.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie sonst noch mit Ärzten im Zeitraum vor Spanien Kontakt gehabt?

EB: Ja, mit Dr. Loibner, einem Homöopathen aus der Nähe von Graz. Er hat ebenfalls eine Schwellung an der Leber festgestellt und mir ebenfalls nicht zur Chemotherapie geraten, hat aber empfohlen, daß man versuchen sollte, eine Klinik zu finden, wo eine Operation ohne Chemotherapie möglich wäre. Es hat da Telefonate gegeben, ich war nicht dabei. Er hat mir das dann einmal, als wir bereits in Deutschland waren, mitgeteilt, daß er mit einem Arzt aus einer Klinik in Graz gesprochen hat und daß das ginge. Ich hatte jedoch eine große Skepsis, daß, wenn wir in eine Klinik gehen, dort doch die Chemotherapie gemacht wird.

Verteidiger Mag. Rebasso: Er selbst hat aber einen Weg ohne Chemotherapie aufgezeigt?

EB: Das ist richtig, ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Dr. Loibner auch ein Vertreter der Hamerschen Schule?

EB: Nein. Er kennt Dr. Hamer nur vom Hörensagen. Er kennt sich sicherlich nicht in der Neuen Medizin aus in dem Sinne, daß er weiß, welche Thesen Hamer hat.

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Verteidiger Dr. Schefer: Sie sprachen über die Sensibilität Ihres Kindes Olivia und sagten, sie war besonders anfällig, jedenfalls nervös, wenn die Mutter nicht da war. Meinen Sie da einen großen Unterschied zu Ihren anderen Kindern oder halten Sie das noch für eine normale Bandbreite, wie sich die Geschwister unterscheiden?

EB: Was ist normal? Es ist uns damals aufgefallen, daß Olivia vehement darunter leidet, daß die Mutter nicht da ist. Es ist uns aufgefallen. Es war bemerkbar. Die momentane Situation, diese Bindung Mutter an Kind, ist durch das Ganze sicherlich um ein Vielfaches gesteigert worden.

Verteidiger Dr. Schefer: Auch vor dem Tatzeitpunkt war das schon feststellbar, nicht erst anläßlich der Krankheit, daß eine besondere Sensibilität im Vergleich zu Ihren anderen Kindern vorliegt?

EB: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie eine Erklärung dafür? Zu welchem Zeitpunkt haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?

EB: Eigentlich erst, als uns Dr. Hamer darauf hingewiesen hat, daß das Kind so unter dem Verlust ihrer Mutter leidet, daß es zum Krebs kommen kann.

Verteidiger Dr. Schefer: Vorher haben Sie diese besondere Sensibilität als einen Zustand, der eben so ist, interpretiert?

EB: Das ist richtig.

Verteidiger Dr. Schefer: Fiel Ihnen auf, als Sie sich mit den Vorstellungen von Dr. Hamer befaßt haben, daß ein eklatanter Widerspruch zu der Schulmedizin, zur konventionellen Medizin besteht?

EB: Ja, klar.

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Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie sich gewundert, daß sich Schulmediziner mit dieser eklatant anderen Methode, dieser ihrer Lehre widersprechenden Theorie befassen? Sie haben schließlich mit dem Kind auch Schulmediziner aufgesucht. Ich verstehe darunter jemanden, der ein medizinisches Studium absolviert hat und die Approbation innehat.

EB: Wenn man sich damit auseinandersetzt, wenn man Fälle verifiziert, überprüft – ich habe das ja anhand der Zertifikate gewußt, das waren von Ärzten beglaubigte Überprüfungsergebnisse. Ich bin selbst Techniker. Für mich zählen Fakten, die ich greifen kann.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie hatten in der Folge Hoffnung, daß sich Vertreter der Neuen Medizin nach Dr. Hamer und Schulmediziner an einen Tisch setzen?

EB: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie waren davon überzeugt, daß das möglich wäre?

EB: Ja. Es hat Bestrebungen von Frau Dr. Petrovic gegeben, dann gab es die Help-TV-Sendung mit Prof. Pichler, der damals in der Sendung an der Seite von Dr. Jürgenssen gestanden ist. Es sind Gespräche bezüglich dreier Ärzte der Neuen Medizin, die wir namentlich genannt haben, und drei Schulmedizinern, gelaufen.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben geschildert, in Spanien seien Ihnen zwei widersprechende Phänomene an Ihrer Tochter aufgefallen; zum einen ein gutes subjektives Befinden des Kindes, zum anderen wuchs aber der Bauch. Sind diese beiden Phänomene so aufgetreten?

EB: Ich würde nicht sagen, daß der Bauch gewachsen ist. Der schlechteste Moment war sicherlich in Deutschland mit Spiegel-TV. Das war der Moment, wo es

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nach meinem Empfinden Olivia am schlechtesten gegangen ist. Das ist dann wieder besser geworden. Wir sind mit dem Flugzeug nach Spanien geflogen. Olivia ist nicht irgendwie aufgefallen bei den Passagieren. Wir sind durch den Zoll ganz normal durchgegangen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben ein Gespräch im St.Anna-Kinderspital angesprochen zwischen Dr. Mann und einem Pharmavertreter. Was haben Sie aus diesem Gespräch letztlich entnommen, welche Schlußfolgerungen haben Sie daraus gezogen?

EB (zitiert nach Nachschau in seinen Aufzeichnungen): Das Gespräch ging folgendermaßen vor sich: Der Arzt fragt nach den Vorteilen gegenüber dem alten Produkt. Der Vertreter: „Weiß ich nicht, ich müßte nachsehen.“ Darauf der Arzt: „Aber es ist doch wesentlich, die Vorteile zu kennen.“ Der Vertreter sagt: „Ich muß mich informieren und werde sie Ihnen nennen.“ Das Produkt wird aber trotzdem vom Arzt angenommen mit der Bemerkung: „Es liegt nicht in meiner Kompetenz, über die Annahme des Produktes zu entscheiden.“

Der Vertreter drängt praktisch dem Arzt ein Produkt auf, von dem er nicht einmal selbst weiß, welchen Vorteil das neue Produkt gegenüber dem alten Produkt hat. Der Arzt sagt, na gut, ich muß es eh annehmen, es bleibt mir eh nichts anderes über. Es ist dann auch zu einem Blickkontakt gekommen. Ich habe mir gedacht, das wird dem Arzt jetzt sicherlich peinlich sein, daß ich das Gespräch ungewollt mitangehört habe. Das war aber nicht der Fall.

Im Arztgespräch selbst haben wir dann auch angesprochen, daß eigentlich immer mit Chemie vorgegangen wird und nie mit irgendwelchen Naturheilmitteln. Das ist ein riesiger Krankenhauskomplex, aber daß man da einmal bei

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Bauchweh einen einfachen Tee bekommt, kommt nie vor. Es gibt immer nur Antibiotika usw.

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Mittagspause von 12.15 Uhr bis 13.35 Uhr

Der ER: Ihr Gatte hat angegeben, die wesentlichen Entscheidungen sind gemeinsam erfolgt, Sie waren nach Beratung mit allem einverstanden. Können Sie das bestätigen?

Die Zweitbeschuldigte Erika Pilhar gibt an:

Das ist richtig.

Der ER: Gibt es Einzelheiten, die Sie separat betonen möchten?

ZB: Zu meiner kritische Einstellung gegenüber der Chemotherapie: Durch meine Erkrankung der Schuppenflechte, die ich habe, habe ich mich schon 15 Jahre mit dem Thema Gesundheit auseinandergesetzt. Daher bin ich auch auf die Krebstherapie, Chemotherapie und diese Dinge gestoßen. Insofern habe ich mich damit auseinandergesetzt, Bücher gelesen usw.

Der ER: Wir haben erfahren, daß Sie, Ihr Gatte und das Kind zu dem Zeitpunkt, als versucht wurde, den schriftlichen Beschluß des Pflegschaftsgerichtes auf Aberkennung der elterlichen Rechte, nicht mehr zu Hause waren.

ZB: Das ist richtig.

Der ER: Sie haben dann durch eine Telefonat von dieser Sache Kenntnis erlangt? Wie und wann haben Sie erfahren, daß Sie ihre elterlichen Rechte verloren haben?

ZB: Grundsätzlich muß ich sagen, daß diese Dinge mein Gatte abgewickelt hat. Ich war vor allem bei den

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Kindern und bei Olivia. Ich habe insofern davon erfahren, als mein Gatte zu Hause angerufen hat. Da hat man ihm gesagt, daß es ein Schriftstück gibt, daß die Obsorge entzogen wurde. Mein Gatte hat mir das erzählt.

Der ER: Wie haben Sie darauf reagiert?

ZB: Für mich war es unverständlich, daß sowas möglich ist.

Der ER: Ihnen wird ja auch vorgeworfen, daß Sie, obwohl Sie wußten, daß Ihnen die elterlichen Rechte aberkannt worden sind, diesem gerichtlichen Beschluß nicht Folge geleistet haben, also das Kind nicht der Behörde übergeben haben. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

ZB: Das wäre dem gleichgekommen, mein Kind ins nächste Spital zur Chemotherapie abzuliefern. Das wollte ich nicht.

Der ER: Da ist eine gerichtliche Entscheidung und Sie sagen, egal, was das Gericht entscheidet, Sie sind im Ergebnis dagegen. Glauben Sie, daß das richtig ist, wenn ja, warum?

ZB: Ich bin die Mutter des Kindes. Ich möchte gern für mein Kind die beste Entscheidung treffen. Für mich ist es nicht verständlich, daß eine Behörde sagen kann, man muß das und das machen, nachdem ich mich eines besseren erkundigt habe und gefunden habe, das wäre die bessere Lösung.

Der ER: Der Pflegschaftsrichter ist zu einem anderen Ergebnis gekommen. Das ist eine gerichtliche Entscheidung.

ZB: Das war mir eigentlich nicht so bewußt, daß das so schlimm ist. Ich wollte eben keine Chemotherapie.

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StA: keine Fragen.

SV Dr. Scheithauer: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie jetzt, welche rechtliche Anordnung dieser gerichtliche Beschluß beinhaltet?

ZB: Nicht genau.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wußten Sie damals, als Sie von Ihrem Gatten erfahren haben, daß es da etwas gibt, welche Anordnungen dieser Beschluß beinhaltet?

ZB: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was war die konkrete Information, die Sie von Ihrem Gatten bekommen haben?

ZB: Daß man uns die Obsorge entzogen hat. Das war in etwa sein Wortlaut. Darüber hinaus wußte ich nichts. Das hat er mir als Resümee dieses Telefongespräches mitgeteilt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was war für Sie der entscheidende Punkt bei diesem Beschluß? Worum ist es Ihrer Meinung nach in diesem Beschluß inhaltlich gegangen?

ZB: Daß ich mein Kind der Chemotherapie auszuliefern habe.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist es Ihrem Bewußtsein nach auch darum gegangen, daß jetzt eine Behörde über dieses Kind erziehungsberechtigt sein soll?

ZB: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie irgendwann später diesen Beschluß bekommen?

ZB: Ich kann mich an diese Einzelheiten nicht mehr erinnern.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie diesen Beschluß in der Zeit, bevor Sie weggefahren sind oder während Sie weg waren, irgendwann in Händen gehabt?

ZB: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie sich erinnern, ob Sie in Spanien mit einem Gericht zu tun gehabt haben?

ZB: Ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie war Ihr Eindruck, wie Sie dort behandelt werden?

ZB: Ich hatte den Eindruck, daß man uns respektiert und daß das akzeptiert wird, daß wir uns um unser Kind kümmern.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hatten Sie den Eindruck, daß Sie als Eltern akzeptiert werden?

ZB: Ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Oder hat man Ihnen gesagt, Sie sind ja gar nicht mehr die Eltern, Sie müssen das Kind hergeben?

ZB: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat Ihnen das der Konsul gesagt? Ihr Gatte hat gesagt, der Konsul hat dort die Republik Österreich vertreten. Haben Sie das auch so empfunden?

ZB: Ja, wenn man es so bezeichnen will.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat er Ihnen gesagt, Sie sind ja gar nicht mehr die Eltern, wissen Sie, daß Sie nicht mehr die Eltern sind, daß Ihnen die Obsorge entzogen worden ist?

ZB: Ja, ich glaube, er hat da schon etwas gesagt in die Richtung.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Ihr Gatte hat gemeint, es sei Ihnen aber dann trotzdem die Obsorge wieder zurückübertragen worden?

ZB: Ja. Wir waren dort bei einem Richter und das dürfte uns dann wieder zurückgegeben worden sein. Ich weiß es nicht mehr so genau.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die rechtlichen Konsequenzen in diesem Zusammenhang waren Ihnen offenbar nicht bewußt?

ZB: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ihnen ist es darum gegangen, daß die Chemotherapie nicht stattfindet?

ZB: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Sind Sie der Überzeugung, daß Ihnen dann, wenn Sie alles tun, was üblicherweise Eltern ihrem Kind an Sorge angedeihen lassen, Ihr Kind nicht weggenommen werden kann?

ZB: Ja, ich meine, das ist so.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie eine Vorstellung davon, daß es eine Trennung zwischen natürlichem und juristischem Elternrecht geben könnte?

ZB: Nein, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Verteidiger Dr. Schefer: Können Sie sich vorstellen, daß der Gerichtsvorsteher kommt und sagt, Sie haben Rechnungen nicht bezahlt, ich pfände Ihren Videorecorder?

ZB: Ja, das kann ich mir vorstellen.

Verteidiger Dr. Schefer: Wenn eine Behördenperson kommt und sagt, ich habe einen Beschluß, ich muß Ihnen Ihr Kind wegnehmen, können Sie sich das nicht vorstellen?

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ZB: Nein, das kann ich nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl, daß Sie nicht mehr Mutter mit allen Rechten und Pflichten sind über Olivia?

ZB: Nein.

Der ER: Im Pflegschaftsakt erliegt ein Protokoll vom 28.07.1995 über die Zusammenkunft der Ärzte im Krankenhaus Tulln, bei der der Pflegschaftsrichter anwesend war und wo überlegt und beraten wurde, wie weiter vorzugehen sei. Ist Ihnen das wissenschaftlich begründete Gutachten, daß diese vier Ärzte dort erstellt haben, dem Inhalt nach bekanntgegeben worden?

ZB: Das weiß ich jetzt nicht mehr.

Der ER: In diesem von Dr. Lechner, Dr. Ludwig, Dr. Strasser und Dr. Zwickl erstatteten wissenschaftlich begründeten Gutachten in diesem Pflegschaftsfall heißt es als Ergebnis: „Somit ist eindeutig festzuhalten, daß ohne medizinische Intervention das Leben des Kindes zu Ende gehen wird.“ Daher empfehlen sie Zwangstherapie, auch gegen den Willen der Eltern. Weiters steht im Gutachten, daß zumindest Ihre Mitwirkung an dieser Therapie natürlich als Mutter und Bezugsperson besonders förderlich wäre: „Zur Optimierung der Chancen und Reduzierung der Risiken soll die Therapie auf einer intensivmedizinischen Station durchgeführt werden, darüber hinaus sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Mutter zu einer positiven Kooperation zu bewegen.“

Im Bericht der Bezirkshauptmannschaft steht darüber: „Am 29.07.1995 sollte die Überstellung vom Krankenhaus Tulln nach Wien erfolgen. Die Mutter

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weigerte sich anfänglich, Olivia zu begleiten, dürfte aber zwischenzeitig die Situation insofern akzeptiert haben, als sie seit Samstag Nachmittag ihr Kind besucht.“

Ich schließe daraus, daß Sie zunächst nicht mitgefahren sind, als das Kind von Tulln nach Wien gekommen ist?

ZB: Das ist richtig.

Der StA dehnt den verfahrensgegenständlichen Zeitraum aus bis September 1995.

Der ER: Vier Mediziner sagen Ihnen, das Kind stirbt, wenn nicht sofort etwas passiert. Sie sind aber trotzdem dagegen und fahren nicht mit. Wie war Ihre Überlegung?

ZB: Bevor ich diese Frage beantworte, würde ich mich gerne mit der Verteidigung besprechen.

Nach Unterbrechung der Verhandlung von 13.55 Uhr bis 14.00 Uhr beantragt der Verteidiger Mag. Rebasso zur Anklageausdehnung einen gesonderten Hauptverhandlungstermin mit entsprechender dreitägiger Vorbereitungszeit.

Der StA: Bei einer Anklageausdehnung, die das Strafausmaß nicht ändert, ist das nicht vorgesehen.

Sohin verkündet der ER den

B e s c h l u ß

auf Abweisung des Antrages der Verteidigung, da eine gesonderte Verhandlung oder Vertagung aus diesem Grund im Gesetz nicht vorgesehen sei.

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ZB: Ich kann mich jetzt an das Gespräch mit den Ärzten erinnern, nicht aber an das Schriftstück, daß Sie in Händen halten. Die strittige Frage war, was ist, wenn doch Leberkrebs vorliegt. Die Ärzte haben gesagt, es liegt nur Wilmstumor vor. Für mich war das einfach unvorstellbar, bei einem Leberkrebs mit einer Leber in der Heilung, der großen Schwellung noch dazu, da noch mit Chemotherapie draufzufahren. Das war für mich fast wie das Todesurteil für mein Kind. Deshalb habe ich nicht zustimmen können.

Der ER: Diese Ärzte, immerhin anerkannte Kapazitäten, sagten, wenn nicht gleich etwas geschieht, stirbt das Kind. Sie sagen, ich tu nicht mit. Wie war Ihre Überlegung?

ZB: Wir hätten noch Zeit gebraucht, damit diese Schwellung wieder zurückgehen kann.

Der ER: Heißt das, daß sie noch immer daran geglaubt haben, daß die Schwellung zurückgeht?

ZB: Ja, daran haben wir geglaubt. Etliche Ärzte haben uns versichert, daß das in diesem Zustand so ist und daß das wieder zurückgeht.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie wurden zu einem früheren Zeitpunkt über einen Vorgang an der Leber in Kenntnis gesetzt?

ZB: Man hat gesagt, es ist ein Schatten in der Leber, aber man weiß eigentlich nicht, was das ist. Das haben im St.Anna-Kinderspital die Ärzte gesagt, z.B. Dr. Mann.

Verteidiger Dr. Schefer: Wurde Ihnen gesagt, was es eventuell sein könnte?

ZB: Nein. Man weiß eben nicht, was das ist. Es dürfte vermutlich der Wilmstumor sein, der da hineindrückt.

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Verteidiger Dr. Schefer: Können Sie die Ärzte benennen, die das gesagt haben? Haben sie das zu Ihnen gesagt?

ZB: Ich glaube, Dr. Mann hat mit uns gesprochen und eine Ärztin. Dieses erste Gespräch, das stattfinden hätte sollen, bevor man mit der Chemotherapie beginnt, hat ja nicht stattgefunden.

Verteidiger Dr. Schefer: Das war doch zu einem frühen Zeitpunkt?

ZB: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Wurde zu einem späteren Zeitpunkt noch über dieses Geschehen an der Leber gesprochen?

ZB: Nein.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben im Laufe der Beschäftigung mit der Krankheit Ihrer Tochter die Vermutung erhalten, bei diesem Lebergeschehen könne es sich auch um eine Krebserkrankung handeln? War so etwas Ihr Gedanke?

ZB: Es hat sich ja dann herausgestellt. Am Anfang wußte ich, Wilmstumor. Wir haben uns dann an andere Ärzte gewendet, die dann gesagt haben, es ist ein Geschehen auf der Leber.

Verteidiger Dr. Schefer: Dieses Geschehen an der Leber, sagten Sie, sei Ihnen auch von Dr. Mann und von dieser Ärztin, deren Namen Sie nicht mehr wissen, genannt worden? Es sei ein Fleck auf der Leber und man wisse nicht, was es zu bedeuten habe?

ZB: Ja. Man vermute, das sei der Wilmstumor, der da hineindrückt.

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Verteidiger Dr. Schefer: Hatten Sie die Vermutung, daß es sich dabei auch um eine Krebserkrankung handeln könnte?

ZB: Das wußte ich eben nicht, was da jetzt los ist.

Verteidiger Dr. Schefer: Worauf gründete sich Ihre Ablehnung der Chemotherapie im Bezug auf die Lebererkrankung? Sie haben eben angedeutet, wenn die Leber in irgendeiner Weise involviert sei, dann wären Sie der Meinung, daß Chemotherapie das sichere Todesurteil für Ihr Kind sei.

ZB: Das ist ja hinlänglich bekannt, daß man, wenn man Leberkrebs hat, keine Chemotherapie geben kann.

Verteidiger Dr. Schefer: Wußten Sie das zu diesem Zeitpunkt?

ZB: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Ihnen die Ärzte in dem Krankenhaus, in dem Sie waren, eine solche Information gegeben?

ZB: Nein. Die Ärzte haben mir auch gesagt, dieser große Wilmstumor hätte die Niere komplett zerfressen, von der Niere sei nichts mehr vorhanden. Es hat sich dann aber herausgestellt, als die Schwellung zurückgegangen ist, daß die Niere im Röntgen komplett zu sehen war, eine richtig schöne Niere mit einer Zyste drauf. Das war das letzte CT vor der Operation, ich weiß das Datum nicht mehr. Das dürfte im September 1995 gewesen sein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wer hat gesagt, daß etwas auf der Leber ist?

ZB: In erster Linie Dr. Hamer, dann hat es angeblich Dr. Stangl gesagt; Dr. Leeb hat es bestätigt. Ich habe mit Dr. Stangl nicht selbst gesprochen, das hat mein

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Gatte gemacht. Dr. Loibner hat gesagt, es ist etwas auf der Leber. Er hat zu dem Zeitpunkt auch mit meinem Gatten gesprochen. Dr. Kern hat das auch gesagt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Waren Sie dabei, als Dr. Leeb das gesagt hat?

ZB: Ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was hat jeder einzelne für sich jetzt gesagt?

ZB: Dr. Stangl hat meinem Gatten gesagt, es ist Leberkrebs. Dr. Leeb hat gesagt, es ist ein Geschehen auf der Leber. Dr. Kern hat das auch bestätigt. Dr. Loibner hat auch angenommen, daß da ein Geschehen ist. Dr. Hamer hat, was uns sehr erstaunt hat, nur das Kopf-CT angeschaut und gesagt, da ist ein sogenannter Wilmstumor, was aber seiner Meinung nach eine Zyste wäre, die fest wäre und nicht mehr aktiv ist; dann hat er gesagt, aber es ist ein Geschehen auf der Leber. Da haben wir ihm noch gar nichts von irgendwelchen Flecken auf der Leber erzählt gehabt. So hat er das gesehen.

Im St.Anna-Kinderspital hat man den Fleck gesehen, aber nicht deuten können.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie in weiterer Folge, ausgestattet mit diesem Wissen, irgendwann die Krankenhausärzte damit konfrontiert und gefragt, was mit dieser Situation auf der Leber ist? Haben Sie das irgendwann einmal zur Sprache gebracht, allenfalls auch gegenüber den Behörden?

ZB: Im Gespräch mit den Ärzten in Tulln z.B. habe ich das schon gesagt, daß das so wäre.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen irgendeine befriedigende Erklärung von seiten der Krankenhausärzte dazu gegeben worden?

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ZB: Nein, man hat nur gesagt, das wäre ein riesiger Wilmstumor, es wäre die Niere nicht mehr vorhanden. Es wurde gesagt, es ist nichts auf der Leber.

Verteidiger Mag. Rebasso: Welche Entscheidung haben Sie aus diesen Positionen heraus für sich getroffen? Welche Schlußfolgerung konnten Sie daraus ziehen?

ZB: Ich dachte, was ist, wenn das Geschehen in der Leber die besagte Leberschwellung in der Heilung ist und man fährt mit Chemotherapie darauf. Das ist unmöglich. Ich habe mir das nicht vorstellen können.

Eröffnung des Beweisverfahrens

Zeuge Mag. Rudolf Masicek, geb. 18.06.1945, Vorsteher des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt, fremd, gibt nach WE vernommen an:

Der ER: Ab welchem Zeitpunkt und warum mußte das Ehepaar Pilhar damit rechnen, daß es wirklich zu einer Entziehung der Obsorge kommt?

Im Tagsatzungsprotokoll vom 09.06.1995, S.4, heißt es: „Kindesvater erklärt nochmals, daß er der gewünschten Ultraschalluntersuchung nicht zustimme, da ihm seitens der Ärzte und auch von dem heute hier anwesenden Dr. Hawel erklärt wurde, daß die Gefahr einer Metastasenbildung auch dann nicht völlig gebannt sei, wenn der Tumor nicht weiterwachse. Aus diesem Grunde sei die gewünschte Ultraschalluntersuchung nicht

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zielführend. Dabei bleibt er auch, nachdem ihm mitgeteilt wird, daß er dann dem Gericht keine wie immer geartete Möglichkeit läßt, von einer allfälligen Entziehung der Obsorge Abstand zu nehmen.“

Der ER: Hat zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal aus der Sicht des Ehepaares Pilhar die Gefahr bestanden, daß jetzt die Abnahme droht?

Zeuge: Das Protokoll entspricht vollkommen den Tatsachen. Es gibt natürlich nur in kurzen Zügen das relativ lange Gespräch, das ich mit Herrn Pilhar damals geführt habe, wieder. Es ist der Versuch unternommen worden, sein Vertrauen zu gewinnen, ihn zu einer Therapie zu bewegen. Ich habe ihm damals freigestellt, sich einen Arzt seines Vertrauens auszusuchen. Er hat mir nämlich immer erklärt, dieser Tumor sei bereits stabil, er würde wieder kleiner werden, er könne sich nicht mehr vergrößern. Man solle doch unbedingt einmal seine Wünschen und seinen Therapievorstellungen nachgeben. Es gibt einen weiteren Aktenvermerk vom 12.06.1995, als Herr Pilhar dann angerufen hat und erklärt hat, er werde doch eine solche Ultraschalluntersuchung hinsichtlich der Größe des Wilmstumors machen, weil ich ihm gesagt habe – da steht an sich nichts im Protokoll – wenn sich der Tumor nicht vergrößert hat seit der letzten Untersuchung, die glaublich im Mai war, würde ich einige Zeit zuwarten, um ihm Gelegenheit zu geben, zu schauen, wie sich das Ganze weiterentwickelt. Wenn er aber nicht bereit ist, diese gewünschte Ultraschalluntersuchung machen zu lassen, dann muß er absolut rechnen, daß es zur Entziehung der Obsorge kommt. Aus dem Grund war ja auch Dr. Hawel, der damals noch nicht Sachverständiger war, bereits dabei, weil dieser ein modernes Ultraschallgerät hat und ich gewünscht hätte, daß

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man das sofort machen könnte, um ja nicht viel Zeit zu verlieren.

Der ER: Bis zum Beschluß war dann nichts mehr?

Zeuge: Der Aktenvermerk war so, daß er versprochen hat, binnen spätestens zwei oder drei Tagen mir dieses Ergebnis der Ultraschalluntersuchung vorzulegen. Ich habe dann einige Tage zugewartet und dann festgestellt, daß ein solches Ergebnis nicht vorgelegt worden ist, woraufhin ich mich gezwungen gesehen habe, diesen Beschluß zu erlassen.

Der ER: In dem Beschluß steht „Gemäß § 12 AußStrG wird der sofortige Vollzug der getroffenen Maßnahme angeordnet“. Warum mußte das Ihrer Meinung nach sofort geschehen?

Zeuge: Das diente nur der Verdeutlichung. Grundsätzlich sind ja außerstreitige Beschlüsse sofort vollstreckbar, d.h. es bedarf ja keiner weiteren Zuwartefrist. Man muß immer unterscheiden zwischen Vollstreckbarkeit und Rechtskraft. Das sind zwei vollkommen verschiedene Sachen. Beschlüsse im Außerstreitverfahren sind sofort vollstreckbar, Rekurse haben keine aufschiebende Wirkung.

StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es geht um die Zustellung dieses Beschlusses. Sie haben den Beschluß am 23.06.1995 gefaßt. Wie ist es dann weitergegangen? Sie werden den Beschluß nicht in Anwesenheit der beiden Herrschaften verkündet haben?

Zeuge: Richtig.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Somit mußten Sie ihnen eine schriftliche Beschlußausfertigung zukommen lassen.

Zeuge: Ich habe sie an der Wohnadresse zugestellt. Ich habe einen Rückschein bekommen. Die Mutter der Frau Pilhar hat das übernommen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Demnach haben Sie keinen Postfehlbericht bekommen?

Zeuge: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die Eheleute Pilhar sagen, sie waren zu diesem Zeitpunkt schon einige Tage lang gar nicht mehr ortsanwesend. Somit müßte eigentlich von einem Zustellmangel ausgegangen werden.

Zeuge: An sich nicht, weil die ‚Zustellung in weiß‘ in diesem Fall sicherlich zulässig ist und daher die Schwiegermutter durchaus zur Empfangnahme dieses Beschlusses berechtigt war.

Verteidiger Mag. Rebasso: Stimmt es, daß Sie den beiden Beschuldigten – so ihre Verantwortung – nach der Rückkehr mit der Flugambulanz in Tulln noch einmal diesen Beschluß ausgehändigt haben?

Zeuge: Nein. Das stimmt nicht. Ich habe ihnen in Tulln die Ausfertigung der Rekursentscheidung überreicht, wobei ich sie gefragt habe, ob sie diese schon kennen und haben, nicht des ersten Beschlusses. Das habe ich sicherlich nicht als notwendig erachtet, weil in der Zwischenzeit ja ein Rekurs gekommen ist, d.h. ein Rekurs der Kindeseltern gegen meinen Beschluß, also ein Rechtsmittel, so daß ich annehmen konnte, daß ihnen der Beschluß sehr wohl bekannt war und auch in irgendeiner Form zugekommen ist. Davon bin ich ausgegangen. Sonst hätte der Anwalt das Rechtsmittel nicht machen können.

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Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie damit gerechnet, daß einer solchen gerichtlichen Maßnahme elterlicher Widerstand entgegengesetzt wird?

Zeuge: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Im Prinzip hat man gewisse massive Widerstände schon gespürt, allerdings habe ich nicht unbedingt gerechnet, daß man sich dann so massiv dagegensetzen wird.

Verteidiger Dr. Schefer: Hatten Sie schon Vorkehrungen für den Fall getroffen, daß Ihrem Beschluß Widerstand entgegengebracht wird?

Zeuge: Nein.

Verteidiger Dr. Schefer: Es wurde die Formulierung gewählt, „jetzt droht die Abnahme“. Ich habe zuerst die Abnahme einer Videoanlage mit der Abnahme eines Kindes verglichen. Da ist ja ein Unterschied. Auch wenn wir Juristen sind, wollen wir die menschliche Seite nicht vergessen.

Zeuge: Das tut das Pflegschaftsgericht sicherlich nicht. In dem Beschluß steht ausdrücklich, daß dem Jugendamt, dem aufgetragen worden ist, für die Behandlung zu sorgen, dies möglichst unter Einbindung der Eltern und der Mutter zu machen hat. Das steht ausdrücklich drin. Zu behaupten, daß wir uns wie bei einer Videoanlage über etwas hinwegsetzen, finde ich etwas übertrieben.

Es gibt technische Ausdrücke im juristischen Bereich, die eben verwendet werden müssen.

Verteidiger Dr. Schefer: Welcher Person vom Jugendamt wurde die tatsächliche Ausführung der Obsorge übertragen?

Zeuge: Die Jugendabteilung wird in Österreich bestellt. Grundsätzlich ist das Land Träger, das Land delegiert das aber an die einzelnen Jugendämter. Die

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Jugendämter sind als solche der Leiter des Jugendamtes oder sein Vorgesetzter. Es steht ausdrücklich im Gesetz, „der Jugendwohlfahrtsträger ist zum Vormund zu bestimmen.“

Verteidiger Dr. Schefer: Sind Ihnen gleichgelagerte Fälle von Kindesabnahmen aus Ihrer Praxis bekannt?

Zeuge: Ich mache das etwa 20 Mal im Jahr.

Verteidiger Dr. Schefer: Auch Fälle wie diesem speziellen Fall, wo es um widerstreitende Beurteilung einer medizinischen Behandlung geht?

Zeuge: Ein solcher Fall war, ausgenommen bei der Ersetzung der Zustimmung hinsichtlich Bluttransfusionen, an sich noch nicht da. Dieser spezielle Fall ist natürlich ein Einzelfall.

Verteidiger Dr. Schefer: Welche Gutachten haben Sie Ihrer Entscheidung zugrundegelegt?

Zeuge: Das Gutachten des Dr. Hawel.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie versucht, Einblick in die Krankenhausunterlagen zu erhalten?

Zeuge: Das hätte ich in dem Moment nicht haben können, weil diese meines Wissens die Eltern selbst gehabt haben. Die Unterlagen sind ihnen vom St.Anna-Kinderspital mitgegeben worden, als sie das Kind dort wieder herausgenommen haben.

Ich habe von dem Ganzen am 31.05.1995 Kenntnis erlangt. Die Zustellung des Beschlusses bzw. Kenntnis der Kindeseltern ist glaube ich spätestens am 28.06.1995 erfolgt, dies unter Hinweis auf das Buch des Herrn Pilhar, in dem er selbst schreibt, daß ihm am 28.06.1995 der Inhalt meines Beschlusses mitgeteilt worden ist.

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Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben dieses Gutachten Dris. Hawel einzig und allein Ihrer Entscheidung zugrundegelegt?

Zeuge: Nein, nicht nur das Gutachten, auch regionale Umstände. Der Gutachter ist ja nur eine Hilfe.

Verteidiger Dr. Schefer: Der Entscheidung über die medizinisch notwendige Behandlung haben Sie dieses Gutachten zugrundegelegt?

Zeuge: Das ist richtig.

Verteidiger Dr. Schefer: An der Richtigkeit des Gutachtens hatten Sie demzufolge keinen Zweifel?

Zeuge: Das ist richtig.

Der Erstbeschuldigte gibt hierzu an: Der Ausführung des Zeugen, er hätte uns in Tulln einen Obsorgeentzug nicht ausgehändigt, muß ich entgegenhalten, daß nach meinen Erinnerungen er uns sehr wohl den Obsorgeentzug ausgehändigt hat zusammen mit der Rekursentscheidung, und zwar mit der Bemerkung, ob uns dieser Beschluß nicht bereits in Spanien ausgehändigt worden ist. Als ich das verneint habe, hat er erklärt, es ist drunter und drüber gegangen, es ist versucht worden, Konsul Esten zu erreichen, das ist aber nicht gelungen; aus diesem Grund gibt er uns jetzt eben in Tulln den Beschluß noch einmal.

Der ER: Im Protokoll vom 28.07.1995, Krankenhaus Tulln, heißt es: „Befragt, ob mir in Spanien die Entscheidung des Rekursgerichtes, sprich des Landesgerichtes Wr. Neustadt, ausgefolgt wurde, gebe ich an, daß das alles mein Mann gemacht hat. Ich habe mich nur um mein Kind gekümmert.“ Im Protokoll ist nur vom Rekursgericht die Rede.

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Erstbeschuldigter: Es kann jetzt sein, daß ich das verwechsle; daß Mag. Masicek gemeint hat, daß er uns den Rekurs zuzustellen versucht hat; aber ausgehändigt hat er uns mit dem Rekurs auch den Obsorgeentzug, in zweifacher Ausfertigung für meine Frau.

Der ER: Nach Vorhalt AS 31 im P-Akt: „Ich habe vom Konsul in Malaga die Entscheidung des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Rekursgericht nicht ausgehändigt erhalten. Ich quittiere mit der Unterfertigung des Protokolls den Erhalt dieser Rekursentscheidung, von der mir mitgeteilt wird, daß sie auch mein Anwalt, der den Rekurs überreicht hat, bereits zugestellt worden ist.“

EB: Zu diesem Zeitpunkt habe ich mit dem Rekurs auch den Obsorgeentzug noch einmal ausgehändigt bekommen. Dort habe ich den Obsorgebeschluß überhaupt das erste Mal in Händen gehabt.

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Zeuge Johann Schilcher, geb. 01.07.1936, Pensionist, wh. 2724 Maiersdorf 221, Vater der Zweitbeschuldigten, gibt nach WE und Vorhalt des § 152 StPO an:

Ich will nicht aussagen.

Der Zeuge legt vor ein ärztliches Attest Dris. Franz Grill, prakt. Arzt, worin bestätigt wird, daß die Zeugin Maria Schilcher erkrankt und derzeit nicht reisefähig sei, welches nach Verlesung zum Akt genommen wird.

Zeugin Veronika Schilcher, geb. 06.07.1961, Angestellte, wh. 2724 Maiersdorf 221, Schwester der Zweitbeschuldigten, gibt nach WE und Vorhalt des § 152 StPO an:

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Ich will aussagen.

Der ER: Sie sollen dabei gewesen sein, als die gerichtliche Entscheidung zugestellt werden sollte?

Zeugin: Ja, ich war dabei, als der schriftliche Obsorgeentzug uns überreicht worden ist, weil die Familie Pilhar nicht mehr da war.

Nach Vorhalt des Aktenvermerkes vom 28.06.1995, AS 107: „Am 28.06.1995 haben Herr DSA (Diplomsozialarbeiter) Reisner und der Unterfertigte nach telefonischer Vorankündigung den Gendarmerieposten Bad Fischau im ca. 8.15 Uhr aufgesucht und haben uns dann zwei Gendarmeriebeamte nach Maiersdorf begleitet. Die Gendarmen haben im Dienstkraftwagen einige Häuser vor der Anschrift Maiersdorf 221 gewartet, während Herr Reisner und der Unterfertigte nach einem kurzen Gespräch mit der mütterlichen Großmutter, die sich gerade auf der Straße befand, das Haus allein betreten haben. Im Haus konnte nur der mütterliche Großvater sowie eine Schwester der Kindesmutter angetroffen werden.“

Zeugin: Ein Herr Gruber und ein Herr Reisner kamen zu uns. Ein Gendarmerieauto hat vor dem Haus gewartet.

Der ER: Wie ist es Ihrer Erinnerung nach weitergegangen?

Zeugin: Sie haben uns ein Schreiben mitgebracht, das war der offizielle Kindesentzug. Wir wurden gefragt, ob wir wissen würden, wo sich die Familie Pilhar aufhält. Der Gendarmeriewagen war zur Sicherheit deshalb in Begleitung, weil die beiden Herrn nicht wußten, wie wir darauf reagieren würden, wenn die Herrn unser Haus betreten

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würden, wurde aber dann von Herrn Gruber weggeschickt. Wie das Gespräch war, kann ich nicht mehr dezidiert sagen.

Der ER: Mit wem der beiden Herrn haben Sie persönlich gesprochen?

Zeugin: Vorwiegend mit Herrn Gruber, aber auch mit dem zweiten Herrn.

Nach weiterem Vorhalt des AV: „Nach einem längeren, intensiven Gespräch…“

Der ER: Haben Sie das auch so empfunden? Wie lang haben Sie mit wem gesprochen und worüber?

Zeugin: Es war ein längeres Gespräch, vorwiegend mit Herrn Gruber, meinem Vater und mir. Herr Gruber hat uns diesen Beschluß vorgelesen und wieder die Frage aufgeworfen, ob wir wissen, wo sich die Familie Pilhar befände. Wir wußten es nicht. Wir haben auch gesagt, wir wissen es nicht.

Der ER: Man hat Ihnen den ganzen Beschluß vorgelesen?

Zeugin: Im Prinzip alle Punkte, ja.

Der ER: Worum ist es wirklich in diesem Beschluß gegangen? Warum waren die Herrn da? Was wollten sie letztendlich?

Zeugin: Sie haben immer wieder betont, daß das Kind nicht mehr rechtmäßig den Eltern gehört laut diesem Beschluß; es kam immer wieder die drängende Frage, ob wir nicht doch wissen, wo sich die Familie aufhält und ob wir denn wissen, was das bedeutet, wenn das „schief“ geht.

Der ER: Sie haben gesagt, es wäre gesagt worden, daß das Kind nicht mehr den Eltern gehört. Ist diese Formulierung richtig?

Zeugin: Das hat der Herr Gruber gesagt.

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Der ER: Weiter heißt es im AV, daß der Beschluß ON 3 zurückgelassen wurde. Dieses offenbar Ihnen vorgelesene Schriftstück wurde dann auch zurückgelassen?

Zeugin: Ja; bei meinen Eltern und mir im Haus. Wir wohnen zusammen.

Der ER: Haben Sie sich den Beschluß dann noch einmal durchgelesen? Haben Sie sich in die Problematik noch vertieft?

Zeugin: Natürlich haben wir das durchgelesen und waren betroffen.

Der ER: In diesem Beschluß steht, daß dieser nach § 12 AußStrG sofort in Vollzug zu setzen ist. Ist Ihnen das aufgefallen?

Zeugin: Ja, schon, aber was hätten wir machen sollen? Das war ja nicht machbar.

Der ER: Es ist behauptet worden, es bestand telefonischer Kontakt. Stimmt das? Hat er auch zum damaligen Zeitpunkt bestanden?

Zeugin: Ab und zu. Ich war nicht immer da. Ich kann das nicht genau sagen.

Der ER: Dann soll dieser telefonische Kontakt auch in der Richtung einmal geklappt haben, daß Ihre Mutter mit Herrn Pilhar telefoniert hat. Können Sie dazu etwas sagen? Wissen Sie, welches Telefonat gemeint ist? Waren Sie dabei oder ist nachher darüber gesprochen worden?

Zeugin: Es tut mir leid, das kann ich jetzt nicht sagen.

Der ER: Fällt Ihnen aus der heutigen Erinnerung ein bestimmter Zeitpunkt, eine bestimmte Äußerung, ein, von der an nach Ihrer Wahrnehmung die

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Eheleute Pilhar auf alle Fälle gewußt haben, daß das Kind nicht mehr ihnen gehört?

Zeugin: Das weiß ich nicht.

StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Dieser Beschluß ist nicht nur damals zurückgelassen worden, sondern er wurde auch mit der Post zugestellt. Wissen Sie das?

Zeugin: Ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Waren Sie zufälligerweise dabei, als er zugestellt wurde?

Zeugin: Ich war nicht dabei, aber ich habe es dann gesehen, als ich heimkam. Bei der Entgegennahme war ich nicht dabei. Ich glaube, meine Mutter hat das Schriftstück in Empfang genommen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie, an welchem Tag der Beschluß mit der Post zugestellt worden ist? War das vor oder nach der Intervention mit der Gendarmerie?

Zeugin: Das war danach.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie lange war zu diesem Zeitpunkt die Familie Pilhar schon weg von zu Hause? Wieviele Tage?

Zeugin: Das kann ich nicht mehr sagen; ungefähr eine Woche.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie, ob Ihre Mutter dem Postzustellbeamten gesagt hat, daß die Familie Pilhar eigentlich gar nicht da ist?

Zeugin: Ich nehme es an.

Verteidiger Mag. Rebasso: Jedenfalls hat sie die Briefe übernommen?

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Zeugin: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Es wurde festgehalten, Sie hätten ein längeres, intensives Gespräch mit den Herren gehabt, die das Schriftstück überbracht haben. Worüber haben Sie gesprochen? War das eine Diskussion?

Zeugin: Ich kann nicht unbedingt sagen, eine Diskussion. Es war eher ein Vorwurf von seiten der Herren uns gegenüber mit dem Inhalt, daß das Kind nicht mehr den Eltern gehört, und wo sie sich denn aufhalten, warum wir das nicht wissen, was sie denn jetzt machen werden, das Kind gehöre behandelt, in diese Richtung.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie dazu Auskunft erteilt? Haben Sie darauf geantwortet?

Zeugin: Eher nicht, weil wir selber unwissend waren.

Verteidiger Dr. Schefer: Warum wurde Ihnen der Beschluß vorgelesen? Haben Sie das gewünscht?

Zeugin: Nein. Herr Gruber hat von sich aus den Brief geöffnet und uns das vorgelesen.

Verteidiger Dr. Schefer: Hat Herr Gruber Ihnen aufgetragen, daß Sie den Inhalt dieses Schreibens weitergeben sollten?

Zeugin: Das kann ich jetzt nicht genau sagen. Das weiß ich jetzt nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Hatten Sie das Gefühl, daß Sie das tun sollten?

Zeugin: Ich hatte eher das Gefühl, daß er uns aufmerksam machen wollte, daß wir, falls wir irgendwie Kontakt zu Herrn Pilhar bekommen, ihn das wissen lassen sollten.

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Verteidiger Dr. Schefer: Hatten Sie das Gefühl, daß Sie sich womöglich einer strafbaren Handlung schuldig machen, wenn Sie das nicht tun?

Zeugin: Zu dem Zeitpunkt eigentlich nicht.

Verlesen wird das Gutachten Dris. Scheithauer ON 99.

Der ER: Hat sich nach dem, was Sie heute in der Verhandlung gehört haben, irgend etwas an dem Gutachten geändert?

SV Dr. Scheithauer gibt an: Eigentlich hat sich nichts an meinem Gutachten geändert.

Der ER: Es ist diese Leberschädigung zur Sprache gekommen. Für mich ist es eindeutig und ausreichend expliziert, aber zur Verdeutlichung, weil es nicht so besonders zur Sprache gekommen ist: Was war mit der Leber?

SV: Betreffend die Leber wurde zu dem Zeitpunkt, als die Diagnose gestellt wurde, letztlich eigentlich an drei verschiedenen Stellen mit allen menschenmöglichen diagnostischen Verfahren festgestellt, daß die Leber nicht betroffen war. Das heißt, der Tumor war auf die Niere beschränkt; das, was man sozusagen in der Leber gesehen hat – und das hat Frau Pilhar ja heute auch gesagt – das einzige war, daß die Leber imprimiert wurde, d.h. der Tumor war so groß, daß er auf die Leber gedrückt hat. Das Tumorstadium war ein Stadium 1, ein Frühstadium, das potentiell in erster Instanz auch operiert hätte werden können, und das ist ja im Prinzip ja auch in einem der Gespräche als dann nicht ideale Alternative, aber sozusagen als Möglichkeit, ins Auge gefaßt worden. In Amerika macht

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man das sogar nicht selten, daß man in erster Instanz operativ agiert und daß man nur im Anschluß dann die Chemotherapie macht, in Abhängigkeit von Risikokonstellation, welchen Aufbau der Tumor hat, wie groß er war, wie unproblematisch die Therapie. In Europa macht man das an und für sich umgekehrt, daß vorweg, um das Risiko zu minimieren, daß die Kapsel dieses Tumors bei der operativen Entfernung zerplatzt, in erster Instanz über vier Wochen eine Chemotherapie gegeben wird; der Vorteil dieser Strategie ist auch, daß der Tumor meistens schon binnen dieser wenigen Wochen deutlich kleiner ist, leichter zu operieren ist; nach erfolgten Operation wird dann entschieden. In manchen Fällen, wenn es eine sehr günstige Prognose ist, es also ein sehr ausgereifter Tumor ist, muß keine Chemotherapie gemacht werden; das ist eher selten. Im übrigen macht man dann entweder vier Wochen oder vier Monate eine Sicherheitsbehandlung, um versteckte Fernmetastasen zu behandeln. Faktum war, daß zu dem Zeitpunkt, wo Olivia dann einer entsprechenden Therapie zugeführt wurde, sowohl in der Lunge als auch in der Leber Metastasen waren. Das ist ein Stadium IV, da stehen die Chancen einer Definitiv- und Dauerheilung nur mehr 50 : 50. Da muß man in der Regel dann auch mit intensiveren therapeutischen Maßnahmen eingreifen, um eine Heilung gewährleisten zu können. Das Problem ist, wenn der Zustand eines Patienten schlechter ist, dann hat er natürlich auch von der Verträglichkeit der Therapie wesentlich größere Probleme, als wenn es jemandem sehr gut geht. Man muß intensivere Medikamente einsetzen, die in der Regel dann schlechter vertragen werden, und zusätzlich, was man im Idealfall normalerweise nicht macht, muß man eine Bestrahlungstherapie auch einsetzen. Spätschäden, weil man ja doch auch in diesem

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Stadium so viele heilen kann, finden sich gerade bei Leuten, die intensiver behandelt werden mußten und die Strahlentherapie erhalten haben.

Der ER: Wenn ich den Einwand richtig verstanden habe, der vom Erstbeschuldigten kommt, geht er davon aus, daß diese Leberschädigung von vornherein schon da war. Das stimmt mit Ihrem Gutachten nicht überein.

SV: Nein. Prim. Hübsch, inzwischen in Neunkirchen Vorstand der Radiologie, hat im Allgemeinen Krankenhaus alle Computertomographien des Bauchbereiches und alle Untersuchungen vor sich liegend gehabt und hat die Befunde miteinander verglichen und hat dezidiert in seinem Befund ausgeschlossen, daß vor dem 19.05.1995, das war der Zeitpunkt der ersten Computertomographie, die Leber in diesen Krankheitsprozeß involviert war. Das kann man auch statistisch sagen, um Fragen vorweg vorzugreifen: Die Wahrscheinlichkeit, daß primär Lebermetastasen vorliegen, ist sehr gering. In 85% der Fälle gibt es keine Fernmetastasen, weil der Tumor eben zuerst so groß wird, daß man ihn tastet. Ich würde sagen, man kann mit Ultraschall und Computertomographie in 95 bis 98%-iger Sicherheit Metastasen ausschließen. Wie gesagt, nichts ist perfekt in der Medizin, aber nach allem menschlichen Ermessen war das nicht der Fall.

Der ER: Nun ist schon einige Male diese Therapiestudie SIOP 9 GPO angesprochen worden. Können Sie uns als medizinischen Laien erklären, was das ist?

SV: Die Krankheit ist so selten, in Österreich finden sich pro Jahr 6 bis 12 Fälle, in Deutschland etwa 200 Fälle pro Jahr. Man versucht daher, nachdem das ein Tumor

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ist, wo man eine sehr sehr hohe Heilungschance hat, die Patienten möglichst einheitlich und optimalst zu behandeln und das nur an spezialisierten Zentren. Das Ziel ist, die bestehende, etablierte Therapie, die so eine hohe Heilungschance hat, noch kürzer, noch besser verträglich zu machen und vielleicht noch weiter zu optimieren bei den Patienten, die nicht eine so gute Prognose haben. Man versucht ja bei einer Tumortherapie mit einer Chemotherapie, den Patienten, wenn es irgendwie vermeidbar ist, keinen Schaden oder keine Nebenwirkungen zuzufügen. In manchen Situationen, z.B. Leukämie, ist die Chemotherapie eine schreckliche Therapie. Chemotherapie ist nicht Chemotherapie. Es gibt 60 Substanzen, es gibt 2000 Kombinationen. Es hängt davon ab, was für ein Behandlungsziel man anstrebt. Man versucht aufgrund der Seltenheit der Krankheit aufgrund der großen Erfahrung, die man benötigt, um diesen seltenen Tumor zu behandeln, die Patienten weltweit einheitlich zu behandeln. In ganz Europa werden die Patienten nach dieser SIOP-Studie, das ist die Society for onkological Pediatritions, behandelt, und in Amerika gibt es eine zweite Gesellschaft, die auch mit Buchstaben abgekürzt ist; die behandeln auch alle einheitlich; man behandelt in Abhängigkeit vom Tumorstadium, vom Alter des Patienten und von der Risikokonstellation, die sich aufgrund des intraoperativ erhobenen Befundes ergibt.

Der ER: Auf welcher Basis ist diese Studie?

SV: In der vorhergehenden amerikanischen Studie z.B. sind 6000 Patienten behandelt worden, in der europäischen Studie sind auch ungefähr 1500 Fälle, die man über 15 Jahre schon nachbeobachtet, behandelt worden.

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Der ER: Heißt das also, daß diese Behandlungsmethode über Grundlage Therapiestudie SIOP die allgemein anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft mit heutigem Stand sind?

SV: Ja. Das ist sicherlich der Fall. Es gibt viele Ärzte, viele verschiedene Meinungen, es gibt gute Ärzte, schlechte Ärzte, manche Ärzte, die ihre Fähigkeiten, Möglichkeiten überschätzen und manche, die die Grenzen der Medizin kennen. Weltweit würde von jemandem, der ein bißchen etwas versteht von der Krebstherapie und der die Seltenheit dieses Tumors oder dieser Krankheit kennt, auf diese Art behandelt werden. Eine Alternative gibt es ganz, ganz sicher nicht.

Der ER: Es ist auch die Rede davon, daß das in einigen wenigen Krankenhäusern abgehandelt wird. Wo gibt es in Österreich solche Zentren? Wo könnte dieser Fall abgehandelt werden? Weiters ist auch die Rede von einer Verständigungspflicht. Das muß nämlich gemeldet werden. Was ist darunter zu verstehen?

SV: Es ist in Österreich an und für sich das Zentrum für diese Erkrankung eben das St. Anna-Kinderspital. Wenn an einer Abteilung, egal wo, diese Krankheit diagnostiziert wird, dann wird diese Zentrale, das St.Anna-Kinderspital verständigt bzw. werden in der Regel die Patienten auch dorthin transferiert, weil dort eben das Know-how besteht und sozusagen auch die Infrastruktur für eine wirklich optimale Versorgung der Patienten gegeben ist, bzw. die Universitätskliniken machen eben die Behandlungen zum Teil auch selbständig, aber auch unter Information und Beiziehung des Professor Gadner, des Leiters des St.Anna-Kinderspitals.

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Der ER: Das war offenbar der Grund für Prof. Jürgenssen, zu sagen, St.Anna-Kinderspital? Hat er da nach den üblichen Regeln gehandelt?

SV: Ja, das ist der übliche und korrekte Weg und das ist eigentlich sehr prompt gegangen. Olivia wurde ja am selben Tag der Diagnosestellung oder des Verdachtes dorthin weitertransferiert.

Der ER: Ich habe zu beurteilen, wie dieses Stadium ein Laie miterlebt. Das Gutachten geht von Stadium 1 bis Stadium 4. Unabhängig von allen mehr oder weniger diffizileren medizinischen Möglichkeiten, was ist für Eltern eindeutig erkennbar, daß der Zustand schlechter wird? Wie kann man das medizinisch sagen und fassen?

SV: Es ist, glaube ich, sehr schwierig; als Eltern hat man, glaube ich, eine andere Beziehung, als wenn man als Arzt an den Patienten herantritt. Ich glaube schon, daß es bei einem Krankheitsprozeß in diesem Umfang, in diesem Ausmaß, der ja fast ein Drittel der Größe des Kindes eingenommen hat, merkbar sein muß, daß es dem Kind schlecht geht.

Der ER: Es muß doch der Bauch sehr aufgebläht sein. Sieht man, daß da etwas schlechter oder in dem Fall größer wird?

SV: Ich war bei der unmittelbaren Behandlung der Olivia nicht beteiligt. Ich habe mein Gutachten nur anhand der Krankenunterlagen, die mir zur Verfügung gestellt wurden, gemacht. Ich konnte nur sozusagen aus den Medienberichten und den Fotos ersehen, wie die Situation primär ausgeschaut hat, wie sie dann mit der Flugärzteambulanz eingetroffen ist und wie sie dann ausgesehen hat. Der Leib war sicherlich aufgetrieben; es ist

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in der Situation sicherlich der ganze Verdauungsapparat Magen-Darm zusammengedrückt. Entsprechend hat man natürlich, weil dort sehr empfindliche Nervenzentren sind, in der Regel auch Schmerzen, also nicht nur das Druckgefühl, sondern diese Nervenzentren werden in der Regel auch komprimiert; das, was man an Essen überhaupt zu sich nehmen kann, kann nicht sehr viel gewesen sein, weil der Magen zusammengedrückt war; natürlich ist die Muskulatur geschwächt und man ist bei weitem nicht mehr so bewegungsfähig. Es ist sicher objektiv ersichtlich, glaube ich.

Der ER: Kann man aus medizinischer Sicht sagen, ob und wieviel Schmerzen das Kind gehabt haben muß bei diesem Krankheitsbild?

SV: Das ist eine sehr schwierige Frage, weil Schmerz subjektiv registriert wird. Jeder hat ein unterschiedliches Ausmaß an Schmerzempfindung. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß. Ich konnte das auch nur indirekt beurteilen, weil ja nach diesen Hamer-Thesen der Schmerz gut ist, welche Auffassung natürlich katastrophal ist. Ich konnte das auch indirekt beurteilen, als ich die Intensität der Schmerztherapie gesehen habe, die in einem Krankenhaus erforderlich war. Die Schmerzen müßten, soweit ich das indirekt beurteilen kann, bestanden haben; wie oft und in welchem Ausmaß, das kann ich natürlich, nachdem ich auch mit der Patientin nie gesprochen habe, nicht beurteilen.

Der ER: Angeklagt ist wörtlich „Körperverletzung“. Das ist aber der technische Ausdruck dieses Paragraphen, der juristisch angezogen worden ist. Inhaltlich heißt es aber: Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung. Können Sie als Arzt sagen, ob und wieweit sich Ihr Befund und Gutachten unter diese

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juristische Definition begeben kann? Definiert wird nämlich die Gesundheitsschädigung so, daß es heißt: „An der Gesundheit schädigt, wer eine Krankheit herbeiführt oder verschlimmert.“ Was sagen Sie als Mediziner zu den Begriffen „Krankheit“ und „verschlimmert“?

SV: Es hat sich die Chance auf Definitivheilung, die ja Gott sei Dank doch noch eingetreten ist, von primär 97% auf 50% und wahrscheinlich einen noch geringeren Prozentsatz verringert, weil in der Zwischenzeit durch den verschleppten Therapiebeginn Fernmetastasen aufgetreten sind, also aus dem Stadium 1 ein Stadium 4 geworden ist, und weil intensivere therapeutische Maßnahmen erforderlich geworden sind und ja auch die Verträglichkeit der Therapie wesentlich problematischer geworden ist durch den verzögerten Beginn der Therapie in einem höheren Tumorstadium.

Der ER: Nach dem von Ihnen erhobenen Krankheitsbild in diesen zehn bis elf Wochen, von denen die Rede ist, hat sich die Krankheit verschlimmert?

SV: Ja, zweifellos.

StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sagen, die Krankheit hat sich verschlimmert. Was hat die Verschlimmerung der Krankheit herbeigeführt? Hat sie sich aus sich heraus verschlimmert oder wurde da etwas getan, eine Außeneinwirkung?

SV: Die Krankheitsverschlimmerung ist dadurch erfolgt, daß keine entsprechende Therapie in die Tat umgesetzt wurde und daß zwei Monate verstrichen sind. In dieser Zeit von zwei Monaten hat sich der Tumor von einem

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Durchmesser von ungefähr 8 cm auf einen Durchmesser von ungefähr 30 cm vergrößert. Dadurch hat sich auch eine Verschlechterung ergeben.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat sich die Verschlimmerung aus sich heraus entwickelt oder wurde etwas dazu getan?

SV: Die hat sich spontan ergeben. Das liegt in der Natur dieser Krankheit, in der Natur der Tumorkrankheit. Das ist ein gesundes Körpergewebe, das nicht mehr den Wachstumsmechanismen unterliegt und somit tut, was es will. Es ist von selbst gewachsen, spontan.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ihre Meinung war zunächst die, daß man das hätte stoppen können? Man hätte eingreifen können?

SV: Ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ihre gesamte Sachverständigenbegutachtung ist auf den einschlägigen konventionellen Erkenntnissen der schulmedizinischen Krebstherapie aufgebaut?

SV: Das ist im wesentlichen das, worauf ich basiere, ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Das berücksichtigt aber nicht die ja auch hier in diesem Verfahren im Raume stehenden anderen Meinungen zu diesem Thema?

SV: Das ist ein so weitreichendes Problem, das wir sicherlich nicht abhandeln und endgültig lösen werden können. Faktum ist, daß jedem Laien, jedem Arzt, wenn er einen neuen therapeutischen Weg hat, eine neue Möglichkeit hat, eine Erkrankung zu behandeln, zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Welt daran auch teilnehmen zu lassen. Es gibt Zeitschriften, wo er seine Daten bekanntgeben kann. Es wurde von Herrn Pilhar gesagt, den

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Dr. Hamer kennt jeder; es gibt diesen Namen – abgesehen davon, daß er kein Arzt ist – nirgends in der Welt. Es erscheint dieser Name nirgends – das wurde auch von Dr. Hawel festgestellt und steht jedem die Möglichkeit zu – das heißt „Medline“ – nachzuschauen, ob jemand irgend etwas darüber einmal publiziert hat. Es ist keine anerkannte Methode; es gibt sehr viel paramedizinische Methoden, die zum Teil, wie gesagt, nicht ausreichend untersucht worden sind. Es ist allerdings die Schulmedizin nicht böse, sie verwehrt sich nicht gegen diese Methoden. Wir wissen, gerade in der Krebstherapie, wie groß die Nachfrage ist. Viele Patienten wollen das – und das ist verständlich, weil man nach menschlichem Ermessen wirklich alles machen möchte, um zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Es wird durchaus akzeptiert. Die Schulmedizin verlangt nur genauso, wie sie von sich selbst etwas verlangt, daß wirklich auch Beweise erbracht werden, daß diese Therapie etwas bringt, oder daß sie besser ist, oder daß sie überhaupt etwas dazu beiträgt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es ist Ihnen aber bekannt, daß es hier verschiedene Meinungen gibt, insbesondere in der Krebstherapie ein ganzes Spektrum von Meinungen, und Sie referieren aus der Sicht der konventionellen Schulmedizin? Ist das so?

SV: Es gibt sicherlich an die 300 paramedizinische Methoden. Was sozusagen das Gesetzbuch für den Juristen ist, ist eben die schulmedizinische Meinung, wenn Sie so wollen, für den Arzt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen bekannt, daß in verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften, durchaus zum Teil auch in Fachzeitschriften, insbesondere im Zusammenhang mit der Chemotherapie Publikationen erfolgt sind, die ich zum Teil auch hier habe, die ich dem Gericht

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auch vorlegen werde und die Verlesung beantragen werde, die auch den Beschuldigten zum Teil damals vorgelegen sind, und wo es z.B. heißt: „Chemotherapie im Abseits“ – also insbesondere im Zusammenhang mit der Chemotherapie doch sehr kritische Stellungnahmen – von durchwegs medizinisch gebildeten Personen erfolgen, z.B. „Vom Giftgas zum Krebsmittel“; im Deutschen Ärzteblatt ist etwas abgedruckt, da geht es darum, daß noch immer mehr Fragen als Antworten ebenfalls im Zusammenhang mit der konventionellen Krebstherapie gibt. Im Spiegel – das ist zwar keine Fachzeitschrift – haben wir einen Artikel „Ein gnadenloses Zuviel an Therapie“. Da sind Stellungnahmen zu lesen, die zum Teil für die Chemotherapie vernichtend sind. Ist Ihnen das bekannt?

SV: Natürlich. Ich möchte nur auf folgendes aufmerksam machen: Es gibt unendliche Berichte und Chemotherapie ist nicht Chemotherapie; gerade jemand, der sozusagen die Krebstherapie macht, weiß über die Grenzen und Möglichkeiten der Chemotherapie, die es gibt. Es gab sehr, sehr wesentliche Fortschritte, aber es wurde in den letzten Jahren, Jahrzehnten gelernt, daß es eben Grenzen und Möglichkeiten gibt. Die sollten je nach Chance, je nach Möglichkeit entsprechend eingesetzt werden. Wenn man jemanden nicht mehr heilen kann, dann weiß man, und das wird generell getan, daß man eher zurückhaltend agiert und nicht belastend agiert, da die Lebensqualität, wenn nur eine begrenzte Zeit verbleibt, eigentlich das entscheidendste, vordergründige Moment ist. Umgekehrt gibt es bestimmte Situationen, wo so gewaltige Fortschritte gelungen sind wie beispielsweise bei diesem Wilmstumor; das sind nicht viele Tumoren. Hodentumoren waren früher ein Todesurteil und heute kann man 90% dieser Menschen auf Lebzeit heilen. Da

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muß man manchmal doch intensivere Therapien machen, aber das ist leider Gottes dann erforderlich. Da gibt es eben leider auch keine alternative Möglichkeit. Aber sonst ist es wirklich wichtig zu wissen, Chemotherapie ist nicht Chemotherapie. Es gibt 2000 verschiedene Kombinationen. Das hängt davon ab, was man behandelt. Es geht die Entwicklung in der Medizin wirklich fulminant vor sich, daher auch diese Überspezialisierung. Es kann ein praktischer Arzt und auch ein allgemeiner Internist eigentlich nicht mehr wirklich die Möglichkeiten vollends überblicken und ersehen, die augenblicklich bestehen, und wie es weitergeht. Selbst die Onkologie, also die Krebstherapie, hat sich wieder aufgeteilt. Es gibt spezielle Chirurgen dafür, selbst die Blutkrebserkrankungen sind ein eigenes Kapitel geworden. Es ist die Medizin so vielfältig geworden. Das sollte man eben als Arzt wissen. Es waren sehr viele Ärzte beteiligt, daß man zwar global ein bißchen die Situation beurteilen kann, aber aufgrund einer Überspezialisierung sollte dann doch ein Spezialist beigezogen werden.

Verteidiger Mag. Rebasso: Kann man sagen, daß sich die Krebstherapie nach wie vor im Experimentierstadium befindet?

SV: Das würde ich so nicht meinen. Bei sehr häufigen Krebsarten sind die therapeutischen Möglichkeiten sicherlich noch nicht optimal, vor allem bei fortgeschrittenen Tumorstadien sicherlich. Alles bedarf einer weiteren Optimierung. Vielleicht ist es in zehn bis fünfzehn Jahren so weit, wenn man jene Gendefekte kennt, die den Krebs auslösen, daß man ganz andere therapeutische Möglichkeiten hat. Es ist alles verbesserungsbedürftig. Es wäre falsch und schlecht, wenn man sagt, das ist das Optimale. Man kann

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sich immer nur nach der gegenwärtigen Situation, nach den gegenwärtigen Möglichkeiten orientieren.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ich lege dem Gericht vor einen Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt, Ausgabe Jänner 1996, weiters einen Artikel aus einer Zeitschrift aus 1991, der sich ebenfalls mit Chemotherapie befaßt und die Überschrift trägt „Chemotherapie im Abseits“ Auch dieser Artikel möge bitte zur Gänze verlesen werden; weiters einen weiteren Artikel aus einer Ärztezeitung aus dem Jahr 1995, welcher den Titel trägt „Das Ziel muß es sein, Krebs ohne Operation und Chemotherapie und Bestrahlung zu heilen“. Hier werden ebenfalls die massiven Nachteile dieser Therapie in einer Ärztezeitschrift behandelt; weiters einen Artikel aus der Zeitschrift „Der Spiegel“, zugegeben keine einschlägige Fachzeitschrift, dennoch aber etwas, was immerhin der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Dann noch einen weiteren Artikel, ebenfalls aus dem Jahr 1995, der war brandaktuell, vom 5.7.1995; in der damaligen Zeit ist er damals in der Zeitung erschienen und ist ebenfalls den Beschuldigten für ihre Entscheidung zur Verfügung gestanden „Vom Giftgas zum Krebsmittel“. Das war die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Hier heißt es z.B. „Blickt man auf die 50 Jahre Chemotherapie zurück, so fällt auf, daß sich Phasen der Erfolge und des Pessimismus abwechseln. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß große Fortschritte erzielt wurden, die Situation ist aber vor allem bei den Geschwürnissen innerer Organe sowie des Bindegewebes nach wie vor unbefriedigend. Nur 6% aller Krebsleiden lassen sich heute heilen.“ Ich ersuche um Verlesung dieser Beiträge, und, falls es dem Gericht erforderlich scheint, den Sachverständigen dazu noch zu einer Stellungnahme zu bitten.

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Sie sagen, es lag ursprünglich ein Stadium 1 vor und dann letztlich zum Zeitpunkt der Operation Stadium 4. Wir haben die Beischaffung der Krankenakten beantragt, aus denen sich ergeben müßte, daß letztlich die Medikation allerdings auf Basis Stadium 2 erfolgt ist.

SV: Wie gesagt, ich war in die aktive Behandlung der Patientin ja nicht involviert. Mir lagen nur die Unterlagen vor. Prof. Gadner ist ja geladen. Er war dann mehr oder weniger direkt involviert. Es kann sein, daß dem Wunsch der Eltern entsprechend eine unter Umständen weniger intensive Chemotherapie zum Einsatz gelangt ist, als das üblicherweise bei so weit fortgeschrittenen Stadien ist. Das könnte sein, das kann ich nicht beurteilen. Ich habe wie gesagt da keinen Einblick gehabt. Die Intensität der Chemotherapie mag der Anfangsbehandlung eines Stadiums 2 entsprochen haben, aber tatsächlich ist das Stadium 4 nichts anderes, als daß Metastasen in Lunge und Leber vorlagen. Man kann unterschiedlich intensiv behandeln.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ihrer Stellungnahme zuvor folgend müßte ich annehmen, daß nach der Tumorentfernung auf der Leber dieser Schatten oder dieses Zurückdrängen des Organs auf dem Computertomogramm nicht mehr erkennbar sein müßte.

SV: Ich habe mein Gutachten Ende August 1995 geschrieben. Der letzte Befund, den ich zur Verfügung hatte, war ungefähr von Mitte August. Ich habe die computertomographisch festgestellte Befundbesserung und das weitgehende Verschwinden des Tumors nicht mehr eingesehen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es dürfte aber an sich an der Leber nichts mehr erkennbar sein nach Ihrer Auffassung?

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SV: Das wird zum Zeitpunkt der Operation sicherlich der Fall gewesen sein, weil man auch Fernmetastasen bei dieser Krankheit zum Verschwinden bringen kann, ohne daß hier operativ interveniert werden muß. Das ist die Regel vor allem, wenn der Primärtumor so klein geworden ist, daß man die Niere wieder erkennen kann. Dann kann man mit Bestimmtheit davon ausgehen, daß in der Leber sich nichts mehr nachweisen ließ.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie sagten, wenn der Wilmstumor entfernt wird, dann würden dadurch, durch die Entfernung des Wilmstumors, auch die Lebermetastasen verschwinden?

SV: Nein, das ist nicht ganz richtig. Die Lebermetastase ist durch die Chemotherapie, die vorweg erfolgt ist, verschwunden. Im Stadium der Fernmetastasierung kann man nur mit der Chemotherapie diese Metastasen entfernen. Die kann man nicht und sollte man auch nicht operativ angehen. Das ist nicht sinnvoll. Die verschwinden eben unter der Chemotherapie. Operiert wird dann nur der Primärtumor, also die Niere. Im Anschluß an die Chemotherapie, damit nicht wieder solche Fernmetastasen auftreten, macht man noch einmal sicherheitshalber die Therapie.

Verteidiger Dr. Schefer: Es ist nicht so, daß durch die Extirpation eines Teils eines Organes die Metastasenbildung an einem anderen Teil automatisch aufhören würde?

SV: Nein. Es ist eine obligate Voraussetzung, den Tumor operativ zu entfernen, aber alleine durch die Tumorentfernung werden die Metastasen nicht verschwinden; sicher nicht.

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Verteidiger Dr. Schefer: Es ist also nicht so, daß durch die medikamentöse Behandlung des einen Tumors notwendigerweise aufgrund der Verabreichung der entsprechenden Medikamente automatisch sämtliche andere Metastasen geheilt werden können; durch den „Streueffekt“ laienhaft gesprochen?

SV: Ihre konkrete Frage ist, ob mittels dieser Infusionstherapie gleichzeitig der Tumor und die Metastasen behandelt werden können und verschwinden können? Habe ich das richtig verstanden?

Verteidiger Dr. Schefer: Ist tatsächlich ja vielleicht auch gar nichts anderes möglich? Das, was verabreicht wird, erreicht ja wahrscheinlich alles?

SV: Über die Blutbahn werden alle Regionen erreicht, ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Die Heilungschancen bei Lebermetastasen stellen sich aber doch prognostisch ganz anders dar, nämlich sehr schlecht im Gegensatz zum Wilmstumor.

SV: Das hängt von der jeweiligen Erkrankung ab. Wir sprechen ja jetzt nur von diesem Wilmstumor. Hier sind die Heilungschancen, wenn Metastasen an einem Organsystem sind, 50%.

Verteidiger Dr. Schefer: Bei einem Leberkrebs? Bei Metastasenbildung an der Leber?

SV: Wenn man einen Tumor in der Leber sieht oder hat, dann ist das noch immer der Wilmstumor, dann ist es dieselbe Krankheit. Es ist eine Absiedelung, das ist dann eine Lebermetastase; eine Absiedelung des Primärtumors, dieses Wilmstumors, eben in der Leber. Es ist aber dieselbe Krankheit.

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Verteidiger Dr. Schefer: Das ist also nicht Leberkrebs?

SV: Richtig.

Verteidiger Dr. Schefer: Woran erkennt man das?

SV: Bildgebend erkennt man an und für sich denselben Gewebsaufbau.

Verteidiger Dr. Schefer: Ist das ein histologischer Befund?

SV: Das muß nicht histologisch sein. Aufgrund der Zusammensetzung des Gewebes kann man das in der Regel eigentlich doch ziemlich klar zuordnen bzw. beim Wilmstumor weiß man, daß an und für sich eine Vergesellschaftung mit Zweitkarzinomen, also mit anderen Tumoren nicht vorkommt. Unmittelbar gibt es weltweit keinen einzigen Fall, wo das aufgetreten ist. Das ist nicht typisch.

Verteidiger Dr. Schefer: Ist denn das Gewebe in Niere und Lunge gleich; nicht das Tumorgewebe, sondern das Gewebe an sich? Wenn man ein Stückchen aus der Leber und der Niere herausschneidet und sich das unter dem Mikroskop anschaut, kann man dann feststellen, was Leber und was Niere ist aufgrund der histologischen Differenz? Ist da ein Unterschied?

SV: Natürlich.

Verteidiger Dr. Schefer: Nach Ihrer Darstellung, würden, wenn man Zellen der Lebermetastasen entnehmen würde, diese histologisch aussehen wie Nierengewebe?

SV: Bei einem Tumor ist das so. Wenn eine Absiedelung über die Blutbahn oder die Lymphe in ein anderes Organsystem, vornehmlich die Leber, erfolgt, dann

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ist der Gewebsaufbau ident, auch feingeweblich. Dann ist kein Unterschied.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie schreiben in Ihrem Gutachten, das Kind hat Schmerzempfindungen erleiden müssen dadurch, daß sich die Krankheit weiterentwickelt hat. Welche Schmerzempfindung hat das Kind durch Verabreichung der Chemotherapie, durch die zytostatische Chemomedikation. Ich darf als bekannt voraussetzen, daß das Schmerzen verursacht. Wie gestalten sich diese aus Ihrer Sicht? Sie haben Stellung genommen zu den Schmerzen, die durch den Tumor entstehen. Wie sieht das mit der subjektiven Befindlichkeit des Kindes und dem Schmerzempfinden durch die Verabreichung der Chemomedikation aus?

SV: Normalerweise hat man mit der Verabreichung der Chemotherapie überhaupt keine Schmerzen. Es gibt zahlreiche Begleitmedikamente, die in der Regel auch in der Lage sind, jegliche andere Nebenwirkung abzuwenden. Das ist die Regel bei der Chemotherapie beim Erwachsenen. Beim Kind sind sicherlich besondere Umstände. Die Medikamente wirken auf das sich teilende Gewebe, wobei eben durch eine Chemotherapie latent all jene gesunden Gewebe gefährdet sind, die sich relativ rasch teilen. Es hängt aber sehr von der Intensität der Behandlung, von der Krankheit, von der Wahl der Medikamente ab, mit welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Beim Tumorstadium 1 verwendet man eine an und für sich milde Zytostatikakombination, die üblicherweise keine Schmerzen verursacht. Es können indirekt – es ist jeder Mensch auch individuell etwas unterschiedlich – Schmerzen sich ergeben durch eine Mundschleimhautentzündung beispielsweise, eben weil die Mundschleimhaut ein gesundes

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Gewebe ist, das sich relativ rasch erneuert, mit dem Interferieren diese Medikamente. Es gibt manche Medikamente, die aber nicht hier in Verwendung waren, die auch das Nervensystem irritieren können, aber das ist im Prinzip von der Behandlung unproblematisch. Bei einem Tumorstadium 1 wäre im Prinzip außer mit einem vorübergehenden Haarausfall möglicherweise mit einer Mundschleimhautentzündung, mit Übelkeit kaum durch Begleitmedikamente, und mit Abnahme der weißen Blutkörperchen, also einer Beeinträchtigung der Infektabwehr, sozusagen mit keinen Nebenwirkungen, Schmerzen oder echten Problemen zu rechnen gewesen unter normalen Umständen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie sieht das mit der psychischen Verfassung des Kindes aus, das plötzlich nicht mehr gehen kann oder nicht mehr essen kann oder keine Haare mehr hat?

SV: Das liegt auf der Hand, das ist eine extreme Problematik. Gerade für ein Kind ist das eine extreme psychische Belastung, das ist ganz klar.

Verteidiger Mag. Rebasso: Können Sie nicht nachvollziehen, daß aus der Sicht von Eltern getrachtet wird, das dem Kind zu ersparen?

SV: Ich verstehe, muß ich ganz ehrlich sagen, die Reaktion und all die Überlegungen und zum Teil auch die Wege, die gegangen wurden, sehr gut. Das Problem ist, daß leider über Medien, über solche Zeitungsartikel, die Sie vorgelegt haben, der Betroffene so verunsichert ist, daß er wirklich sich schwer tut, hier eine richtige Entscheidung zu treffen. Das ist das Problem. Natürlich sollen diese Zeitungen nicht eine prinzipielle Zensur diesbezüglich erlangen. Die Unsicherheit, die Konfrontation, das Wort Chemotherapie,

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wenn man nicht weiß, was es ist, bereitet zunächst einmal Erschrecken, Angst und verschiedene Reaktionen. Das bezweifle ich nicht.

Verteidiger Mag. Rebasso: So, wie Sie es jetzt ausgedruckt haben, klingt das schon anders, als wie Sie es im schriftlichen Gutachten schreiben. Da schreiben sie nämlich, nach Ihrer Meinung liegt auf jeden Fall sozusagen ein § 92 vor und die Fürsorge wurde vernachlässigt. Wie ist das zu verstehen?

SV: Das ist im wesentlichen so, wie das kurz vorher erwähnt wurde mit den Zeugen Jehovas mit der Blutkonserve. Wenn ich z.B. sehe, daß bei einem Kind eine akut lebensbedrohliche Situation vorliegt und ich weiß, daß ich das Kind nur mit dieser Blutinfusion retten kann, dann werde ich sozusagen die Entmündigung effektuieren und werde die Blutinfusion verabreichen. Wenn ich das als Arzt nicht tue, bin ich straffällig. Das haben wir vor gar nicht allzulanger Zeit erlebt. Das ist eigentlich eine sehr vergleichbare Situation wie eben hier. Ich weiß, daß es nur diese therapeutische Möglichkeit gibt, ich weiß, daß es eigentlich die einzige Chance ist, daß ich dem Kind fast mit Sicherheit helfen kann, und ich muß alles daran tun – und das ist ja getan worden – um diese entsprechende Therapie in die Tat umzusetzen, auch wenn es die Eltern nicht verstehen, nicht verstehen können und vielleicht nicht selber dran schuld sind, sondern durch andere so beeinflußt worden sind, aber letztlich wären sie verantwortlich gewesen, daß das Kind dieser Therapie zugeführt wird.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sagen, zunächst ist das Tumorstadium 1 vorgelegen. Prof. Jürgenssen ist aber, so ist es jedenfalls aktenkundig, zu Beginn von einem Tumorstadium 2 ausgegangen, was ja

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einen Unterschied letztlich auch für die Beurteilung durch die Eltern betrifft, weil ja die Aussichten dann jeweils andere sind. Das ist aktenkundig im Pflegschaftsakt bzw. in den jeweiligen Eingaben. Prim. Jürgenssen hat ja mehrere Eingaben an das Gericht gemacht. Kann er sich da geirrt haben?

Erstbeschuldigter: Das war eine handschriftliche Ergänzung von Dr. Jürgenssen. Das Maschinengeschriebene ist von mir. In Klammer steht: vermutetes Stadium 2, vielleicht auch höher. Das war am 30.5.1995.

SV: An und für sich ist es ein Tumorstadium 1 gewesen. Es würde von Tumorstadium 1 auf 2 keinen sehr wesentlichen Unterschied machen. Dr. Hawel, der Urologe, und Prof. Gadner haben in dem Abschlußbericht das Stadium 1 vermutet, aber es ist kein großer Unterschied. Die Langzeitüberlebens- und Heilungsraten sind beim einen 95%, beim anderen ungefähr 90%. Vom therapeutischen Vorgehen ändert sich in erster Instanz eigentlich nicht sehr viel, aber die präoperative Chemotherapie würde man doch auf jeden Fall dann effektuieren. Stadium 1 ist wie gesagt nur auf die Niere beschränkt, Stadium 2 ist die Niere überschreitend, aber prinzipiell operabel. Es ist sehr schwierig, eine diffizile Unterscheidung, die am ehesten wahrscheinlich durch diese Magnetresonanztomographie möglich ist, die aber erst im St.Anna-Kinderspital erfolgt ist, die Prim. Jürgenssen ja noch nicht hatte. Er hatte Ultraschall und Computertomographie.

Verteidiger Dr. Rebasso: Wenn Sie sagen, ca. 90%, kann es auch darunter liegen?

SV: Das hängt davon ab, weiche Patientenanalysen man anschaut. Die Literatur bei ungefähr

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10.000 Patienten mit dieser Krankheit, wie gesagt 6 pro Jahr in Österreich, ist eben so, daß im Stadium 1 beispielsweise in der europäischen Serie – die Amerikaner haben etwas höhere Daten – 85% im Stadium 1, 80% im Stadium 2, 75% im Stadium 3 angegeben werden; wie gesagt, es gibt kaum Fälle im Stadium 4, weil so spät kaum jemand zur Therapie kommt, aber da sind die Heilungsraten unter oder um 50%.

Der ER gibt zur weiteren Fragestellung an den Sachverständigen folgendes bekannt:

Es reduziert sich das Ganze auf die Rechtsfrage, ob es, wenn man sich nicht der Meinung der Schulmedizin anschließt, sondern sich unter diesem Zeitdruck einer alternativen, jedenfalls einer anderen, nicht anerkannten Methode anschließt, strafrechtlich fahrlässig ist oder nicht. Es geht nicht darum, ob und welche Alternativen es gibt und wie wahrscheinlich sie sind oder nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: In Frage steht doch, ob diese Behandlung die einzig richtig war, zu der die Eltern infolgedessen verpflichtet gewesen wären. Sie gehen davon aus, daß nicht in Frage steht, daß die schulmedizinische Behandlung so erfolgen mußte. Sie meinen, davon ist auszugehen nach Ihrer Rechtsansicht.

Der ER: Ich habe die Rechtsfrage zu prüfen, ob man, wenn man sich nicht der Schulmedizin anschließt, in der konkreten Situation unter Zeitdruck, weil sich das von Tag zu Tag verschlechtert, damit objektiv fahrlässig handelt; dann kommt erst die entscheidende Frage subjektiv, ob man so etwas a) einem medizinischen Laien und b) wirklich um das Kind

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besorgten Eltern strafrechtlich zuordnen kann. Das ist auf einer ganz anderen Ebene.

Verteidiger Dr. Schefer: Wenn Sie dieser Meinung sind, muß ich darüber nachdenken, ob ich nicht gehalten bin, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Vorher bitte ich Sie, Ihre Rechtsmeinung noch einmal zu definieren.

Der ER: Den Eheleuten Pilhar wird fahrlässiges Handeln vorgeworfen. Die Fahrlässigkeit hat nach dem Österreichischen Strafgesetzbuch drei Komponenten. Es ist zu prüfen nach einem objektiven Maßstab, nach einem subjektiven Maßstab und nach der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens. Es ist die Rechtsfrage zu klären, was ist in unserem Fall objektiver Maßstab – das ist das Gutachten des Sachverständigen, an dem zu zweifeln kein Anlaß besteht. Das ist mein objektiver Maßstab, in dem er sich auf das gängige, und wie er sagt, derzeit einzige mit Erfolgschancen vertretbare Verfahren verläßt. Subjektiv ist die Frage, darum wollte ich den psychiatrischen Sachverständigen beziehen – wieweit Laien zumutbar ist, sich in so einem schwierigen Gebiet auszukennen und die richtige Entscheidung zu treffen, also nach den geistigen Fähigkeiten, wobei das überhaupt nicht abschätzend verstanden werden will. Die dritte Frage ist dann das emotionelle Element der Zumutbarkeit. Das sind die drei rechtlichen Komponenten, in denen wir uns bewegen. Es kann nicht zu einer umfassenden Diskussion um medizinische Meinungen kommen. Es können deshalb nur Fragestellungen in diesem Rahmen zugelassen werden.

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Verteidiger Dr. Schefer ersucht um Unterbrechung der Verhandlung, um sich mit ihrem Kollegen zur Frage eines möglichen Antrages auf Befangenheit zu beraten.

Verhandlungspause von 16.00 Uhr bis 16.15 Uhr

Verteidiger Dr. Schefer beantragt eine Entscheidung über die Frage, ob das Gericht befangen ist, herbeizuführen und führt hierzu aus: Das Gutachten halte ich bis zum jetzigen Zeitpunkt für außerordentlich hilfreich differenziert, insbesondere die weiteren Aussagen des Gutachters; er sagt, es ist verständlich, sich im Falle einer Erkrankung um weitere Therapiemöglichkeiten zu bemühen. Keiner könne die Möglichkeiten der medizinischen Behandlung derzeit voll überblicken. Ich bin zum Schutze meiner Mandanten gehalten, darauf hinzuwirken, daß nicht bei meinen Mandanten der Eindruck entsteht, daß die volle Unbefangenheit des Gerichtes nicht vorliegt, so daß, wenn sich Äußerungen seitens des erkennenden Gerichts ergeben, die geeignet sind, Zweifel an der vollen Unbefangenheit des Gerichtes herzustellen, die Beschuldigten das Recht haben, einen Antrag auf Befangenheit zu stellen. Ich bin der Auffassung, daß durch Ihre Äußerung, der objektive Tatbestand sei erfüllt, und zwar dadurch, daß die Beschuldigten die schulmedizinische Behandlung abgelehnt haben, eine vorgreifende Beweiswürdigung erfolgt ist, überdies zu einem Zeitpunkt, wo weitere Aussagen von Medizinern noch zu erwarten sind. Diese Äußerung des Gerichtes ist geeignet, diese Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Daher bitte ich um Entscheidung über diesen Antrag.

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Verteidiger Mag. Rebasso hierzu: Ich habe dem Gesagten nichts hinzuzufügen, weder in die eine noch in die andere Richtung.

StA beantragt Ablehnung des Ablehnungsantrages. Die volle Unbefangenheit des Gerichtes wird von der Staatsanwaltschaft nicht in Zweifel gezogen, denn das Gericht hat nur den Fahrlässigkeitsbegriff des § 6 StGB erklärt. Daß der Tatbestand objektiv hergestellt ist, muß jedem Juristen klar sein.

Sohin verkündet der ER den

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auf Ablehnung des Befangenheitsantrages der Verteidigung, dies mit der Begründung, daß er sich nicht befangen erachte. Eine geäußerte Rechtsansicht, der sich niemand anschließen muß, kann keine Befangenheit begründen. Es wurde nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Tatbestand bereits erfüllt sei, sondern nur, daß der objektive Maßstab die anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft sind. Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar in seinem Gutachten zum Ausdruck gebracht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Nachdem die Frage der Erfolgsaussichten und der Prognosestellung für das Verfahren von Bedeutung sind, möchte ich erfahren, auf welche Zeiträume die von Ihnen angenommenen Erfolgsstatistiken ausgerichtet sind. Ab wann ist ein Patient nach Ihrer Statistik als geheilt anzusehen? Wie lang muß er danach noch überlebt haben?

SV: Genauso, wie es für die Länge das Zentimetermaß gibt, gibt es zur Bewertung einer Definitiv-

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heilung das Maß der 5-Jahres-Überlebensrate. In diesen großen Untersuchungen an rund 10.000 Patienten blickt man in der Regel aber über und schon länger zurück. Das waren die Zahlen, die ich genannt habe. Das ist sozusagen das Maß für die definitive Heilungsrate.

Verteidiger Dr. Schefer: Im Schnitt kommt es zu 6 Fällen dieser Tumorerkrankungen in Österreich pro Jahr?

SV: 6 bis 12 Fälle pro Jahr in Österreich, ja.

Verteidiger Dr. Schefer: In wie vielen Fällen waren Sie in die Behandlung involviert?

SV: Ich bin an und für sich für die onkologische Therapie von Erwachsenen zuständig. Es gibt in der Weltliteratur drei Fälle, davon habe ich zwei Patienten betreuen können. Ich bin indirekt nur auch bei den Behandlungen der Kindertumoren das macht ja alles Prof. Gadner vom St.Anna-Kinderspital involviert, weil wir sehr eng, mit diesem Krankenhaus zusammenarbeiten. Da gibt es regelmäßige Treffen auch mit den Strahlentherapeuten usw.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie Kenntnisse darüber, wie oft diese Erkrankung in diesem Jahr aufgetreten ist?

SV: Das kann ich Ihnen spontan nicht sagen; Prof. Gadner kann das wahrscheinlich, weil das die Meldezentrale ist. Das läßt sich durch einen Telefonanruf klären.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie können demzufolge auch die Frage nicht beantworten, mit welchem Ausgang diese Krankheit behandelt worden ist? Wenn man diese Statistiken auf die tatsächlichen Menschen bezieht, wäre die Frage von Interesse, wieviele von Wilmstumor-

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erkrankten in den letzten zwei Jahren durch die konventionelle Behandlung geheilt worden sind?

SV: Ausschließlich auf Österreich bezogen kann ich es nicht sagen, sondern eben über das Patientengut, das übersehen wird. Das ist eigentlich im großen und ganzen unverändert bis tendenziell etwas besser werdend. Ich kann jetzt spontan keine Auskunft geben. Ich müßte einige Telefonate erledigen und für die letzten zwei Jahre spezifisch das heraussuchen. Das ist sicherlich in Erfahrung zu bringen. Prof. Gadner wird es wahrscheinlich spontan sagen können. Die Daten sind stadienspezifisch vom prognostischen Typ abhängig und bewegen sich im Bereich, den ich Ihnen gesagt habe, wobei der dramatische Einschnitt nach unten jener ist, wenn auch Krankheitsmanifestationen außerhalb des Tumors, außerhalb der Niere vorliegen bei dieser Krankheit.

Verteidiger Dr. Schefer: Es ist nicht nur von Interesse, ob die Beschuldigten überhaupt diese Behandlung anwenden mußten, sonder auch, zu welchem Zeitpunkt. Wie lange dürfen sie abwarten? Wie lange durften sie auch Erkundigungen einziehen? Es ist ja der Fall durchaus denkbar, daß man sich mit den Fällen, die hier in Österreich bekannt geworden sind, auseinandersetzt, um mehr in Erfahrung zu bringen, so daß es also richtig ist, daß diese Angabe der 95% die Summe der weltweiten gesamtstatistischen Erhebungen darstellt?

SV: Das ist korrekt.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, Sie haben Ihrem Gutachten die radiologischen Befunde und die Akte zugrundegelegt. Sie haben eine Inaugenscheinnahme der Patientin nicht vorgenommen, zu keinem Zeitpunkt?

SV: Nein, das habe ich nicht.

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Verteidiger Dr. Schefer: Waren Sie der Auffassung, daß das nicht nötig ist?

SV: Ich glaube, bei der Therapie eines Patienten ist es sehr wesentlich, daß man den Patienten sieht, denn um ihn geht es ja. Man kann anhand der Befunde, die vorlagen, doch die Situation global beurteilen.

Verteidiger Dr. Schefer: Ich verweise auf § 5 Sachverständigengesetz, und zwar den Sachverständigeneid mit dem Wortlaut „Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, einen reinen Eid, daß ich die Gegenstände in einem Augenschein sorgfältig untersuche…“. War es ausreichend, lediglich die Computertomographien zugrundezulegen? Können Sie mit Sicherheit ausschließen, daß es zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, wenn Sie eine weitere Begutachtung des Gegenstandes vorgenommen hätten?

SV: Die Stadienbeurteilung kann man nur anhand bildgebender Verfahren beurteilen. Diese habe ich in den Händen gehabt. Das ist auch die einzige Möglichkeit. Durch Sprechen mit dem Patienten bzw. durch das Abtasten des Bauches allein kann man nicht das Stadium definieren. Das ist nicht möglich. D.h. für die Beurteilung war das sicherlich ausreichend.

Verteidiger Dr. Schefer: So daß Ihre Begutachtung hinsichtlich Schmerzzustände, die eine Körperverletzung im Hinblick auf Quälen herbeiführen wird, nicht vollständig ist?

SV: Das konnte ich nur indirekt – das habe ich auch gesagt – beurteilen durch die Erfordernis der Medikamente zum späteren Zeitpunkt und durch den Eindruck, der mir über die Medien entstanden ist, über das Allgemeinbefinden der Patientin.

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Verteidiger Dr. Schefer: Sie meinten, es sei verständlich, weitere Therapien zu konsultieren?

SV: Ich meinte, daß eine zweite Meinung einzuholen, wenn man mit so einer Diagnose konfrontiert ist, völlig normal und im Bereich dessen ist, was man vielleicht auch tun sollte; nur ist da die Gefahr groß, daß man nicht zur richtigen Stelle geht.

Verteidiger Dr. Schefer: Kennen Sie die Ursachen für diese Erkrankung, für diesen Tumor?

SV: Man weiß aufgrund des familiären Auftretens aufgrund der Assoziation mit bestimmten körperlichen Mißbildungen, daß hier genetische Defekte vorliegen. Das ist sicherlich nur ein Teilaspekt. Man weiß bei den meisten Karzinomerkrankungen nicht die unmittelbaren Ursachen, man erkennt aber zunehmend, daß hier eine genetische Prädisposition vorliegt. Es gibt physiologische Überwachungsmechanismen, die die Erkrankung im Zaum halten bzw. gibt es Traumata – das ist aber sicher nur beim Erwachsenen, wie z.B. das Rauchen – die dann so etwas auslösen oder aktivieren können. Meistens aber geschieht das speziell bei Kindern spontan ohne ersichtliche Ursache. Die definitive Ursache ist nicht bekannt. Man weiß, daß genetische Prädisposition bei einigen Patienten eine Rolle spielt, aber man hat nicht das Gen definiert, das man behandeln könnte.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen bekannt, daß es auch einen Befund gibt, wonach Kopfmetastasen vorliegen?

SV: Nein. Ich habe keinen Befund bekommen, wo der Verdacht ausgesprochen wird, daß im Kopf Manifestationen vorliegen.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie für die Gutachtenserstellung auch den Gerichtsakt gehabt oder nur die Krankenakten?

SV: Ich habe einen Gerichtsakt gehabt. Ich weiß nicht, inwieweit er vollständig war. Ich habe sowohl die Krankenunterlagen gehabt als auch den Gerichtsakt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Darin gibt es eine Stellungnahme aus Spanien von einem dortigen Arzt aus Barcelona, Herrn Professor Rius, der Kopfmetastasen festgestellt hat. Zumindest eine gewisse Stellungnahme in Ihrem Gutachten dazu ist vielleicht zu vermissen.

Der ER: Ich kann diese Stellungnahme auf ihre Authentizität und Gültigkeit nicht überprüfen. Finden Sie das als eine Unterlage, über die Sie eine medizinische Aussage machen können?

SV: Die Unterlagen aus Spanien habe ich nicht gehabt.

Der ER: Was ist das für eine Unterlage?

Erstbeschuldigter Helmut Pilhar: Das ist immerhin von der Universitätsklinik aus Barcelona. Das ist von Prof. Rius, der den Befund erstellt hat. Das Video, das ebenfalls dem Gericht vorliegt, bezieht sich immerhin auf folgende Ärzte: Das ist Prof. Lukayer, ein europaweit anerkannter Kinder-Computertomographie-Fachmann, als auch Prof. Alvarez, als auch Prof. Romero. Das sind abgesehen von Dr. Hamer vier Ärzte, die anhand von Kopf-CT´s Metastasen im Kopf von Olivia festgestellt haben. Dieser Befund liegt dem Gericht vor.

Erstbeschuldigter legt vor Übersetzungen aus dem Spanischen, beglaubigt von der Dolmetscherin.

SV: Ich kann indirekt ohne Befund auch Stellung nehmen. Auch wenn – und es ist dieser Fall

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sicherlich auch schon einmal aufgetreten – Absiedelungen im Gehirn zu diesem Zeitpunkt festgestellt worden wären, hätte das therapeutisch eigentlich nicht sehr viel geändert. D.h. im Prinzip wäre man therapeutisch gleicherart vorgegangen bzw. wenn welche bestanden hätten, hätte man wahrscheinlich auch eine Schädelbestrahlung zum späteren Zeitpunkt vorgenommen. Aber es ist ja vorweg eine unauffällige Computertomographie des Schädels erhoben worden. Vorher bestand es auch sicher nicht. Im Gegenteil, das würde eher unterstreichen, daß sich durch das Verzögern der Therapie der Befund verschlechtert hat, und zwar in diesem Fall dann noch um ein ganz erhebliches weiteres Maß.

Der ER: Selbst wenn die Unterlage echt ist und man davon als erhebbarem Befund ausgeht, ändert sich an der Aussage Ihres Gutachtens, an der Konsequenz ihres Gutachtens nichts?

SV: Nein, da würde sich nichts ändern.

Verteidiger Dr. Schefer: Auf Blatt 495, Pkt. 4, Resümee, schreiben Sie: „…und anschließender radikaler Tumorentfernung eine Heilungschance von 95% zu erwarten war“. Davor ist ein Zeichen. Was bedeutet das?

SV: Das bedeutet „größer/gleich“.

Verteidiger Dr. Schefer: Kann man das mit „mindestens“ umschreiben?

SV: Ja.

Verteidiger Dr. Schefer: Auf der folgenden Seite sprachen Sie von einer lebensbedrohlichen Pneumonie, die das Kind erlitten habe. Wissen Sie die Ursache dafür?

SV: Das war dann zu dem Zeitpunkt, wo Olivia im Allgemeinen Krankenhaus schon behandelt wurde. Wie gesagt, ich war nicht unmittelbar involviert. Diese Lungenentzündung ist sicherlich durch die Immunschwäche

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im Zusammenhang mit der Chemotherapie – prädisponierend sicherlich der sehr, sehr reduzierte Allgemeinzustand – aufgetreten. Das ist sicherlich eine chemotherapeutische Komplikation, die auftreten kann und mit der man rechnen muß.

Verteidiger Dr. Schefer: Was ist die Ursache für die Pneumonie? Ist sie aus der Situation entstanden oder aus der Nichtbehandlung? Was halten Sie für wahrscheinlicher, sofern Sie das sagen können?

SV: Ich glaube, das kann man nicht sagen, nachdem ich damals nicht unmittelbar involviert war und die Situation nicht wirklich objektiv beurteilen kann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben sinngemäß geschrieben, man hätte, um die Schmerzen der Patientin zu lindern, schmerzstillende Mittel geben müssen. Morphium wird glaube ich im Gutachten erwähnt.

SV: Das habe ich in einer Tullner Krankengeschichte gesehen, nach Rücküberführung nach Österreich.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ihre Auffassung war dahingehend, man hätte das tun müssen, um die Schmerzen der Patientin zu lindern?

SV: Wenn ich mich richtig entsinne: Olivia war ja stationär im Krankenhaus Tulln und ich glaube, es ist sogar erfolgt. Das ist zu lange her.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was sagen Sie dazu, daß zum Zeitpunkt, wo bereits die staatliche Behörde die Obsorge hatte, nämlich im AKH Wien, das nicht geschehen ist?

SV: Das ist durchaus möglich. Das liegt im Ermessen des behandelnden Arztes. Wenn spontan Schmerzen bestehen, würde man das sicherlich tun. Wenn das nicht der Fall ist, wird man es nicht tun. Das hängt von

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der jeweiligen Situation ab. Wenn es nicht gegeben wurde, dann war das sicherlich eine überlegte Entscheidung, die an kompetenter Stelle erfolgt ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die vorgelegten Unterlagen, von denen ich jetzt noch drei weitere anschließen werde, waren zum Großteil Entscheidungsgrundlage für die Beschuldigten, als es darum gegangen ist, den Weg zu finden im Zeitraum, der dem Verfahren zugrundeliegt. Diese sind damals von den Beschuldigten aufmerksam studiert worden. Nach meinem Vorbringen sind diese Unterlagen mit eine Entscheidungsgrundlage gewesen für die Vorgangsweise, die Gegenstand dieses Verfahrens ist, insbesondere gegen Chemotherapie und in weiterer Folge auf der Suche nach einer Alternative, was zu den bekannten Entwicklungen geführt hat. Das ist keine Sachverständigenfrage. Ich lege sie zu diesem Beweisthema vor und werde noch weitere Unterlagen im Laufe des Verfahrens vorlegen. Nachdem der Sachverständige anwesend ist, wäre es vielleicht angezeigt, ihn dazu eine Stellungnahme abgeben zu lassen. Vielleicht läßt sich das eine oder andere dadurch aufklären. Es ist so, daß diese Stellungnahmen immerhin in einschlägigen Fachzeitschriften zum Teil abgedruckt sind und zum Teil erheblich von den fachlichen Meinungen abweichen, die der Sachverständige vertritt.

Vom ER werden die vorgelegten Urkunden dem Sachverständigen übergeben mit dem Ersuchen, diese einer Prüfung zu unterziehen und hierzu in der fortgesetzten Verhandlung am Freitag, den 11.10.1996 Stellung zu nehmen.

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Verteidiger Mag. Rebasso beantragt die Verlesung dieser Unterlagen, zumindest der Titel und Auszüge, aus welchen Zeitungen diese stammen.

Vom ER wird festgestellt, daß von der Verteidigung ein Konvolut von 41 Seiten vorgelegt wurde.

Sohin verkündet der ER den

B e s c h l u ß

auf Vertagung der Hv auf den 11.10.1996, 09.00 Uhr, Schwurgerichtssaal.

Ende. 16.50 Uhr

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