40 E Vr 534/95
40 Hv 143/96

Hauptverhandlung

Gericht: Landesgericht Wiener Neustadt
Tag und Stunde des Beginnes der Hauptverhandlung:
11.11.1996, 09:00 Uhr

Strafsache: gegen Ing. Helmut und Erika PILHAR

Anwesende:

Einzelrichter: HR Dr. Wolfgang Jedlicka
Schriftführer: VB Alexandra Hammer-Koretz
Ankläger: EStA HR Dr. Erich Reisner

Beschuldigte:
1. Ing. Helmut PILHAR
2. Erika PILHAR

Verteidiger:
Mag. Rebasso, V. ert.
Dr. Heike Schefer, V. ert.

Sachverständiger: Prof. Dr. Werner Scheithauer

Der Erstbeschuldigte Ing. Helmut PILHAR gibt über seine persönlichen Verhältnisse an: keine Änderung der persönlichen Verhältnisse seit der letzten Hv.

Die Zweitbeschuldigte Erika PILHAR gibt über Ihre persönlichen Verhältnisse an: keine Änderung der persönlichen Verhältnisse seit der letzten Hv.

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Der Erstbeschuldigte Ing. Helmut PILHAR gibt an:

Ich bleibe bei meiner bisherigen Verantwortung.

Die Zweitbeschuldigte Erika PILHAR gibt an:

Ich bleibe bei meiner bisherigen Verantwortung.

Keine Fragen an die Beschuldigten.

Zeuge Prim. Dr. Hans VANURA, geboren 11.06.1930, Kinderarzt, wh. 4300 Tulln, Feldgasse 28 fremd, gibt nach WE vernommen an:

Der ER: Welche Position haben Sie damals bekleidet, als das Kind Ihnen gebracht worden ist?

Zeuge: Ich war Leiter der Kinderabteilung am Allgemeinen öffentlichen NO Landeskrankenhaus in Tulln.

Der ER: Wieso ist das Kind zu Ihnen gekommen? Was ist dem vorausgegangen?

Zeuge: Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil ich die Motive nicht kenne. Ich wurde am Vortag von unserem Amtsarzt, Obersanitätsrat Stangl, angerufen, ob ich bereit wäre, Olivia aufzunehmen. Ich habe selbstverständlich zugesagt.

Der ER: Mit wem und wann haben Sie in der Sache den ersten Kontakt gehabt?

Zeuge: Direkt mit dem Kollegen Stangl, der von den Eltern als Vertrauensarzt zugezogen worden ist. Er hat diese Aufnahme geebnet.

Der ER: Wann und wie haben Sie mit den Eltern und dem Kind den ersten Kontakt gehabt?

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Zeuge: Am Dienstag etwa gegen Mittag, als das Kind gebracht wurde. Da war die erste Aussprache.

Der ER: Welchen Zustand des Kindes haben Sie festgestellt? Was können Sie heute sagen, in welchem gesundheitlichen Zustand das Kind gekommen ist?

Zeuge: Ich darf dazu auf ein Wort verweisen, das der Kollege, der die Krankengeschichte verfaßt hat, verwendet hat; er verwendete das Wort „moribund“. Damit ist ausgedrückt, daß das Kind in einem sehr schlechten Zustand war, es hat kaum atmen können, es hatte offensichtlich Schmerzen, die Nahrungsaufnahme war stark behindert, es waren nur kleine Mengen Flüssigkeit möglich, das Kind hat dann erbrochen, das Kind konnte kaum gehen. Die Verschlechterung gegenüber den Fernsehaufnahmen eine Woche vorher waren eklatant und erkennbar. Unser Befund wurde zwei Tage später von der Kommission bestätigt. Das Kind hatte Atemstörungen durch das hochgedrückte Zwerchfell.

Der ER: Wenn Sie sagen „unser Befund“, was meinen Sie damit?

Zeuge: Der Befund des Krankenhauses Tulln.

Der ER: Haben Sie selbst die Untersuchung gemacht?

Zeuge: Selbstverständlich.

Der ER: Zu welchem Ergebnis sind Sie für sich gekommen, was nunmehr aufgrund dieses Befundes das ärztlich Indizierteste, das Rascheste, was zu tun ist, wäre, was angebracht ist aus Ihrer Sicht? Welchen Entschluß haben Sie gefaßt?

Zeuge: Wir sind eine allgemeine Kinderabteilung. Unsere Erfahrungen in spezieller Onkologie sind

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gering. Was wir in Kontakten mit anderen Kollegen gesprochen haben, wäre im Augenblick eine dringende Behandlung notwendig gewesen. Wir haben, um den Weg zu klären, für den folgenden Tag eine Reihe von Kollegen konsultiert und eingeladen. Da kam dann eindeutig heraus, daß eine Chemotherapie zur Einleitung vor der Operation notwendig ist.

Der ER: Das war also auch Ihre ärztliche Ansicht in dieser Situation?

Zeuge: Ja.

Der ER: Haben Sie das mit den Eltern besprochen?

Zeuge: Zum Zeitpunkt, als die Eltern gekommen sind, haben wir uns überhaupt noch nicht festgelegt. Es war meine Aufgabe, vorerst den Allgemeinzustand des Kindes festzustellen und zu dokumentieren. Das war der Inhalt des ersten Spitalstages am Mittwoch. Am Mittwoch Abend haben wir dann mit den Eltern gesprochen.

Der ER: Wie haben die Eltern reagiert? Was haben Sie ihnen gesagt?

Zeuge: Zuerst hatten die Eltern eine strikte Ablehnung gegenüber der Chemotherapie. Nach der Besprechung am Mittwoch Abend, bei der wir auch den Chirurgen zugezogen hatten, stimmten die Eltern der Behandlung zu. Das muß in dem Protokoll auch festgehalten sein. Wir sind davon ausgegangen, daß wir am nächsten oder übernächsten Tag mit der Behandlung beginnen können.

Der ER: Was war Ihrer Meinung nach das Ausschlaggebende, daß die Eltern dann zunächst einmal einverstanden waren?

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Zeuge: Prinzipiell war mit den Eltern sehr schwer zu verhandeln, weil sie sehr voreingenommen waren. Wir haben selbst mit Frau Dr. Marcovich und mit der Mutter gesprochen, und es war sehr schwierig, ihnen klarzumachen, daß der Zustand des Kindes extrem gefährdet ist. Nach diesen Vorgesprächen und dem Gespräch am Mittwoch Abend, bei welchem auch der Chirurg OA Dr. Geißler aus dem Donauspital dabei war, der die Frage der Möglichkeit einer Operation beurteilen sollte, kamen wir zu dem einhelligen Schluß, daß eine Operation ohne vorbereitende Chemotherapie unmöglich ist. Wir hatten gehofft, daß diese Diskussion, die Anwesenheit der Eltern, vielleicht auch der Einfluß des anwesenden Rechtsanwaltes der Eltern, diesen Meinungsumschwung zur Folge hatte. Wir hatten gehofft, daß es durch die dringliche Wucht der Befunde, das Befinden des Kindes und die Meinung verschiedener Ärzte gelungen sei, die Eltern zu überzeugen, daß eine Behandlung notwendig und möglich ist.

Der ER: Was glauben Sie, war dann der entscheidende Punkt, daß die Eltern dann einverstanden waren?

Zeuge: Das war an dem Abend, als verschiedene Ärzte, Dr. Marcovich, Dr. Geißler und der Vormund und der Rechtsanwalt beieinander waren. Wir haben das lang und breit diskutiert. Wir hatten gehofft, daß es uns gelungen ist, die Eltern davon zu überzeugen, wobei eine bestimmte Entfernung von Herrn Hamer eine Rolle gespielt haben könnte. So hatten wir uns das vorgestellt.

Der ER: Haben Sie den Eindruck gehabt, daß die Eltern unter dem Einfluß des Herrn Hamer stehen?

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Zeuge: Massiv. Es war fast unmöglich, darüber zu diskutieren, ob das überhaupt richtig sein kann oder nicht. Ich habe eine halbe Stunde mit Herrn Hamer telefoniert, und nach diesem Gespräch kann ich mir vorstellen, daß man nach vier Wochen mit Herrn Hamer zusammen nicht mehr anders denken kann. Es war eine massive Indoktrination.

Der ER: Sie sagen, die Eltern waren einverstanden. Was ist darunter zu verstehen? War das eine feierliche Erklärung oder ein stillschweigendes Einverständnis?

Zeuge: Wir haben, soweit ich mich erinnern kann, die Familie Pilhar gefragt, ob sie unter diesen Bedingungen mit der Behandlung oder Einleitung der Behandlung einverstanden sei. Herr Pilhar hat das ausdrücklich angegeben, worauf ich mich gefreut habe und ihm die Hand gegeben habe und gesagt habe: „Vielleicht kommen wir doch auf einen grünen Zweig.“

Der ER: Aus dem Protokoll ergibt sich, daß am nächsten Tag die Situation wieder anders war. Was war am nächsten Tag?

Zeuge: Am Donnerstag haben wir begonnen, den Flüssigkeitsverlust des Kindes auszugleichen. Das Kind hat Infusionen bekommen, es hat auch schmerzstillende Medikamente bekommen. Gegen Ende des Vormittages hat die Mutter dann gesagt, sie zieht das zurück, hat die Behandlung verweigert, zuerst mehr durch Passivität, später dann aktiv, so daß die Infusion, die Flüssigkeitszufuhr, unterbrochen werden mußte. Dann haben wir sie gefragt, was jetzt ist. Daraufhin haben sie gesagt, sie lehnen die Behandlung ab, sie sind überfahren worden, man hat sie

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unter Druck gesetzt, es war nicht ihre freie Entscheidung. Sie haben von da an die Behandlung abgelehnt.

Der ER: Wie haben Sie darauf reagiert?

Zeuge: Wir haben versucht, mit den uns möglichen Methoden den Zustand des Kindes halbwegs zu stabilisieren. Das war relativ schwierig, weil die schmerzstillenden Medikamente meistens abgelehnt wurden und die Infusion ebenso, denn da könnten ja andere Medikamente drinnen sein.

Der nächste Schritt war nicht von mir, sondern vom Berufsvormund. In dem Augenblick, als die Eltern die Behandlung abgelehnt haben, war es nicht mehr in unserer Hand. Als die Eltern mit dem Kind aufgenommen wurden, haben wir im Prinzip gleich darauf hingewiesen, daß die letzte Entscheidung über alles, was mit dem Kind geschieht, bei der Berufsvormundschaft liegt; daß wir das Einvernehmen der Eltern aus menschlichen Gründen anstreben würden, weil die Unterstützung der Eltern wichtig ist, daß aber letztlich die Entscheidung beim Berufsvormund liegt. Daher war der nächste Schritt nicht das Medizinische, sondern das Rechtliche.

Der ER: Ihnen war also bewußt, daß die letzte Entscheidung beim Berufsvormund liegt, weil die elterlichen Rechte zu diesem Zeitpunkt schon aberkannt waren. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie und die übrigen behandelnden Ärzte, die Sie genannt haben, zu dem Ergebnis gekommen sind, daß es trotzdem notwendig ist, daß die Eltern einverstanden sind und mitmachen, denn sonst ist der ärztliche Erfolg in Frage gestellt?

Zeuge: Das ist richtig. Es ist ein Grundsatz der modernen Medizin, daß die positive Haltung des

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Patienten wesentlich zur Gesundung beiträgt. Bei den Kindern ist eben eine Voraussetzung für die positive Haltung die Anwesenheit oder die Miteinbindung der Eltern in die Betreuung und Pflege des Kindes. Das ist gleichgültig, welcher Patient das ist. Das machen wir auch schon bei den Frühgeburten.

Der ER: Wenn das Schlagwort Zwangsbehandlung gefallen ist, haben Sie gesagt, dann aber nicht bei Ihnen und in Ihrem Krankenhaus, das machen Sie nicht?

Zeuge: Richtig. Wir sind ein relativ kleines Krankenhaus, haben keine Isolierungsmöglichkeiten. Wir hatten zwei Tage den Medienwirbel erlebt. Wir haben einfach nicht die Möglichkeit gehabt, das abzuschirmen.

Der ER: Es soll auch Reaktionen der Eltern und anderer Personen, die da herum waren, gegeben haben, die ins Irrationale hineingehen? Was haben Sie dazu gehört, welche Erfahrungen haben Sie damit gehabt?

Zeuge: Vom Verhalten der Familienangehörigen her hat das Ganze ein bißchen an Sekten erinnert. Es war auffällig, daß am Dienstag neben den Eltern auch noch immer irgendeine Tante dabei war, und immer war das Handy im Spiel, d.h. es bestand ein sehr, sehr enger Kontakt zu Herrn Hamer. Es war natürlich zu befürchten, daß diese dauernden Einflüsse von außen die Maßnahmen mit dem Kind unmöglich machen oder erschweren. Wir haben es dann so gemacht, daß die Eltern das Besuchsrecht zum Kind hatten und daß Fremde davon ausgeschlossen waren. Das ist wieder aus Platzgründen leicht erklärbar gewesen, auch der Patientin. Um ganzen Spitalsgang und in der Aula und am Balkon und vor dem Haus waren aber immer wieder Fremde.

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Für mich war es nicht immer ersichtlich, wer dazugehört hat z.B. von einem der Medieninstitute. Die Rundfunkanstalten und Fernsehanstalten haben uns ja direkt angesprochen; es waren sehr viele Zeitungsreporter. Die Frage, ob zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus schon Fremde gegen die Chemotherapie demonstrieren wollten, kann ich nicht belegen. Das war dann erst am Samstag an anderer Stelle.

Der ER: Sie haben jetzt eher von den Medien gesprochen. Ist ihnen am Verhalten oder den Äußerungen der beiden Eltern konkret in der Richtung etwas aufgefallen, daß irrationale Überlegungen mitspielen? Im Protokoll gibt es dafür Anhaltspunkte.

Zeuge: Für uns war die Situation von Anfang an dadurch schwierig, daß eine Diskussion völlig sinnlos war, weil sie anderen Argumenten nicht zugänglich waren. Damit waren sie für uns irrational. Die wissenschaftliche Situation von Herrn Hamer wurde von ihnen als so gesichert angesehen, daß eine Diskussion nicht möglich war. Mit der Mutter war ein relativ gutes Auskommen, wir konnten sprechen, wir haben uns einmal über einige Zeit zusammengesetzt; mit dem Vater war es etwas schwieriger. Er war sehr erregt. Mag sein, daß man da ein bißchen empfindlich ist, aber wenn man immer als potentieller Mörder des Kindes hingestellt wird, dann ist das auch nicht angenehm. Die Mutter bekam am Donnerstag, wenn ich mich recht erinnere, vom Vater die Empfehlung oder die Weisung – ich weiß nicht, welchen Grad das hatte – sich vor das Krankenhaus zu stellen und dort zu schreien: „In diesem Hause wird mein Kind umgebracht.“ Das ist so etwas Irrationales.

Der ER: Sie haben von „potentiellem Mörder“ und „umgebracht“ gesprochen. In den

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Aktenvermerken und Protokollen ist festgehalten, die Eheleute Pilhar würden auf dem Standpunkt stehen, die Ärzte bringen jetzt das Kind um, damit die Theorie Hamer als schlecht hingestellt wird. Können Sie das aus Ihrer Erinnerung bestätigen oder ist das anders zu verstehen?

Zeuge: Ich hatte immer den Eindruck, daß der Vater daran geglaubt hat, daß seinem Kind Schaden entsteht. Er ist immer wieder mit Statistiken gekommen, mit Zeitungsausschnitten. Ob er Interesse hatte, die Hamer-Theorie damit zu untermauern, wollte ich nicht hineininterpretieren. Ich habe einfach nur die Sorge eines falsch informierten Vaters gesehen.

Der ER: Am zweiten Tag abends war dieses Ärztekonsilium im Pflegschaftsverfahren. Kennen Sie dieses im Pflegschaftsverfahren aufgestellte Gutachten über den derzeitigen Zustand des Kindes und was sofort notwendig wäre?

Zeuge: Das war Freitag abends, ein wissenschaftliches Gutachten über den Zustand des Kindes. Ich habe es geschrieben.

Der ER: Darin steht, wenn nicht sofort die Behandlung, sprich Chemotherapie, einsetzt, wird das Leben des Kindes zu Ende gehen. Deckt sich das mit Ihrer Erinnerung und Ihrer Meinung als damals behandelnder Arzt?

Zeuge: Darf ich zur Illustration dazu sagen: Bei den vorhergehenden Besprechungen, bevor dieses Gutachten abgeschlossen und endgültig entschieden war, stand zur Diskussion, das Kind zum Sterben nach Hause zu bringen, weil es aussichtslos ist. Es war eine Situation, die wir mit etwa 10% Überlebenschance eingeschätzt hätten. In diesem Fall war die Frage, ob es überhaupt noch begründbar

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ist, eine massive Therapie zu machen. Nachdem das Gutachten eine etwas höhere Überlebenschance ergeben hat, blieb dem Pflegschaftsgericht der Weg zur Einleitung der Intensivbehandlung. Das soll nur klarstellen, wie schlecht der Zustand nach unserem Befinden war.

Der ER: Wenn man davon ausgeht, daß die Handlungsweise der Eltern doch und vor allem aus Sorge um das Wohl des Kindes zu verstehen ist, wie verträgt sich das nach Ihrer Erinnerung mit dieser Situation, daß die Ärzte von einer Überlebenschance von 10% sprechen und die Eltern noch immer sagen, sie sind gegen die Einleitung der Chemotherapie? Wie haben Sie diese Situation empfunden?

Zeuge: Ich glaube, das kann man als geschulter Mediziner überhaupt nicht verstehen. Das stammt aus der Theorie von Hamer, daß der Tumor sich selbst auffressen wird; er wird zerfallen und dann wird er sich selbst auflösen. Das ist ein Prozeß, der gerade bevorsteht. D.h., die Eltern waren von Hamer so informiert, daß sie glaubten, die Spontanheilung werde in den nächsten Tagen eintreten. Wie sich das mit dem Verhalten des Kindes verhält, kann ich nicht erklären, weil ich nicht die Eltern bin. Es ist für mich die einzige Erklärung, und sie haben auch immer wieder damit argumentiert.

Der ER: Nachdem das Gutachten eine so ernste Situation gezeichnet hat, hat sich der Pflegschaftsrichter entschlossen, die sogenannte Zwangsbehandlung einzuleiten. Wohin ist das Kind dann gekommen?

Zeuge: Das Kind ist am nächsten Tag, am Samstag, in die Universitätskinderklinik Wien gekommen.

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Der ER: Hat das einen bestimmten Grund gehabt?

Zeuge: Soweit wir bei den Diskussionen hörten, seien dort die Möglichkeiten der Behandlung bzw. die Möglichkeiten der Isolierung größer gewesen, und man rechnete doch damit, daß Probleme auch von der Umgebung her kommen könnten; da sei das Allgemeine Krankenhaus besser ausgestattet.

Der ER: Ist das Kind alleine transportiert worden oder waren die Eltern oder ein Elternteil dabei?

Zeuge: Die Mutter hat knapp vor der Abfahrt des Kindes die Teilnahme am Transport mit dem Hinweis abgelehnt, man könnte ihr die Mitfahrt mit dem Kind als Zustimmung zur Chemotherapie auslegen. Deswegen hat sie es abgelehnt; das Kind ist mit einem unserer Ärzte gefahren. D.h., der Arzt hätte auf jeden Fall mitfahren müssen.

Der ER: Sie sprechen von der Mutter. Beim Vater wird von einem Besuchsverbot gesprochen. Was ist darunter zu verstehen?

Zeuge: Wir haben dem Vater kein Besuchsverbot auferlegt. Er hätte jederzeit zum Kind kommen können. Wir haben ja gesagt, die Eltern können zum Kind, nur nicht andere Verwandte, die wir nicht kontrollieren können.

Der ER: In Ihrem Krankenhaus hat es also kein Besuchsverbot gegeben?

Zeuge: Ich weiß von nichts. Sicher nicht von mir; soviel ich weiß, auch nicht vom Berufsvormund und auch nicht von der Bezirkshauptmannschaft. Der Vater war nicht hier. Es wurde uns erklärt, daß er Aktivitäten hätte.

Der ER: Sie selbst haben solche Aktivitäten nicht selbst gesehen?

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Zeuge: Nein, das war außerhalb des Hauses.

Sachverständiger: keine Fragen.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben eingangs davon gesprochen, daß Sie im Krankenhaus Tulln einen Befund angefertigt haben. Haben Sie diesen bei sich?

Zeuge: Nein, er ist Teil der Krankengeschichte, und als solcher habe ich ihn nicht mitgenommen, auch deshalb, weil ich angenommen habe, daß dieser Befund schon bei Gericht liegt. Die Krankengeschichte ist letztlich im Krankenhaus, im AKH gewesen. Der Befund hat in die Krankengeschichte Eingang gefunden.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, Ihr Befund sei von der Kommission bestätigt worden. Welche Kommission war das?

Zeuge: Es wurde vom Pflegschaftsrichter zur Klärung des Zustandes des Kindes und der notwendigen Schritte eine Gruppe von Fachleuten einberufen, die am Freitag abends zusammengetreten ist. Das waren drei Krebsspezialisten und der Patientenanwalt von Wien. Dr. Stangl war nicht dabei, er ist kein Spezialist für Krebs. Dr. Stangl ist Amtsarzt und nicht als Amtsarzt, sondern als Person von den Eltern als Vertrauensarzt zugezogen gewesen. Er war bei dieser Kommission nicht dabei. Bei der Kommissionssitzung selbst waren die Teilnehmer der Pflegschaftsrichter und ich.

Verteidiger Mag. Rebasso: Gibt es einen Bericht darüber, was die Kommission letztlich befunden hat?

Zeuge: Das liegt offensichtlich schon beim Vorsitzenden. Es heißt „Wissenschaftliches Gutachten über

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das Befinden des Kindes“. Das ist das Gutachten, das Eingang in den Pflegschaftsakt gefunden hat.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie wurden nach der Formulierung gefragt, es könnte „das Ableben des Kindes zur Folge haben“, wenn man nichts weiter unternimmt. Ist Ihnen bekannt, daß es auch eine Passage gibt, daß unter Umständen der Einsatz von Zytostatika das Ableben des Kindes beschleunigen könnte?

Zeuge: Ich habe den Text selbst geschrieben. Im Prinzip geht es hier um das Abwägen der Vor- und Nachteile einer medizinischen Vorgangsweise. Ich muß als Arzt immer abwägen, was schwerwiegender ist; der Behandlungserfolg oder die Nachteile. Das ist halt nicht meine Aufgabe gewesen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie hat sich diese Abwägung damals aus Ihrer Erinnerung dargestellt?

Zeuge: Die Abwägung ging eindeutig in Richtung Einleitung einer Behandlung. Das andere wurde festgehalten, weil es bekannt ist, daß es das gibt, aber im konkreten Fall schienen die Vorteile schwerer zu wiegen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, die Eltern waren zunächst gegen die Chemotherapie. Ist das ausschließlich gegen die Chemotherapie gerichtet gewesen oder waren die Eltern gegen jede Art von Behandlung?

Zeuge: Am Anfang wurde vorwiegend die Chemotherapie besprochen. Es kam dann im Laufe der Tage auch zur Diskussion, ob man in dieser Phase nicht nur operieren kann. Das war der Grund, warum wir den Kollegen Geißler vom Donauspital zugezogen haben, der dann ausdrücklich festgehalten hat, daß in dieser Phase eine Operation nicht mehr möglich ist; sie wäre im Mai möglich

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gewesen, aber in dieser Phase nicht mehr. Da war eine Vorbereitung mit Chemotherapie notwendig.

Verteidiger Mag. Rebasso: Der Protest richtete sich aber schon primär oder ausschließlich gegen die Anwendung der Chemotherapie?

Zeuge: Überwiegend ja.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben dargestellt, Hamer war der primäre Vertrauensarzt der Eltern?

Zeuge: Ich habe es so verstanden.

Verteidiger Mag. Rebasso: Gab es aus Ihrer Erinnerung von Herrn oder Frau Pilhar oder vielleicht von beiden nicht den Vorschlag, Dr. Hamer doch in die Behandlung einzubinden, dann könnte man sich sozusagen auch Zustimmungen vorstellen?

Zeuge: Ich habe eine halbe Stunde mit Herrn Hamer telefoniert wegen seiner Vorstellungen über die Behandlung.

Verteidiger Mag. Rebasso: Gab es einmal diesen Vorschlag der Eltern?

Zeuge: Das wurde kurz besprochen; es ist aber völlig irrational gewesen, denn die Vorstellung von Herrn Hamer – Warten, daß der Tumor sich auffrißt – stand ganz konträr zu dem, was wir als Mediziner gelernt und gesehen haben und was die Spezialisten dazu zu sagen haben. Hier hätte es einfach keine einheitliche Meinung geben können. Ich kann nicht nichts tun und gleichzeitig Chemotherapie machen. Das geht nicht. Aus diesem Widerspruch ergab es sich. Eine zweite Frage, die wir nicht diskutiert haben, die aber aus der rechtlichen Vorsituation der Anzeige gegen Herrn Hamer hervorgegangen ist, war, daß sehr zweifelhaft

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war, ob der überhaupt hätte kommen können. Aber das war nicht mein Problem. Das ist ein Rechtsproblem.

Verteidiger Mag. Rebasso: Glauben Sie, daß es unter Umständen leichter gewesen wäre, einen Konsens zu finden, wenn es einen Weg gegeben hätte, Dr. Hamer einzubinden?

Zeuge: Wenn ich das Telefongespräch mit ihm Revue passieren lasse, dann sage ich gleich nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hätte es einen Weg des Konsenses mit den Eltern gegeben, wenn man Hamer eingebunden hätte?

Zeuge: Die Frage kann ich nicht beantworten, was die Eltern gesagt hätten. Wenn aber Herr Hamer ausdrücklich und immer wieder und bis zum letzten Augenblick und, wenn ich mich recht erinnere, auch heute noch anderer Meinung ist als die Schulmedizin in Österreich, dann ist es irrationale Frage, ob Herr Hamer Einfluß auf die Behandlung gehabt hätte.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hätte es einen Einfluß auf das Verhalten der Eltern gehabt, wenn man Dr. Hamer einbezogen hätte?

Zeuge: Wenn Herr Hamer mir am Telefon sagt: „ihr bringt das Kind um“, und das hat er mir gesagt, dann ist das jenseits jeder Diskussion, zu versuchen, ihn hereinzubringen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie sagen, die Standpunkte zwischen den Eltern und Ihnen einerseits und zwischen Hamer und der Schulmedizin andererseits waren offenbar sehr verhärtet.

Zeuge: Richtig; was mich auch nicht wundert, denn es sind immerhin schon drei Monate vergangen gewesen.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Eingangs haben Sie aber gesagt, mit den Eltern war keine Diskussion möglich. Ist es nicht so, daß sich das eigentlich von selbst versteht, wenn auf der einen Seite medizinische Laien auf Informationen eines Vertrauensarztes zurückgreifen und von Ihrer Seite dann auch argumentiert wird, – Sie haben selbst gesagt, Sie sind auch kein onkologischer Fachmann – daß sich die Diskussion klarerweise sehr bald dem Ende zuneigt, wenn keine der beiden Seiten von ihrem Standpunkt abweicht? Oder sind Sie von Ihrem Standpunkt abgewichen?

Zeuge: Bei einem Patienten, der wahrscheinlich nur einige Tage zu leben hat, – und so schien es uns – gab es ein Abweichen von meiner Meinung nur in dem Sinn, daß die Frage diskutiert wurde, Entlassung zum Sterben. Das war der Grund, warum die Kommission einberufen wurde. Wenn dort festgestellt wird, es muß behandelt werden, dann habe ich überhaupt nichts mehr dazu zu sagen, denn das war einfach jenseits meiner rechtlichen Kompetenz.

Verteidiger Mag. Rebasso: Kann man sagen, daß von beiden Seiten die Positionen klar waren und deshalb eine Diskussion gescheitert ist?

Zeuge: Wenn Sie voraussetzen, daß der Zustand des Kindes unsere Situation verhärtet hat, die Dringlichkeit einer schulmedizinischen Behandlung, dann haben Sie recht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, der Zustand des Kindes war moribund, also sehr ernst. Aus Ihrer Sicht und nach Ihrer Befundung hat sich das so dargestellt. Versuchen Sie die Möglichkeiten zu unterscheiden, die Sie als Arzt hatten, den Zustand des Kindes zu befunden, und die Möglichkeiten, die die Eltern

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hatten, sich ein Bild über den Zustand des Kindes zu machen. Was konnten die Eltern als medizinische Laien hinsichtlich des Zustandes des Kindes feststellen, ohne zuerst auf Ihr Fachwissen als Arzt zurückgreifen zu müssen?

Zeuge: Wir haben die Fernsehbilder von Spanien eine Woche vorher gesehen und wir haben das Kind vor Augen gehabt. Mir war es im Prinzip unverständlich, daß die Eltern die Verschlechterung nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Immerhin ist der Tumor in dieser Zeit um fast 2 kg gewachsen. Gerade die letzten zwei Wochen vor der Einlieferung in unser Krankenhaus haben eine massive Verschlechterung des Befindens des Kindes gebracht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wieweit können Sie sicher sagen, daß man die Verschlechterung des Befindens des Kindes dem Tumor oder der psychischen Belastung, dem Streß, dem das Kind möglicherweise ausgesetzt war, zuordnen kann?

Zeuge: Den Streß würde ich hier vernachlässigen. Er macht andere Symptome als die Krankheit.

Verteidiger Dr. Schefer: Kann man nicht anderer Meinung sein als die österreichische Schulmedizin?

Zeuge: Prinzipiell kann man verschiedener Meinungen sein. Es ist auch durchaus nicht so, daß jeder schulmedizinisch ausgebildete Arzt immer mit der Schulmedizin einverstanden ist. Das ist eines der Zeichen einer lebendigen Wissenschaft, daß es immer wieder andere Meinungen gibt. Diese anderen Meinungen müssen wissenschaftlich überprüft werden; dafür gibt es bestimmte Kriterien, entsprechende Untersuchungen, entsprechend große Patientenzahlen, Betreuung der Patienten, Aussagen über das Ausgehen eines Vorgehens, wo leben mehr, wo

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leben weniger. Aus diesen Diskussionen entsteht dann der Fortschritt der Medizin. Bei Herrn Hamer war diese Diskussion schon vor vielen Jahren. Ich hätte ihm auch zugestanden, wenn es dem Kind besser gegangen wäre. Man muß aber dazusagen, Herr Hamer hat es nicht zustande gebracht, die Wissenschaftler zu überzeugen, obwohl er sich sehr engagiert hat. Das muß man ihm zugestehen. Er war nicht in der Lage, dieses Kind so gesund zu machen, daß man den Eindruck hatte, nach zwei Monaten Behandlung sei es besser als vorher oder zumindest nicht schlechter. Wenn ich zwei Monate einen Patienten behandle und es geht ihm so schlecht, dann ist die Frage, ob dieser Weg richtig ist. D.h., wenn ich einen Patienten mit einer bestimmten Krankheit so lange erfolglos behandle, dann ist die Frage, ist diese Außenseiterbehandlung korrekt oder bleibe ich doch lieber bei dem, wo ich auf festem Boden stehe.

Verteidiger Dr. Schefer: Es stand von Anfang an fest, – so wurde dieses Verfahren geführt – daß Hamer völlig indiskutabel ist!

Zeuge: Richtig.

Verteidiger Dr. Schefer: Es handelt sich um einen Scharlatan, Vodoozauberer. Deshalb verstehe ich nicht, daß Ihre Schilderung so ist, Herr Hamer habe es probiert und es halt nicht hingekriegt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, Sie hätten ihm zugestanden, nach seiner Weise zu behandeln, wenn es nicht evident dem Kind schlechter gegangen wäre. Habe ich das richtig verstanden?

Zeuge: Nur zum Teil. Herr Hamer hat sicher vor Jahren versucht, das wissenschaftlich zu beweisen. Das ist ihm nicht gelungen. Von dem Augenblick an war seine Behandlung nicht korrekt, d.h. unwissenschaftlich.

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Verteidiger Dr. Schefer: Es ist ihm die Approbation entzogen worden. Er konnte ja nicht weitermachen.

Zeuge: Zu dem Thema kann ich nicht sprechen, weil es in Deutschland geschehen ist und ich die detaillierten Begründungen nicht kenne. Ich weiß nur, daß er eine Arbeit geschrieben hat, die nicht erschienen ist, weil sie bei der Prüfung nicht anerkannt wurde, weil sie wissenschaftliche Schwächen hatte. Ansonsten ist Herr Hamer für mich eigentlich kein Thema, weil ich kein Onkologe bin; ich bin hier auf die Informationen von darüber informierten Kollegen angewiesen. Das ist in der Medizin heute üblich, daß man sich Informationen, die man nicht selber hat, holt.

Verteidiger Dr. Schefer: Ich habe mit dem Anwalt des Dr. Hamer telefoniert, Herrn Rechtsanwalt Mendel. Er hat mir ein Fax zugeschickt mit dem Nachweis oder der Mitteilung, daß nach wie vor das Habilitationsverfahren an der Universität Tübingen anhängig ist. Warum haben Sie mit Dr. Hamer telefoniert?

Zeuge: Er hat mich angerufen, um sich nach dem Befinden des Kindes zu erkundigen.

Verteidiger Dr. Schefer: Haben Sie, als das Kind bei Ihnen war, mit Prof. Gadner gesprochen?

Zeuge: Selbstverständlich. Prof. Gadner gilt in Österreich als der Krebsspezialist für das Kindesalter. Wir hätten, wenn die Behandlung in Tulln möglich gewesen wäre mit Einvernehmen der Eltern, mit dem fachlichen Wissen dieser Station arbeiten können.

Verteidiger Dr. Schefer: Können Sie etwas über den Inhalt dieses Gespräches mitteilen?

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Zeuge: Wir haben nicht einmal gesprochen, sondern mehrmals, weil die Problematik ja derart komplex ist. Es ging im wesentlichen immer wieder darum, was in dieser Phase noch zu machen ist. Wenn ich heute eine Behandlung wie eine onkologische Intensivtherapie einleite, dann ist das etwas, was Tage Vorbereitungen braucht. Diese Details wurden besprochen; wir hätten am Donnerstag anfangen können.

Verteidiger Dr. Schefer: Ist Prof. Gadner zu Ihnen ins Spital gekommen, um sich das Kind anzuschauen?

Zeuge: Ja, selbstverständlich. Prof. Gadner war im Zusammenhang mit der Kommission da, weil er als Krebsspezialist da war. Er war vom Berufsvormund eingeladen. Er war aber nicht Mitglied der Kommission.

Verteidiger Dr. Schefer: Hat er das Kind auch untersucht?

Zeuge: Ja. Alle Teilnehmer an dieser Sitzung, d.s. die Krebsspezialisten, der Patientenanwalt, Prof. Gadner, der Richter, waren bei dem Kind und haben das Kind angeschaut, allerdings mit dem Zusatz, so schonend als möglich, weil viel Herumdrücken am Bauch bei dieser Situation des Krebs nicht günstig gewesen wäre.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie sagten, Sie hatten den Eindruck einer Sekte. Dann sagten Sie, es war eine Tante da, es wurde mit Handys telefoniert. Ich kann daraus nicht schließen, daß es sich deswegen um eine Sekte handelt.

Zeuge: Nein. Wir haben Erfahrungen in Österreich im Umgang mit Zeugen Jehovas, die als Sekte gelten. Diese haben bestimmte Verhaltensnormen. Zu diesen Verhaltensnormen gehört die Kontrolle über das Mitglied, das monomane Indoktrinieren, der dauernde Kontakt. Das war

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das, was ich mit sektenähnlich gemeint habe. Es ist zweifelhaft, ob der Betreffende in dieser Situation überhaupt frei entscheiden kann oder ob er nicht dauernd korrigiert wird, wenn er versucht, abzuweichen.

Verteidiger Dr. Schefer: Das war es, was meine Mandanten die ganze Zeit wollten: frei entscheiden. Die freie Entscheidung besteht ja auch dann nicht, wenn Sie sagen, in diesem Falle geht nichts anderes als Chemotherapie und Operation.

Zeuge: Das Problem dieses Falles ist, daß es kein medizinisches Problem war. Medizinisch war die Sache ab Mai gelaufen und die Frage der Vorgangsweise im Prinzip aus dem Zustand des Kindes vorgezeichnet. Das war nicht das Problem. Das Problem war, daß die Eltern die freie Entscheidung über das Kind nicht mehr hatten. Wir versuchten, die Einwilligung der Eltern im Sinne der Mitarbeit zu bekommen. Die Entscheidung fiel aber nicht bei mir, nicht bei den Eltern, sondern beim Vormundschaftsgericht. Dieses hat als Gutachten die Kommission einberufen, damit war im Prinzip die Entscheidung durch das Gericht, also nicht durch mich, gefallen.

Verteidiger Dr. Schefer: Gab es Ihres Erachtens in diesem Fall zu dem Zeitpunkt, in dem Sie mit dem Kind konfrontiert worden sind, eine andere Entscheidung als die der Chemotherapie und der Operation?

Zeuge: Nein; wissenschaftlich nicht diskutierbar. Die freie Entscheidung war entzogen mit dem Entzug der freien Verfügbarkeit über das Kind durch das Vormundschaftsgericht. Das ist im Mai schon geschehen.

Verteidiger Dr. Schefer: Ich meine nicht die juristische oder formale Freiheit der Entscheidung, sondern inhaltlich.

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Zeuge: Wenn ein Weg offensichtlich in die Irre führt, kann ich im Prinzip für mich entscheiden, ich gehe falsch. Aber die Rechtssituation in Österreich ist so, daß man für die Kinder diese Fehlentscheidung der Eltern oder der Versorgungsberechtigten nicht anerkennt. Dann sind wir verpflichtet, das Gericht zu fragen, ob es uns die Erlaubnis gibt, die Behandlung durchzuführen; Beispiel Zeugen Jehovas. Die Rechtsgrundlagen sind ähnlich.

Der ER: Vor mir liegt ein Kompendium, in welchem die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt als Amtsvormund in Aktenvermerken den Ablauf festgehalten hat. Ich komme auf den Begriff des Besuchsrechtes zurück. In diesem Protokoll steht (AS 267, Band VII): „Da befürchtet worden ist, daß Herr Pilhar Gewaltmaßnahmen setzt bzw. Spontanaktionen einleitet, wurde er nach dem Gespräch mit den vier Ärzten und dem Gutachten mit einem Besuchsverbot belegt und konnte nicht mehr ins Krankenzimmer zurück.“ Deckt sich das mit Ihrer Erinnerung? Hat man den Vater vom Kind weggesperrt?

Zeuge: Ich kann die Frage deswegen nicht beantworten, weil ich bei diesem Gespräch nicht dabei war.

Der ER: Auf S 249, Band VII heißt es: „Dr. Zimper informiert mich kurz über die Ereignisse des gestrigen Abends. Mag. Pircher war ebenfalls im Krankenhaus anwesend. Der psychische Zustand vor allem des Vaters war derart kritisch, daß Dr. Stangl bereits eine Einweisung in die Psychiatrie vorbereitet hatte.“ Können Sie aus Ihrer Wahrnehmung etwas bestätigend oder nicht bestätigend zu dieser Formulierung sagen, daß sein Zustand so kritisch war, daß man an die Psychiatrie gedacht hat; daß er sich nicht mehr in Gewalt und

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Kontrolle gehabt hat? Deckt sich das mit Ihrer Erinnerung?

Zeuge: Im Prinzip ja. Wir haben das auch mit dem Sanitätsrat Stangl mehrmals besprochen. Ich habe vorher schon darauf hingewiesen, daß Herr Pilhar manchmal aggressiv war. Es ist eine Frage, wie man dazu steht. Mir sind Kinder, die sich wehren und nicht einverstanden sind, geläufig. Bei einem Erwachsenen in einer Sondersituation wird im allgemeinen vorausgesetzt, daß er sich kontrollieren kann. Wir haben die Frage sehr wohl besprochen, es hat sich dann aber eigentlich die Gelegenheit, etwas zu tun, nicht ergeben. D.h., es war die Notwendigkeit, massiv vorzugehen, auch nach Meinung von Sanitätsrat Stangl offensichtlich nicht d a.

Der ER: Nach Vorhalt AS 255, Band VII: „Dabei war auffällig einerseits ein ständiger telefonischer Kontakt offensichtlich mit Anhängern von Dr. Hamer, die Mitteilung von Pilhar, daß er mit Dr. Hamer ständig in Verbindung sei – er verlangt, daß Hamer nach Österreich zu Olivia kommt und diese in einer Klinik behandeln kann sowie, daß zwischen den Ehegatten Pilhar eine unheimliche Harmonie besteht, wobei bereits einige Wort genügen, um verschiedene Verständigungsabläufe zu erreichen. Worte, die zugerufen worden sind mit der Bedeutung „Erika, wir sind uns einig“ oder „Keine Chemo“ dürften psychische Prozesse auslösen, die zu einer gegenseitigem Stärkung führen. Ebenso war bemerkt worden, daß man an das „große goldene Kreuz“ denken möge. Diese Bemerkung hinsichtlich des „großen goldenen Kreuzes“ wurde auch von einer Krankenschwester übermittelt, die mitteilte, daß Frau Pilhar im Zuge eines Besuches mit einer Besucherin

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meditiert habe, wobei immer wieder die Bedeutung eines goldenen, großen Kreuzes angeführt worden ist.“

Zum Thema Irrationalität: Können Sie aus Ihrer persönlichen Wahrnehmung damals etwas dazu sagen? Ist das einigermaßen richtig dargestellt?

Zeuge: Das ist realistisch dargestellt, ja.

Der Erstbeschuldigte Helmut Pilhar gibt hiezu an: Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es hier eigentlich um meine Frau. Wir sind zehn Jahre zusammen, wir haben vier Kinder; daß eine Harmonie zwischen uns besteht, kann man nicht abstreiten. Ob sie unheimlich ist, kann ich nicht beurteilen. Zu dem anderen kann ich wirklich nichts sagen. Ich war da anscheinend nicht dabei, laut Beschreibung. Ich kann dazu nicht sagen.

Der ER: Was ist das „große goldene Kreuz“?

Die Zweitbeschuldigte Erika Pilhar gibt an: Die Situation der Meditation kenne ich nicht. Ich habe noch nie meditiert. Ich bete sehr wohl, aber meditiert habe ich noch nicht. Von einem großen goldenen Kreuz weiß ich nicht, wo das hererfunden worden ist. Ich weiß nicht, wo das herkommt. Ich habe so etwas nicht gesagt. Ich weiß auch nicht, was damit gemeint ist. Ich kenne die Situation der Meditation nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Die Frage nach einem großen goldenen Kreuz wurde mit dem Terminus „Irrationalität“ in Zusammenhang gebracht. Muß man folgerichtig dann diese Gerichtsverhandlung auch als irrational bezeichnen, wenn auf dem Richtertisch ein Kreuz steht? Ich möchte damit darauf hinweisen, daß ich diese

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Frage, die Sie an die Beschuldigten gestellt haben, für nicht richtig halte.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, der Tumor wird aufgefressen, das ist die Ihnen bekannte Theorie von Dr. Hamer. Ist das Ihr Verständnis von der Theorie Hamers, daß das sein Ansatz sei, oder ist das damals von Dr. Hamer oder einem der Beschuldigten Ihnen so referiert worden?

Zeuge: Das ist damals so referiert worden in der gegebenen Situation. Die ganze Theorie der Tumorentstehung bleibt in dem Fall weg, es war die kritische Phase, wer stirbt zuerst, das Kind oder der Tumor? Insofern wurden die Eltern von Herrn Hamer informiert, daß zuerst der Tumor sterben wird und das Kind anschließend gesund werden wird. Da geht es um Tage. Ich glaube, wenn ich mich recht erinnere, daß das auch, etwas vereinfacht, aber doch, so diskutiert wurde.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wurde konkret über die wissenschaftliche Terminologie und über den wirklichen wissenschaftlichen Ablauf, wie er sich für Hamer damals dargestellt hat, gesprochen, oder waren das eher nur so Begriffe, die halt, ohne sich konkret an eine Terminologie zu halten, verwendet worden sind?

Zeuge: Sie müssen die Situation sehen: ein sterbendes Kind oder vor dem Sterben liegendes Kind, in der Situation eine für mich als Mediziner in Österreich vorgegebene Vorgangsweise, der ich nicht ausweichen kann. Alles mögliche wird diskutiert, verworfen, erklärt, es wird vorgebracht; auch die Eltern haben die Gefahren der Chemotherapie hochgespielt und vorgebracht. Entscheidend war das alles nicht. Entscheidend war für uns, was hat jetzt zu geschehen. Dazu hatten wir die Kommission.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben das, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nur mit einer allgemeinen Terminologie versehen gebracht?

Zeuge: Wir waren in der Situation, daß wir uns natürlich mit den Einwänden der Eltern auseinandersetzen mußten.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie sprachen davon, daß es einen Zeitpunkt gab, der schon länger zurückliegt, wo Hamers Meinungen als wissenschaftliche Meinung überprüft wurden und dann ad acta gelegt werden konnten. Habe ich das richtig verstanden?

Zeuge: Wenn ich mich recht erinnere, ist vor einigen Jahren im Fernsehen eine solche Diskussion abgelaufen, die im Prinzip recht unbefriedigend war. In der Folge wurde die Frage der Theorie von Hamer vorerst als unwissenschaftlich abgelegt, zumindest in Österreich, soweit ich mich erinnern kann. Ich glaube, hier kann man sich an die Fachleute wenden.

Verteidiger Dr. Schefer: Was meinen Sie mit „vorerst“? Kann es nach Ihrem Dafürhalten sein, daß das wieder einmal anders werden könnte?

Zeuge: Das weiß ich nicht. Wir haben in der Medizin immer wieder Strömungen. Meistens gehen sie einfach als falsch verloren und werden nie wieder behandelt werden. Vielleicht wird man von Hamer nie wieder reden.

Zeugin Dr. Marina MARCOVICH, geboren 11.05.1952, Ärztin, wh. 1190 Wien, Iglasseegase 45fremd, gibt nach WE vernommen an:

Der ER: Wie kommen Sie in die Sache hinein? Wie hat es für Sie begonnen?

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Zeugin: Ich bin seit ungefähr 15 Jahren als freie Mitarbeiterin bei der österreichischen Ärzteflugambulanz tätig. In dieser Funktion habe ich einen Anruf von der Flugambulanz bekommen, daß ein Kind aus Spanien zu holen wäre. So bin ich zu der Sache gekommen.

Der ER: Wann und von wem haben Sie das erste Mal über die Problematik erfahren, also worum es geht, warum die Flugambulanz nach Spanien fliegt? Was haben Sie gewußt?

Zeugin: Von der Flugambulanz habe ich nicht viel mehr gewußt, als daß es sich um ein krebskrankes Kind handeln soll, dessen Aufenthaltsort nicht bekannt ist. Ich weiß das Datum nicht, aber es war an einem Mittwoch Abend, daß wir ursprünglich fliegen wollten. Ich habe eigentlich erst am Flugplatz erfahren, welche Umstände im Hintergrund vorhanden sind, daß offensichtlich noch eine Adresse über andere Kanäle bekannt werden soll, die aber dann nicht bekannt geworden ist; daß Interpol eingeschaltet ist und es ein noch viel größeres Umfeld als nur ein krankes Kind gibt.

Der ER: Sie waren zweimal in Spanien?

Zeugin: Ja; wobei wir an diesem Mittwoch nicht abgeflogen sind, weil die Adresse nicht bekannt geworden ist, sondern erst am Donnerstag Mittag.

Der ER: Wann haben Sie den ersten Kontakt mit den Eheleuten Pilhar gehabt?

Zeugin: Am Donnerstag Nachmittag, im Zuge des ersten Fluges. Wir sind um 12:00 Uhr in Wien abgeflogen und sind dann vom Flughafen zuerst ins Hotel gefahren, wo die Eltern sein sollten. Dort waren sie aber nicht. Wir sind dann zum Gericht gegangen und dort habe ich die Eltern dann erstmals gesehen.

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Der ER: Warum mußten Sie zunächst unverrichteter Dinge wieder nach Hause fliegen? Warum wurde nichts aus der Rückholung des Kindes und der Eltern?

Zeugin: Ich muß sagen, ich war mit der ganzen Problematik nicht vertraut und habe eigentlich erst im Zuge der Gespräche bei Gericht am Donnerstag Nachmittag mit dem österreichischen Honorarkonsul, mit dem Ehepaar Pilhar, mit Herrn Dr. Hamer erfahren, was überhaupt dahintersteht und was da los ist. Mein Eindruck war, daß die Eltern in allererster Linie die Rechtssituation in Österreich fürchteten, wo sie über ihr Kind nicht mehr entscheiden dürfen, wo ihnen das Kind weggenommen wird. Da mir von meinem ärztlichen Selbstverständnis her in erster Linie daran gelegen war, daß dem Kind geholfen wird, habe ich gedacht, es muß ja auch in Malaga Kinder geben, die an Wilmstumor erkranken und die dort entsprechend behandelt werden. Meine Überlegung war, daß man ja, wenn die Eltern die Rückkehr nach Österreich so sehr scheuen, müßte es doch möglich sein, das Kind in Malaga einer entsprechenden Behandlung zuzuführen. Auch in Spanien gibt es Universitätskliniken. Zu diesem Zeitpunkt war mir die ganze Rechtssituation der Entmündigung usw. auch noch nicht so klar. Ich habe das nicht aus dieser Sicht gesehen, sondern rein medizinisch. Aus diesem Grund habe ich dann von Malaga aus Prof. Dr. Gadner angerufen und habe ihn gefragt, ob er nicht in Spanien einen Kollegen hat, mit dem er entsprechend kooperiert, so daß man sozusagen die Behandlung des Kindes von Spanien aus in die Wege leiten könnte. Er hat dann einen Namen genannt in Malaga am Spital und hat gemeint, daß wäre ein Kollege, mit dem er sich absolut versteht, mit dem er auch gemeinsam arbeitet. Daher

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war die primäre Absicht eigentlich, das Kind in Spanien in die Behandlung des örtlichen Spitals zu überstellen, was laut Prof. Gadner eine medizinisch durchaus vertretbare Lösung gewesen wäre. Wir haben dann mit dem Spital Kontakt aufgenommen und waren noch am selben Abend mit der Familie, Dr. Hamer und dem österreichischen Honorarkonsul dort. Es hat sich dort aber entgegen den ursprünglichen Zusagen, daß es dort einen Arzt gibt, der sich sofort darum kümmern würde, herausgestellt, daß dieser auf Urlaub war. Es hat auf jeden Fall geheißen, wir sollen am nächsten Tag in der Früh um 10:00 Uhr wieder kommen. Ich habe damals, da ja die Obsorge von rechtlicher Seite dem österreichischen Honorarkonsul übertragen war, das Gefühl gehabt, daß ich nicht mehr viel dazu beitragen kann; die Anbindung an die Klinik in Malaga war gelungen, die Eltern haben zugesagt, diesen Weg zu gehen. Deswegen war eigentlich meine Absicht, am Donnerstag Abend zurückzufliegen. Als wir dann am Flughafen waren ungefähr um 22:00 Uhr, habe ich mir gedacht, daß das eigentlich dem Honorarkonsul gegenüber nicht ganz korrekt ist; ich habe ihm irgendwie die ganze Verantwortung überlassen; was wäre, wenn die Eltern am nächsten Tag nicht mit dem Kind kommen, obwohl ich eigentlich davon überzeugt war, daß sie das tun würden. Ich habe mir gedacht, vielleicht ist es doch in irgendeiner Form noch gut, wenn ich dableibe. So haben wir uns entschlossen, in Malaga zu übernachten. Ich habe dann um 7:00 Uhr früh noch einmal mit Prof. Gadner gesprochen und habe mit dem österreichischen Honorarkonsul telefoniert. Er war sehr froh, daß wir dageblieben sind und daß er nicht allein mit der ganzen Sache dagestanden ist. Er hat mich dann um 9:30 Uhr beim Hotel abgeholt und wir sind gemeinsam in die Klinik gefahren, wo die Eltern bereits eingetroffen waren, was mich

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sehr gefreut hat. Sie hätten ja in der Zeit auch verschwinden können. Es war für mich von Anfang an klar, ich setze hier Vertrauen gegen Vertrauen. Ich habe überhaupt den Eindruck gehabt, daß die Eltern in dieser Situation massiv unter Druck gestanden sind: nicht nur ein schwerkrankes Kind, sondern auch der ganze Rechtsdruck, der Druck der verfolgenden Reporter. Das war dort eine wirklich fürchterliche Situation. Ich habe mich sehr gefreut, daß sie gekommen sind, weil mir das irgendwie gezeigt hat, wenn man ihnen Freiraum läßt, zu atmen und mit ihnen auf einer normalen Basis verkehrt, dann geht das auch von beiden Seiten. Ich muß sagen, es war für mich dann eine sehr große Enttäuschung im Spital in Malaga, daß die Verhaltensweise der Ärzte dort wieder genauso war, wie ich verstanden habe, weswegen die Eltern aus dieser Art medizinischer Umgangsweise geflüchtet sind. Das sind Kleinigkeiten. Letzten Endes muß man bedenken, daß der Patient die Qualität einer Therapie nie wirklich beurteilen kann. Das kann nicht einmal ich. Wenn mir heute ein Orthopäde sagt, meine Bandscheibe gehört operiert, kann ich ihm auch nur glauben. Was der Patient sehr wohl beurteilen kann, ist die Art, wie ihm jemand als Mensch begegnet. Es ist die Frage, ob er Vertrauen zu demjenigen entwickelt oder nicht. Das sind oft Kleinigkeiten. Ich erinnere mich z.B., daß Olivia untersucht worden ist. Sie ist ja kein Säugling mehr, sondern ein Kind, das auch schon ein Schamgefühl hat. Ich werde nie vergessen, wie dieser untersuchende Arzt, um offenbar die Lymphknoten in der Leistenbeuge zu tasten, ihr die Unterhose heruntergezogen hat. Er hat da mit einer Hand so angerissen. Ich denke, daß das Dinge sind, die eine Mutter viel mehr berühren als die Frage irgendwelchen Medikamente, weil sie einfach Ausdruck der menschlichen Haltung sind, die dahintersteht. Ich habe länger mit dem

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Honorarkonsul gemeinsam mit den verantwortlichen Ärzten gesprochen. Ich habe einfach den Eindruck gehabt, daß dort an der Klinik eine Situation war, mit der sich die Eltern nicht wirklich positiv abgefunden haben. Daraufhin habe ich mit Prof. Gadner telefoniert und ihm das geschildert und habe gesagt, wenn die Eltern nicht nach Österreich zurückwollen und man das Ganze hier in Malaga behandeln möchte, glaube ich, daß es einfach gut wäre, daß jemand hier ist, dem die Eltern vertrauen und der die Anbindung an die spanischen Kollegen in positiver Weise machen kann. Ich habe ihn gebeten, ob er nicht nach Spanien kommen würde. Ich habe den Eltern Prof. Gadner als einen Mensch vorgestellt und empfinde das persönlich auch so, mit dem man sehr wohl reden kann und der auch eine Sensibilität im Umgang mit Menschen hat. Deswegen war meine Hoffnung immer, wenn Prof. Gadner mit den Eltern ein positives Verhältnis aufbauen kann, gelingt es vielleicht auch, sie medizinisch in eine Betreuung zu bringen, mit der das Kind positiv behandelt wird. Ich habe dann mit Prof. Gadner telefoniert und er hat das zugesagt. Ich bin daraufhin nach Österreich zurückgeflogen. Das war am Freitag Nachmittag. Die Absicht war, daß ich mit Prof. Gadner gemeinsam kommen werde. In dieser Zeit in Österreich, Samstag und Sonntag bis abends, habe ich mich mit Prof. Gadner sehr lange unterhalten. Ich habe aus seinen Informationen mittlerweile viel besser verstanden, warum die Eltern weggegangen sind. Es war eigentlich auch eine Aufeinanderfolge von unglücklichen Umständen, wie es halt im Leben ist, die dann dazu geführt hat, daß die Eltern am Montag Vormittag gesagt haben, sie gehen weg aus dem Spital. Ich habe das von Prof. Gadner auch so verstanden, daß er das bei Eltern kennt, die sich mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, ein krebskrankes

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Kind zu haben, daß diese sozusagen im ersten Schrecken wieder weglaufen, dann aber, wenn sich alles wieder beruhigt hat, wieder kommen.

Der ER: Warum sind Sie sozusagen unverrichteter Dinge zurückgeflogen, oder war das nicht unverrichteter Dinge?

Zeugin: Für mich war es nicht unverrichteter Dinge. Ich hatte den Eindruck, es ist jetzt mit der Klinik in Malaga im Einvernehmen mit Prof. Gadner alles geregelt. Was sollte ich daher noch tun? Ich bin keine Onkologin.

Der ER: Warum ist es zum zweiten Flug gekommen?

Zeugin: Ich hatte ursprünglich die Absicht, mit Prof. Gadner hinunterzufliegen. Er hat gesagt, er kann erst am Montag. Er sollte mit den Eltern einmal ein Gespräch führen und dann entscheiden, ob er versucht, sie mit den Kollegen in Malaga in eine positive Verbindung zu bringen oder ob sie doch mit ihm gemeinsam heraufkommen möchten und die Therapie hier durchführen lassen Am Samstag in der Nacht hat mich erstmals Dr. Hamer angerufen. Es waren viele Telefongespräche. Er hat dann immer häufiger angerufen im Laufe des Sonntags. Es waren dann im ganzen vier oder fünf Telefonate in kürzeren Abständen. Ich hatte den Eindruck, daß er es letzten Endes auch für besser befindet, wenn das Kind nach Österreich zurückgebracht wird und die Familie hier, ohne diese schreckliche Situation in Spanien, sein kann. Das war der Grund, warum ich dann nicht, wie ursprünglich geplant, am Montag in der Früh mit Prof. Gadner hinuntergeflogen bin, sondern Sonntag in der Nacht, wo ich den Eindruck hatte, daß die Eltern und Dr. Hamer jetzt bereit seien, zurückzukommen. Ich bin dann hinuntergeflogen und

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habe sie allein geholt. Das war in der Nacht von Sonntag auf Montag.

Der ER: Waren sie gleich dazu bereit? Ein bißchen etwas hat es dann auch noch gegeben, bis es soweit war, daß Sie zurückfliegen konnten, soweit ich es aus dem Akt ersehe.

Zeugin: Sie meinen vielleicht dieses Schriftstück, das Dr. Hamer mitgebracht hat. Von den Eltern hatte ich nicht den Eindruck. Das Gepäck war da, die Kinder waren mit. Für mich bestand kein Zweifel daran, daß wir gemeinsam zurückfliegen. Es war nur so, daß Dr. Hamer mir dann ein Schriftstück vorgelegt hat, an dessen Inhalt ich mich nicht mehr ganz erinnere. Ich glaube, daß darin gestanden ist, daß Dr. Stangl aus Tulln und Frau Dr. Rozkydal die weitere Behandlung des Kindes in Wien übernehmen sollten. Ich habe daraufhin hingeschrieben, daß der verantwortliche Arzt zum damaligen Zeitpunkt in meinen Augen Prof. Gadner war und daß ich sie nicht zu Dr. Rozkydal und Dr. Stangl zurückbringe, sondern zu Prof. Gadner, womit meine medizinische Verantwortlichkeit wieder geendet hätte, weil ich ja nur als Flugarzt eingeschaltet war.

Der ER: Warum haben Sie das Schriftstück unterschrieben?

Zeugin: Ich kann mich an dieses Schriftstück nicht mehr vollinhaltlich erinnern. Für mich war der springende Punkt die Verantwortlichkeit von Prof. Gadner.

Der ER: Haben Sie etwas davon mitbekommen, ob die Eheleute Pilhar in Spanien aufgrund eines Haftbefehles verhaftet worden sind?

Zeugin: Nein. Ich habe nur gesehen, daß sie bei Gericht sind und habe mir gedacht, das ist eigentlich nicht

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der Aufenthaltsort für so ein krankes Kind, sich dort stehend aufzuhalten.

Der ER: Daß ein Gericht involviert ist, haben Sie schon gesehen?

Zeugin: Ich habe auch mitgekriegt, daß das Sorgerecht zu diesem Zeitpunkt dem Honorarkonsul von Österreich übertragen war.

Der ER: Wieso glauben Sie, daß das Sorgerecht beim Honorarkonsul war?

Zeugin: Weil es den Eltern entzogen war. Der Honorarkonsul hat mir mitgeteilt, daß er die Obsorge für das Kind hat. Er erschien mir mit dieser Situation ziemlich überfordert. Er ist nicht mehr der Jüngste. Ich habe ihn primär gesehen, als er unheimlich hektisch aus dem Gericht herausgelaufen ist. Ich wußte gar nicht, wer das ist; ein älterer Herr mit bösem Gesicht. Ich habe dann festgestellt, daß er nur ein böses Gesicht gemacht hat, weil er in diesem ganzen Hexenkessel offenbar sich nicht sehr wohl gefühlt hat. Das ist ein ganz lieber und feiner Mensch, wie ich dann festgestellt habe. Primär war die Frage, packen wir jetzt das Kind oder eventuell auch die Eltern und verführen wir es zwangsweise zurück nach Österreich. Das erschien sowohl ihm als auch vor allem mir, die ich auf dem Flug die Verantwortung für das Kind gehabt hätte, als fast nicht durchführbar. Es hätte ja nur die Möglichkeit gegeben, hier einen Gewaltakt zu setzen und das Kind einfach allein zu nehmen, die Eltern festzusetzen, oder die Mutter unter dem Blickwinkel, daß ein krankes Kind seine Mutter in der Nähe braucht, mitzunehmen und in Handschellen in den Flieger zu setzen, dann kommt es zu irgendeinem Handgemenge an Bord; mir erschien eine harmonische Lösung vorzuziehen.

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Der ER: Der Honorarkonsul hat Ihnen gesagt, er hätte das Sorgerecht?

Zeugin: Ja.

Der ER: Sie haben gemeint, er war durch die Situation überfordert?

Zeugin: Ich will ihm nichts unterstellen, aber glücklich war er damit sicher nicht.

Der ER: Tatsächlich war die Situation so, daß natürlich ein Gerichtsbeschluß aus Österreich vom zuständigen Pflegschaftsgericht da war, daß den Eltern das Sorgerecht entzogen worden ist. Haben Sie jemals während Ihres Aufenthaltes oder in Gesprächen mit den Eheleuten Pilhar von diesem Pflegschaftsbeschluß etwas erfahren?

Zeugin: Nur in der Form, daß mir der Honorarkonsul gesagt hat, er hätte eigentlich die Pflicht, das Kind zu sich nach Hause zu nehmen. Er meinte: „Wie soll ich denn das machen?“ Ich habe von ihm erfahren, daß den Eltern offenbar das Sorgerecht entzogen ist und er damit betraut wurde.

Der ER: Von wem das Sorgerecht entzogen wurde, hat er nicht gesagt? Haben Sie sich auch nicht erkundigt, wie der Lauf der Dinge war?

Zeugin: Nein. Das waren ehrlich gesagt auch keine Dinge, die mich sehr interessiert haben.

Der ER: Die Eheleute Pilhar sagen, es wären ihnen in diesem Zusammenhang Versprechungen gemacht worden, insbesondere im Namen des österreichischen Staates, wenn sie mit dem Kind zurückkämen, wäre es damit erledigt und sie hätten von Behörden, Gerichten usw. nichts Böses mehr zu erwarten. Können Sie aus Ihrer Wahrnehmung dazu etwas sagen?

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Zeugin: Nein, eigentlich nicht.

Der ER: Sie sind nach Ihrer Rückkehr nach Österreich auch in die Situation im Krankenhaus Tulln einbezogen worden. Warum?

Zeugin: Bis Donnerstag Mittag.

Der ER: Wie sind Sie in diese Situation gekommen?

Zeugin: Nachdem wir das Kind nach Österreich zurückgebracht hatten und die Eltern Kontakt mit Prof. Gadner am Flughafen hatten, ist nicht dieses positive Verhältnis zwischen den Eltern und Prof. Gadner zustandegekommen, das ich mir gewünscht hätte und auf das ich gehofft habe. Es war dann die Frage, was weiter geschieht. Dann war in Anwesenheit von Dr. Zimper der Entschluß, die Eltern einmal nach Hause fahren zu lassen, damit sie sich von der Reise frisch machen und ein bißchen erholen können. Dann war die Frage, was jetzt geschehen soll. Ich weiß nicht, von wem der Vorschlag gekommen ist, das Kind ins Krankenhaus Tulln zu bringen, aber als ich von diesem Vorschlag gehört habe, erschien er mir gut, weil ich Prim. Vanura immer als einen dem Patienten zugewandten und mit Menschen gut umgehenden Primarius gekannt habe und mir daher gedacht habe, Spital ist Spital, Hauptsache, die Familie findet einen Ort, wo sie Vertrauen fassen kann und sich mit dem Kind gut aufgehoben fühlt.

Der ER: Haben Sie eine bestimmte Position bei dieser Sache gehabt?

Zeugin: Nein, überhaupt nicht. Ich war schon einmal drin. Dadurch, daß ich in Spanien war, habe ich die Eltern gekannt. In dem Moment, wo man mit einem Patienten Berührung bekommt, berührt einen auch sein Schicksal irgendwie. Dann sagt man nicht, geht hin wo ihr wollt.

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Der ER: In welchem gesundheitlichen Zustand war das Kind, als Sie mit ihm nach Österreich zurückgeflogen sind?

Zeugin: Sicher in einem schlechten, geschwächten Zustand, obwohl ich Olivia auch heute noch dafür bewundern muß, wie sie unter diesen Umständen immer noch durchgehalten hat; sie war nicht in einem akut lebensbedrohenden Zustand, sonst hätten wir intensivmedizinisch etwas tun müssen, aber sicherlich in einem sehr schlechten und geschwächten Zustand.

Der ER: Nach Vorhalt Seite 2 des Protokolls des Pflegschaftsgerichtes vom 28.7.1995 im Krankenhaus Tulln, AS 227/Band VII, in welchem Prim. Vanura als Auskunftsperson vernommen über den Zustand des Kindes folgendes angibt: „Bei der Durchuntersuchung ergaben sich im wesentlichen relativ normale Blutbefunde, ausgenommen einer massiven schweren Tumoranämie… Die Computertomographie ergab im Schädel und im Thoraxraum keine meßbaren oder erkennbaren Metastasierungen des großen Bauchraumes. Der Bauchtumor füllt im wesentlichen das Abdomen fast völlig (derzeit ausgerechnet etwa 4200 ml Volumen), die Atmung des Kindes ist stark behindert, der Zwerchfellhochstand auch an der Computertomographie deutlich erkennbar. Das Kind leidet offensichtlich starke Schmerzen, wimmert zeitweise vor sich hin und kriegt Schmerzmittel.“ Entspricht dies auch Ihrer Erinnerung, wenn Sie sich an den äußerlich erkennbaren, also auch für die Eltern und den Laien erkennbaren Zustand des Kindes in dem Zeitpunkt erinnern?

Zeugin: So entspricht das den Tatsachen. Es war sicher durch den Zwerchfellhochstand die Atmung

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behindert; nicht in dem Sinn, daß man hätte sagen können, es wird bedrohlich und sie hätte bereits unter Sauerstoffmangel gelitten, aber es war sicher so, daß sie sich eher eine Position gewählt hat, in der sie möglichst gut Luft gekriegt hat. Ich muß aber andererseits sagen, ich bin am Samstag, bevor sie ans AKH transferiert wurde, noch an ihrem Bett gesessen. Ich erinnere mich, daß sie damals ein Marmeladekipferl gegessen hat. Man muß sich das schon so vorstellen, daß das Kind natürlich von so einem Riesentumor im Bauch beeinträchtigt war, aber daß es doch absolut in der Lage war, wenn auch teilweise unter Schmerzen. Mir kommt vor, der Schmerzzustand war wechselnd und auch abhängig von der Bewegung und der Belastung. Wenn sie sich in ihrer Lage irgendwie verändert hat, hat es eher wehgetan als wenn sie ruhig gelegen ist.

Der ER: Nach Vorhalt AS 227/229: „Das Kind kann schlecht essen, einige Schluck Suppe, dann wieder Erbrechen. Das Kind liegt fast immer relativ unbeweglich in Rechts-Schräg-Lage, das Gehen auf die Toilette ist für sie offenbar eine Tortur. In der derzeitigen Situation muß man sagen, daß das Kind massiv geschwächt, stark beeinträchtigt … ist.“ Ist das in etwa der Zustand, den Sie auch bestätigen können?

Zeugin: Ich würde es nicht ganz so kraß sehen.

Der ER: War es für jeden Laien erkennbar, daß das Kind aber schwer krank war? Ist das auch Ihr Eindruck?

Zeugin: Ja. Schon von der Art der Bewegung her und dieser Nach-innen-Wendung des Kindes. Sie hat kaum mit uns kommuniziert. Das war wahrscheinlich ihre einzige Chance, diese Situation durchzustehen.

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Sachverständiger Dr. Scheithauer: keine Fragen.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, daß in den Krankenhäusern fallweise der menschliche Umgang mit den Patienten ein bißchen zu vermissen wäre. Kommt sowas öfter vor, daß Eltern dann plötzlich das Vertrauen verlieren und dann nicht recht wissen, wie sie weitermachen sollen?

Zeugin: Ich denke schon.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie ist Ihre Erfahrung?

Zeugin: Bei uns an der Intensivstation ist es Gott sei Dank nicht vorgekommen. Ich kann daher aus meiner persönlichen Erfahrung sowas nicht bestätigen, aber ich habe fast 20 Jahre lang in einem Krankenhaus gearbeitet und weiß, daß es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Eltern kommt und daß hier die Seite, die die Kraft in der Hand hat – und das ist in dem Fall das Spital – natürlich schon sehr dominant reagiert; Druck erzeugt Gegendruck. Wahrscheinlich ist diese Situation auch positiv aufzulösen, aber wenn man einmal anfängt, zu sagen: „Ich bin im Recht und du mußt das annehmen“, sehe ich schon ein, daß damit auch die Haltung der Eltern oft mehr dagegen wird als es eigentlich primär der Fall ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: War damals in Spanien Dr. Hamer stets vor Ort anwesend?

Zeuge: Ich habe die Eltern ohne ihn nicht gesehen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Kann man sagen, daß er damals der primäre Vertrauensarzt der Eltern war?

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Zeugin: Absolut, ja. Das war auch der Grund, warum ich von vornherein überhaupt nicht versucht habe, einen Keil hineinzutreiben und nur mit den Eltern zu reden und mit ihm nicht. Das war ja für mich auch völlig klar, daß man in einer solchen Situation jemanden braucht, der einem einen Anker bietet. Man muß sich vorstellen, in einem fremden Land mit einem schwerkranken Kind auf der Flucht! Da wäre es in meinen Augen gar nicht legitim gewesen, ihnen einen Menschen, dem sie offensichtlich vertrauen, wegzunehmen, querzutreiben.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hatten Sie den Eindruck, daß die Schwierigkeit dieses Falles vielleicht auch besonders von diesem scheinbar offenbar unauflöslichen Konflikt zwischen Dr. Hamer und der Mehrheit der Vertreter der Schulmedizin charakterisiert ist, der letztendlich dahintergestanden ist?

Zeugin: Ja, sicher, natürlich.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ist Ihnen in Erinnerung, daß in der Zeit in Spanien, die Sie selbst überblickt haben, irgendwann ein Schriftstück eine Rolle gespielt hat im Zusammenhang mit diesem Obsorgeentzug; daß von jemandem den Eltern ein Schriftstück ausgehändigt worden wäre, wo das drin steht oder daß Sie ein offizielles Schriftstück gesehen haben?

Zeugin: Nein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Woher hatte Konsul Esten Ihres Wissens nach seine Information her, daß er jetzt der Obsorgeträger sei?

Zeugin: Da bin ich überfragt.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es gab eine Aussage von Frau Pilhar, daß der Konsul ihr das Sorgerecht

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symbolisch wieder rückübertragen hätte. Können Sie sich an so eine Aussage erinnern?

Zeugin: Es war am Donnerstag Abend die Frage, was jetzt zu geschehen hat. Da war die Entscheidung, daß die Eltern am nächsten Tag um 10:00 Uhr mit dem Kind in die Klinik gehen. Da ist das eingetreten, was ich vorhin schon erwähnt habe, daß der Konsul gemeint hat, ob er Olivia jetzt mit sich nach Hause nehmen solle, sie sei doch viel besser bei den Eltern aufgehoben. Nachdem sowohl von ihm als auch von mir absolut der Eindruck bestand, daß mit den Eltern ein Vertrauensverhältnis herrscht und daß sie das, was sie zugesagt haben, einhalten werden, was sie dann auch getan haben, hat der Konsul sich dann entschieden, daß er vorübergehend das Kind wieder den Eltern anvertraut hat. Wir haben uns dann am nächsten Tag um 10:00 Uhr an der Klinik wieder getroffen. Als wir dann am Freitag Abend abgeflogen sind, war dieselbe Situation wieder gegeben, d.h. schon Freitag Mittag, als wir die Klinik verlassen haben; der Konsul hat gemeint, bis ich mit Prof. Gadner zurückkomme und ein Gespräch mit den Eltern stattfindet, ist es gescheiter, daß das Kind bei den Eltern ist.

Verteidiger Mag. Rebasso: Frau Pilhar hat das offenbar so aufgefaßt, daß ihr das Sorgerecht zurückübertragen wurde. War das auch Ihre Auffassung?

Zeugin: Ja. Das hat er auch so formuliert, daß er ihr sozusagen vorübergehend das Sorgerecht zurücküberträgt. Das war am Donnerstag Abend, als die Eltern, nachdem wir die Klinik verlassen hatten, mit dem Kind wieder an ihren Aufenthaltsort, der mir nicht bekannt war, zurückgegangen sind. Sie sind dann am Freitag Vormittag wieder in die Klinik gekommen und wir haben uns dann Freitag Mittag vor der Klinik getrennt. Ich habe die Eltern

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dann am Montag um 5:00 Uhr früh wieder gesehen. D.h., es muß in der Zeit zwischen Donnerstag Abend und Freitag bis 10:00 Uhr und ab Freitag Mittag bis sie dann zurückgekommen sind, gewesen sein.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben ausschließlich im Einvernehmen mit dem Konsul Ihre Mission abgewickelt?

Zeugin: Ich war Gott sei Dank mit allen im Einvernehmen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Ich meine, als Repräsentant des Staates.

Zeugin: Ich muß sagen, ich habe das wirklich nie so empfunden, obwohl das nachher vielleicht so gewesen sein hätte sollen. Ich habe das nicht so gesehen, daher habe ich mich auch in diesen ganzen Diskussionen nie als Vertreterin eines Rechtssystems gesehen. Für mich war wichtig, was mit dem kranken Kind geschieht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Von seiten der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt war damals in Bezug auf Ihre Intervention niemand eingeschaltet? Sie haben keine Aufträge bekommen von Dr. Zimper oder von der BH?

Zeugin: Nein. Ich habe Dr. Zimper erstmals in meinem Leben, am Samstag am späten Vormittag oder frühen Nachmittag gesehen, nachdem ich das erste Mal aus Spanien zurück war, und habe mich dann den ganzen Nachmittag mit ihm über diese Sache unterhalten und auch daher erst viele Informationen bekommen, die ich vorher nicht hatte.

Am Donnerstag kurz bevor wir abgeflogen sind hat mich der Präsident der österreichischen Ärzteflugambulanz angerufen und mir gesagt, die – und damit war offenbar die Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt gemeint – wollen uns noch einen Doktor mitgeben, ob mir das

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etwas machen würde. Ich sagte, mir macht das überhaupt nichts. Vier Augen sehen mehr als zwei und mir ist jeder recht, der mitfliegt. Ich habe dann aus seinen Bemerkungen für mich gedacht, daß es wahrscheinlich so ist, daß ich mit meinem Touch, mit meiner eigenen Geschichte, offenbar für die Behörden nicht so verläßlich aussehe, darum wird mir jemand ordentlicher mitgegeben. Das war Dr. Witt vom St.Anna-Kinderspital. Diesen Eindruck hatte ich.

Verteidiger Mag. Rebasso: Da war Ihnen die BH Wr. Neustadt schon präsent als jemand, der da offenbar involviert ist?

Zeugin: Ja; aber nicht, in welcher Rolle genau. Ich habe das erst in Spanien vom Honorarkonsul gehört. Ich glaube, auch Dr. Witt, der mitgeflogen ist, ist wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Der konnte sich nicht einmal umziehen; er ist um 12:00 Uhr zum Flughafen gelaufen gekommen und hat gesagt, er habe auch von nichts gewußt, plötzlich hätte es geheißen, er soll da mitfliegen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wissen Sie, wer die Flugambulanz informiert hat und das in Auftrag gegeben hat?

Zeugin: Ich glaube, daß es primär eine Kooperation zwischen der Flugambulanz und dem ORF war. Ich glaube, daß das irgendwie durchgesickert ist. So erschien mir das am Mittwoch Abend; daß jemand, der von der Interpol gesucht wird und wo öffentliches Interesse besteht, aufgefunden worden ist und daß es daher im Interesse der Berichterstattung und der Medien ist, das zu begleiten. Es sollte am Mittwoch Abend ein Journalist des ORF mit uns mitfliegen. Dann ist aber die Adresse nicht bekannt geworden. Es ist aber in den Nachrichten um 22:00 Uhr bekannt geworden, daß wir hinunterfliegen wollten. Ich

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glaube, dadurch hat die Behörde überhaupt erst Kenntnis davon bekommen, daß der Aufenthaltsort bekannt ist, daß wir hinunterfliegen sollen, und ich glaube daher, daß sich dann erst am Donnerstag Vormittag auch die Behörde mit eingeschaltet hat.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wenn Sie den Konflikt, der zwischen den Eltern und gewissen Teilen der Ärzteschaft bestanden hat, global betrachten, wenn Sie gefragt werden, ob die Eltern gegen alles und jedes waren, wogegen sie waren, wo allenfalls Bereiche waren, wo ein Kompromiß auch von den Eltern möglich war oder ob von den Eltern überhaupt kein Kompromiß möglich war, wie hat sich das aus Ihrer Sicht dargestellt? Wo waren die sensiblen Bereiche und wo bestand Kompromißbereitschaft?

Zeugin: Ich habe über die primäre Situation im St.Anna-Kinderspital ja nur durch die Berichte von Prof. Gadner erfahren. Da habe ich von der ganzen Sache noch nichts gewußt. Prof. Gadner hat mir das so geschildert, daß die Eltern an einem Donnerstag ins St.Anna-Kinderspital gekommen sind, daß an diesem Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag Prof. Gadner, sein Stellvertreter und der stationsführende Oberarzt auf einem Kongreß waren, daß von den jüngeren Kollegen, die im St.Anna-Kinderspital Dienst hatten, Freitag Vormittag die Diagnose gestellt wurde, die später dann bestätigt wurde und richtig war, daß aber die jüngeren Kollegen warten wollten, bis die „Chefs“ zurückkommen, bevor sie mit der Therapie beginnen. Das wäre am Montag gewesen. Freitag, Samstag und Sonntag waren die Eltern mit dem Kind dort im Spital, und es hat jeden Tag ein anderer von den jüngeren Kollegen Dienst gehabt und hat sich, so wie es ja sein soll, den Eltern entsprechend zugewandt und mit ihnen länger gesprochen.

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Wenn man mit verschiedenen Menschen spricht, wird man auch immer einen etwas anderen Eindruck von der Situation bekommen. Ich denke, daß Eltern gerade in einer Situation, wo sie mit so etwas konfrontiert werden, daß ihr Kind Krebs hat, natürlich besonders hellhörig sind und schauen, ob da irgendwelche Differenzen in den Aussagen der Kollegen vorhanden sind. Das ist einfach eine ganz schwierige Situation, in der wahrscheinlich auch viel Mißtrauen drin ist, eine negative Haltung dieser ganzen Situation gegenüber. Wer hat schon gern, daß sein Kind Krebs hat. So ist Freitag, Samstag, Sonntag vergangen, und am Montag Vormittag wurde in das Zimmer, in dem sich Olivia mit ihren Eltern befunden hat, ein Mädchen hineingelegt, das schon eine ganz schlimme Therapie hinter sich hatte. Sie hatte Knochenkrebs, alle Haare verloren usw., also ein abschreckendes Beispiel. Daraufhin hätten die Eltern sozusagen ihre Sachen gepackt und hätten gesagt, so soll ihr Kind nicht ausschauen. Es wurde aber vereinbart, daß sie sich bei Prof. Gadner melden; das hätte der Vater auch Montag Nachmittag vereinbarungsgemäß getan. Prof. Gadner hat gesagt, er kennt diese Erscheinung, daß Eltern im ersten Schreck und im ersten Schock einmal aus dem Spital flüchten, dann aber zurückkommen. Er sagt, in dieser Zeit halten sie mit den Eltern einfach Kontakt. Nachdem die Eltern nicht aus Wien waren, sondern aus Niederösterreich, hat er Prim. Jürgenssen gebeten, daß er über die Fürsorge ein bißchen Kontakt mit den Eltern hält, daß man sie nicht aus den Augen verliert. Ich zitiere Prof. Gadner: Prim. Jürgenssen hätte daraufhin nicht einen angenehmen Kontakt gepflegt, sondern wäre zur Behörde gegangen und hätte ihnen das Sorgerecht entziehen lassen. Prof. Gadner hat gemeint, daß das der Punkt war, an dem das Ganze dann so eskaliert ist. Um auf Ihre Frage

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zurückzukommen: Ich hatte, als ich im Krankenhaus Tulln mit den Eltern immer wieder Kontakt hatte und gesprochen habe, schon den Eindruck, daß sie Dingen, die sie verstehen, von Menschen, denen sie vertrauen, absolut zugänglich sind. Wir haben z.B. in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einen Chirurgen aus dem SMZ Ost gebeten, der dafür bekannt ist, daß er nicht unbedingt Chemotherapie vor der Operation vertritt, sondern, wenn es irgendwie geht, den Tumor gleich primär entfernt. Als er gesagt hat, den Tumor kann man nicht einfach operieren, den muß man vorher zum Schrumpfen bringen, habe ich schon den Eindruck gehabt, daß die Eltern diesem Argument zugänglich waren und daß man das diskutieren konnte. Nur sind dann offenbar wieder Dinge passiert, die die Eltern wieder ganz in eine Konterhaltung gebracht haben.

Verteidiger Mag. Rebasso: Was waren das für Dinge?

Zeugin: Ich glaube, daß es mehr zwischenmenschliche Dinge waren, so wie das, was ich aus Spanien geschildert habe mit der Unterhose, als wirklich sachliche Dinge. Ich glaube, es liegt mehr an solchen Sachen, warum man zu jemandem kein Vertrauen hat.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wo waren in Spanien, als die Sache schon fortgeschritten war, die sensiblen Punkte? Waren sie dann letztlich gegen alles und jedes, was vorgeschlagen wurde?

Zeugin: Nein, sie sind ja auch in die Klinik gekommen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wo waren die springenden Punkte, wo man sich nicht einig werden konnte?

Zeugin: Es ist in Spanien um keine Details gegangen. Es war einfach, als wir gemeinsam in der Klinik

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waren, offensichtlich, daß das Verhalten der spanischen Ärzte nicht dazu angetan war, den Eltern Vertrauen zu vermitteln, und daraufhin die Hoffnung war, wenn man mit Prof. Gadner vor Ort spricht, ist es vielleicht doch möglich. Es ging hier nicht um Details. Die wollten dort Untersuchungen machen und gleich mit einer Therapie beginnen, aber nachdem die Eltern einfach kein Vertrauensverhältnis hatten, war die Vorstellung, daß man das vielleicht mit Prof. Gadner besser besprechen kann.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hinter dem Vorwurf, der Gegenstand der Verhandlung ist, steht letztendlich die Meinung, daß man, wenn man sich Dr. Hamer anvertraut, sofort erkennen muß, daß das alles Unsinn ist, und man müßte auch als Laie von selber sofort draufkommen, daß man auf dem Holzweg ist. Glauben Sie, daß das so ist?

Zeugin: In der kindlichen Krebstherapie bin ich kein Fachmann. Ich kann daher weder zum schulmedizinisch-onkologischen Vorgehen noch zur Neuen Medizin von Dr. Hamer etwas sagen, weil ich mich einfach mit beidem nicht auskenne. Aber daß man sagt, das muß sozusagen auch der Hausmeister oder ich als Kinderärztin, die sich mit Krebs nie befaßt hat, erkennen, daß das Mumpitz ist, kann ich einfach nicht sagen, weil ich mich eben nicht genügend auskenne. Die prinzipielle Annahme, daß seelische Konflikte zu körperlichen Niederlegungen in Form von Krankheit führen, ist, glaube ich, etwas, das sowieso niemand bezweifeln wird.

Der ER: Nach Vorhalt Blg./3 zu ON 54, Schreiben mit Briefkopf „Amici di Dirk, Köln“ datiert mit 24.7.1995 „Vereinbarung: Frau Dr. Marcovich als Beauftragte der österreichischen Regierung gibt die Versicherung ab, daß Olivia Pilhar nichts gegen den

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Willen der Eltern getan werden wird, insbesondere keine Chemo und kein stationärer Aufenthalt in einem Krankenhaus. Herr Dr. Stangl, Amtsarzt in Tulln, und Frau Dr. Rozkydal betreuen das Kind.“ Dann wechselt das Schriftbild, und es geht dann weiter: „Die Einbindung der beiden Obgenannten erfolgt nach Rücksprache mit Prof. Gadner, der im Sinne der Behörde die therapeutische Verantwortung für Olivia Pilhar trägt. Sämtliche diagnostischen und therapeutischen Schritte werden von Herrn Prof. Gadner nur im Einvernehmen mit den Eltern durchgeführt bzw. nach deren Aufklärung.“ Dann folgt nochmals das Datum 24.7.1995 und zwei Unterschriften, von denen ich eine als die Ihre erkennen kann.

Zeugin: Die zweite Unterschrift ist vom Konsul. Der zweite Teil des Schreibens wurde von mir verfaßt.

Der ER: Wie kommt das zustande, warum unterschreiben Sie das?

Zeugin: Als wir in der Früh zum Flughafen Malaga gekommen sind und dort die Eltern, die Kinder, Dr. Hamer und den Honorarkonsul getroffen haben, war Dr. Hamer dort, ich glaube sogar, mit einer Videokamera auf der Schulter, und hat mir dieses Schriftstück vorgelegt. Ich habe das damals gelesen und habe gesagt, erstens bin ich nicht die Beauftragte des österreichischen Staates; ich habe mich nicht so gesehen, obwohl es irgendwie klar war, daß ich von Österreich kommend und mit der Absicht, die Familie mit nach Hause zu nehmen, im Sinne der Absicht des Staates gehandelt habe. Prof. Gadner hatte inzwischen schon mit dem Justizminister und mit dem Bundespräsidenten gesprochen und war sozusagen im Sinne der Regierung im Moment der Verantwortliche, weil mit ihm als Fachmann, als Onkologe,

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immer rückgesprochen wurde. Ich verstehe ja nichts von der Onkologie. Es war ja er, der sozusagen aus dem Hintergrund gesagt hat, so oder so, und der auch in die ganze Sache eingebunden war. Daher habe ich geschrieben, er als momentan Verantwortlicher wird die Behandlung übernehmen. Ich wollte nicht zusagen, daß ich das Kind zu zwei Ärzten bringe, die mir zu diesem Zeitpunkt unbekannt waren. Mir war Prof. Gadner die Referenzperson. Deswegen habe ich das hingeschrieben. Aus meinem ärztlichen Selbstverständnis heraus und meiner 20-jährigen Berufspraxis halte ich es auch für den gangbaren Weg, Kinder im Einvernehmen mit ihren Eltern zu therapieren oder zu behandeln. Ich denke, daß das auch Prof. Gadner so gesehen hat. Aus dieser Sicht habe ich auch diesen zweiten Satz hingeschrieben, daß er im Einvernehmen mit den Eltern handeln wird. Man muß sagen, er hat bis heute nicht ohne Einvernehmen der Eltern gehandelt, denn er hat ja dann die Behandlung, die verfügt wurde, nicht übernommen.

Der ER: Haben Sie und der Konsul unterschrieben, damit nicht noch einmal eine Komplikation kommt und Sie mit dem Kind nach Hause kommen können? So ist es auch in den Medien dargestellt worden.

Zeuge: Richtig. Das hat mich auch etwas gestört, weil ich an sich kein Mensch bin, der „Linke“ macht, um irgend etwas zu erreichen.

Der ER: Ich würde das nicht als „Linke“ bezeichnen. In einer bestimmten Situation, in der man unter Druck steht, kann man auch eine solche Unterschrift gegen den Willen rechtfertigen. So war es nicht?

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Zeugin: Das würde ich nicht so sehen. Ich mag niemanden betrügen, auch den Dr. Hamer nicht. Das, was ich dazugeschrieben habe, entspricht meiner Überzeugung.

Der ER: Auch in den Medien ist gestanden, daß nach dieser Unterschrift Dr. Hamer triumphierend zu den Medien gegangen wäre und gesagt hätte, er hätte quasi seinen Willen durchgesetzt.

Zeugin: Nein, das ist eine falsche Darstellung. Diese Szene hat im Spital in Malaga stattgefunden, und ich muß sagen, das hat mich gegenüber Dr. Hamer etwas negativ berührt. Er hat damals am Freitag um 10:00 Uhr ein zehnseitiges Schriftstück mitgebracht; das war eine ärztliche Empfehlung, worin er auf zehn Seiten niedergelegt hat, wie er sich die Therapie bei Olivia vorstellt und was er empfiehlt. Er wollte vom Honorarkonsul und von mir, daß wir das unterschreiben. Wir haben das auch beide unterschrieben, denn ich habe dem Honorarkonsul gesagt, eine Empfehlung heißt ja noch nicht, daß ich mich daran halte. Wenn mir heute jemand einen Zettel in die Hand drückt, er empfiehlt mir, daß ich in Spanien nicht in die pralle Sonne gehe, dann bestätige ich mit meiner Unterschrift, daß ich die Empfehlung zur Kenntnis genommen habe, das heißt aber noch nicht, daß ich nicht in die pralle Sonne gehe. Daher haben wir beide diese Empfehlung unterschrieben. Dann ist Dr. Hamer vor die Presse getreten, hat dieses Schriftstück geschwenkt und hat gesagt: „Der Vertrag ist unterschrieben, die Neue Medizin ist anerkannt.“ Das, muß ich sagen, hat mich etwas gestört, weil es einfach nicht den Tatsachen entsprochen hat.

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Verteidiger Dr. Schefer: Sie meinten, Prof. Gadner hat die Behandlung, die verfügt wurde, nicht übernommen?

Zeugin: Ja. Ich glaube auch nicht, – das weiß ich aber nicht – daß er damals in diese Diskussion in Tulln, wo dann die Zwangsbehandlung verfügt wurde, einbezogen war. Da bin ich überfragt, aber ich denke nicht. Ich weiß nur, daß er in allen Gesprächen mit mir nicht den Standpunkt vertreten hat, daß man zwangstherapieren sollte. Ich glaube, daß das von seinem menschlichen Verständnis her nicht in seiner Absicht gelegen war.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wir haben gehört, daß Prof. Gadner doch eine weit größere Rolle gespielt hat, als es bisher bekannt war. Es wird daher aus der Sicht der Verteidigung der Antrag gestellt, Prof. Gadner nochmals als Zeuge ergänzend zu vernehmen. Prof. Vanura hat heute ausgesagt, daß Prof. Gadner Olivia doch selbst untersucht haben soll, weiters hat er offenbar eine sehr große Rolle im Zusammenhang mit der Rückführung des Kindes gespielt und auch Gespräche mit Regierungsstellen geführt.

Der StA spricht sich gegen diesen Antrag sowie überhaupt gegen die Aufnahme weitere Beweise aus. Er weist weiters darauf hin, daß der Konsul in Malaga von den österreichischen Behörden um Vollzug der Obsorgeentziehung ersucht wurde. Er konnte nicht über die Obsorgeberechtigung verfügen.

Der ER behält sich die Entscheidung über diesen Antrag vor.

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Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben ausgesagt, daß Prof. Gadner den Namen einer Ärztin in Malaga genannt hat, die unter Umständen operieren könnte?

Zeugin: Er hat keine Ärztin, sondern einen Arzt genannt, und nicht einen, der operieren kann, sondern einen Onkologen, also einen Krebsspezialisten, der herangezogen werden könnte. Den Namen weiß ich nicht mehr.

Verhandlungspause von 10.55 bis 11.07 Uhr

Zeugin Dr. Elisabeth ROZKYDAL, geboren 11.11.1948, Ärztin, wh. 1030 Wien, Apostelgasse fremd, gibt nach WE vernommen an: Meine Angaben im Protokoll vor dem Untersuchungsrichter vom 16.8.1995 (AS 35, ON 50) sind richtig.

Der ER: Nach Vorhalt AS 37, letzter Absatz: „Ich bin als Ärztin für alternative Medizin bekannt, darunter auch für die Methode Dr. Hamer. Das Ehepaar Pilhar hat auch Dr. Hamer erwähnt. Ich sagte, daß ich diese Methode keinesfalls bei ihrem Kind zur Anwendung bringe.“ Ist das richtig protokolliert?

Zeugin: Ja.

Der ER: Was ist über die Methode Hamer gesprochen worden und was haben Sie darauf gesagt?

Zeugin: Ich habe gesagt, daß ich ein Kind keinesfalls nach dieser Methode behandeln darf, denn wenn eine Anzeige erfolgt, wird den Eltern das Sorgerecht entzogen werden, und darauf lasse ich mich überhaupt nicht ein, weil ich dann sofort auch in die Illegalität rutsche. Das wollte ich auf keinen Fall.

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Der ER: War Herr Pilhar alleine bei Ihnen oder beide Eltern?

Zeugin: Beide Eltern waren bei mir.

Der ER: Wie sind Sie in Kontakt gekommen?

Zeugin: Es hat mir jemand das Ehepaar angekündigt, aber ich weiß leider nicht mehr, wer das war.

Der ER: Dieses Gespräch hat in Ihrer Ordination stattgefunden?

Zeugin: Ja.

Der ER: Ist Chemotherapie genannt worden und darüber gesprochen worden? Sind Sie auf die Chemotherapie angesprochen worden?

Zeugin: Herr Pilhar hat mir den Fall etwas geschildert und hat mir auch gleichzeitig von einem Kind und seinem Vater erzählt. Das Kind wurde, wie es ihm erschienen ist, durch Chemotherapie sehr gequält, wobei der Vater gesagt hätte, das Kind sollte schon längst gesund sein und war noch immer nicht gesund. Das Kind hätte sehr gelitten. Das will er seiner Tochter ganz sicher nicht antun. Diese Quälerei will er nicht dulden. So ist er gekommen. Ich habe aber gesagt, ich kann das erstens aus gesetzlichen Gründen nicht übernehmen und zweitens weiß ich von der Universität theoretisch, daß der Wilmstumor angeblich auf Chemotherapie und Operation gut ansprechen soll.

Der ER: Im Protokoll steht, Sie hätten gesagt, sie sollten die Chemotherapie machen?

Zeugin: Ja, das habe ich gesagt. Die Konsequenzen sind einfach zu schwierig.

Der ER: Es steht aber auch im Protokoll, was den Zustand der Eltern anbelangt, daß Sie den

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Eindruck gehabt haben, die Eltern waren in psychischer Not. Was wollten Sie damit sagen?

Zeugin: Das war eine Woche später. Herr Pilhar hat mich angerufen und gesagt, sie machen jetzt was anderes, aber wenn dem Kind irgend etwas in Richtung Fieber oder Schnupfen oder irgendein banaler Infekt geschieht, dann hätte er niemanden, dem er das Kind anvertrauen könne. Er hat mich sehr gebeten, das doch zu übernehmen. Ich habe dann gesagt, ich kann es nicht wirklich übernehmen, ich übernehme es interrimsweise, er soll sich bitte einen anderen Arzt suchen für die banalen Infekte. Bis er einen gefunden hat, würde ich ihm beistehen, aber nur für die banalen Infekte. Dann habe ich ihm gesagt, er muß mir unterschreiben, daß diese Systematik nach Dr. Hamer wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Er hatte ja noch das Sorgerecht, also wollte ich mich ein wenig absichern. Er muß wissen, daß diese Methode nicht wissenschaftlich anerkannt ist, denn wenn ich in den nächsten Tagen irgend etwas mit Fieber mit dem Kind zu tun bekäme, differenziert die Öffentlichkeit nicht, warum ich bei diesem Fall dabei bin.

Der ER: Wenn sie nur am Rande beteiligt waren und eher nicht viel mit der Sache zu tun haben wollten, wieso sind Sie dann in die Ereignisse nach der Rückkehr aus Spanien wieder eingebunden worden?

Zeugin: Ich habe aus dem Fernsehen erfahren, daß Frau Dr. Marcovich hinunterfliegt. Ich wußte, daß sie ein offenes Ohr für schwierige Dinge hat. Ich war ja nicht ganz sicher, in welcher Funktion sie hinfliegt. Ich wollte sicher sein, daß dem Kind am Transport nicht unbedingt Schlafmittel gegeben werden, weil ich weiß, wenn man im System Hamer denkt, besteht sehr wohl die Gefahr vom Gehirn her, daß Komplikationen eintreten, wenn man die

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falschen Medikamente gibt. Davon wollte ich Frau Dr. Marcovich informieren. Das habe ich dann getan. Dann weiß ich nicht, wie das zustandegekommen ist. Die Dinge haben sich so überstürzt, ich kann das eigentlich selbst nicht nachvollziehen.

Der ER: Offenbar waren Sie bereit, auch dort dabei zu sein?

Zeugin: Ich habe dann gehört, daß Herr Pilhar sich auf Herrn Dr. Stangl verlassen wollen würde. Dann habe ich kurzfristig gehört, daß das nicht stattfinden sollte aus privaten Gründen Dris. Stangl. Dann habe ich mir gedacht, jetzt sind die armen Eltern völlig alleingelassen. Das wollte ich auch wieder nicht. Das war der Grund, warum ich mich in dem Fall eigentlich nur für die Eltern zur Verfügung stellen wollte. Nach ihrer Sicht sind sie ja aus der Obhut von jemandem, an den sie glauben, auf Versprechungen nach Osterreich gekommen und hier hatten sie dann gar niemanden. Da wollte ich ihnen wenigstens beistehen. Es ging mir in dem Fall wirklich nur um die Eltern.

SV Dr. Scheithauer: keine Fragen.

Der StA: keine Fragen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, es war Ihnen doch zu heikel, bei einem Kind einen anderen Weg zu gehen, als er schulmedizinisch, klassisch vorgezeichnet ist. Diese Verantwortung wollten Sie nicht übernehmen?

Zeugin: Ja, das stimmt.

Verteidiger Mag. Rebasso: War es für Sie auch aus medizinischen Gründen angezeigt, unbedingt die Chemotherapie zu machen und haben Sie gesagt, die Eltern

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müssen auf jeden Fall die Chemotherapie machen, sonst wird das Kind sterben, oder haben Sie im medizinischen Bereich eine differenziertere Auffassung?

Zeugin: Ich hatte mit dem Wilmstumor keinerlei Erfahrung, weder schulmedizinisch noch im Denksystem von Dr. Hamer. Meine Erfahrungen beziehen sich auf Patienten, die von der Schulmedizin als unheilbar aus dem Spital entlassen wurden. Mit ihnen habe ich mich in Richtung dieses Systems auseinandergesetzt und hatte sehr gute Erfolge. Das stimmt schon. Ich habe gesagt, ich habe keine Erfahrung mit Wilmstumor in dem System, ich habe keine Erfahrung mit Wilmstumor im schulmedizinischen System, ich bin auf keinen Fall zuständig, von der legistischen Seite her schon gar nicht, weil es eben ein Kind ist. Bei Erwachsenen ist das ein Unterschied. Sie können sich selbständig dafür entscheiden. Ich lasse sie dann unterschreiben, daß sie sich dafür entschieden haben, und dann darf ich es tun, solange, bis er etwas anderes tun will.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie damals, vor Spanien, als Ärztin gegenüber den Eltern die Meinung vertreten, daß unbedingt aus medizinischen Gründen Chemotherapie gemacht werden muß, sonst würde das Kind mit Sicherheit sterben? So wurde es ja von seiten der Krankenhausärzte damals schon vorgezeichnet.

Zeugin: Mit dieser Kraßheit habe ich das sicher nicht getan, weil ich weiß, daß die Chemotherapie nicht immer unbedingt zu dem versprochenen Erfolg führt. In der Zeit, in der ich Erfahrungen sammeln konnte, wurde immer wieder sehr viel von Chemotherapie versprochen und wurde nicht gehalten. Ich habe fünf Wochen vorher zufällig von einer Mutter erfahren, die ein drei Monate altes Kind mit Wilmstumor hatte, welches sofort bei Beginn der

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Chemotherapie verstarb. Das habe ich ihm natürlich nicht gesagt, aber das war in mir schon präsent.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie zu der Frage überhaupt nicht Stellung genommen im persönlichen Gespräch?

Zeugin: Nein. Ich habe ihm nur gesagt, daß von der Schulmedizin her eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, daß das mit Chemotherapie geheilt werden kann, und daß die Folgezustände, wenn er das nicht tut, gravierend sein würden; in rechtlicher Hinsicht auf alle Fälle. Außerdem wußte ich ja, daß man die Therapie nach Hamer in Ruhe durchführen muß und daß das alles nicht unbedingt geht unter Umständen, wo das Sorgerecht entzogen wird usw.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie selbst Olivia untersucht?

Zeugin: Nein. Ich wußte, daß ich den Fall nicht übernehmen werde.

Verteidiger Mag. Rebasso: War sie bei Ihnen in der Ordination?

Zeugin: Sie war in der Ordination im Nebenraum und hat mir eine schöne Zeichnung gezeichnet.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie sich CT-Bilder angeschaut?

Zeugin: Ich habe mir das Leber-CT-Bild angeschaut.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es stand das Problem im Raum, ob das wirklich nur auf der Niere zu lokalisieren ist oder ob in der Leber etwas ist? Sind Sie mit dieser Frage konfrontiert worden?

Zeugin: Ja. Es war sehr auffallend; in der Leber war ein sehr großer, dunkler, runder Fleck, wie ich ihn an und für sich von Leberkarzinomen und von

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Lebermetastasen kenne. Es war sehr groß. Es war mir aber nicht klar, ob das der Wilmstumor ist, der hinaufdrückt. Dazu hätte man andere Untersuchungen gebraucht, die eher ungewöhnlich sind. In der Situation wäre es vielleicht nicht durchführbar gewesen, aber ich habe zuerst sofort an ein Leberkarzinom, einen Lebertumor gedacht.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie diese Vermutung auch den Eltern mitgeteilt?

Zeugin: Ich glaube, ich habe gesagt: „Was ist denn das da in der Leber?“ Das habe ich gesagt, schon alleine, weil das so offensichtlich war.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie auch Ihre Schlußfolgerung, es könnte sich um ein Leberkarzinom handeln, geäußert?

Zeugin: Das weiß ich eigentlich nicht mehr, aber ich glaube schon, daß ich das gesagt habe. Ich habe gesagt, da ist etwas in der Leber; mir kommt vor, es ist etwas in der Leber.

Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben gesagt, vom Wilmstumor ist auch Ihnen bekannt, obwohl Sie keine Erfahrung haben, daß mit der Chemotherapie statistisch gute Heilungschancen bestehen. Wäre durch die Möglichkeit, daß ein Leberkrebs vorliegt, aus Ihrer Sicht diese Prognose zu revidieren oder zu relativieren gewesen; daß Sie gesagt hätten, wenn sich das bestätigt, muß man die gute Erfolgsbilanz der Chemotherapie relativieren?

Zeugin: Es hätte sicher einen anderen Verlauf nehmen müssen. Ich weiß es nicht genau. Es ist sicher eine Erschwernis, wenn in der Leber ein so riesiger Tumor wäre.

Verteidiger Mag. Rebasso: Haben Sie das den Eltern mitgeteilt?

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Zeugin: Das weiß ich jetzt nicht; wahrscheinlich habe ich es nur gedacht. Ich weiß nicht, ob ich davon gesprochen habe oder nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Könnte es sein, daß es sich beim Wilmstumor um den Krebs juvenilen Krebs handelt, der am erfolgreichsten chemotherapeutisch zu therapieren ist?

Zeugin: Angeblich; ich weiß es nur theoretisch von der Universität. Mehr weiß ich darüber ja nicht. Es wird so behauptet, aber es sind doch 15% Todesfälle.

Verteidiger Dr. Schefer: Zu Ihrer Feststellung, daß möglicherweise ein Leberkrebs vorgelegen haben könnte: Sind Sie mit dieser Art von Krebserkrankung vertraut?

Zeugin: Primäre Lebertumore nicht, da ist mir ein Fall bekannt. Ansonsten habe ich hauptsächlich mit Lebermetastasenpatienten zu tun.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben ein Leber-CT angesehen?

Zeugin: Es war ein Abdomen-CT.

Verteidiger Dr. Schefer: Wissen Sie noch, wo das gemacht worden ist?

Zeugin: Ich nehme an, im St.Anna-Kinderspital. Ich weiß nicht, wo das Bild hergekommen ist.

Verteidiger Dr. Schefer: An welchem Tag haben Sie dieses Abdomen-CT gesehen?

Zeugin: Gleich am ersten Tag, als die Familie bei mir war; das war am 22.5.1995, glaube ich.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben gesagt, bei einem solchen Lebertumor hätte man auch andere Untersuchungen gebraucht. Welche wären das denn?

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Zeugin: Ich weiß, daß es nicht ganz leicht ist, so etwas durchzufahren. Die CT-Schnitte durch Abdomen werden immer horizontal gemacht. In diesem Fall hätte ich ein vertikales CT gebraucht, um festzustellen, ob der Wilmstumor die Leber so weit aufwölbt, daß es im Querschnitt so ausschaut, als ob der Wilmstumor in der Leber wäre. Das ist technisch sicher nur mit großem Aufwand zu machen, aber es wäre sicher zielführend gewesen, um zu differenzieren, ob der Wilmstumor die Leber aufgewölbt hat oder ob in der Leber selbst etwas gewesen ist.

SV Dr. Scheithauer: Haben Sie eine Fachartzausbildung für Radiologie? Nachdem die CT’s technisch doch so diffizil geworden sind, traue ich mir, obwohl ich wöchentlich bei Besprechungen dabei bin, selbst keine Befundung zu. Haben Sie so eine Ausbildung gemacht?

Zeuge: Nein, ich habe keine röntgenologische Facharztausbildung gemacht; nur im Rahmen des Turnus. Dieses vertikale CT ist eine kreative Lösung in meinem Kopf; das wird nirgendwo durchgeführt, wäre aber für mich eine gute Diagnostik gewesen. Das ist eine kreative Idee von mir. Ich bin gewohnt, durch meine Patienten vor schwierige Situationen gestellt zu werden. Da muß man sich oft kreativ etwas einfallen lassen. In dem Fall wäre mir das eingefallen, daß man ein vertikales CT bräuchte.

Verteidiger Mag. Rebasso: Hat die Zeugin Ihrer Erinnerung nach erwähnt, daß die Möglichkeit eines Geschehens an der Leber besteht?

Der Erstbeschuldigte gibt hiezu an: Sie hat erklärt, daß wahrscheinlich ein Geschehen an der Leber ist. Sie hat uns damals auch das so

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nähergebracht. Sie hat uns definitiv gesagt, ihrer Meinung nach besteht ein Geschehen an der Leber.

Verteidiger Mag. Rebasso: Die Zeugin hat auch deponiert, sie hat selbst schon zum Teil gute Erfahrungen mit der Methode Hamer. Hat sie Ihnen das damals auch gesagt, als Sie bei ihr waren?

Erstbeschuldigter: Sie hat auch selbst gesagt, sie ist bekannt dafür, daß sie die Methode Hamer macht. Uns ist von Verwandten empfohlen worden, zur Frau Dr. Rozkydal zu gehen. Wir sind aus diesem Grund zu ihr gegangen, weil sie die Methode Hamer macht und weil sie auch Erfolg damit hat. Daß es Heilungserfolge gibt, ist damals auch besprochen worden.

SV Dr. Scheithauer: Das Problem ist, daß in einem Zeitraum vom 18.5., dem Tag der Erstdiagnoserstellung, bis zum Juli drei oder vier Computertomographieserien aus verschiedenen Händen vorlagen, die vom Primarius einer radiologischen Abteilung, der am Allgemeinen Krankenhaus war und jetzt in Neunkirchen ist, seriell befundet wurden, und der Befund der Leber war immer unauffällig. Das war nur ein Eindrücken der Leber durch den Wilmstumor von außen. Das wollte ich nur definiert wissen. Die Problematik ist, daß die Radiologie und speziell die Computertomographie sehr diffizil ist und ich mir selbst nicht zutrauen würde, ein Bild ganz korrekt ohne Radiologen zu befunden und zu interpretieren und therapeutische Implikationen in Abhängigkeit davon zu setzen.

Verteidiger Dr. Schefer: Liegen Ihnen diese Bilder noch vor?

SV Dr. Scheithauer: Ich habe die schriftliche Befundung dieser Bilder. Die Bilder selbst habe ich nicht in der Hand gehabt.

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Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben diese Bilder doch Ihrem Gutachten zugrundegelegt?

SV Dr. Scheithauer: Ich habe sämtliche Befundunterlagen, auch die Befunde der Tomographie, die schriftlichen Befunde, gehabt.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben diese Bilder gar nicht gesehen?

SV Dr. Scheithauer: Wie gesagt, meine radiologischen Kenntnisse sind nicht in dem Maße, daß ich sie als Grundlage meines Gutachtens hätte nehmen können.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie müssen doch in Augenschein nehmen, worüber Sie sprechen. Das steht im Gesetz. Halten Sie das für ausreichend? Dann ist ja eigentlich Dr. Hübsch der Sachverständige gewesen.

SV Dr. Scheithauer: Dr. Hübsch ist einer der Röntgenologen gewesen. Das ist ja nicht nur ausschließlich von ihm ad personem, sondern von drei verschiedenen Radiologen an Ort und Stelle in gleicher Art und Weise befundet worden. Ich glaube nicht, mir als Internist anmaßen zu können, die Befunde von drei unabhängigen Radiologen in Frage zu stellen.

Verteidiger Dr. Schefer: Halten Sie sich für ausreichend kompetent? Sie haben etwas zugrundegelegt, was Sie nicht gesehen haben.

Verteidiger Dr. Schefer beantragt neuerlich Beischaffung der Krankenunterlagen inklusive Bilder. Weder der Sachverständige noch die Verteidigung noch der StA habe sie gesehen. Niemand habe die bildgebenden Dokumente gesehen, woraus sich genau diese Feststellung zweifelsfrei ergeben könnte, daß ein Lebergeschehen vor dem 19.5.1995 schon oder nicht vorlag.

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SV Dr. Scheithauer: Sie selbst haben bei der letzten Verhandlung darauf hingewiesen, – das hat auch Prof. Gadner bestätigt – daß die Radiologie, die röntgenologischen Befunde, auch die Computertomographie, eine gewisse Problematik bietet, daß man die Tumorstadien radiologisch nicht unbedingt oder eindeutig 100%ig zuordnen kann. Ich habe als Gutachter nichts anderes getan, als die Gesamtheit der Dinge zu beurteilen. Als kritischer Onkologe kann ich mich nur an die Beschreibung des Zustandes, an die Laborwerte, an die vorliegenden Befunde, an den Verlauf und an das Gesamtbild halten und mich danach orientieren und dahingehend mein Gutachten erstellen. Es würde niemandem einfallen, anhand einer Computertomographie so ein Verfahren durchzuführen. Das ist ein winzig kleiner Aspekt.

Verteidiger Dr. Schefer: Ist es von Bedeutung, ob Anfang/Mitte Mai 1995 ein kanzerogenes Geschehen an der Leber vorlag oder nicht?

SV Dr. Scheithauer: Ich würde sagen, bedingt. Von der Beurteilung des Tumorstadiums her im primären Zeitpunkt der Diagnosestellung ja; aber wenn sich ein Patient im Stadium 4 befindet und in gutem Allgemeinzustand ist, besteht immer noch eine Überlebenschance, wie Sie von Prof. Gadner gehört haben, von 60 bis 70%. Die Problematik war, daß zum Zeitpunkt der Einleitung der Therapie aufgrund des Allgemeinzustandes die Chancen nur mehr bei 10 oder 20% lagen. Von der therapeutischen Strategie her hätte sich nicht sehr viel geändert.

Verteidiger Dr. Schefer: Sie haben das jetzt auf die Stadieneinteilung bezogen. Es geht doch um die Indikation von Chemotherapie. Die Beurteilung hinsichtlich

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des Einsatzes der Chemotherapie wäre doch bei einem Lebergeschehen eine ganz andere.

SV Dr. Scheithauer: Da würde man auf jeden Fall primär die Chemotherapie zur Anwendung bringen. In Europa wird auch beim Stadium 1 und beim Stadium 2 primär die Chemotherapie eingeleitet.

Verteidiger Dr. Schefer: Wie wäre es mit der Chemotherapie, wenn ebenfalls Leberkrebs vorgelegen hätte?

SV Dr. Scheithauer: Die Wahrscheinlichkeit einer Koinzidenz, daß bei einem Wilmstumor, der eine sehr seltene Krankheit darstellt, gleichzeitig ein Lebertumor vorliegt, ist ungefähr 1 zu 100 Mio. Es gibt keinen Fallbericht. Man kann auch computertomographisch, wenn etwas in der Leber vorgelegen hätte, was offenbar nicht der Fall war, nicht zwischen einem Lebertumor und einem Wilmstumor differenzieren können.

Der Erstbeschuldigte: Sie haben gesagt, die Wahrscheinlichkeit beträgt 1 zu 100 Mio. Nehmen wir an, das wäre so ein Fall. Dann hätten Sie nicht zwischen Leberkarzinom und Wilmstumor unterscheiden können?

SV Dr. Scheithauer: Man könnte von außen eine Raumforderung in der Leber beurteilen, was eben offenbar nicht der Fall war. Mehr kann man nicht sagen. Man kann nicht durch die Computertomographie den Aufbau dieses Gewerbes beurteilen.

Der Erstbeschuldigte: Kein Schulmediziner hätte das anhand von Abdomen-CT’s differenzieren können?

SV Dr. Scheithauer: Nur bedingt; er kann nur Vermutungen anstellen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Wie hätte die Therapieanordnung gelautet, wenn der von Ihnen als so

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selten bezeichnete Fall eingetreten wäre, daß tatsächlich ein Krebsgeschehen in der Leber vorgelegen wäre?

SV Dr. Scheithauer: Das kann ich nicht beantworten.

Der Erstbeschuldigte: Drei Ärzte haben ausgesagt, daß nach ihrer Vermutung Leberkrebs vorlag. Es gibt mehr Ärzte, die das bestätigen. Der Sachverständige sagt gerade, daß die Schulmediziner anhand von Abdomen-CT’s Leberkrebs nicht differenzieren können.

Verteidiger Dr. Schefer: Entweder es gab keinen Leberkrebs oder man kann nicht differenzieren. Somit kann man nur feststellen, daß die Schulmedizin aus den Aussagen des Dr. Scheithauer sagen kann, es könnte sein, es kann nicht sein, sie können es nicht feststellen. Es steht anders in seinem Gutachten.

Verteidigung legt vor ein Schriftstück (Fall Angelo Amstutz), datiert Madrid, 7.11.1996, welches verlesen und zum Akt genommen wird, sowie diesen Fall betreffende Lichtbilder, welche nach Einsichtnahme durch den Sachverständigen wieder ausgefolgt werden; dies zur Frage, wie es in der Krebstherapie allgemein zugeht, wie der Meinungsstand, insbesondere auch die Akzeptanz, der Theorie des Hamerschen Lösungsansatzes allgemein zu betrachten ist, sowie zur Widerlegung der Behauptung, daß dies eine Sondermeinung sei, der keinerlei Relevanz zukommen

Der Erstbeschuldigte: Hamer hat gewußt, wie sich das entwickelt und wir haben Hamer vertraut.

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Der StA spricht sich gegen diese Begutachtung aus, weil sie mit der gegenständlichen Strafsache nichts zu tun habe, dies betreffe ein anderes Kind.

Verteidiger Dr. Schefer: Es geht darum, ob die Eltern abwarten durften. Sie waren der Meinung, durch Abwarten würde sich etwas verbessern. Von der Anklage wird dargestellt, daß dieses Abwarten kriminell sei. In dem hier vorgelegen Fall ist eben abgewartet worden, insoferne ist das zentral. Genau das war es, was die Eltern wollten.

SV Dr. Scheithauer gibt zu dem vorgelegten Schriftstück samt Lichtbildern an wie folgt:

Das wäre der klassische Fall, anhand dessen ich mir nicht anmaßen würde, ein Gutachten zu erstellen. Es handelt sich im wesentlichen um einen Buben, bei dem in einem Schweizer Spital der Verdacht auf eine andere Diagnose, auf eine andere maligne Erkrankung im Bereich der Harnblase ausgesprochen wurde. Der Chirurg beschreibt, daß er den Bauch eröffnet hat und daß nach seiner Ansicht diese Erkrankung nicht vorliegt. Er bezeichnet das vorübergehend als Wilmstumor und bringt dann verschiedene Gedanken der Hamer-Thesen hinein. Es gibt keinerlei Befunde, die das erhärten, was immer das auch für eine Erkrankung war. Ein bißchen würde ich die Qualität des Chirurgen in Frage stellen, denn wenn man eine operative Handlung setzen will, muß man ein bißchen darauf vorbereitet sein, daß man einen solchen Tumor dann auch reserziert. Man wird nicht einem Kind einfach den Bauch auf- und zumachen und sich dann selbst als nicht gut genug ausgerüstet erachten, um die Operation zu vollziehen. Weiters macht ein bißchen stutzig, daß er sagt, eine gute

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Operation wäre im weiteren zu fordern, möglicherweise nicht durch die Bauchdecke. Wie man einen so großen Tumor nicht durch die Bauchdecke aus dem Bauchraum operativ entfernen soll, macht mich stutzig. Weiters haben wir gehört, daß womöglich jegliche Manipulationen am Wilmstumor zu vermeiden sind, und er überlegt, einen Schnitt quer durch zu machen, um das Tumorgeschwulst abzunabeln. Das einzige, was ich mir anhand dieses Berichtes anmaßen würde, zu urteilen, ist, daß ich die Qualifikation des Chirurgen sehr in Frage stellen würde. Ich kann nicht sagen, ob das ein Wilmstumor ist. Er bezeichnet ihn nur vorübergehend, passager, als Wilmstumor. Ich kann damit eigentlich gar nichts anfangen.

Verteidiger Dr. Schefer: Könnte es sich bei diesem Fall um einen Wilmstumor handeln?

SV Dr. Scheithauer: Es ist wirklich sehr schwierig, anhand eines Fotos zu urteilen, ob das ein Wilmstumor ist oder nicht.

Verteidiger Dr. Schefer: Was könnte es denn sonst sein?

SV Dr. Scheithauer: Es ist sehr schwierig. Es könnte durchaus eine primär gutartige Wucherung sein, primär als Zyste oder als gutartiger Tumor, z.B. Samarkom. Auch das gibt es. Das ist wirklich schwierig; das ist ein Rätselraten. Vom makroskopischen Aspekt her ist das nicht wirklich zu beurteilen.

Verteidiger Dr. Schefer: Aber auf diesen Lichtbildern sieht man ja schon mehr als bei Olivia. Als Olivia damals beurteilt wurde, wurde gesagt, es ist zu 95% ein Wilmstumor. Hier ist sogar der Bauch geöffnet und man kann es immer noch nicht feststellen? Wann kann man es denn feststellen?

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SV Dr. Scheithauer: Ich habe hier keinerlei Befunde, das sind fünf Schreibmaschinenseiten, die in gebrochenes Deutsch übersetzt sind. Es wäre wirklich oberflächlich, mir ein Urteil anhand von ein paar Fotos und anhand eines Berichtes eines Chirurgen, den ich aufgrund seiner Aussagen nicht als wirklich qualifiziert erachten kann, anzumaßen.

Verteidiger Dr. Schefer: In Ihrer letzten Aussage (S. 74 des Protokolls) haben Sie als Sachverständiger ausgesagt: „In manchen Fällen, wenn es eine sehr günstige Prognose ist, es also ein sehr ausgereifter Tumor ist, muß keine Chemotherapie gemacht werden.“ Könnte es sich in diesem Fall um einen ausgereiften Tumor handeln?

Die Frage wird vom ER nicht zugelassen.

Der ER: Hat sich aufgrund dessen, was Sie heute von den Zeugen gehört haben, etwas ergeben, woraufhin Sie zu Ihrem Gutachten noch etwas ergänzen sollten? Gibt es etwas, wozu Sie noch Stellung nehmen möchten?

SV Dr. Scheithauer: An und für sich nicht.

Der StA: keine Fragen an den SV.

Verteidiger Mag. Rebasso: Könnten Sie eine klarere Aussage treffen, wenn Sie ein Video der Operation über diesen Fall zur Verfügung hätten?

SV Dr. Scheithauer: Nein.

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Verteidiger Dr. Schefer: Welche Unterlagen brauchten Sie noch, um eine Aussage darüber treffen zu können?

SV Dr. Scheithauer: Wenn der Tumor letztendlich operiert worden ist, dann einen Operationsbericht, einen feingeweblichen Befund und die entsprechenden anderen Befunde, die vorweg gemacht worden sind, seriell, Laborchemie, bildgebende Verfahren. Entscheidend ist sicher, daß in letzter Konsequenz histologisch, feingeweblich, nachgewiesen wird, daß es wirklich ein maligner Tumor war.

Verteidiger Dr. Schefer: Meinen Sie, daß anhand dieser Unterlagen, insbesondere der Fotos, vielleicht Prof. Gadner Aussagen machen könnte? Er ist ja der Experte auf dem Gebiet des Wilmstumors. Halten Sie das für möglich?

SV Dr. Scheithauer: Ich glaube persönlich, eher nicht.

Verlesen wird das heute bei Gericht eingelangte Fax Prof. Dris. Gadner.

Verteidiger Dr. Schefer führt hiezu aus: Nach der deutschen Rechtsordnung werden Zeugen, nachdem sie vernommen worden sind, entlassen, und zwar dann, wenn allseits Einverständnis vorliegt. Er ist damit nicht mehr Zeuge.

Der StA beantragt Übermittlung einer Fotokopie dieses Telefaxes zur Einleitung eines Verfahrens gegen die Verteidigerin Dr. Schefer.

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Verhandlungspause von 12.15 Uhr bis 13.40 Uhr

Der StA: keine weiteren Anträge.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es stand Zeugenbeeinflussung im Raum. Ich war bei diesem Gespräch nicht dabei. Ich muß festhalten, daß es ein absolut gängiger Vorgang ist, Zeugen stellig zu machen, mit Zeugen Kontakt aufzunehmen, falls zu befürchten ist, daß sie auf dem normalen Postweg nicht mehr rechtzeitig geladen werden können. Das wird oftmals von Gerichten sogar aufgetragen und ist ein Vorgang, der völlig unzweifelhaft und frei von jeglicher Beeinflussung ist.

Sohin verkündet der ER den

Beschluss

auf Abweisung sämtlicher noch offener Beweisanträge wegen Unerheblichkeit und Spruchreife samt wesentlicher Begründung.

– Zur neuerlichen Einvernahme Prof. Dris. Gadner: Seinen weiteren Ausführungen wäre keine besondere Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit mehr zuzumessen, alles Relevante wurde bereits gesagt, eine ergänzende Einvernahme dieses Zeugen ist daher nicht mehr erforderlich.

– Zur Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens aus dem Gebiete der Neuen Medizin bzw. eines Gutachtens, welches von beiden Positionen abgehoben ist, dies zum Beweisthema der Tauglichkeit der Methode Hamer: Es ist nicht Sinn dieses Verfahrens, einen wissenschaftlichen Disput, welche der beiden Methoden die geeignetere ist, abzuhalten. Hier liegen

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Fakten vor, welche zu beurteilen sind. Allgemeine Erörterungen, welcher Methode der Vorzug zu geben wäre, sind medizinische Überlegungen. Für dieses Verfahren ist nicht eine theoretische Erörterung ausschlaggebend, sondern die Feststellung von Tatsachen und deren rechtliche Beurteilung. Es ist nicht von generellen Erwägungen auszugehen, sondern vom Einzelfall. Hier sind die beiden entscheidenden Faktoren, ob und wieweit der Gesundheitszustand des Kindes sich in der Zeit, in der sich die Eltern unschlüssig waren, welcher Behandlungsmethode vorzuziehen wäre, verschlechtert hat, wie es erkennbar und schlußendlich die Kontrolle, daß durch die Behandlung der Schulmedizin eine Heilung des Kindes doch erreicht werden konnte.

– Zur Bestellung eines anderen, weiteren medizinischen Sachverständigen, dies mit der Begründung, daß SV Dr. Scheithauer im AKH tätig sei und von seinem beruflichen Werdegang her der Schulmedizin angehört und daher eine Voreingenommenheit oder Parteilichkeit nicht auszuschließen sei: Das abgelegte Gutachten erscheint dem Gericht in einem Ausmaß objektiv und um Sachlichkeit bemüht, so daß an der Stichhaltigkeit und Nachvollziehbarkeit der Schlußfolgerungen, die der Urteilsfindung zugrundezulegen sind, keine Zweifel bestehen. Daher ist nach der Strafprozeßordnung kein Grund gegeben, ein weiteres Gutachten zum gleichen Beweisthema einzuholen. Eine Befangenheit oder Einseitigkeit konnte nicht erkannt werden.

– Zur Einholung eines Gutachtens betreffend Begleit- und Spätfolgen zur Prüfung, welche Folgen die schulmedizinische Behandlung des Kindes haben könnte, sowie den damit

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zusammenhängenden Beweisanboten: Diese sind abzuweisen gewesen, weil im Gutachten Scheithauer auch darüber nachvollziehbar und erklärbar abgesprochen worden ist, sowie, weil diese Frage in erster Linie durch die rechtliche Beurteilung der sogenannten Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten, also in der Fahrlässigkeitsproblematik juristisch zu lösen ist. Ein diesbezüglicher Antrag war daher als unerheblich ebenfalls abzuweisen.

– Zu den Anträgen zum Beweisthema, daß dem Ehepaar Pilhar subjektiv Zweifel an der Schulmedizin zuzubilligen waren, wozu private Informationen, private Gespräche unter Zeugen und Familienangehörigen, allfällige Tagebuchaufzeichnungen und sonstige private Aufzeichnungen, Zeitungsartikel, Videos und sonstige Veröffentlichungen angeboten wurde: Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Zweifel an der Schulmedizin angemeldet sind, und zwar nicht nur von privaten Personen, nicht nur von inkompetenter Seite, sondern auch von ärztlicher Seite. Auch darüber hat der Sachverständige in objektiver Weise berichtet und auch einige Fälle genannt, daß es teils Fehldiagnosen gibt, daß die sogenannte Spontanheilungen einen Prozentsatz erreichen, der weit unter der 0,0..%-Grenze liegt und daher nicht interessant sein kann; er gesteht auch zu, daß von der Schulmedizin in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind, daß man bemüht ist, insbesondere auch durch statistisches Material udgl. diese Fehler in Zukunft zu vermeiden und daß daher Zweifel in die Beurteilung jedenfalls einzubeziehen sind. Welche Schlußfolgerungen das Gericht in rechtlicher Hinsicht hieraus zieht, ob diese Zweifel in der konkreten Situation berechtigt waren oder nicht, wird durch die rechtliche Beurteilung zu erfolgen haben.

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– Zur Beischaffung der gesamten Krankengeschichte, der CT-Bilder einschließlich der spanischen Unterlagen und deren ergänzende gutachtliche Auswertung zum Beweisthema einer erschöpfenderen Erörterung der Situation als Urteilsgrundlage: Zur Phase nach Spanien wurden heute drei Zeugen gehört, so daß die Dokumentation durch Zeugen, die mit dem Fall zu tun gehabt haben, nunmehr lückenlos ist. Dadurch ist eine soweit erschöpfende Erörterung gegeben, die eine solide Grundlage für ein Urteil bilden kann. Man kann auch bei gesundem Zweifel andererseits nicht grundsätzlich davon ausgehen, daß diese Leute etwas erzählen, was nicht der Wahrheit entspricht. Es wurde vermutet, daß Dinge passiert seien, nur um die Schulmedizin einerseits zu stützen und andererseits die Methode Hamer zu diskriminieren. Davon kann grundsätzlich nicht ausgegangen werden. Die Zeugenaussagen unterliegen der Würdigung durch das Gericht. Diesbezüglich wurde auch im Gutachten Scheithauer abgesprochen; der Gutachter hat dargelegt, daß für seine gutächtlichen Folgerungen ausreichend Material zur Verfügung gestanden ist.

Ein Sonderproblem war die Frage einer allfälligen Lebererkrankung. Dieser Verdacht bleibt im Raume stehen. Es steht fest, daß durch die gutächtliche Beurteilung ein solcher nicht zu bejahen ist; daß aber subjektiv allenfalls auch davon die Rede war und daß daraus vielleicht auch Schlußfolgerungen für die Beschuldigten abzuleiten waren, wird durch die rechtliche Beurteilung zu dem ihnen angetasteten Verschulden, ob ihr Handeln fahrlässig war oder nicht und die Überlegungen, die sie im Zusammenhang damit angestellt haben, einfließen. Ob und wie groß die Gesundheitsgefährdung des Kindes im Laufe der gesamten

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Entwicklung gewesen ist, ist letztlich eine Rechtsfrage. Hier kann das Sachverständigengutachten nur Grundlagen bilden.

– Zur Einvernahme des Zeugen Hamer generell zu seiner Methode und speziell dazu, was zwischen Hamer und den Eheleuten Pilhar in der Zeit, als man nach einer Behandlungsmethode gesucht hat, besprochen worden ist, wieweit sie unter seinem Einfluß gestanden sind oder wieweit sie ihm anvertraut waren: Gegen den beantragten Zeugen ist im Inland ein Strafverfahren anhängig, ein Haftbefehl besteht. Er hätte sich schon bisher dem Verfahren stellen können und hat es nicht getan. Eine solche Ladung würde vergeblich bleiben, sein Erscheinen kann realistischerweise nicht erwartet werden. Vor allem stehen dem auch prozessuale Gründe entgegen: Einerseits ist er Beschuldigter, in diesem Verfahren wäre er als Zeuge zu hören und müßte wahrheitsgemäß aussagen. Daher kommt unter diesem Aspekt seiner Zeugenaussage kein Beweiswert zu, weil seine Aussage in seinem Verfahren gegen ihn verwendet werden könnte.

Aus dem Akteninhalt erfolgen nachfolgende Verlesungen:

Anzeige der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt vom 3.7.1995, ON 2, insb. AV vom 28.6.1995 (AS 47); Ersuchen um Ausforschung ON 3 und ON 4, Übersetzung eines Fax der Interpol Madrid an Interpol Wien, ON 6; ON 7, insb. Fax AS 81; Befunde ON 8 (insb. AS 105 vom 19.5.1995, Bericht des St.Anna-Kinderspitals vom 26.5.1995 AS 113, Befund des Diagnosezentrums Urania vom 22.5.1996); ON 11 (insb. AV vom 7.7.1995);

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Verlesen wird ein eben eingelangtes Fax Dris. Scheithauer betreffend die Beurteilungsgrundlagen für sein Gutachten (sieben Belegstellen), welches zum Akt genommen wird.

Verteidiger Dr. Schefer: All diese Grundlagen sind nicht im Gutachten angeführt. Im Gutachten steht nur: vorliegender Akt und Nachbefundung Doz. Hübsch. Wird das Gutachten durch dieses Fax hinsichtlich der angegebenen Urteilsgrundlagen erweitert? Die Kritik der Verteidigung ging dahin, daß er dieses Gutachten so nicht hätte erstellen dürfen, weil er keine ausreichenden Grundlagen dazu hatte, vor allen Dingen, weil er die Bilder nicht in Augenschein genommen hat. Auch das, was er jetzt per Fax geschickt hat, ist für das Gericht weitere Beurteilsgrundlage?

Der ER: Was er in seinem Gutachten gesagt hat. Das Fax ist eine zusätzliche Information auf Ihre Frage, worauf er dieses Gutachten stützt.

Weiters werden verlesen:

ON 14 (insb. Schreiben der Landessanitätsdirektion Stmk. an die StA des Landesgerichtes f. Strafsachen Graz, AS 165; AS 169-193); ON 20 (Anzeige der Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt gegen Hamer; Schreiben der Steirischen Ärztekammer AS 51, 2. Absatz).

Verteidiger Mag. Rebasso spricht sich hinsichtlich dieses Schriftstückes gegen die Verlesung aus, weil darin zum Teil Dinge stehen, die im Wege der Einvernahme des Dr. Hamer oder im Wege der Objektivierung durch andere Beweisführung zu erheben wären oder überhaupt wegzulassen sind. Es gibt kein vollständiges Bild zur Frage der Qualifikation des Dr. Hamer.

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Weiters verlesen wird

ON 20 (insb. AV der Bundespolizeidirektion Wr. Neustadt vom 12.6.1995, AS 15; weiters AS 23-27, AS 41, 43), ON 27, ON 30 (Pressespiegel AS 381 f.: „Sieben Wochen, in denen eine Familie ihre materielle Existenz aufs Spiel gesetzt hat. Auf ihrer Flucht vor der Vernunft haben die Pilhars beinahe ihr gesamtes Urlaubsgeld aufgebraucht, drei Bausparverträge seien aufgelöst worden. Der geplante Hausbau im Herbst wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.“

Erstbeschuldigter gibt hiezu an: Mein Grundsatz war immer, keine Kredite bei Banken aufzunehmen. Daher haben wir mehr Guthaben auf der Bank gehabt als Schulden. Das ist das Geld, von dem wir jetzt leben. Es ist im Vorjahr des öfteren vorgekommen, daß wir von Medien Geld erhalten haben; dieses ist aufgebraucht worden. Jetzt leben wir vorwiegend von Rücklagen. Wir haben keine Schulden. Wir sind sehr genügsam.

Zweitbeschuldigte gibt an: Ich habe Wochengeld bezogen, mein Gatte hat am Anfang Arbeitslosengeld bekommen. Mit S 10:000,– bis S 15:000,– muß man auch auskommen können. Damit müssen auch andere auskommen.

S 381 f.: „Vater Helmut, ein hochqualifizierter EDV-Spezialist bei Schrack, hat seinen Job verloren.“

Erstbeschuldigter: Man kann es so sehen. Es hat Versuche gegeben, das im Einvernehmen zu machen, aber ich bin dann gekündigt worden. Als wir in Deutschland waren, habe ich dann erfahren, daß ich gekündigt bin.

S 381 f.: „Am 22.5., dem Tag, als die Behandlung beginnen soll, tauchen die Pilhars unter; zuerst

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zu einer Verwandten ins Kärntner Lavanttal, dann zu Mitgliedern der Fiat-Lux-Sekte, die die beiden verstecken.“

Erstbeschuldigter dazu: Es stimmt im Prinzip. Ich habe nicht gewußt, daß die Leute in der Glaubensgemeinschaft Fiat Lux sind. Es war nicht relevant. Wir waren in Not und man hat uns geholfen.

Verteidiger Mag. Rebasso: Fühlen Sie sich dieser Sekte zugehörig?

Erstbeschuldigter: Nein. Weder meine Frau noch ich sind bei irgendeiner Sekte. Wir sind katholisch. Das ist ja auch eine relativ große Sekte.

AS 381 f.: „Helmut Pilhar: ‚Gerd hat es in der Nase gehabt, daß die Behörden hinter uns her sind und wir Österreich verlassen sollten. Hamers Befund: Ganz Österreich fahndet nach euch, um Olivia zu finden und letztendlich zu töten.´“

Der ER: Stimmt es, daß das Fortgehen auf Hamer zurückzuführen ist?

Erstbeschuldigter: Man konnte sich ausrechnen, daß wir in Österreich gesucht werden. Das war relativ naheliegend.

Der ER: Wer hat die Entscheidung getroffen, wegzugehen?

Erstbeschuldigter: Das war natürlich unsere Entscheidung, damit wir von Olivia die Operation bzw. die Chemotherapie abwenden können. Wir waren in Kontakt mit verschiedenen Freunden.

AS 381 f.: „Geerd Ryke Hamer hat noch einen letzten Auftritt. Er hat die Familie auf den Flugplatz begleitet und noch einmal ein Papier vorbereitet. Marina Marcovich und Walter Esten, Österreichs Konsul in Malaga, der sich als Diplomat der Menschlichkeit bewährt hat und für den an

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diesem frühen Morgen ein Alptraum zu Ende geht, unterschreiben entnervt, um den friedlichen Abzug nicht im letzten Moment zu gefährden.“

Der ER: Haben Sie das auch so empfunden?

Erstbeschuldigter: Für Konsul Esten waren die Neue Medizin und Dr. Hamer nicht unbekannt. Meines Wissens ist seine Sekretärin selbst eine Hamer-Patientin, und sie ist gesund. Deshalb hat er gewußt, wer Dr. Hamer ist. Ich glaube nicht, daß er solche Angst gehabt hat, daß Olivia in die Hände eines Scharlatans geraten ist.

Weiters verlesen wird:

ON 32 (Schreiben Dris. Jürgenssen an StA Wr. Neustadt vom 28.7.1995), ON 44 (Mitteilung der BH Wr. Neustadt vom 4.8.1995, insb. letzter Absatz: „Hinsichtlich des Vaters Helmut Pilhar wurde bereits am Freitag nach 24:00 Uhr ein Besuchsverbot ausgesprochen, weil dieser mit Aktionen drohte. Dieses Verbot wurde nach einem Gespräch mit der Psychologin und dem behandelnden Intensivmediziner aufgehoben.“)

Erstbeschuldigter dazu: Das erste Besuchsverbot ist in Tulln ausgesprochen worden, und zwar nach der Verkündung der Zwangstherapie. Ich wollte zurück zu Olivia und meiner Frau ins Zimmer, wurde aber von einem Justizbeamten abgehalten. Draußen ist mir von der Polizei erklärt worden, sollte ich hier nochmals erscheinen, werde ich verhaftet. Ich habe dann, als Olivia im AKH war, ebenfalls nicht zu meinem Kind dürfen. In diversen Schreiben der BH geistert die Behauptung umher, ich würde mit Aktionen drohen. Tatsächlich war in Tulln folgender Vorfall: Wir sind ja freiwillig nach Tulln gefahren, weil uns etwas entsprechendes

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versprochen worden ist. Sonst wären wir ja nie freiwillig nach Tulln gefahren. Uns wurde versprochen, daß Dr. Stangl und Dr. Rozkydal die Therapie in Tulln übernehmen. Die Situation in Tulln war aber dann diejenige, daß Prim. Vanura erklärt hat, Dr. Stangl und Dr. Rozkydal hätten hier nichts mehr zu sagen. Die ganzen Vorbereitungen sind auf Veranlassung von Prim. Vanura bereits vollzogen worden, als ich am Mittwoch wieder gekommen bin. Am Dienstag haben wir Olivia hinaufgebracht. Das Krankenzimmer war versperrt, meine Frau mußte klopfen, damit ihr aufgemacht wird. Es sind überall Polizisten gestanden und Olivia ist noch am Tropf gehängt. Als mir in diesem Zuge gelungen ist, daß die Ärzte den Tropf abnehmen, hat mich Dr. Zimper gefragt, wie weit ich gehen würde, was ich alles machen würde. Da habe ich in einem gewissen Enthusiasmus, weil ich das abgewandt habe, gesagt, ich würde ein Fenster einschlagen, damit ich zu meinem Kind kann. Das wurde immer wieder verwendet, ich hätte mit Aktionen gedroht; das war immer wieder der Grund, warum man mich von meinem Kind ferngehalten hat.

Weiters verlesen wird:

ON 46 (Protokoll vom 10.8.1995 vor dem Untersuchungsrichter Dr. Zak, in welchem dem SV Scheithauer der Sachverständigeneid abgenommen wurde); ON 55, ON 56, ON 101 (Rechtshilfeersuchen), ON 108, ON 128, ON 130;

Verteidiger Mag. Rebasso beantragt Verlesung der ON 142 (Einvernahme Dris. Leeb).

Der StA spricht sich dagegen aus.

Dem Antrag wird nicht stattgegeben.

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Weiters verlesen wird

ON 145 (Schreiben Dris. Hamer an den U-Richter, mit welchem er diesen als befangen ablehnt; weiters sind Äußerungen gegenüber dem Psychiater enthalten).

Der ER: Sie haben sich gegen die Anwesenheit des Psychiaters bei der Verhandlung ausgesprochen. Geht das von Dr. Hamer aus oder war das Ihre autonome Entscheidung?

Erstbeschuldigter: Ich habe die Grundschule, Gymnasium und HTL-Elektrotechnik und Maschinenbau in Wr. Neustadt absolviert. Meine ersten Jahre in Wr. Neustadt waren 1976. Um 1980 gab es ein recht eigenartiges Gerücht betreffend Dr. Prosenz. Es hat dann noch mehrere Gerüchte gegeben. So gesehen war er mir bekannt. Zu unserem nunmehrigen Verhalten gegenüber dem Sachverständigen möchte ich ausführen, daß er eben Schulmediziner ist.

Der ER: War das Ihre Entscheidung oder Anraten von Dr. Hamer?

Erstbeschuldigter: Es gibt in der Umgebung einen älteren Arzt, der vor 40 Jahren gesunde Ernährung, Sport zu betreiben und mehr auf Pharma zu verzichten, propagiert hat. Diesen Arzt hat man damals zwangspsychiatriert.

Verteidiger Mag. Rebasso: In welche Richtung gingen diese Gerüchte um Dr. Prosenz?

Erstbeschuldigter: Das ging in die Richtung, daß er angeblich nackt auf einem Baum sitzend die Reaktionen der Passanten beobachtet hat. So gesehen war er mir bekannt.

Weiters verlesen wird

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ON 146, ON 150 (Einvernahmeprotokoll Hamer, insb. S.9), ON 153, ON 158 (Arztbericht vom 27.3.1996 des Allgemeinen Krankenhauses Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde AS 199 f.).

Zu den in der letzten Hauptverhandlung vorgelegten Zeitungsartikeln:

Verteidiger Mag. Rebasso: Inwieweit haben diese Artikel zu Ihrer Entscheidungsfindung beigetragen?

Erstbeschuldigter gibt an: Die Studie von DDr. Abel ist mir sehr bald, Anfang August 1995 in die Hände gefallen. Er ist meines Wissens Statistiker und hat in einer Langzeitstudie nachgewiesen, daß weit mehr als 90% der orthodox therapierten Patienten in der Therapie versterben bzw. an Neben- und Langzeitwirkungen sterben. Er kommt direkt aus dem Herzen der Krebsforschung, aus Heidelberg. Ich glaube, man kann diese Veröffentlichung nicht einfach von der Hand weisen. Was will man mehr als diese Aussage dieses Arztes, um aufzuzeigen, daß, was so viele Mediziner bereits erkannt haben, die orthodoxe Krebstherapie in einer Sackgasse steckt. Er bringt das wissenschaftlich fundiert deutlich hervor.

Verteidiger Mag. Rebasso: Welche dieser Publikationen sind Ihnen vor oder während der Zeit in Spanien bekannt gewesen?

Erstbeschuldigter: Der Spiegel-Artikel „Ein gnadenloses Zuviel an Therapie“ ist mir ebenfalls Anfang August 1995 zugestellt worden. Der Artikel aus „Transparent“ ist dahingehend interessant, daß eine amerikanische Studie ergibt, daß lediglich 2% der orthodox therapierten Patienten überhaupt überleben.

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Im Prinzip sind uns von Anfang an diese Unterlagen zugeschickt worden.

Der StA: War Ihnen klar, daß Sie nur allgemein reden? Es geht hier ja um einen Wilmstumor. Es gibt unzählige Krebsarten.

Erstbeschuldigter: Das ist Ihre Meinung, daß es nur um den Wilmstumor gegangen ist. Ich bin anderer Meinung. Der Sachverständige kann nicht zwischen Leberkrebs und Wilmstumor bei gleichzeitigem Auftreten unterscheiden. Wie wir gehört haben, haben drei Ärzte Leberkrebs bei Olivia vermutet. Es gibt einen Befund der Universitätsklinik Barcelona, worin ebenfalls steht, daß bei Olivia Leberkrebs vorhanden war und daß Kopfmetastasen vorhanden waren. Das einfach so vom Tisch zu wischen und zu sagen, das sei inkompetent, wie mir das Richter Masicek gesagt hat, finde ich grob fahrlässig. Es geht um das Leben meines Kindes. Man muß auch verstehen, daß die Ärzte doch ein Interesse daran gehabt haben, es bei diesem Wilmstumor zu belassen und alles andere nicht anzuerkennen.

Der StA: Wie lange wollten Sie noch in Spanien warten?

Erstbeschuldigter: Neun Monate, bis das induriert ist. Der Sachverständige sagt selbst in seiner Aussage, bei bestimmten Wilmstumoren braucht man keine Chemotherapie; er sagt auch, bei reifen Zysten, also bei reifen Tumoren. Reif sind diese Zysten – und das hat Dr. Hamer erkannt und der Chirurg in Madrid hat es bestätigt – nach neun Monaten. Dann sind sie fertig induriert, dann ist diese Zyste ein fixes Gewebe; er sagt, da ist keine Chemotherapie indiziert. Es ist ja klar, ein fixes Gewebe kann man mit Chemotherapie nicht behandeln.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Sie haben mir gesagt, es gibt ein Schreiben vom Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz, welches Sie ganz am Anfang bekommen hätten und welches damals auch schon mit Mag. Masicek besprochen wurde. Darin steht, daß alle Zytostatika im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Erinnern Sie sich daran?

Erstbeschuldigter: Richtig. Es widerspricht der Logik, Krebs mit krebserregenden Mitteln behandeln zu wollen. Das ist doch absurd.

Verteidiger Mag. Rebasso: Es liegt ein Artikel aus „Raum und Zeit“ vor. Es geht in erster Linie um Leukämie, allerdings auch um allgemeine Aussagen im Zusammenhang mit Chemotherapie. Können Sie sich daran erinnern?

Erstbeschuldigter: Dieser Artikel betrifft den Artikel Katharina Scharpf.

Verteidiger legt vor Publikation aus der Zeitschrift „Raum und Zeit“, betitelt „Der Leukämie-Skandal“, welche verlesen und zum Akt genommen wird.

Erstbeschuldigter dazu: Das ist eine in Zwei-Monats-Abständen erscheinende Zeitschrift, die von einem deutschen Verlag herausgegeben wird. Das ist eine einschlägige Zeitschrift. In dieser Zeitschrift sind wissenschaftliche Beiträge. Hans-Jürgen Ehlers ist der Herausgeber dieser Zeitschrift. Es werden Diskurse veröffentlicht zwischen Naturheilverfahren und der offiziellen Schulmedizin; es sind teilweise auch rechtliche Abhandlungen darin veröffentlicht. Die Zeitschrift ist relativ bekannt; sie ist auch in Österreich erhältlich.

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Verteidiger Mag. Rebasso: Wie hat so ein Beitrag in der damaligen Situation auf Sie gewirkt? Wann haben Sie das erstmals gelesen? Hat Sie das an Ihren eigenen Fall gemahnt?

Erstbeschuldigter: Im Zeitraum von Kärnten sind wir über diese Zeitschrift auf den Fall Katharina Scharpf aufmerksam gemacht worden, daß sehr viele Parallelitäten und Ähnlichkeiten vorliegen. Dieses Kind ist auch an Herzversagen gestorben. Ich möchte nur in Erinnerung rufen, daß die letzte Herzuntersuchung, die nirgends in den ärztlichen Befunden erwähnt wird, auf derzeit 35% Herzleistung bei Olivia lautet. In den Befunden steht nie irgend etwas über die Herzleistung. Es gibt ein spezielles Chemomittel, das genau diese Herzschwäche verursacht.

Der ER: Woher wissen Sie das, wenn es nicht in den Befunden steht?

Erstbeschuldigter: Wir waren ja bei den Herzuntersuchungen dabei. Die Ärzte haben uns das gesagt, nur veröffentlicht wird dieser Umstand nicht.

Zum Zeitungsartikel in „Transparent“, „Chemotherapie im Abseits“, Heft 1/91: Das ist ein Artikel, der mir erst kürzlich, also vor ca. einem halben Jahr zugesandt worden ist.

Zu „Das Ziel muß sein, Krebs ohne Operation, Chemotherapie und Bestrahlung zu heilen“: Dieser Artikel ist mir im August vorigen Jahres zugestellt worden.

Zu „Ein gnadenloses Zuviel an Chemotherapie“, Spiegel: Anfang August 1995.

Zu „Noch immer mehr Fragen als Antworten“, Deutsches Ärzteblatt, herausgegeben 8.2.1996: Das ist mir

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unmittelbar, nachdem es veröffentlicht worden ist, zugekommen.

Zum Artikel in der Frankfurter Allgemeinen vom 4.7.1995: Das war auch Anfang August 1995.

Zu „Chemo“ von Dr. Kondo: Das ist von einem gewissen Horst von Hasselbach. Er hat bereits mehrere Bücher und Schriften herausgegeben. Er hat von diesem chinesischen Onkologen erfahren.

Der ER: Welche Kompetenz hat er für eine solche Veröffentlichung?

Erstbeschuldigter: Seine Kompetenz kenne ich nicht. Meine Frau sagt mir gerade, er ist Arzt.

Zu „Krebs-Wunderheilung“, Zeitschrift für aktives Bewußtsein, Juli 1996: Dazu liegt auch ein Video vor. Das Kind hatte einen dicken Bauch, das ist dann praktisch von allein zurückgegangen.

Das Schreiben Dris. Rius, Spanien, in deutscher Übersetzung wird verlesen.

Aus dem Pflegschaftsakt verlesen werden die Zusammenfassung der vorläufigen Ergebnisse der Therapiestudie SIOP, der Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 23.6.1995, das Tagsatzungsprotokoll an Ort und Stelle in Tulln vom 28.7.1995 (AS 239), der Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 27.3.1996, die Rückscheine AS 87 (die Zustellung an Helmut Pilhar vom 28.6.1995 sowie an Erika Pilhar vom gleichen Datum wurden von Frau Maria Schilcher, der Mutter von Erika Pilhar übernommen).

Verhandlungspause von 16.15 Uhr bis 16.35 Uhr

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Weiters verlesen werden zwei weitere, bereits in der letzten Hv vorgelegte Artikel aus der Zeitschrift KURIER („Warum gehen Patienten zum Wunderheiler?“) und Kleine Zeitung.

Schluß des Beweisverfahrens

Der StA modifiziert den Strafantrag bezüglich des Tatzeitraumes wie folgt:

zu I. von 23.06.1995 bis 29.07.1995

zu II. von Mitte Mai 1995 bis 29.07.1995.

Der StA beantragt Schuldspruch im Sinne des modifizierten Strafantrages und Verhängung einer strengen, aber bedingten Strafe.

Verteidiger Mag. Rebasso beantragt Freispruch.

Verteidiger Dr. Schefer beantragt Freispruch.

Beide Beschuldigte schließen sich den Ausführungen ihrer Verteidiger an.

Schluß der Verhandlung

Sohin verkündet der ER das

Urteil

(Schuldspruch im Sinne des modifizierten Strafantrages:

zu I. das Vergehen der Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten nach § 195 Abs. 1 und Abs. 2 StGB;

zu II. das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1, Abs. 4, 1. Fall StGB;

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Strafe: unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach dem § 195 Abs. 2 StGB beide Beschuldigte zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von je 8 (acht) Monaten; gemäß § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens; gemäß § 43 Abs. 1 StGB wird der Vollzug der verhängten Strafen unter Bestimmung einer Probezeit von je drei Jahren bedingt nachgesehen;

samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und erteilt Rechtsmittelbelehrung.

Erstbeschuldigter: Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe

Zweitbeschuldigte: Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe

StA: keine Erklärung

Ende: 17.40 Uhr

Der Einzelrichter: Die Schriftführerin:

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