Dramatisches Gespräch Bundespräsident und Erika Pilhar / Konsul übernimmt Obsorge

In einem fast halbstündigen Telefonat von Bregenz aus, wo er die Festspiele eröffnete, überredete Bundespräsident Klestil die Mutter der krebskranken Olivia in Spanien, das Kind umgehend in einer Klinik behandeln zu lassen. Die Frau hatte brieflich einen „Hilferuf“ an Klestil gesandt. Die Ärztin Marina Marcovich flog mit der Ärzteambulanz zu den Eltern und überzeugte sie, daß das „sehr kranke“ Mädchen ins Spital muß. Das Sorgerecht für Olivia übernahm Österreichs Konsul in Malaga.

Olivia kommt in Uni-Klinik Malaga

Bundespräsident Klestil telefonierte mit Mutter und erreichte Kompromiß / Vater bat Spanien um „politisches Asyl“ / Marcovich bleibt bei Mädchen

In einem fast halbstündigen Telefonat versuchte Donnerstag abend Bundespräsident Thomas Klestil, die Mutter der sechsjährigen Olivia Pilhar zu überreden, das krebskranke Kind so schnell wie möglich in einer Klinik ihrer Wahl behandeln zu lassen. Erika Pilhar sagte daraufhin zu, das Mädchen in die Uni-Klinik Malaga zu bringen.

Dr. Klestil hatte am selben Tag einen verzweifelten Brief der Mutter aus Spanien erhalten. Das Schreiben war an die Präsidentschaftskanzlei in Wien gelangt. Klestil war jedoch zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele in Vorarlberg. Sein Büro übermittelte ihm den handgeschriebenen Brief Erika Pilhars.

Konsul übernahm Obsorge des Kindes

Darin beklagte die Frau „die Interpol-Fahndung gegen mich und meinen Gatten wegen Entführung meines eigenen Kindes Olivia„. Ihre einzige „Schuld“ bestehe darin, „daß ich nach redlichstem Wissen und Gewissen das Beste für meine Tochter will“.

Olivia habe einen oder sogar fünf Tumore. „Wie sehr sich alle Mediziner widersprechen, ersehen Sie aus den beigefügten Gutachten der Universitäten“, schrieb die Mutter. Dann flehte sie Klestil an zu helfen.

Der Bundespräsident ließ von Bregenz aus den Aufenthaltsort der Familie ermitteln. Im Jugendgericht von Malaga wurde sein Büro fündig. Dort hatten sich neben der Kindesmutter die Wiener (alternative) Kinderärztin Dr. Marina Marcovich und der österreichische Konsul in Malaga versammelt. Dem Konsul war als Vertreter Österreichs vom Jugendamt der zuständigen BH Wiener Neustadt die Obsorge für Olivia übertragen worden.

Rund 25 Minuten telefonierte Klestil mit Erika Pilhar und hörte sich deren Ängste und Sorgen um ihr Kind an. Klestil betonte, er könne und wolle auch nicht eine „Rechtsbeugung“ vornehmen. Das Wichtigste sei eine rasche medizinische Behandlung Olivias in einer anerkannten Klinik. Wenn die Eltern sich weigerten, nach Österreich zurückzukommen, so sollten sie ihr Kind wenigstens in eine andere Klinik ihrer Wahl bringen.

Nach Zureden auch von Ärztin Dr. Marina Marcovich stimmte Erika Pilhar dann zu, die Sechsjährige in der Universitätsklinik Malaga behandeln zu lassen. Dr. Marcovich meinte, eine fachärztliche Behandlung in Malaga sei gewährleistet: „Das war der einzig gangbare Weg. Olivia ist in keinem bedrohlichen Zustand, aber sehr krank.“ Die Neonatologin, die am Donnerstag mit einem Jet der Ärzteflugambulanz in Begleitung von Dr. Volker Witt vom St.-Anna-Kinderspital nach Spanien gedüst war, will in Malaga bleiben und „aufpassen, daß Olivia nichts passiert“.

Das Kind geht auch schwimmen

Wie Erika Pilhar dem Bundespräsidenten mitteilte, gehe es Olivia „einigermaßen gut, sie ißt, schläft und geht spazieren“.

Auch Kindesvater Helmut Pilhar meldete sich zu Wort. „Wir haben nichts anderes getan, als daß wir aufgrund der wissenschaftlichen Neuen Medizin die Hypothesen der Schulmedizin angezweifelt haben. Heute hat uns die Universitätsklinik Malaga recht gegeben, nachdem uns bereits die Uni-Klinik Barcelona recht gegeben hatte. Laut Schulmedizin hätte Olivia schon seit drei Wochen gestorben sein müssen.“

Jetzt habe sie kaum noch Schmerzen. „Wir möchten, daß sie erst wieder an Gewicht zunimmt, bevor wir an eine Operation herangehen wollen.“

Beide Elternteile verteidigen vehement die „Therapie“ ihres umstrittenen Vertrauten Ryke Geerd Hamer. Der Ex-Mediziner ist auch in Malaga. „Das Kind geht sogar ein wenig schwimmen“, meldete er.

Am Donnerstag kam es zwischen Hamer und einem Kamerateam beim Hotel „Las Vegas“, wo die Eltern wohnen, zu einem Handgemenge.

Petition ans Justizministerium

Der Vater des Kindes, Helmut Pilhar, hat an die spanischen Behörden allen Ernstes einen Antrag um Asyl „als politisch Verfolgter“ gestellt. Er begründet seine Bitte mit der Interpol-Fahndung und mit der Entziehung des Sorgerechts für Olivia.

Übrigens: eine Fahndung per Haftbefehl hat es nie gegeben. Die Interpol wollte nur den Aufenthalt von Eltern und Kind ermitteln lassen.

Noch vor dem Telefonat Klestils mit der Mutter hatte es im Justizministerium einen weiteren Versuch einer einvernehmlichen Lösung zum Wohle des Kindes gegeben. Vertraute der Familie Pilhar mit ihrem Sprecher Karl Nowak führten Gespräche mit Dr. Litzka. Tenor: Zusammenarbeit von Schulmedizin und anderen Behandlungsmethoden im Fall von Olivia. Und sie überreichten eine Petition: Es sei Zeit, die „Hetzjagd“ zu beenden. Olivia werde fachgerecht in einer Klinik in Spanien betreut.

Der von der Staatsanwaltschaft für Freitag angedrohte Haftbefehl gegen die Eltern für den Fall, daß sie nicht mit dem Kind nach Österreich zurückkehrten, wird aller Voraussicht nach nicht erlassen.

Martina Prewein (Malaga),
Susanne Mauthner-Weber

Anzeigeflut gegen Hamer: Gesetze doch ausreichend?

Die steirische Ärztekammer geht endlich in die Offensive. Ryke Geerd Hamer, immerhin schon seit einem Jahrzehnt in der Steiermark ansässig, wurde Donnerstag bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt angezeigt. Eine Delikte-Flut wird von der Standesvertretung ins Spiel gebracht. Als Beweismaterial wurden dem Staatsanwalt Berichte der Grazer Onkologischen Klinik und der Gerichtsmedizin beigelegt. Um insgesamt zehn Fälle geht es, wonach Patienten eine klinische Behandlung vorzeitig abgebrochen haben – in einigen Fällen mit tödlichem Ausgang:

Erst jetzt – unter der alarmierenden Entwicklung des erschütternden Schicksal der sechsjährigen Olivia – raffen sich Justiz, Ärztekammer, Klinik und Gerichtsmedizin gemeinsam auf, die vorherrschende Kritik gegen den Krebsarzt zu kanalisieren. Anscheinend reicht die Gesetzeslage doch aus.

Die aktuelle Anzeigenflut beinhaltet Verdacht der Körperverletzung, der fahrlässigen Tötung, Gemeingefährdung und Beihilfe oder Bestimmung zum Quälen eines Unmündigen.

In der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt neigt man dazu, es auch als Körperverletzung zu qualifizieren, wenn einem Patienten eine mögliche Lebensverlängerung versagt geblieben ist. Eine gewagte Interpretation, der sich die heimische Grazer Staatsanwaltschaft bisher verschlossen hat. Das Verursachen unnötiger Schmerzen, etwa durch die Anregung, eine schulmedizinische Behandlung abzubrechen, wäre demnach auch strafbar. Da die Ärztekammer zehn Fälle dokumentieren kann, wird der Verdacht der Gemeingefährdung erhärtet, während das Quälen eines Unmündigen sich auf das Leiden von Olivia bezieht.

Die Frage der Beweisbarkeit wird schon in den Vorerhebungen eine knifflige werden, doch vorerst ist die bisher eher lahme Maschinerie endlich in Gang gebracht.

Ulli Jantschner

Auch Vranitzky bot Hilfe an

Das Schicksal der krebskranken Olivia bewegt nicht nur das Staatsoberhaupt, auch den Regierungschef. Bundeskanzler Vranitzky appellierte in Bregenz – noch bevor Klestil mit der Mutter in Malaga telefonierte – an die Eltern, so rasch wie möglich heimzukehren, um das Kind behandeln zu lassen. Der Kanzler bot den Eltern „jede erdenkliche finanzielle und technische Hilfe“ an, damit Olivia gerettet werden könne. Vranitzky weigerte sich aber, auf Bedingungen des Vaters einzugehen. Die Justizbehörden seien „ohnehin bis zum äußersten gegangen“.

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