Gefährliche Wunderheiler

Sie verteufeln die Schulmedizin, verleugnen Krankheiten, sind in Haft oder auf der Flucht

Trotzdem folgen immer noch viele Patienten den meist tödlichen Genesungs-Versprechen

Die Reportage von Doris Vettermann

Muriel weint viel. Schwerkrank und mit starken Schmerzen lag das kleine Mädchen in der Grazer Kinderklinik. Diagnose: HIV-positiv. Doch die Eltern verneinten das Leiden der Kleinen. „AIDS gibt es nicht, das ist nur eine allergische Reaktion“, erklärten sie und lehnten jegliche Behandlung ihrer Tochter ab.

„Zum Glück hat die Jugendwohlfahrt vorbildhaft gehandelt“, so Prof. Wilhelm Müller, Vorstand der Kinderklinik. Den Eltern wurde die Obsorge über die medizinische Betreuung entzogen, Muriel konnte erfolgreich behandelt werden. Mittlerweile geht es dem ein Jahr alten Kind gut, es ist nun bei einer Pflegefamilie untergebracht.

Die HIV-infizierten Eltern des Mädchens berufen sich auf die abstrusen Thesen des selbsternannten Wunderheilers Ryke Geerd Hamer. Dem Mediziner wurde schon vor langer Zeit die Approbation entzogen, er saß bereits im Gefängnis, in Österreich und Deutschland besteht ein Haftbefehl gegen den 74-Jährigen. Dutzende Todesfälle sollen auf sein Konto gehen.

Denn Hamer lehnt die Schulmedizin kategorisch ab. Verkürzt lautet seine absurde und lebensgefährliche Krebstheorie, die auf angeblichen Naturgesetzen beruht: Krebs entsteht nach einem Schockerlebnis – wird der Konflikt gelöst, heilt die Krankheit auf natürlicher Weise.

Flucht vor OP: Tumor wog mehrere Kilo

Einer der vehementesten Verfechter von Hamers „Lehre“ ist Helmut Pilhar. Und das, obwohl seine Tochter Olivia dadurch beinahe gestorben wäre. 1995 wurde bei dem Mädchen ein Tumor festgestellt, die Eltern jedoch glaubten Hamer und verweigerten eine Behandlung. Ihnen wurde das Sorgerecht entzogen, doch sie flohen mit der Sechsjährigen nach Spanien. Erst nach langen Verhandlungen konnten sie zur Rückkehr bewogen werden. Als Olivia schließlich operiert wurde, wog der Tumor bereits mehrere Kilo.

Ein weiterer „Wunderheiler“, der gegen die Schulmedizin wettert, ist der Deutsche Matthias Rath. Er will der Menschheit weismachen, dass mit Vitaminpräparaten – er betreibt einen Versandhandel, der Millionenumsätze erwirtschaftet – Krebs und AIDS geheilt werden können. Tragischer Höhepunkt des skrupellosen Spiels: Die Eltern eines an Knochenkrebs erkrankten Neunjährigen hatten sich für die Vitaminbehandlung entschieden. Im großen Stil feierte Rath die Genesung des Buben. Tatsächlich jedoch wucherte der Tumor immer weiter. Dominik starb nach wenigen Monaten.

„Schlechtes Karma ist schuld an Krebs“

Laut Österreichischer Krebshilfe tauchen zehn bis 20 Namen von „Wunderheilern“ immer wieder auf. Auch Roman Schweidlenka, steirischer Sektenbeauftragter, bemerkt eine verstärkte Nachfrage nach den gefährlichen Genesungs-Versprechen: „Oft werden den Patienten Schuldgefühle eingeredet. Etwa: Ihr schlechtes Karma sei schuld am Krebs.“

R. Schweidlenka, Sektenbeauftragter: „In verzweifelten Situationen gehen die Menschen zu Scharlatanen. Diese treiben ein böses Geschäft mit den Ängsten und Sehnsüchten der Leute.“

Interview mit Doris Kiefhaber, Krebshilfe

„Kann Geld und Leben kosten“

Frau Kiefhaber, warum wenden sich Krebs-Patienten an so genannte Wunderheiler?

Viele Patienten fühlen sich nicht gut betreut, sie haben das Gefühl, daß der Arzt zu wenig auf ihre Fragen eingeht. Dann beginnen die Leute im Internet zu suchen und stoßen auf die Wunderheiler.

Was ist so gefährlich an anderen Theorien?

Sie lehnen die Schulmedizin strikt ab, warnen sogar vor ihr und lassen nur ihre eigenen Ansätze gelten. Viele dieser angeblichen Heiler sind auf der Flucht oder wechseln ständig den Standort. Ihnen zu glauben ist höchst gefährlich. Das kann nicht nur viel Geld, sondern auch das Leben kosten.

Wurden die Wunderheiler jemals überprüft?

Ja, einige. Da ist man dann etwa draufgekommen, daß – entgegen aller Beteuerungen – entweder doch Schulmedizin zur Anwendung gekommen ist, oder der Patient gar nie krank war. Oder die angeblich Geheilten sind gestorben.

Raten Sie den Patienten auch zu alternativen Therapien und Behandlungen?

Das kann durchaus eine positive Wirkung haben, jedoch nie ein Ersatz für eine Standardtherapie sein. Die Komplementärmedizin stellt eine Ergänzung dar. Wir versuchen den Patienten die Angst zu nehmen und sie bestmöglich aufzuklären.

Anmerkung von H. Pilhar

Zum Bericht über Olivia könnte man viel sagen bzw. müßte man viel richtig stellen. Immer wieder kommt die alte Leier, wir Eltern wären gegen eine Operation gewesen und Olivias Tumor war „fußballgroß“.

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