Das Cyclophosphamid – Standard der Chemotherapie / General Motors-Krebspreis für Norbert Brock

Krebs konnte lange Ziet nur lokal behandelt werden – durch einen chirurgischen Eingriff oder durch Bestrahlung. Sich über den ganzen Körper verteilende Tochtergeschwülste oder Leukämien ließen sich auf diese Weise nicht angehen. Es fehlte nicht an Versuchen, Krebs mit chemischen Mitteln zu bekämpfen, doch die Tumoren widersetzten sich allen Bemühungen. So beruhten die Anfänge der modernen Krebschemotherapie vor gut 50 Jahren auch nicht auf theoretischen Konzepten, sondern auf den tragischen Folgen der im Ersten Weltkrieg verwendeten Lost-Giftgase. Bei den Opfern der Senfgasangriffe stellte man fest, daß auch die weißen Blutkörperchen zerstört wurden. Es lag daher nahe, solche Substanzen für die Bekämpfung von Leukämien zu nutzen, die auf einer Vermehrung dieser Zellen beruhen.

In den Vereinigten Staaten wurde 1942 ein an Lymphdrüsenkrebs leidender Patient mit Stickstofflost behandelt. Die Geschwulst ging zwar vorübergehend zurück, ein nachhaltiger Erfolg blieb allerdings aus. Den ersten bemerkenswerten Erfolg bei der Bekämpfung von Leukämie erzielte 1948 Sydney Farber in Boston mit dem Aminopterin, einem engen Verwandten des später intensiv genutzten Methotrexats. Dieser Wirkstoff gehört, wie die meisten rund 50 heute in der Krebschemotherapie verwendeten Mitteln, nicht zu den Abkömmlingen der Giftgase.

Aus dem für die Therapie viel zu giftigen Lost ist – trotz anfänglicher Schwierigkeit – doch noch eines der erfolgreichsten Krebsmittel hervorgegangen, das Cyclophosphamid. Es ist Ende der füfnziger Jahre bei den Asta-Werken in Bielefeld entwickelt worden. Bekannt wurde es vor allem unter dem Handelsnamen Endoxan. Das Unternehmen gehört heute zu Degussa, die ihre Pharmaaktivitäten in der Asta Medica zusammengefaßt hat. Für seine Verdienste um die Entwicklung des Cyclophosphamids ist der frühere Leiter der pharmakologischen Abteilung der Asta-Werke, Norbert Brock, Ende Juni mit einem der drei Preise geehrt worden, die General-Motors-Krebsstiftung jährlich vergibt. Diese Auszeichnungen, die als Nobelpreis für Krebsforschung gelten, wurden bislang nur zwei Deutschen, dem Virologen Harald zur Hausen und der Entwicklungsbiologin Christiane Nüßlein-Volhard, verliehen. Bei der Übergabe des Preises wies der Vorsitzende der Jury, Joseph. G. Fortner, darauf hin, daß das Endoxan wegen seiner guten Wirksamkeit bei einer Vielzahl von Tumoren noch heute in großem Umfang verwendet werde. Die Weltgesundheitsorganisation habe die Substanz zum Standard erklärt, an dem sich alle Neu- und Weiterentwicklungen messen müßten.

Die Entwicklung des Cyclophosphamids beruht auf der Überlegung, Tumorzellen gezielt anzugreifen und gleichzeitig das Lost zu entschärfen. Die meisten Mittel attackieren nicht nur den Krebsherd, sondern auch gesund Zellverbände. Um die damit verbundenen schweren Nebenwirkungen zu verringern, versuchte man, die Wirkung der Chemotherapeutika auf die Krebszellen zu konzentrieren. Doch zwischen normalem Gewebe und Krebszelle bestehen – anders als bei der Bekämpfung von Infektionserregern – biochemisch kaum Unterschiede. Zunächst wurde versucht, Verbindungen, die im Stoffwechsel eine besondere Rolle spielen – etwa Aminosäuren -, an die Wirkstoffe zu binden und diese so bevorzugt an biologisch wichtige Strukturen heranzubringen.

Der Berliner Pharmakologe Wolfgang Heubner und sein Mitarbeiter Hermann Druckrey verfolgten einen anderen Weg.

Sie wollten den Organismus vor den schädlichen Folgen der Krebsmittel durch die Verwendung einer harmlosen Transportform schützen. Diese Waffe sollte möglichst erst im Tumor geschärft, also in die eigentlich Wirkform umgewandelt werden. Dieses Konzept hatte Druckrey erfolgreich beim Diäthylstilböstrol angewandt, einem synthetischen Hormon zur Bekämpfung von Prostatatumoren. Er maskierte das Mittel mit Phosphatgruppen, die im Prostatagewebe enzymatisch abgespalten wurden. Brock, der bei Heubner und Druckrey Pharmakologie gelernt hatte, versuchte dieses Konzeot bei den Asta-Werken auf Stickstofflost-Verbindungen zu übertragen.

Gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Chemiker H. Arnold konzentrierte sich Brock auf Phosphorsäureverbindungen, wollte man doch ein wirkungsvolleres Präparat gegen Prostatatumoren entwicklen. Es stellte sich heraus, daß die in Bielefeld synthetisierten zyklischen Phosphamid-Verbindungen ungiftig sind, im Organismus daraus aber ein sehr aktiver Stoff entsteht. Unter mehreren hundert Verbindungen wurde dann nach eingehenden Tierversuchen die aussichtsreichste Substanz für die Erprobung am Menschen ermittelt. Sie erhielt die Bezeichnung Cyclophosphamid. Die klinische Prüfung dauerte nur wenige Monate, 1958 kam das Mittel auf den Markt. Es setzte sich schnell weltweit durch.

Die Aktivierung des Cyclophosphamids verläuft freilich weitaus komplizierter als angenommen. Sie erfolgt auch keineswegs nur in der Prostata. Das zu den Alkylantien gehörende Mittel entfaltet seine Wirkung letztlich durch die Abspaltung reaktiver Gruppen, die die Erbsubstanz und die zu deren Synthese erforderlichen Enzyme schädigen. Bei der Übergabe des Preises bezeichnete es Brock als erstaunlich, in welch hohem Maße das ursprüngliche Konzept, die Steigerung der Selektivität, verwirklicht werden konnte, obwohl sich die ursprünglich Arbeitshypothese als zu einfach erwies.

Mit dem Ifosfamid haben die Asta-Werke in den siebziger Jahren ein weiteres Chemotherapeutikum auf den Markt bebracht, das in mancher Hinsicht dem Cyclophosphamid überlegen ist. Es verhält sich im Organismus trotz naher struktureller Verwandtschaft anders als das Endoxan. Durch Stoßtherapie, also einmalige Anwendung großer Mengen oder durch die Infusion über mehrere Tage, konnten die Behandlungsergebnisse bei verminderter Toxizität verbessert werden. Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Chemotherapie leistete Brock mit der Entgiftung des Abbauprodukte des Cyclophosphamids und des Ifosfamids. Diese führten in der Blase nicht selten zu schweren Schäden. Mit dem Mercaptoäthansulfonat, das die Bezeichnung Mesna erhielt, fand Brock eine ideale ungiftige Substanz zur Entschärfung der lästigen Abbauprodukte.

Blickt man auf die 50 Jahre Krebschemotherapie zurück, so fällt auf, daß sich Phasen der Euphorie und des Pessimismus abwechselten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß große Fortschritte erzielt wurden, die Situation ab vor allem bei den Geschwülsten innerer Organe und des Bindegewebes nach wie vor unbefriedigend ist. Nur sechs Prozent aller Krebsleiden lassen sich mit chemischen Mitteln heilen, die Hormonpräparate eingeschlossen.

Die größten Erfolge wurde bei Leukämien und Lymphomen sowie bei einigen Tumoren im Kindesalter erzielt. Wichtige Beiträge zur Optimierung der Chemotherapie sind dem amerikanischen National Cancer Institute zu verdanken. Dort wurden klare Richtlinien und statistische Methoden für die klinische Prüfung ausgearbeitet, die eine zuverlässig Beurteilung der Präparate ermöglichte. Mit der Zeit lernte man immer besser mit den Mitteln umzugehen. In den sechziger Jahren setzte sich die Kombinationsbehandlung – die Polychemotherapie – durch. Mit der gleichzeitigen oder unmittelbar aufeinanderfolgenden Gabe mehrerer Mittel wollte man die Ausbreitung resistenter Zellen eindämmen. Außerdem sollte der Krebsherd so verkleinert werden, dass die Immunabwehr damit fertig wird.

Bei den Leukämien ging man schließlich dazu über, nach erfolgreicher Therapie im sogenannten krankheitsfreien Intervall, also noch vor einem Rückfall, weiter zu behandeln. Bei Geschwülsten, die zunächst der Chirurgie bedurften, setzte sich bei manchen Leiden die adjuvante Chemotherapie durch. Sie erfolgt unmittelbar nach dem Eingriff. Fortgeschrittene Tumoren, die eigentlich nicht mehr chirurgisch anzugehen waren, ließen sich mit Zytostatika oft so verkleinern, daß anschließend eine Operation möglich wurde. Neuerdings wird versucht, die Dosis der Medikamente weiter zu erhöhen und die Schäden durch die gleichzeitige Gabe von Wachstumsfaktoren für die Blutzellen oder gar eine Knochenmarkstransplantation zu begrenzen. Auch die Anwendung zellulärer Botenstoffe, der Interferone und Interleukänie, verlief insgesamt enttäuschend. Wie Brock in Washington sagte, dürfte die Polychemotherapie vorläufig nicht zu ersetzen sein.

Rainer Flöhl


Anmerkung von HPilhar

Die Chemo wirkt stark sympathicoton, also gegen eine vagotone Heilungsphase. Man könnte also auch einen Mückenstich mit Chemo „erfolgreich“ zum Abschwellen bringen.

Wo hat die Chemo „unbestreitbaren Erfolg“?

Das ist bei:

  • Leukämie
  • Lymphknotenkrebs
  • Hodenkrebs

Alle drei „Erfolge“ sind Heilungsphasen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.