An den
Herrn Präsidenten des
Obersten Sanitätsrates
Univ. Prof. Dr. H. Brauensteiner
Vorstand der Univ. Klinik für
Innere Medizin
Anichstraße 35
A-6020 Innsbruck
Wien, 9.8.1993
Betrifft: GZ 22150/3-II/B/11/91 OSR-Zahl 17/93
Referat zu den Theorien der Krebsbehandlung von Dr. R. G. Hamer
Die von Dr. Ryke Geerd Hamer vertretenen Theorien der Krebsentstehung und Behandlung finden in mehrfacher Hinsicht keine Stütze in den Ergebnissen der modernen Krebsforschung und –therapie.
1.) Die Krebsentstehung kann als mehrstufiger Prozess angesehen werden. Verschiedenste Noxen führen zu Chromosomenveränderungen und anderen Störungen der genetischen Substanz der Zelle, wodurch es zu einem unkontrollierten Wachstum und Absiedelungen von Tochtergeschwülsten in verschiedenen Organen kommt.
Neben den vielen Krebs auslösenden Faktoren (chemische, physikalische und virale Cancerogene), können psychogene Einflüsse von zusätzlicher Bedeutung sein. Die These von Dr. Hamer, dass akut traumatische Konflikterlebnisse die ausschließliche Ursache von Neoplasien sind, lässt sich nach den modernen Ergebnissen der Krebsforschung jedoch nicht stützen (siehe z.B. J.C. Holland: Principles of Psycho-Oncology in Cancer Medicine, Herausgeber J.F. Holland, E. Frey III et al).
2.) Dr. Hamer vertritt weiters die Theorie, dass bei malignen Erkrankungen regelmäßig Herdbildungen im Gehirn auftreten, die im Computertomogramm nachweisbar sind. Er schreibt, dass in der Sekunde des Schockes neben dem Krebswachstum am Ort des Tumors es gleichzeitig zur Bildung eines derartigen Herdes kommt. Diese Herde sollen nach den Hamer’schen „Eisernen Regeln des Krebses“ mit dem Beginn des Krebswachstums im Bereich des Primärtumors verknüpft sein. Die drei Ebenen „Psyche, Organ und Gehirn“ stünden im direkten Bezug zueinander. Wäre nur eine Komponente von den dreien bekannt, so könne man die beiden anderen nachweisen (siehe Beilage „KREBS – die heilbare Krankheit der Seele“ von Dr. med. R. G. Hamer).
Computertomographisch fassbare Gehirnveränderungen sind bei Tumorkrankheiten selbstverständlich Ziel zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen. Daß bei Tumorerkrankungen im Frühstadium mit Gesetzmäßigkeit im CT fassbare Veränderungen auftreten, deren Lokalisation das Befallsmuster der Tumorkrankheit bestimmt, ist eine völlig unhaltbare These.
3.) Grundlagen der modernen Therapie von Tumorerkrankungen sind Operation, Radiotherapie, medikamentöse Behandlung und Therapie mit sogenannten biologischen Modulatoren (z.B. Interferon). Früherkennung und frühe Therapie kommt in Hinblick auf eine mögliche Heilung eine besondere Rolle zu. Psychotherapien können in jedem Stadium des Tumorwachstums unterstützend wertvoll sein, sie gehören jedoch zu den zusätzlichen Maßnahmen, die allein eine manifeste maligne Erkrankung nicht zur Rückbildung bringen können.
Dr. Hamer vertritt die Meinung, dass durch die Lösung des traumatisierenden Konfliktschocks (von ihm „Confliktolyse“ genannt) in einer vagotonen Heilungsphase die Hamer’schen Herde im Gehirn zusammen mit der Krebsgeschwulst am Organ abheilen können.
Diese Wunschvorstellung entspricht offensichtlich nicht der Realität des Tumorwachstums, das eigengesetzlich erfolgt.
Besonders bedenklich ist diese Aussage, da durch das Hinausschieben der definitiven Krebstherapie zumindest kostbare Zeit verloren geht, in der noch tatsächlich Heilungsmöglichkeiten gegeben sein können.
4.) Die Aussagen von Dr. Hamer, dass seine Theorien unkritisch verworfen werden, trifft nicht zu. So hat bereits die Österreichische Gesellschaft für Psychoonkologie laut Schreiben der Herr Dr. H. P. Bielek und Dr. G. Linemayr vom 5.12.1983 sich bereiterklärt, bei der Überprüfung der Hamer’schen Theorien von psychoanalytischer Seite mitzuwirken. Ebenso hat die Österreichische Krebsgesellschaft / Krebshilfe ihre Expertise angeboten (Schreiben von Prof. Holzner vom 17.11.1989). Diese und andere Angebote zur kritischen Prüfung der Behandlungserfolge wurden von Dr. Hamer jedoch nicht akzeptiert.
Schließlich liegen aus Österreich und Deutschland eine Reihe von sehr fundierten Stellungnahmen vor. Als Beispiele seien die Schreiben von Prof. H. Ludwig (Wien) und des Dekans der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf Prof. DDr. Pfitzer genannt. In diesem Lichte sollten einzelne positive Stellungnahmen von Ärzten (die zum Teil wieder zurückgezogen wurden) relativiert werden.
Zusammenfassend kann ich weder die Theorie von Dr. Hamer (siehe Punkt 1 und 2) noch sein empfohlenes Vorgehen (siehe Punkt 3) als onkologisch akzeptabel ansehen. Sie widersprechen in verschiedenster Hinsicht unseren wichtigsten Vorstellungen über die Krebsentstehung und bei dieser Erkrankung wirksamen Therapieformen. Daß die Theorien von Dr. Hamer bei Laien Erwartungen wecken ist nur zu verständlich. Leider handelt es sich aber eindeutig um Wunschvorstellungen oder möglicherweise von Beobachtungen bei nicht malignen Erkrankungen. Die Medienwirksamkeit dieser Vorstellungen lässt in keiner Weise auf Behandlungserfolge bei Tumorkrankheiten schließen. Tumorpatienten, welche sich derartigen Maßnahmen unterziehen, laufen Gefahr, wertvolle Zeit zu versäumen, in der noch definitive Behandlungschancen (einschließlich Heilung) gegeben sein können.
Univ. Prof. Dr. Heinz Huber
Vorstand der Univ. Klinik für Innere Medizin I und
Ordinarius für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Onkologie
Beilage: KREBS – die heilbare Krankheit der Seele