„Es liegt jetzt an den Eltern, wann Olivia heim darf“
Vergangene Woche wurde Olivia Pilhar vom Kinderchirurgen Ernst Horcher im Wiener AKH operiert. Im WOCHE-Interview schildert er, wie der Eingriff verlaufen ist, was Olivia nun bevorsteht und wie er den Konflikt mit Erika und Helmut Pilhar sieht. „Wenn die Eltern mitspielen würden“, meint er, „könnte Olivia eigentlich heimgehen.“
WOCHE: Wie geht es Olivia derzeit?
Horcher: Es geht ihr wirklich gut. Sie kann schon ein wenig aufstehen. Sie ißt, wenn auch schlecht.
Ist Ihnen so ein Fall, daß Eltern eine Behandlung verweigern, schon öfters untergekommen?
Ja, das ist kein Einzelfall. Erst kürzlich hatten wir ein Neugeborenes mit einem Tumor, wo die Eltern der Therapie nicht zugestimmt haben. Sie nahmen ihr Kind auf Revers nach Hause. Auch hier hätten wir die Fürsorge eingeschaltet, wenn es sich die Eltern dann nicht doch wieder anders überlegt hätten.
Sollen Eltern das Recht haben, die Therapie für ihre Kinder selbst zu bestimmen?
Wir haben hier im Haus eine Ethik-Kommission, die von Anfang an mit dem Fall Olivia befaßt wurde. Wir sind ja über den Fall nicht frisch-fröhlich darübergefahren, so wie wir dem Kind ja auch nicht nachgelaufen sind, um hier etwas zu demonstrieren. Uns wurde der Fall in letzter Sekunde quasi aufs Aug´ gedrückt.
Stimmen Sie der Aussage Professor Julius Hackethals zu, daß die Schulmedizin an einer Vertrauenskrise leidet, daß sie immer mehr zur Apparatemedizin verkommt?
Nein. Nie zuvor sind wir so auf die Patienten eingegangen. Früher hat man gesagt; Maier, Sie ham an Gallenstein. Morgen wird operiert. Heute ließe sich das keiner gefallen. Es gibt Aufklärungsgespräche noch und noch. Und durch die Apparatemedizin hat sich die Sicherheit der Diagnose vervielfacht.
Wodurch erklären Sie sich den Zuspruch, den sogenannte Wunderheiler haben?
Die Erwartungen an die moderne Medizin sind oft bis ins Irreale vergrößert. Es herrscht der Glaube, daß alles machbar sei. Daß jeder irgendwann stirbt, wird so gut wie möglich verdrängt. Und wenn jemand an diese Grenze stößt, dann ist natürlich der Raum weit offen für jemanden, der Wunder verspricht.
Welchen Zugang haben Sie persönlich zu alternativen Heilmethoden?
Viele meiner Patienten haben bösartige Erkrankungen. Und fast alle verwenden in irgendeiner Art und Weise alternative Methoden. Ich rate davon nur ab, wenn die Methoden völlig luftleer sind.
Wie die von Hamer?
Ich kenne seine Theorien nicht im Detail. Aber vorletzte Woche bekam ich einen Brief von ihm, wo er Dinge behauptet, die wissenschaftlich durch nichts fundiert sind. Wenn einer meiner Studenten solche Diagnosen stellt, fliegt er sofort durch. Er macht es sich sehr leicht. Wenn zu uns ein Krebspatient kommt, dann bereiten wir ihn auf die Chemotherapie vor, sagen ihm, daß er die Haare verlieren wird, daß er eventuell Spätschäden hat, daß er operiert werden muß und dann später vielleicht auch noch bestrahlt. Wir schenken reinen Wein ein, wenn auch bitteren. Und dann kommt einer mit der Alternative: Bei mir brauchen S´ nur nach Malaga fliegen, ich reibe Sie mit Sonnenöl ein, und Sie werden gesund. Sagen kann man sowas leicht. Ich habe es gründlich satt, daß uns Lug und Trug vorgeworfen wird.
Ist aber nicht auch das Mißtrauen verständlich gegenüber einem derartigen Geschäft, wie es die Medizin geworden ist? Es heißt, daß allein im deutschsprachigem Raum mit Krebstherapien ein jährlicher Umsatz von 700 Milliarden Schilling erzielt wird? Bei derartigen Summen kommt es leicht zu mafiosen Begleiterscheinungen, die alles bekämpfen, was dem Geschäft schadet.
Diese Summe kann ich nicht bestätigen. Aber es stimmt schon, die Chemotherapien sind teuer. Deshalb von Pharma-Mafia zu sprechen, ist absurd. Die verdienen auch an Kopfwehmitteln, und niemand verlangt deren Abschaffung. Was gebraucht wird, wird erzeugt.
Was sagen Sie zur These Hamers, daß Krebs allein durch Konflikte entsteht?
Daß Kränken krank macht, ist eine Binsenweisheit. Ein Wilms-Tumor entsteht aber sicher nicht dadurch. Ich habe hierzulande sicher die meisten Wilms-Tumore operiert und einen guten Überblick. Vor kurzem hatte ein Kind schon im Mutterleib einen solchen Tumor. Wo kam denn hier der sogenannte Hamersche Schock her?
Wie steht es mit Olivias Eltern? Mit Helmut Pilhar kam es ja noch in der Nacht vor der Operation zum Konflikt.
Ja, er rief in der Nacht an. Da war ich schon etwas irritiert. Er verfolgt noch immer eine Verzögerungstaktik, die mir schleierhaft ist. Mit der Mutter tue ich mir leichter. Sie hat zwar nie ausdrücklich zugestimmt, aber auch nicht dezidiert gesagt, daß sie gegen die Operation ist. Aufgeklärt habe ich sie vor der Operation, so wie jede andere Mutter auch.
Sind Sie dafür, daß die Eltern das Sorgerecht wieder bekommen?
Wir wollen beide Eltern integrieren. Und das Pflegerecht sollen Sie sofort zurückerhalten, wenn Olivia geheilt ist oder die Weiterbehandlung durch die Eltern gesichert ist.
Wie lange dauert die Chemotherapie noch?
Alle Phase zusammen 27 Wochen.
Kann Olivia zwischendurch nach Hause?
Ja, eigentlich schon. Es müßte nur die Sicherheit gegeben sein, daß sie für die Therapien wieder hereinkommt. Aber wenn sie wieder flüchten, sind die Erfolgsaussichten zunichte. Das können wir nicht noch einmal riskieren, also bleibt Olivia die Zeit hier.
Sie haben Olivias rechte Niere bei der Operation entfernt. Was erwartet sie nun mit einer Niere? Hält diese den Belastungen der Chemotherapie überhaupt stand?
Die linke Niere funktioniert ausgezeichnet. Sie vergrößert sich in der Folge und übernimmt auch zum Teil die Funktion der fehlenden Niere. Hier sehe ich kein Problem. Der Heilungsverlauf ist klaglos.
Der Tumor ist durch die Chemotherapie gewaltig geschrumpft. Gab es Unterschiede, ob die Operation nun im Mai oder erst jetzt, am 18. September, erfolgt ist?
Durch die Verzögerung ist sehr wohl Schaden entstanden. Es gab Metastasen an Lunge und Leber. Die Chemotherapie mußte massiver sein als im Mai.
Sehen sie den Fall Olivia auch als Chance, das Vertrauen in die Schulmedizin weitgehend zurückzugewinnen?
Wenn das Vertrauen in wissenschaftlich fundierte Methoden damit gewachsen sind, so freuen wir uns darüber.
Wie könnte Herr Pilhar wieder Vertrauen zur Schulmedizin fassen?
Er müßte versuchen, den Weg zur Realität wiederzufinden. Dazu gehört beispielsweise, daß er das Gespräch mit den behandelnden Ärzte sucht.
Waren Sie nach der Operation stolz?
Die Operation ist völlig ruhig abgelaufen. Ich war eigentlich danach relativ emotionslos, Ja, erleichtert natürlich, es ging ja um sehr viel. Ich war froh für das Kind und irgendwie glücklich.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Ernst Horcher wurde am 30. März 1944 in Ostermiething (OÖ) geboren. Er besuchte in Salzburg das Gymnasium. Medizinstudium in Wien, das er 1969 beendet. Spezialisierung auf Kinderchirurgie. 1974 tritt er seinen Dienst an der II. Chirurgischen Universitätsklinik an und habilitiert sich dort 1981. Nach Stationen im St.-Anna-Kinderspital und im Mautner-Markhof-Spital übernimmt er am 1. Juni 1994 die Leitung der Klinik für Kinderchirurgie im AKH. Ernst Horcher wohnt in Perchtoldsdorf bei Wien. Seine Hobbys: Chorgesang, Skifahren und Tennis.
Was man noch wissen sollte
Aus welchen Gründen sind Sie Arzt geworden?
Ich habe seit der 7. Klasse Gymnasium einfach gewußt, daß ich diesen Beruf ergreifen will. Ich hatte keine andere Alternative.
Das Gespräch führte Bert Ehgartner
Anmerkung von H. Pilhar
Der präpotenten Schulmedizin hätte Herr Univ. Prof. Dr. Ernst Horcher kein treffenderes Denkmal errichten können, als mit diesem Interview!
Merkwürdig ist, daß in diesem Interview einer österr. Wochenzeitschrift mit dem Chirurgen kein Wort von einer angeblichen ‚Bedrohung‘ des Vaters ihm gegenüber verloren wird, obwohl es sehr ausführlich ausfiel und auch den Anschein einer wortgetreuen Widergabe vermittelt.
Das Verhältnis zwischen der Wochenzeitschrift ‚Die ganze Woche‘, im speziellen mit dem Artikelschreiber und damaligen Chefredakteur, Bert Ehgartner, und der Familie Pilhar war gut. Diese Wochenzeitschrift und die Tageszeitung ‚täglich Alles‘ (Inhaber: Kurt Falk) waren mit Abstand die einzigen österr. Zeitungen, die halbwegs objektiv über diese Causa berichtet hatten (zumindest anfänglich). Herr Ehgartner hätte mich mit ziemlicher Sicherheit rückgerufen, um zu recherchieren, ob von mir tatsächlich eine „Bedrohung“ ausgegangen war. Es liegt deshalb für mich die Vermutung nahe, daß der Chirurg in diesem Interview keine Andeutung einer angeblichen „Bedrohung“ machte.
PS
Die Ursache für Olivias Wilms-Tumor war ein Beinaheertrinken an einem See (Flüssigkeits-Konflikt).