Ich konnte nur schlecht schlafen. Gelsen (Stechmücken) quälten mich, aber auch die Aufregung vor dem Live-Auftritt trug das ihrige bei. Als der Wecker läutete, gönnte ich mir aber doch noch eine Stunde und sprang schließlich um 9:00 Uhr aus dem Bett. Die Kinder spielten bereits in ihrem Zimmer. Ich ließ die Wanne ein, um ein Bad zu nehmen, und anschließend fuhr ich zum Friseur in eine Nachbarortschaft. Die selbe Friseurin wie zuletzt nahm sich meiner an. Und wieder zerkaute ich ihr den Fall Olivia und versuchte, ihr Bild aus den Medien zu korrigieren. Es war aber nicht erkennbar, ob sie mir glaubte oder mich weiter als Spinner ansah.
Frisch herausgeputzt fuhr ich ins AKH zu Erika und Olivia. Dort besprach ich mit Erika eine Frageliste für Prof. Horcher. Herr Ehgartner von der Zeitung „ganze woche“ hatte uns darum gebeten, da ihm Prof. Horcher ein Interview verweigert hatte.
Olivias derzeitiges Zimmer war durch eine Videokamera überwacht. Ein ständiges Gefühl, beobachtet zu werden, beherrschte mich. Ob vielleicht sogar ein Mikro versteckt war?
Doktor Langer kam ebenfalls zu Besuch. Wir waren oft im Zwiespalt darüber, ob wir ihm uneingeschränkt vertrauen konnten oder nicht. Ich hatte ihn wirklich gerne, und nichts ließ ein berechtigtes Misstrauen ihm gegenüber aufkommen. Würde er aber dem ständig wachsenden Druck standhalten können? Kann er sich uns gegenüber weiterhin loyal verhalten? Es war tragisch. Jene Menschen, denen man vertraute, konnten unser Vertrauen missbrauchen, jene denen man misstraute, meinten es vielleicht gut mit uns. Dieser ständige Zweifel war schrecklich, und mein einziger Rückhalt war meine Intuition.
Wieder unterzog ich Dr. Langer einer kleinen Prüfung. Wie, so fragte ich ihn, erkläre er sich das Vordringen des Tumors „durch“ die Leber, wobei doch zumindest das hintere Bauchfell vor dem Tumor hergeschoben worden sein musste. Die Niere samt Tumor lag ja außerhalb des Bauchfells. Das Bauchfell selbst umschloss die Leber samt Gedärme. Die früheren CTs zeigten in der Leber einen großen, dunklen Fleck, welcher von den Schulmedizinern immer als der in die Leber drückende Tumor erklärt wurde. Doktor Langer gab eine ausweichende Antwort. Ich ließ nicht locker und meinte, dass auch Dr. Hamers Erklärung eines Sammelrohrkarzinoms an der rechten Niere für mich logischer sei als die schulmedizinische Erklärung eines Tumors, welcher gleichzeitig Gewebe bildet und Löcher frisst. Auch in der Schulmedizin wird zwischen tumorbildenden und löcherfressenden Krebsen unterschieden. Also müssen auch auf der rechten Niere zwei Krebsgeschehen gewesen sein. Doktor Langer gab zu, auch selbst von der Diagnostik des Dr. Hamer verblüfft zu sein.
Was sollte ich mit Dr. Langer anfangen? Erreichen konnte er in unserem Sinne wenig bis gar nichts. Menschlich schien er aber in Ordnung zu sein. War es seine Aufgabe, uns auszuhorchen?
Ich machte mich auf den Weg zum Flughafen. Kurz vor dem Einstieg in den Flieger nach Köln kam Herr Puschler. Er hatte mir diese Live-Sendung bei „rtl“ organisiert. Er selbst gab vor, persönlich eine Videokassette zum Sender „rtl“ bringen zu müssen. Irgendwie erschien er mir als interessanter Kerl. Er war nicht sonderlich attraktiv, eher groß mit Ansatz eines Bierbauches, ohne aber dick zu sein, und hatte struppiges, sonnengebleichtes Haar. Trotzdem erschien er oft als Interviewer im Fernsehen, so dass er sehr bekannt ist.
Ich war vorsichtig, das Gespräch während des Fluges entwickelte sich aber recht gut. Er gab mir den Tipp, bei der Sendung Gegenfragen zu stellen, z.B. „Wie hätten Sie reagiert, wenn …“ usw. Er erzählte von seinen Erlebnissen als Reporter, die sicher nicht alle ungefährlich waren. Er hatte sich mit einem Kompagnon eine Firma aufgebaut, die für verschiedene Sender Beiträge aus der ganzen Welt erstellt und war daher auch viel unterwegs. Mit der Zeit wurde er mir sympathisch.
In Düsseldorf angekommen, wurden wir zum Sender chauffiert. Mein Betreten des Sendergebäudes wurde gefilmt, um später als Vorspann zur Sendung miteingeblendet zu werden. Bei der Maske lernte ich den Moderator und gleichzeitigen Chef der Sendung „Explosiv“, Herrn Boris Henn, kennen. Er erinnerte mich eher negativ an einen ehemaligen Schulkollegen, aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Dieser Mann hatte sicher größere Qualifikationen.
Die Maske war gründlich und ich entspannt. Im Studio musste ich mich aber zur Ruhe zwingen. Man fummelte mir das Mikro unters Hemd, während Herr Henn mich instruierte. Ich erbat mir, meine Mappe (Antichemo-Ordner) auf das Pult legen zu dürfen, wodurch ich mich sicherer glaubte. Dann mussten wir warten. Minuten, Sekunden und los ging es. Es war ein ungewöhnliches Gefühl vor laufender Kamera, live Rede und Antwort zu stehen.
Wie üblich versuchte man mich als erstes zu provozieren mit der Frage, ob ich ein schlechtes Gewissen hätte. Dies verneinte ich mit dem Hinweis zu wissen, dass von 100 Chemopatienten 92 sterben. Herr Henn insistierte weiter, dass doch durch die Chemo Olivias Tumor von 6 kg auf 450 g geschrumpft sei. Hier wies ich auf die Meinungsverschiedenheiten der Ärzte hin und dass nicht nur Dr. Hamer annahm, dass durch die Chemo nur die Leberschwellung zurückgegangen sei, der Nierentumor aber immer konstant war. Schließlich versuchte Herr Henn mich als „meistgehaßten Vater“ darzustellen. Ich ging jedoch gar nicht darauf ein.
Auch die dümmste Situation hat einmal ihr Ende! Schließlich gingen wir noch in ein Großraumbüro auf eine paar Zigaretten und einen Kaffee. Die Mitarbeiter dort hatten ein Durchschnittsalter von 30 Jahren und ein guter Teamgeist war zu spüren. In diesem Klima fühlte ich mich sogleich wohl. Ein Mitarbeiter von dort nahm mich in einem Taxi mit zu meinem Hotel.
An den Deutschen bewundere ich wohl am meisten deren perfekte Aussprache.
Olivias Taufe – meine Schwester Silvia hält Olivia im Arm
Im Hotel erwartete ich Dr. Hamers Ankunft. Er verspätete sich aber und kam erst gegen 23:00 Uhr. Längere Zeit mussten wir nach einem Lokal mit offener Küche suchen und fanden schließlich einen Italiener. Doktor Hamer wollte Anfang Oktober Herrn Professor Becker, Dekan von Tübingen, um ein Schreiben bezüglich der voraussichtlichen Überprüfung Anfang Dezember bitten, um einen Stopp der Chemotherapie an Olivia zu erreichen. Wir plauderten noch eine Weile. Ich sagte ihm, dass von mir ein Foto existiere, von dem viele behaupteten, darauf würde ich seinem Sohn Dirk ähneln. Er bestätigte eine gewisse Ähnlichkeit.
Wie das Leben oft so spielt. Trotz des durchgemachten Horrors und trotz der noch zu erwartenden Schrecken fand ich das Leben lebenswert. Aber obwohl ich durch diese Geschichte Dr. Hamer zum Freund gewann und wesentlich zur Bekanntheit der Neuen Medizin beitrug, stellte ich mir oft die Frage, warum gerade unserer Familie eine derart schwere Aufgabe zugefallen war. Wie lange konnten wir das noch durchhalten? Wie hatten wir es bisher schaffen können? Woher nahmen wir unsere Kraft?
Am nächsten Morgen lernte ich beim Frühstück einen Kölner kennen. Er sprach mich einfach an. Normalerweise lebte er in Paris mit seiner Freundin und deren zwei Söhnen und regelte gerade hier, in seiner Heimatstadt, seine Scheidung. Er wollte so gerne noch einmal mit seiner Frau sprechen, sein Rechtsanwalt hatte ihm aber davon dringend abgeraten. Sein Scheidungsverfahren belastete ihn sehr. Mit seinem Bruder hatte er in Köln eine Tankstelle geführt, bis er selbst das Handtuch warf. Wegen Alkohols verlor er seinen Führerschein und vermutlich auch mehr. Er erklärte, sich nicht aufdrängen zu wollen, was ich auch nicht so empfunden hatte. Ich selbst war froh, einen Gesprächspartner gefunden zu haben. Er erzählte über die momentane Terrorhysterie in Paris, die in den Weltnachrichten vollständig vom Atombombenstreit verdrängt worden war. Zum Frühstück trank er gleich drei Glas Sekt. Geldprobleme hatte er keine. Vom Fall Olivia hatte er gehört, hatte sich aber noch nicht sehr damit befasst.
Etwas später kam Herr Puschler. Er erzählte, es wäre in der Zeitung „bild“ ein Foto von Olivia, kurz nach der Operation, veröffentlicht worden. Vermutlich stamme dieses Bild von einer bestochenen Krankenschwester aus dem AKH. Dies konnte ich jedoch nicht bestätigt finden.
Gegen 11:00 Uhr wurden wir abgeholt und zum Flughafen chauffiert. Im Flieger erlitt Herr Puschler eine Gallenkolik. Er war ziemlich arm dran. Verwundert hörte ich ihm zu, als er erklärte, er würde lieber unter den Schmerzen leiden, als sich einem Chirurgen auszuliefern. Vielleicht hatte Herr Puschler berufsbedingte Gründe, gegenüber den Ärzten vorsichtig zu sein, überlegte ich mir. Es war vorstellbar, dass er bereits recht kritisch innerhalb der Ärzteschaft recherchiert hatte, denn die Aufdeckungen des Dipl. Ing. Fröhlich waren ihm bekannt. In Wien angekommen, nahm er mich in seine Firma mit und zeigte mir das von der letzten Pressekonferenz des AKH aufgenommene Videomaterial und kopierte mir auch das letzte Bulletin. Interessant war zu hören, dass die dortigen Ärzte über Dr. Langer sehr abwertend gesprochen hatten. Doktor Langer hatte ja ebenfalls unser Einwandschreiben zur sofortigen Operation unterzeichnet. Sie erklärten, diesen Arzt nicht ernst nehmen zu können.
Später fuhr ich in das AKH. Erika erzählte, Prof. Horcher wollte „news“ zu ihr ins Zimmer lassen, was sie aber natürlich strikt ablehnte.
Es war eine unverschämte Vorgehensweise dieses Arztes, und es war zu vermuten, dass zwischen ihm und der Zeitung ein Abkommen getroffen worden war. Zweimal versuchte er sein Glück bei Erika. Zweimal verweigerte sie den Empfang der Journalisten.
Wir gingen noch auf einen Kaffee, und ich erzählte ihr, dass ich bei der nächsten Live-Sendung „Taff“ die Fröhlich-Geschichte vorbringen wolle.
Aus Erikas Augen glaubte ich erkennen zu können, dass ihr der offene Kampf zwischen uns und den Lobbyisten klar war. Sie ahnte ebenfalls, was noch alles auf uns zukommen würde.
Ich fuhr heim und legte mich recht bald schlafen.