Vom St. Anna-Kinderspital aus wurden wir mit einem Rettungswagen zu einem Röntgeninstitut in der Nähe der Urania gefahren. Olivia nahm ihren neuen Lieblingsteddy von ihrer Tante Michaela mit. Dort mussten wir einige Zeit warten, bis wir an die Reihe kamen. Um die Langeweile zu vertreiben, beobachteten wir die anwesenden Personen. Olivia gefiel besonders eine etwas ältere, dickere Dame, die die Wartezeit mit einem Nickerchen nützte und recht deutlich schnarchte. Erika holte einstweilen ein homöopathisches Mittel aus einer nahen Apotheke. Als Olivia endlich an die Reihe kam, waren schon Stunden vergangen.

Endlich waren die Aufnahmen fertig und wir machten uns wiederum mit dem Rettungswagen auf den Weg zurück in das St. Anna-Kinderspital. Wir gaben die Aufnahmen bei den Schwestern ab und mir wurde von ihnen ein nahe stehender Arzt als der behandelnde Arzt für Olivia gezeigt, mit der Bemerkung, dieser werde sich, sobald er die Aufnahmen (CTs) gesehen hätte, an uns wenden. Wieder verging eine beträchtliche Zeit. Nervös trieb ich mich in der Nähe dieses Arztes herum, damit ich die Gelegenheit sofort nützen konnte, wenn er mit der Erledigung anderer Dinge fertig wäre. Dadurch gelang es mir, ein Gespräch zwischen diesem Arzt und einem angekommenen Vertreter ungewollt zu belauschen. Sie diskutierten über ein vom Vertreter präsentiertes Produkt.

Arzt: Und die Vorteile gegenüber dem alten Produkt?
Vertreter: Weiß ich nicht. Ich müsste nachsehen.
Arzt: Aber es ist doch wesentlich, die Vorteile zu kennen.
Vertreter: Ich muss mich informieren und werde sie Ihnen nennen.

Das Produkt wurde trotzdem vom Arzt entgegengenommen mit der Bemerkung:

Arzt: Es liegt nicht in meiner Kompetenz, über die Annahme des Produktes zu entscheiden.

In diesem Moment kam es zum Blickkontakt zwischen dem Arzt und mir und ich überlegte, ob ihm nun mein Mitanhören des Gespräches peinlich war. Seine weiteren, normalen Reaktionen ließen aber keine entsprechenden Rückschlüsse zu. Der Arzt betrat unser Zimmer und stellte sich als Herr Dr. Mann vor. Er meinte, nun alle Ergebnisse der letzten Untersuchung zu wissen und die hierfür notwendige Therapieform zu kennen. Er wollte sofort mit der Chemotherapie beginnen, damit keine unnötige Zeit verstreiche. Das versprochene Ärztegespräch räumte er für den folgenden Tag ein. Als wir uns dagegen verwahrten, erklärte er, einen Fehler begangen zu haben und war sofort für ein Gespräch bereit.

Auch er bestätigte die Therapieform mit mehrwöchiger Chemo, Operation und Fortsetzung der Chemo, bezifferte aber die Heilungschance mit 80-90%. Da er unsere Ablehnung gegenüber der Chemo erkannte, schlug er uns als Alternative eine sofortige Operation vor, bezifferte deren Heilungserfolg aber lediglich mit 40- 50%.

Er versuchte, ruhig mit uns zu sprechen. Ich hatte aber den Eindruck, dass dieser Arzt hoffnungslos überarbeitet war oder sonstige schwere Probleme hatte. Irgendwie wirkte er verkrampft.

Angesprochen auf das mitgehörte Gespräch zwischen ihm und dem Vertreter am Vormittag, meinte er, dass wir daraus sein Verantwortungsbewusstsein erkennen können. Als wir ihm erklärten, einen weiteren Arzt konsultieren zu wollen, lehnte er vorerst ab und drohte, unseren Fall seinen Vorgesetzten mitzuteilen, der wahrscheinlich rechtliche Schritte gegen uns einleiten werde. Dr. Mann verlor zusehends seine Ruhe und versuchte händeringend, uns umzustimmen. Wir blieben bei unserer Absicht und nahmen das Kind auf Revers aus dem Spital. Hiefür musste dieser Revers zuerst von Dr. Mann und einer weitern Ärztin aufgesetzt werden. Durch unseren Entschluss gegen den ärztlichen Willen, kam eine beachtliche Aufregung in das sonst ruhige Treiben der Station.

Wir fühlten plötzlich von allen Ärzten und Schwestern eine Aversion uns gegenüber. Anscheinend kam es nicht oft zu solch einer Situation wie dieser. Plötzlich hatte ich Angst, dass man zu verhindern suchte, uns gehen zu lassen und veranlasste Erika zu packen, um so rasch wie möglich bei drohender Gefahr flüchten zu können. Dr. Mann händigte uns schließlich doch noch die Untersuchungsbilder aber ohne jeden Befund aus. Dies wurde mir erst später bewusst. Er verlangte auch noch, dass wir spätestens in zwei Tagen wieder von uns hören ließen bzw. was ihm sinnvoller erschien, dass wir dann wieder zurückkehren müssten.

Besuch bei Frau Dr. Rostovsky:

Wir fuhren mit dem Taxi zu Frau Rostovsky, die uns Gerald empfohlen hatte, froh das St. Anna-Kinderspital hinter uns zu lassen. Allerdings war mir absolut nicht klar, was uns dort erwarten solle. Frau Dr. Rostovskys Ordination befand sich in einem Wiener Altbau, hatte aber eine angenehme Atmosphäre. Sie führte ein längeres Gespräch mit Erika. Olivia und ich gingen derweilen in den kleinen Innenhof und suchten nach einer Beschäftigung. Immer wieder stieg das Bewusstsein über Olivias Krebs in mir hoch. Oft musste ich mit aufkommenden Tränen kämpfen.

Endlich wurden wir gerufen. Frau Dr. Rostovsky bestand darauf, dass Olivia während der Gespräche nicht anwesend sein dürfe. Also gaben wir Olivia Papier und Buntstifte, und sie malte in einem abgelegenen Zimmer ein Bild. Olivia malt sehr gerne und war damit voll einverstanden.

Mein erster Eindruck von Frau Dr. Rostovsky im Gespräch war nicht überzeugend.

Sie sprach sehr viel über Geistheilung und Wahrsagerei. Mit meinem damaligen Weltbild war ihre Ansicht absolut nicht vereinbar und ich geriet in eine leichte Nervosität, nun doch nicht an kompetente Stelle geraten zu sein.

Sie stellte außer dem Wilmstumor auch eine Schädigung der Leber fest. Sie erklärte, mit Wilmstumor keinerlei Erfahrung zu haben und riet uns direkt mit Dr. Hamer in Kontakt zu treten. Sie würde eine Wahrsagerin über diesen Fall befragen und wenn diese zu dem Schluss käme, eine Chemotherapie sei für Olivia wichtig, so müssten wir diesen Rat befolgen. Ich war total verwirrt.


Erst als Frau Dr. Rostovsky erwähnte, dass wir von Wahrsagerei gegenüber Dr. Hamer nichts erwähnen dürften, da dieser davon absolut nichts halte, wusste ich, dass wir diesen Kölner Arzt ruhig aufsuchen konnten und ich fasste wieder Hoffnung. Ein Termin mit ihm wurde vereinbart. Frau Dr. Rostovsky schrieb noch ein Rezept über verschiedene homöopathische Mittel und eine Überweisung an einen Röntgenarzt in Mödling für die Erstellung eines Kopf-CTs. Anschließend fuhren wir heim.

Zu Hause führte ich mit Erika ein längeres Gespräch. Zweifel plagten mich. Frau Dr. Rostovskys Hinweis, wir müssten Olivia einer Chemotherapie unterziehen, wenn dies die Wahrsagerin für richtig hielte, war für mich absolut inakzeptabel. Wie könnte man einer Wahrsagerin Entscheidungen über derart schwerwiegende Fragen überlassen? Was würde uns in Köln erwarten? Erika erklärte, es werde uns der richtige Weg gezeigt werden. Erika sprach ihr eigenes Gottvertrauen an.

Sie verlangte von mir, in Gott zu vertrauen. Wie sollte ich? Ich war Atheist. Sie warf mir vor, vielleicht dadurch vieles zu verschulden. Wir waren überfordert. Unter Tränen sprachen wir miteinander. Ich fragte sie, ob dies eine Prüfung Gottes für mich sei. Sollte Gott von mir wirklich fordern, an ihn zu glauben? War dies die Bedingung, dass ich Olivia wieder gesund zurückerhielt?

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