Ich war gerade bei meinem Freund Sepp, als mir meine Schwägerin am Telefon mitteilte, dass der Richter bereits mehrmals angerufen hätte und forderte, dass wir bei ihm noch am gleichen Tag erscheinen sollten, sonst würde er noch im Laufe dieser Woche etwas unternehmen.

Was war geschehen? Wieso ließ mir der Richter nicht wie versprochen drei Wochen Zeit, einen Arzt der Neuen Medizin oder Dr. Hamer selbst zu organisieren? Wieso sollten jetzt unsere Aussagen zu Protokoll gegeben werden?

Es schien ernst zu werden. Ich geriet leicht in Panik, da ich noch nicht einmal einen Rechtsanwalt hatte. Hier konnte Sepp mir helfen. Über eine Arbeitskollegin von ihm konnte er mir einen angeblich zuverlässigen und nicht ängstlichen Rechtsanwalt vermitteln. Sein Name war Mag. Benedikt aus der Rechtsanwaltskanzlei Müllberger, Wien. Ich rief sofort an und bekam wirklich auch einen vernünftigen Rat: Ich solle den Richter anrufen und mir einen Termin für die nächsten Tage ausmachen. Damit konnte ich mir zumindest ein paar Tage Luft verschaffen. Weiters wäre ein Gegengutachten eines Arztes absolut notwendig.

Genau das war es: Ich musste den Richter überreden, mit laufenden CTs beweisen zu können, dass Olivias Nierenzyste sich nicht weiter vergrößerte. Wir selbst wollte ja nichts anderes, als die Behauptung von Dr. Hamer, die Nierenzyste werde nicht weiter wachsen, mit CTs zu kontrollieren.

Telefonat mit Ingeborg:

Sie war wundervoll. Als ich ihr die Wankelmütigkeit des Richters klagte, erklärte sie sich sofort bereit, mir einen Termin bei der „Grünen“-Abgeordneten, Frau Dr. Petrovic, zu verschaffen.

Telefonat mit Frau Dr. Rostovsky:

Ich erklärte ihr meinen Plan und wenig später hatte sie einen Termin mit einem befreundeten Urologen aus dem 1. Bezirk für abends vereinbart, jedoch sei dieser Arzt nicht unbedingt für die Neue Medizin, aber auch kein ausgesprochener Gegner.

Telefonat mit Dr. Herz:

Herr Dr. Herz versuchte ich mit der Mitleidstour für unsere Sache und einen Gegengutachter zu gewinnen. Doch er erklärte, er hätte absolut keine Lust, sich für einen einzigen Fall den Kopf abreißen zu lassen. Das sei für ihn absolut absurd. Es gäbe noch so viele Menschen, die seine Hilfe benötigen. Außerdem sei er auch kein Urologe. Es gelang mir nicht, ihn umzustimmen. Ich konnte ihn auch verstehen. Er konnte mir lediglich empfehlen, mich mit meinem Anliegen an das „Institut für Ethik in der Medizin“ zu wenden.
Es blieb mir nichts übrig. Ich musste den Richter anrufen.

Telefonat mit Richter Masizek:

Sofort machte ich ihm Vorwürfe, die Abmachung nicht einzuhalten. Er entgegnete, er hätte mit Ärzten gesprochen und diese meinten, es sei Gefahr im Verzug und man dürfe auf keinen Fall noch länger zuwarten. Wir vereinbarten für Freitag, den 9.6.95 um 13:00 Uhr einen Termin, bei dem Erika und ich erscheinen sollten, um unsere Aussagen zu Protokoll zu geben.


Zwei Tage ließ er mir Zeit alles vorzubereiten. Ich hatte keinen Rechtsanwalt und keinen Arzt, der sich traute, mit Gegengutachten die Neue Medizin zu verteidigen. Ich entschloss mich, auf keinen Fall Erika am kommenden Freitag mitzunehmen und als Entschuldigung die Empfehlung unseres Arztes vorzubringen, Olivia bräuchte Ruhe und ihre Mutter sei daher mit ihr auf Erholung gefahren.

Telefonat mit Frau Stauffer (Gesundheitsreferentin der „Grünen“):

Sie bestätigte mir einen Termin mit der „Grünen“-Obfrau Dr. Petrovic für morgen 10:00 Uhr. Einen geeigneten Rechtsanwalt für mich zu finden, wäre sicherlich keine Schwierigkeit.


Am frühen Nachmittag trafen die bestellten Reporter von „täglich alles“ ein. Sie kamen zu zweit. Einer führte das Interview, der andere schoss Fotos. Frau Ingrid war mir als persönliche Stütze zu Hilfe gekommen. Es war ein ruhig geführtes Gespräch und der Reporter machte sich viele Notizen. Auch Frau Ingrid gab ihre eigenen Erfahrungen kund und ich hatte den Eindruck, dass das Interview durchaus in unserem Sinne gelingen könnte.
Der Reporter machte mich darauf aufmerksam, dass Prof. Jürgenssen ja ein entsprechendes Interesse an Olivia haben müsste, wenn er wirklich das „Österreichische Wilmstumorprojekt“ begründet habe und diese Krebsart lediglich 8- 10 mal im Jahr aufträte.

Frau Ingrid brachte mich nach Wien zu dem Treffen mit Frau Dr. Rostovsky und dem Urologen.

Gespräch mit dem Urologen Thomas Untreu und Frau Dr. Rostovsky:

Er ist Schulmediziner, Freund von Frau Rostovsky und auch gegenüber alternativen Behandlungsmethoden offen. Frau Dr. Rostovsky versuchte, ihn für Olivia zu gewinnen. Er sagte, dass seine Frau (eine reine Schulmedizinerin) oft verzweifelt über die vielen Thesen in der Krebsbehandlung klage, und dass die Heilung anscheinend von so vielen Faktoren abhinge. Er erwiderte ihr dann, so sagte er, sie solle die psychische Seite, die Historie des Patienten berücksichtigen und in die Therapie mit einbeziehen. Dr. Hamer hätte seiner Meinung nach in vielen Punkten Recht, wäre aber vielleicht nicht das richtige Sprachrohr für die Neue Medizin. Dr. Hamer ginge zu wenig auf qualifizierte Gegenargumente seiner Arztkollegen ein.

Auf seine, an andere Mediziner gerichtete Frage und Bitte um Bestätigung der Behauptung, dass Krebszellen in den Arterien schwimmen und sich sogar von einer z.B. Darmkrebszelle in eine Knochenkrebszelle verwandeln könnte, hatte er bis dato jedoch auch keine befriedigende Antwort erhalten.

Würde er, Dr. Untreu, als einfacher Urologe ein Gegengutachten erstellen, würde dies aus hierarchischen Gründen vom St. Anna-Kinderspital mit Leichtigkeit hinweggefegt werden. Die Aussage eines Krankenhauses hätte schlichtweg mehr Gewicht. Disziplinäre Folgen befürchte er nicht. Olivia wollte er allerdings auch nicht in seine Behandlung übernehmen.

Auf meine Frage, ob ich mich auf dieses Gespräch berufen könnte, bekam er es sichtlich mit der Angst zu tun. Tatsächlich war seine gerade Haltung plötzlich gebeugt. Er fragte nach, auf welchen Gesprächspunkt ich mich denn berufen wolle. Als ich seine Aussagen über die hierarchische Struktur zitierte, verwehrte er mir meine Bitte brüsk und drohte sogar, dass dann Aussage gegen Aussage stehen würde.

Die so selbstherrliche Arztautorität war plötzlich eine lächerliche, ängstliche Figur geworden. Ich verlor jeden Respekt vor ihm. Ich sagte ihm auch ins Gesicht, dass er mir als Arzt im Grunde Leid täte, Patienten nach Therapien behandeln zu müssen, die er selbst anzweifelte. Ohne mit der Wimper zu zucken, gab er zu, dass auch er lieber Bibliothekar geworden wäre.

Nach diesem unfreundlichen Gespräch verabschiedeten wir uns vor diesem Arzt. Der nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten.

Gespräch mit Frau Dr. Rostovsky:

Sofort als wir die Ordination verlassen hatten, eröffnete sie mir, die Behandlung von Olivia zurückzulegen. Dies würde sie mir in Form eines Schreibens mitteilen. Ich war entsetzt. Sie beschwichtigte mich und meint, dieses Schreiben würde erklären, dass sie aus Angst vor Sanktionen der Ärztekammer die Behandlung zurücklegen müsste, ich aber dieses Schreiben bei der Presse verwenden könnte.

Der Wortlaut:

ERKLÄRUNG:

Ich, Dr. Johanna E. Rostovsky, prakt. Ärztin in Wien, teile hiermit mit, dass ich gegen meine ethische Überzeugung die Behandlung der Pat. Olivia Pilhar (6 Jahre), Wilmstumor, nur aufgrund meiner disziplinären Verantwortlichkeit gegenüber der Ärztekammer, sowie der bestehenden strafrechtlichen Situation, die auf die derzeitige sachverständige Beurteilung der überwiegenden Ärzteschaft zurückzuführen ist, mit sofortiger Wirkung zurücklegen muss. Um meine Approbation als praktischer Arzt beibehalten zu können, sowie eine strafrechtliche Verurteilung hintan zu halten.

Ich tue das wissentlich um die Folgen für Olivia und ihre Familie, um anderen Patienten (nur Erwachsene aufgrund ihrer eigenen Entscheidung) weiterhin als Ärztin, die die Neue Medizin nach Dr. Hamer vertritt, auch in Zukunft zur Verfügung stehen zu können. Ich stelle hiermit fest, dass es mir aus den oben genannten Gründen derzeit nicht ohne strafrechtliche Folgen möglich ist, Kinder nach der Neuen Medizin zu therapieren.

Dr. Johanna E, Rostovsky


Die Situation war schrecklich. Jetzt hatte ich überhaupt keinen behandelnden Arzt für Olivia. Ich brauchte zwar einen Arzt nicht ständig, sondern kurze Visiten oder Telefonaten in den meisten Situationen würden genügen. Dies hatten schon viele Hamer-Patienten bewiesen. Aber vor dem Richter käme ich ohne Arzt nie durch, das war mir völlig klar.

Mein Vertrauen in das medizinische System war derart erschüttert, dass ich mir für die Zukunft vornahm, es mir zweimal zu überlegen nochmals ein Spital aufzusuchen. Es gab offensichtlich wirklich keine Ärzte, die offen für ihre Überzeugung eintraten. Welch ein Druck muss auf diese Ärzte ausgeübt werden, dass sie aus Angst vor disziplinarischen Sanktionen der Ärztekammer, Patienten gegen ihren Hippokratischen Eid, nicht nach bestem Wissen und Gewissen behandeln?

Die Nacht verbrachte ich bei meiner Schwester in Brunn am Gebirge. Mein Schwager musste mich von Wien abholen. Ich hatte Gelegenheit, ihm kurz die bisherige Geschichte zu schildern. Er schüttelte nur den Kopf und meinte, ich dürfe
mich da nicht mit Kräften einlassen, die mich mit Leichtigkeit vernichten könnten.

Ich war müde und abgehetzt, die Aussicht auf ein Gespräch mit Frau Dr. Petrovic ermutigte mich jedoch sehr und ich verfasste das Schreiben an die Menschenrechtskommission.

Schreiben an die Internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte:

Mein Anliegen

Besteht die menschenrechtliche Anerkennung, dass der Mensch aus Psyche, Gehirn und Organ eine untrennbare Einheit bildet und als solcher ein gesetzliches Recht erlangt, bei Krankheit entsprechend dieser Einheit ärztlich behandelt zu werden? Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch diese Wechselbeziehung zwischen psychischem und körperlichem Wohlempfinden verspürt und sich deren gegenseitiger Beeinflussung als Selbstverständlichkeit bewusst ist. Ich werde aller Voraussicht nach per Gesetz gezwungen, mein Kind einer Therapie auszusetzen, die einzig und allein die symptomatischen Erscheinungen ihrer Organe behandelt und die psychische Ursache der Krankheit völlig außer Acht lässt. Wenn meine oben angeführte menschenrechtliche Anerkennung besteht, so muss ich doch das Recht besitzen, mich auch für mein Kind als Erziehungsberechtigter für eine Therapie entscheiden zu können, die alle Komponenten des Menschen berücksichtigen.

Mit freundlichem Gruß.


Erikas Tagebuchnotizen aus Kärnten:

Gegen 9.00 Uhr waren wir erst aufgestanden. Ich hatte ein bisschen gebügelt und gekocht. Helmut hatte um 12.00 Uhr und um 14.00 Uhr nochmals angerufen. Er machte uns alle wegen der Vorladung bei Gericht für kommenden Freitag etwas nervös.

Am Nachmittag gingen wir mit Karins Sohn Johannes, unserem sehr guten Reiseführer, eine große Runde spazieren. Olivia klagte über Bauchweh.

dokumente

Liste mit allen Tagebucheinträge, chronologisch sortiert, aufrufen

Olivas tagebuch als PDF-Datei

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