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Derzeit gibt es eine kaum überschaubare Zahl von verschiedenen Zytostatika auf dem Markt. Jährlich kommen Zehntausende weitere – im Tierversuch erprobte hinzu. Mit diesen „Zellkillern“ werden krebskranke Patienten behandelt, doch die Aussichten auf Heilung sind gering: Nach einer amerikanischen Erhebung liegt die Zahl der durch Chemotherapie und Bestrahlung Geheilten unter zwei Prozent (!). In der BRD erkranken jährlich 270.000 Menschen an Krebs, pro Jahr sterben 166.000. Viele leiden in den Wochen vor ihrem Tod unter den schrecklichen Nebenwirkungen der Krebsmedikamente: Übelkeit, Brechreiz, Haarausfall, Impotenz, Blut- und Organschäden, schwere psychische Symptome. Während ihr Nutzen für die Betroffenen mehr als fraglich ist, liegt er für Pharmafirmen und Ärzte auf der Hand: Die Behandlung mit Zytostatika ist bei allem Bemühen um die Heilung Krebskranker – immer noch ein gutes Geschäft.

Der letzte Onkologenkongreß in Hamburg (Sommer 1990) brachte eine Sensation: Erstmals in der Geschichte der Krebsforschung übten namhafte Wissenschaftler Kritik an der generellen Anwendung der Chemotherapie bei Krebskranken. Wissenschaftler, die wie Prof. Dieter Hossfeld zu den Männern der ersten Stunde auf dem Gebiet der Chemotherapie zählen. Voll Optimismus Anfang der siebziger Jahre aus den USA zurückgekehrt, hat Prof. Hossfeld sich in der BRD intensiv mit der Chemotherapie auseinandergesetzt und in der Folgezeit „nicht nur den Segen, sondern auch mehr und mehr die Grenzen dieser Behandlungsart erfahren“ („Der Spiegel“ 35/1990). Heute meint er, die Krebsmedizin habe zu lange gebraucht. um zu erkennen, daß Chemotherapien nur selten heilen können; die Zellgifte seien in der Vergangenheit zu oft und häufig falsch angewendet worden.

Zu einem noch vernichtenderen Urteil über Zytostatika kommt der Arzt und Biostatistiker DrDr. Ulrich Abel vom Deutschen Krebsforschungsinstitut in Heidelberg in seinem Buch „Die zytostatische Chemotherapie fortgeschrittener epithelialer Tumoren“. Zehn Jahre lang hat Abel sein Methodenwissen zur Verfügung gesteilt und bei der Durchführung von Krebsstudien geholfen. Bis zur Veröffentlichung seines Buches war sein Verhältnis zu den Krebsexperten ungetrübt, doch jetzt haben seine provozierenden Thesen zu heftigen öffentlichen Diskussionen geführt. Und das ist gut so, denn gibt man Abel recht, so steht die Chemotherapie bei der Tumorbehandlung, was Erfolgsnachweise betrifft, auf ausgesprochen wackeligen Beinen.

Ein Jahr lang hat sich Abel mit allen veröffentlichten Großstudien beschäftigt, die zum Thema Chemotherapie zur Verfügung stehen. Durch das Studium dieser mehreren tausend Untersuchungen sowie dem gezielten Erfassen von noch nicht publizierten Arbeiten ist Abel zu dem Schluß gekommen, daß sich die Anwendung von Zytostatika „in weiten Bereichen“ der Krebsmedizin „als Fehlschlag erwiesen haben“. Die geringe Wirksamkeit der Antitumortherapie ist seiner Ansicht nach „in dieser Schärfe weder der Öffentlichkeit noch der Mehrzahl der behandelnden Ärzte bewußt“.

Die zwei wichtigsten Erkenntnisse seiner Arbeit:

Bei den am weitesten verbreiteten Krebsarten, den Organkrebsen (solide Tumore), können Chemotherapien das Leben der Patienten laut Statistik kaum verlängern.

Abels Kritik richtet sich nicht gegen den zeitweiligen Einsatz von Zellgiften vor und nach Operationen und die mit guten Erfolgen durchgeführte medikamentöse Therapie von Lymphkrebsarten, Morbus Hodgkin, Leukämien, Sarkome und Keimzellentumoren bei Männern. Sie machen allerdings nicht einmal zehn Prozent der Krebsfälle aus. Die verbleibenden 90 Prozent sind Organkrebse, die auch durch Operationen nicht mehr zu heilen sind, da sie bereits Metastasen gebildet haben oder weil die Geschwulst nach einem Eingriff erneut aufgetreten ist. Auch wenn unter dem Einfluß der Chemotherapie der Tumor zunächst kleiner wird oder vorübergehend ganz verschwindet, muß das laut Abel nichts Gutes bedeuten. Gegen das Medikament resistent gewordene Resttumorzellen wachsen oft umso schneller wieder nach. Der Rückgang des Tumors sagt auch nichts über die Lebensdauer des Patienten aus. Das Studium der Untersuchungen zeigte Abel, daß in überwiegend vielen Fällen gerade die Patienten am längsten leben, bei denen der Tumor auf die Chemotherapie nicht angesprochen hat.

Auch ihre Wirkung hinsichtlich Schmerzerleichterung, besserer Lebensqualität der Patienten steht wissenschaftlich auf unsicherem Boden.

Bis heute gibt es laut Abel keine verläßlichen Studien, die diese Annahme für die Mehrzahl der Patienten bestätigen könnten. Untersuchungen älteren Datums aus den siebziger Jahren kommen zu einem negativen Schluß. Bei zu früh und zu hoch dosierten Zytostatika ging es beispielsweise Lungenkrebskranken schlechter als anderen Patienten, die Chemotherapie später und in geringeren Dosen bekamen. Auffallend ist auch, daß bis heute in den USA noch kein Krebsmedikament aufgrund seiner Wirkung in bezug auf Gewinn an Lebensqualität zugelassen wurde, weil so ein Nachweis bisher nicht erbracht werden konnte. Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung am Tier, waren es doch die Therapieerfolge im Tierversuch, die uns die Zytostatika beschert haben.

Auch Prof. Dr. A. Landsberger vom Anatomischen Institut der Universität Heidelberg kommt zu einem ähnlich vernichtenden Urteil über die Chemotherapie wie Abel:

„Die Geschichte der Chemotherapie des Krebses ist eine Aneinanderreihung von Leid, Qual und Erfolgsarmut, die nach Jahrzehnten zum Teil rücksichtslosen Experimentierens mit dem Menschen einige Erfolge, die zu respektieren sind, zu verbuchen hat“

(„Emd Organica“ 14. Jg./1 }.

Schließlich kommen beide Wissenschaftler zur übereinstimmenden Erkenntnis, daß beim Einsatz der Zellgifte kommerzielle Überlegungen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. So werden zum Beispiel Kranke, die noch keine Schmerzen haben, bereits verfrüht chemotherapeutisch behandelt, weil der Arzt sie in eine Studie miteinbezieht. Manche Krebsforscher erhalten für jede dokumentierte Behandlung eines Patienten von der Pharmaindustrie bis zu 1000 Mark. Die Hersteller von Antitumorpräparaten können sich diese Prämien leisten, machen sie doch mit den Mitteln jährlich eine halbe Milliarde Mark Umsatz. Dazu der Onkologe Prof. Martz (Zürich):

„Seit einigen Jahren steigt der weltweite Verkauf von Zytostatika jährlich um zirka 20 Prozent an. Diese Umsatzsteigerung kann sicher nicht nur bedingt sein durch eine Zunahme von wirksamen Substanzen, eine Zunahme diagnostizierter Krebspatienten oder eine Zunahme der Therapieindikationen.“

Neue Wege?

Eine Kursänderung in der Krebsbehandlung ist im Interesse der Patienten dringend notwendig, wirft aber eine Reihe von Problemen auf. Rund 90 Prozent der Forschungsgelder sind durch die laufenden Chemotherapiestudien gebunden. Sie fehlen für die Erforschung alternativer Behandlungsmethoden, wie beispielsweise Immuntherapien. Studienvorschläge in dieser Richtung finden bei neuen Forschungsvorhaben kaum Gehör. Dazu kommt, daß es vielen Medizinern an Wissen darüber fehlt. Das größte Übel aber ist, so Prof. Landsberger, wenn der Arzt „den Krebsleidenden zu beschimpfen beginnt, falls dieser in seiner Not ihn nach biologischen Mitteln auch nur zu fragen wagt. Hierbei ist hervorzuheben, daß Ärzte, auch aus Tumorzentren, bei eigener Krebserkrankung oder ihrer Angehörigen sich um Hilfe an mich wenden mit dem immer wiederkehrenden Satz: „Sie wissen doch genau, daß wir hier nichts haben!“

Noch gibt es keine Untersuchung, die einen Vergleich zwischen der Wirkung von Zytostatika am Menschen mit der biologischer Krebsmittel zulassen würde. Solange um Positionen gestritten wird, um Dogmen, um Profite, so lange wird dem Patienten fehlen, was er in seiner Situation dringend braucht: das Vertrauen in den Arzt und in die von ihm angewandte Therapie.

Von Doris Steiner

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