Ein Herisauer verbreitet fragwürdige Thesen

Derzeit bereist Harald Baumann aus Herisau mit Thesen der «Neuen Medizin» den Thurgau. Baumann geisselt die Schulmedizin als «tödliche Scharlatanerie» und verzichtet auf die Anwendung von Medikamenten.

Seit fünf Jahren verbreitet Baumann die Lehre des deutschen Arztes Ryke Geerd Hamer. Die «Neue Medizin» wird von der Schulmedizin als gefährlich bezeichnet, weil Schmerzen nicht bekämpft werden dürfen. Traurige Berühmtheit erlangte 1995 der Fall der sechsjährigen Olivia Pilhar aus Österreich. Die Eltern, Anhänger von Hamer, weigerten sich, den Nierenkrebs ihrer Tochter behandeln zu lassen.

Ostschweiz/37

Botschafter «wundervoller Krankheit»

Die «Neue Medizin» verzichtet auf die Anwendung von Medikamenten – Ein Herisauer verbreitet die fragwürdigen Thesen

Krebs, AIDS, Multiple Sklerose und andere Krankheiten sind Zeichen für innere Konflikte eines Menschen und dürfen nicht mit der Schulmedizin behandelt werden: Auf dieser Grundlage beruht die umstrittene «Neue Medizin». Ihr Kopf in der Schweiz ist der Herisauer Harald Baumann.

Stefan Millius


Raucher können aufatmen: Wenn die «Neue Medizin» Recht hat, verursacht nicht etwa Nikotin Lungenkrebs; verantwortlich ist vielmehr ein «Todesangst-Konflikt». Und leidet eine Frau beispielsweise darunter, dass ihr Kind nicht mehr bei ihr wohnt, ist ein «Trennungskonflikt» die Folge, und der führt schon bald zu Brustkrebs.

«Krank wegen Konflikten»

Auf diese Weise lassen sich laut dem deutschen Arzt Ryke Geerd Hamer, dem «Entdecker» der «Neuen Medizin», sämtliche Krankheiten auf Schockereignisse und daraus entstehende Konflikte zurückleiten. Löst man den Konflikt, verschwindet die Krankheit ganz von selbst. Leukämie ist gemäss dieser These eine «wunderbare Botschaft», die eine Heilung des Konflikts ankündigt.

Todesfälle

Die Schulmedizin ist sich für einmal einig: Die Lehre der «Neuen Medizin» wird durchwegs als absurd und gefährlich bezeichnet. Weil Schmerzen als «Ausdruck der Heilung» nicht bekämpft werden dürfen, gehen vor allem Krebskranke nicht selten durch die Hölle, indem sie auf die Linderung durch Schmerzmittel verzichten. Einige Patienten von Ryke Geerd Hamer starben sogar, weil er Behandlungen in Spitälern nicht zuliess. Besonders verpönt ist die Chemotherapie, die nach Harald Baumanns Worten «grössere Verbrechen ausübt als Hitler, Stalin und Pol Pot zusammen».

«Persönlicher Schüler»

Trotz ihres schlechten Rufes hat die «Neue Medizin» einige Anhänger gefunden. Der in Herisau wohnhafte Harald Baumann trägt ihre Botschaft seit rund fünf Jahren quer durch die Schweiz. Er bezeichnet sich als «persönlichen Schüler» Hamers; dieser sei auch regelmässig bei ihm in Herisau zu Gast. Vor durchschnittlich nicht mehr als einem Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern, die in der Regel bereits zum Anhängerkreis gehören, predigt Baumann die Ideen von Ryke Geerd Hamer und geisselt die Schulmedizin als «tödliche Scharlatanerie». Zurzeit bereist der Herisauer den Kanton Thurgau: Bis Mitte Mai sind acht öffentliche Vortragsabende geplant. Ausserdem findet noch bis März ein regelmässiger «Stammtisch-Treff» in einem Restaurant in Wil statt. Immer mit von der Partie: Baumanns Frau, die Herisauer Naturärztin Arlette Büchel.

Vortrag an Pflegeschule

Arlette Büchel hält selbst noch keine Vorträge zum Thema, gibt aber ihr Wissen in anderen Therapieformen weiter. So erteilte sie beispielsweise am 18. Januar dieses Jahres eine Einführung in Farbentherapie an der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege Stephanshorn in St.Gallen. Laut einer Lehrerin kam der Themenvorschlag aus einer Klasse; die Schülerinnen und Schüler konnten den Anlass wie ein Freifach besuchen, waren aber nicht dazu verpflichtet. Die Verbindung der Naturärztin mit der umstrittenen Medizin sei an der Schule nicht bekannt gewesen. In der Regel erhalten allerdings weder Baumann noch Büchel Zugang zu Institutionen der Schulmedizin. Baumann schliesst daraus, dass es ein Komplott gebe, und wie Hamer selbst bezeichnet er die Schulmediziner als «Logenbrüder und Geheimbündler», die eine Art «Weltregierung» bilden.

Uriella und Kessler

Vor dem Hintergrund solcher Aussagen interessieren sich auch Sektenexperten wie der Journalist Hugo Stamm für die seltsamen «Heilmethoden». Anscheinend nicht zu Unrecht: Im berühmt gewordenen Fall der kleinen Olivia erhielt Hamer Schützenhilfe von Mitgliedern der Uriella-Sekte «Fiat Lux». Ebenfalls begeistert von der «Neuen Medizin» ist der streitlustige Thurgauer Tierschützer Erwin Kessler, vor allem, weil nach Hamers Thesen Tierversuche unsinnig sind. Kessler lobte Hamer in seinen «VgT-Nachrichten» im März 1997 ausdrücklich und führte Harald Baumanns Adresse für weitere Informationen auf.

Kleine Wirkung

Trotz der Unterstützung solch «illustrer Kreise» blieb die «Neue Medizin» in der Schweiz bis heute bedeutungslos. Noch vor wenigen Jahren erklärte Harald Baumann, bald würden die Menschen zu Hunderten an seine Vorträge strömen. Auf einen solchen Andrang wartet er bis heute vergeblich. Neuerdings werden die Besucher sogar zur Kasse gebeten: Bei den Vorträgen im Thurgau werden acht Franken Eintritt verlangt. Das ist allerdings ein Klacks, verglichen mit den Summen, die für Bücher, Ton- und Videoaufnahmen hingeblättert werden müssen. Durch den Verkauf dieser Artikel finanzieren Baumann und Büchel ihre Vortragstätigkeit. «Ohne Baumann», ist der Sektenexperte Hugo Stamm überzeugt, «gäbe es die Neue Medizin in der Schweiz längst nicht mehr.»

«Fall Olivia» ging um die Welt

Die Entstehungsgeschichte der «Neuen Medizin» liest sich wie ein Krimi: Am 18. August 1978 schiesst der italienische Erbprinz Vittorio Emanuele von Savoyen versehentlich den Deutschen DIRK Hamer an. Vier Monate später stirbt DIRK an den Folgen der Verletzung in den Armen seines Vaters, des Arztes Ryke Geerd Hamer. Der Mediziner überwindet diesen Schock nicht. Als Hamer kurz darauf an Hodenkrebs erkrankt, zieht er daraus seine eigenen Schlüsse und «entdeckt» die so genannte «Neue Medizin». Sie geht davon aus, dass jede Krankheit die Folge eines Schockereignisses, eines inneren Konflikts, ist. Bei Hamer selbst war demzufolge ein «Verlustkonflikt» Ursache des Krebses. Ryke Geerd Hamer hat inzwischen die Berufszulassung verloren und wurde zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er weiterhin praktizierte.

Traurige Berühmtheit erlangte die «Neue Medizin» 1995 durch den Fall der sechsjährigen Olivia Pilhar aus Österreich. Die Eltern, überzeugte Anhänger von Hamer, weigerten sich, den Nierenkrebs ihrer Tochter im Spital behandeln zu lassen und flüchteten vor den Behörden, begleitet von einem TV-Journalisten, der den Zerfall des Kindes dokumentierte. Im letzten Moment konnten die Ärzte das Mädchen doch noch mit Chemotherapie behandeln – erfolgreich. Olivia ist heute vollständig gesund. Ihre Eltern halten an der «Neuen Medizin» fest.

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