Ueli Caflisch, Dr. med.
Friedberghöhe 11
6004 Luzern
Luzern, 15.04.97
Herrn und Frau Amstutz-Weber
Obere Wiese 2
6020 Emmenbrücke
Liebe Frau Amstutz, lieber Herr Amstutz
Ich möchte mich nochmals für das anregende Gespräch über Angelos Krankheitsverlauf und über die Hamersche Lehre bedanken. Auch habe ich den Abriß über die „Neue Medizin“ aufmerksam durchgelesen.
Es fällt mir nicht ganz leicht, mich dazu zu äußern, ohne Sie möglicherweise zu verletzen. Ich bin überzeugt, dass Sie den aus Ihrer Sicht besten Weg für Ihr Kind eingeschlagen haben, auch wenn dieser zu Angelos Tod geführt hat. Ich bin keineswegs der Meinung, dass alle krebskranken Kinder um jeden Preis am Leben erhalten werden müssen. Aus dieser Sicht spricht mich der letzte Abschnitt des mir überlassenen Auszuges durchaus an. Im Gegensatz zu der häufigen Resignation bei erwachsenen Krebskranken spüren jedoch alle aufmerksam Beteiligten bei betroffenen Kindern eine ungeheure Vitalität und eine Bereitschaft, auch unangenehme Nebenwirkungen wegzustecken. Wenn wir diesen Lebenswillen ernst nehmen, dürfen wir die Kinder nicht dem ohne Behandlung sicheren Tod aussetzen.
Wie Sie nun selbst erlebt haben, bleibt den krebskranken Kindern keine Zeit, auf die sogenannte Konfliktlösung zu warten, die das „Sonderprogramm“ der Natur wieder zurückspult. Zu rasch breitet sich die Krankheit aus, treten Ableger auf. Metastasen zu leugnen und statt dessen Zweittumoren zu propagieren, entbehrt jeglicher einfachsten Wissenschaftlichkeit und kann durch histologische, immunologische oder molekulare Untersuchungen widerlegt werden. Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass nur ganz wenige geheilte Kinder einen Zweittumor bekommen.
Leider sind auch die sonstigen Konstrukte der „Neuen Medizin“ reine Hypothesen. Wie bei vielen paramedizinischen Methoden tönen diese Annahmen plausibel, was immer gut ankommt, aber keineswegs für deren Richtigkeit spricht. Statt mit „Neuer Medizin“ haben wir es mit geradezu mittelalterlichen Vorstellungen zu tun.
Vielleicht könnten Sie mir wie versprochen noch Operations- und Austrittsbericht derjenigen Klinik verschaffen, wo Angelo gestorben ist, das wäre aufschlußreich. Sie haben mich um meine Meinung über Hamers Theorien gebeten, ich finde sie größtenteils abstrus und gefährlich. Trotzdem würde ich Ihnen den Gang zur Krebsliga empfehlen, um noch eine unabhängige Fremdmeinung zu bekommen.
Mit freundlichen Grüßen
U. Caflisch