Parlamentarische Anfragebeantwortung betreffend der Neuen Medizin
BUNDESMINISTERIUM FÜR WISSENSCHAFT, FORSCHUNG UND KUNST
GZ 10.001/174-Pr/1c/95
Herrn Präsidenten
des Nationalrates
Dr. Heinz FISCHER
Parlament
1017 Wien
Wien, 25 Juli 1995
Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 1435/J-NR/1995, betreffend Stand der Krebsforschung in Österreich, Überprüfung der Thesen von Dr. Ryke Geerd Hamer, die die Abgeordneten Mag. Dr. PETROVIC, Freundinnen und Freunde am 23. Juni 1995 an mich gerichtet haben, beehre ich mich wie folgt zu beantworten:
1. Hat Ihr Ressort sich inhaltlich mit den Thesen von Dr. Hamer oder mit anderen alternativen Krebstheorien auseinandergesetzt?
- Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?
- Wenn nein, warum nicht?
Antwort
Die Fachvertreter an den Medizinischen Fakultäten in Österreich vertreten die Ansicht, daß die von Dr. Ryke Geerd Hamer vertretenen Theorien der Krebsentstehung und Behandlung in mehrfacher Hinsicht keine Stütze in den Ergebnissen der modernen Krebsforschung und Krebstherapie finden.
In der Frage der Anerkennung der Thesen des Dr. Hamer als Behandlungsmethode ist das Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz zuständig.
Doch auch mein Ressort ist bereit, sich auch mit unkonventionellen Theorien und alternativen Behandlungsmethoden – wobei allerdings zu sagen ist, daß die Thesen des Dr. Hamer mit Alternativmedizin nichts zu tun haben und es auch keine sogenannte „alternative“ Krebstheorie gibt – wissenschaftlich auseinander zu setzen und sie bewerten zu lassen. Voraussetzung dafür ist freilich, daß derartige Thesen überhaupt einer wissenschaftlichen Beurteilung zugänglich sind.
In meinem Ressort hat sich mit der Krebsentstehungstheorie des Dr. Hamer insbesondere die Medizinische Fakultät der Universität Graz befaßt. Der Dekan der Medizinischen Fakultät in Graz Univ.Prof. Dr. Thomas Kenner hatte 1991 in einer öffentlichen Stellungnahme die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Bewertung der Thesen von Dr. Hamer verneint. Univ.Prof. Dr. Kenner kam damals zu dem Schluß, daß eine Bewertung des Hamer’schen Systems durch wissenschaftliche Gutachter sinnlos wäre. Diese Stellungnahme, die als Gastkommentar in der Kleinen Zeitung (Ausgabe vom 7. Februar 1991) veröffentlicht wurde, ist zur Information angeschlossen (Beilage).
Auch eine Befragung des Dekans der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im Jahre 1993 führte zu dem Ergebnis, daß eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Theorien Dr. Hamers nicht erwogen werden könne.
Angesichts der einhellig negativen Bewertung durch ausgewiesene Wissenschafter der Medizinischen Fakultäten in Österreich besteht für das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst keine Möglichkeit, im Sinne einer Evaluierung der erwähnten Thesen tätig zu werden.
Daß die Theorien von Dr. Hamer unkritisch verworfen werden, trifft jedenfalls nicht zu. Soweit mir bekannt, hat Dr. Hamer Angebote der Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie und der Österreichischen Krebsgesellschaft zur kritischen Prüfung der Behandlungserfolge nicht akzeptiert und wäre es wohl auch im Hinblick auf seine ablehnende Haltung gegenüber der Schulmedizin nicht möglich, ein Expertenteam aus dem Kreis der Onkologen zu bilden, das die von Dr. Hamer vorgeschlagene Überprüfung seiner Erkenntnisse und Thesen vornehmen könnte.
Die Tatsache, daß Krebserkrankungen psychische Wurzeln haben können, ist der Schulmedizin seit Jahren bekannt und nicht erst von Dr. Hamer, der seit 1986 in Deutschland mit einem Berufsverbot belegt ist und dessen ärztliche Tätigkeit in Österreich ohne Zulassung erfolgt, aufgezeigt worden. Schließlich befassen sich die Fächer Psychoonkologie und Psychoneuroimmunologie mit diesen Fragestellungen und werden psychosoziale Aspekte in die Behandlung einbezogen. Diese Fächer werden an den Medizinischen Fakultäten gelehrt.
Es ist auch hinlänglich bekannt, daß psychische Faktoren die Immunabwehr so beeinflussen können, daß es zu spontanen Heilungen kommt.
Die Feststellungen Dr. Hamers über die sogenannten ontogenetischen Zusammenhänge enthalten manch Richtiges, dem stehen allerdings völlige Unsinnigkeiten und Absurditäten gegenüber.
Dr. Hamer kann seine Thesen weder durch klare Dokumentation noch durch Literaturbelege stützen. Seine Behauptungen wurden in keiner medizinischen Zeitschrift publiziert. Die Art und Weise, wie er Krebspatienten von der heute weltweit als richtig, notwendig und auch zielführend anerkannten Therapieform abhält (wie z.B. jetzt von der erfolgversprechenden Behandlung des Wilmstumors der kleinen Olivia Pilhar), kommt einer gefährlichen Scharlatanerie nahe.
Grundlagen der modernen Therapie von Tumorerkrankungen sind Operation, Radiotherapie, medikamentöse Behandlung und Therapie mit sogenannten biologischen Modulatoren (z.B. Interferonen). Früherkennung und früher Therapie kommt im Hinblick auf eine mögliche Heilung eine besondere Rolle zu, wie auch Psychotherapien in jedem Stadium des Tumorwachstums unterstützend wertvoll sein können. Diese gehören jedoch zu den zusätzlichen Maßnahmen, die allein eine manifeste maligne Erkrankung nicht zur Rückbildung bringen können. Die Vorstellung des Dr. Hamer, daß nämlich durch die Lösung des traumatisierenden Konfliktschockes (von ihm „Confliktolyse“ genannt) in einer vagotonen Heilungsphase die Hamer’schen Herde im Gehirn zusammen mit der Krebsgeschwulst im Organ abheilen kennen, entspringt einem Wunsch- und Wahnsystem offensichtlich ohne Berücksichtigung der Realität des Tumorwachstums, das eigenen Gesetzen folgt. Besonders bedenklich ist diese Aussage, da durch das Hinausschieben der definitiven, am Beispiel des Wilmstumors überaus vielversprechenden Krebstherapie jedenfalls kostbare Zeit verloren geht, in der noch tatsächliche Heilungsmöglichkeiten gegeben sein können.
2. Wie hoch war in den letzten 3 Jahren die Summe der Forschungsmittel, die Ihr Ressort in die Überprüfung neuer Krebstheorien investiert hat?
Antwort
Aus Mitteln der Auftragsforschung des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst wurden in den letzen 3 Jahren insgesamt 15 Forschungsaufträge auf dem Gebiet der Krebsforschung erteilt und mit rund 18,5 Mio. S finanziert. Der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung hat dafür im selben Zeitraum rund 26,2 Mio. S für 44 Projekte aufgewendet.
Die Krebsforschung auf europäischem Niveau befaßt sich überwiegend mit Grundlagenforschung und dem Zusammenspiel der Zell- und Molekularbiologie bzw. Entwicklungsgenetik einerseits und Onkologie sowie Epidemiologie andererseits.
Neue Konzepte zur Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung setzen das Verständnis über die Mechanismen, durch die Zellteilung und Zellproliferation gesteuert werden, und die Isolierung neuer genetischer und Umweltfaktoren, die diese Steuerungsmechanismen bestimmen und mit ihnen in Wechselwirkung treten, voraus.
Die klinische Forschung zielt dabei auf Verbesserungen sowohl bei der Krebsdiagnose als auch bei der Krebstherapie ab. Dabei setzt sich die klinische Forschung – komplementär zu weiterer Grundlagenforschung – das Ziel, auch die Übertragung neuer Möglichkeiten in die klinische Versorgung zu erreichen. Die moderne Krebsforschung erfordert laufende Grundlagen-, klinische und epidemiologische Forschung. Die intensive multinationale und multidisziplinäre Zusammenarbeit in der Krebsforschung hat vielversprechende Fortschritte gebracht und sogar für seltene Krebsformen komplexe Therapiemethoden ermöglicht.
3. Sind Sie persönlich der Meinung, daß neue Krebstheorien umgehend geprüft werden müssen?
- Wenn ja, in welcher Weise handeln Sie danach?
- Wenn nein, warum nicht?
Antwort
Selbstverständlich müssen neue Krebstheorien überprüft werden.
Im Falle der sogenannten „Theorie“ des Dr. Hamer siehe meine Antworten zu den Fragen 1 und 2.
Vor allem muß ich auf die Zuständigkeit des Bundesministers für Gesundheit und Konsumentenschutz bezüglich des Verfahrens zur Überprüfung und Anerkennung neuer Behandlungsmethoden verweisen.
Die wissenschaftliche Suche nach neuen Formen der Behandlung ist ein ständiger Prozeß, an dem multidisziplinär und international alle Krebsforschungseinrichtungen und -zentren der Welt beteiligt sind.
Soweit es sich um medizinische Forschungsprojekte mit einem klar formulierten Forschungskonzept handelt, können und werden Forschungsmittel aus der Auftragsforschung des Bundes vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst vergeben. Ein solches Konzept liegt bei den Ausführungen des Dr. Hamer nicht vor. Eine Finanzierung im Zusammenhang mit der Überprüfung seiner „Theorien“ mit Hilfe öffentlicher Gelder ist aufgrund des zum Teil fehlenden, zum Teil von falschen Voraussetzungen ausgehenden Konzeptes absolut unverantwortlich.
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