„Rote Karten für die Schulmedizin“ verteilten gut tausend Demonstranten am Pfingstsamstag in Tübingen und prangerten die „Profitgier der Götter in Weiß“ an. Die Anhänger der „Germanischen Neuen Medizin“ forderten zudem „Freiheit für Dr. Hamer“. Wie am Freitag berichtet, sitzt der ehemalige Tübinger Arzt, der hier in den 50er Jahren Medizin studierte und von 1964 bis 1966 in Hirschau praktizierte, derzeit in Frankreich eine dreijährige Strafe wegen Betrugs und Beihilfe zur illegalen Arzttätigkeit ab.
„Krebs kann man heilen – aber nicht bekämpfen“, so eine der Thesen auf den Transparenten. Fans forderten in Sprechchören für Hamer den Nobelpreis. Sie reisten vom höchsten Norden Deutschlands ebenso an wie aus Bayern. Etliche Demonstranten kamen aus Frankreich, die mit rund 150 Leuten stärkste Delegation stammte aus Italien. Über Internet hatten die Organisatoren europaweit für die Kundgebung getrommelt. Busse mussten lange warten: „Es lebe die heilige Germanische Neue Medizin“, skandierten die Demonstranten, bevor sie von der Uhlandstraße über die Mühlstraße und die untere Altstadt zum Marktplatz zogen, wo zuvor Greenpeace-Jugendliche vor den Folgen des Klimawandels warnten. Hamer-Gefolgsleute stellten den ihrer Ansicht nach zu Unrecht Weggesperrten in eine Reihe mit Kepler, Kopernikus und Galilei. Buhrufe dagegen gab es für das sein 200-jähriges Bestehen feiernde Tübinger Klinikum. (Die Medizinische Fakultät hatte 1982 Hamers Krebstheorie abgelehnt.) „Dieses Jubiläum wird ihr letztes sein“, sagte ein Redner unter Beifall. Passanten quittierten die angeblichen Heilungserfolge von Krebspatienten mit Kopfschütteln. Mitglieder der Tübinger Antifa charakterisierten Hamer in einem Flugblatt als „dumpfen Antisemiten“, dessen Theorien auch von bekannten Neonazis vertreten werden. Eine Tübinger Ärztin schüttelte nach einem Disput mit einem der Anhänger des selbst ernannten Wunderheilers den Kopf über „so viel Irrationalität“.