Das geliebte Kind zieht aus …
Es handelt sich hier um den Fall einer über 80-jährigen Frau, einem robusten Urgestein in einer beschaulichen süddeutschen Kleinstadt, die früh eines morgens mit Herzversagen insgesamt gesund und sanft das diesseitige Leben verließ.
Zwei Tage zuvor hatte ich noch ein längeres Telefonat mit ihr; danach hatte ich erwogen ihr wegen ihrer geschilderten zunehmenden Altersbeschwerden „Mein Studentenmädchen“ zukommen zu lassen, das mir selbst bei Knochenproblemen geholfen hatte. Der Tod war aber schneller als mein gutes Vorhaben.
Wie komme ich nun ohne CT und ohne Obduktion darauf, dass der Tod durch die Lösung eines Revierverlustkonfliktes eingetreten ist?
Wie gesagt, sie war robust für ihr Alter, befreit von nervenden Partnern konnte sie ihren Wohlstand alleine genießen. Noch am Tag vor dem Tod ist sie ihren Tätigkeiten gut nachgegangen.
Trotz der Schwäche durch den Alterungsprozess, hatte ihr Herz immer gut mit gemacht, so dass kein Anhaltspunkt für eine Schwächung der Herzmuskeln/-klappen vorgelegen hat. Es gab kein Anzeichen für einen das Herz betreffenden stark wirksamen Überforderungskonflikt. Sie hat sich mit einer Fast-Alpha-Natur in den Beziehungen meist gut vor Überlastung und Herausforderung durch Abgrenzung und Egalhaltung geschützt. So hat sie z.B. zum von ihr nicht gewünschten Hausbau eines ihrer Kinder zur Abschreckung gesagt, sie werde nie einen Fuß in dieses Haus setzen.
Anzeichen für eine Attacke gegen das Herz mit verdicktem Herzbeutel und Ödem lagen auch keine vor.
Ein unerwartetes Problem hatte sich aber einige Monate zuvor eingestellt, als ihr liebstes großes Kind ein Haus in der weiten Ferne zum Bewohnen erstellen wollte. Das war undenkbar gewesen, da sie und ihr Kind Lokalmatador-Charakter hatten; deren Verwurzelung und Verbindung erschien so stark, dass man meinen konnte, dass eher der Berg den Ort verlassen werde, als dass das Kind die seiner Mutter bestehende symbiotische Beziehung verlassen werde. Als meine Frau von diesem Plan des Wegzugs erfahren hatte, konnte sie es kaum fassen, und dachte, ob die alte Frau das überleben wird. Ich schätze, dass dieses eine der Kinder in langer treuer Verbundenheit durchgehend die größte Liebe im Leben der alten Frau gewesen ist; folglich ist dieses eine Kind zentral für die Erfahrung eines intakten bzw. vollständigen Reviers gewesen. Speziell wenn man älter wird, braucht man zum Erhalt seiner Alpha-Position die Loyalität der jüngeren Getreuen des Rudels.
Die Frau ist in einer Zeit und Tradition aufgewachsen, in der der sprachliche Ausdruck der zärtlichen, liebevollen Gefühle und Bedürfnisse unüblich war. Und von den im Leben einzusteckenden Härten geprägt, konnte sie nichts an Worten ausdrücken, was den Erhalt ihres liebgewonnenen Reviers, für das sie viel in das erwählte eine Kind investiert hatte, hätte retten können. Folglich wirkte durch die Wegzugsplanung der Revierverlustkonflikt in Herz und Hirn über eine längere Zeit.
Aber sie konnte ihrem liebsten Kinde gegenüber ja keinen Gram oder Vorwürfe entwickeln, sie war durch die Liebe genötigt zu akzeptieren, ja geradezu ihren Segen zu geben bezüglich diesem für sie schlimmen Hausprojekt. Und wenn so etwas gelingt, dann ist doch Lösung des Revierverlustkonfliktes in Gang gebracht, die ja bei langer Konfliktdauer so todesgefährlich ist.
So verstarb die Frau unerwartet in den frühen Morgenstunden kurz nachdem sie für eine Reise zu dem ihr Revier bzw. Rudel bedrohenden neu gebauten Haus fest verplant worden war. Der Logik nach müsste es ein Linksherzinfarkt gewesen sein. Wieweit dabei andere alte Konfliktmassen aus früheren Erlebnissen mitspielten, kann ich nicht ermessen.
Der Konflikt plötzlich mutterseelenalleingelassen zu sein, löste dann bei den Kindern erst einmal eine Desorientierung aus; ich schätze es als eine Stammhirnkonstellation ein. Da nämlich über die Jahre im Erwachsensein die Nicht-Nur-Mutter auch eine Partnerfunktion bekommen hat, war mit ihrem Tod eine Mutter und Partnerin verloren gegangen. Der mit dem Nierensammelrohrsyndrom einhergehende Alleingelassenseinskonflikt wird in diesem Fall wahrscheinlich nicht lange oder größere Probleme verursachen, indem durch das Erben kein Existenz-und Finanzkonflikt (dies ist ja die selbe Konfliktebene wie das Alleingelassensein) entsteht.