CHIRURGISCH GEHEILT

Zwei Wochen nach der gelungenen Operation der krebskranken Olivia durften sie nun Journalisten im Spital besuchen. Die behandelnden Ärzte Sind optimistisch: „Sie wird wieder ganz gesund.“

Der Verteidigungsring wurde – temporär zumindest – gelockert. Vergangenen Freitag öffnete sich erstmals für Journalisten das Zimmer der wohl bestgehüteten Patientin des Landes. Der Eintritt wurde keinem österreichischen Medium gewährt, sondern der deutschen „Bild am Sonntag„. Das Wochenmagazin, das sich bis dahin in Abstinenz geübt, über den „Fall Olivia“ nur eine einzige kurze Nachricht gebracht und sich deshalb nicht den Zorn der Eltern zugezogen hatte, bekam die Geschichte. „Bild„-Reporter Fred Sellin, der das krebskranke Mädchen auf der Ebene 9 der AKH-Kinderklinik besuchen durfte: „Ich glaube, die Pilhars wollen mit den österreichischen Journalisten nichts mehr zu tun haben.“

Für den ersten Fototermin nach erfolgreicher Operation und Chemotherapie wollte sie sich dann besonders hübsch machen. Olivia, deren Gesicht nun noch schmäler geworden ist, clipste sich kleinen, bunten Plastikschmuck an die Ohrläppchen, band sich ein Blumenarmband um ihr dünnes Handgelenk und ließ die letzten verbliebenen Haarsträhnen offen.

Schmerzen, sagte sie den Reportern, hätte sie kaum noch: „Mein Bauch zwickt mich noch ein bißchen, aber sonst geht es mir sehr gut.“

Reporter Sellin: „Das Mädchen hat einen sehr tapferen Eindruck gemacht. Sie war überhaupt nicht hysterisch, sehr ruhig. Außerordentlich reif für eine Sechsjährige.“

Leben mit nur einer Niere. Die Erholung Olivias, der bei der erfolgreichen Operation vor zwei Wochen im AKH die tennisballgroße Krebsgeschwulst mitsamt der rechten Nebenniere entfernt werden mußte, verläuft zufriedenstellend. Irene Slavc, die für ihre Nachbehandlung zuständige Krebsspezialistin: „Ihre Laborwerte sind überdurchschnittlich gut.“ Und auch an Gewicht legt sie schon zu. Einzig das schöne lange Haar, auf das die Kleine so stolz war, wird ihr in den nächsten Wochen restlos ausfallen. Denn das Mädchen muß weiterhin mit schweren Zytostatika behandelt werden – drei verschiedene Präparate werden in Form von wöchentlichen Spritzen verabreicht, hinzu kommen noch zahlreiche Medikamente, um die Nebenwirkungen abzuschwächen.

Mehr als ein halbes Jahr wird Olivia in ärztlicher Obhut bleiben müssen. Denn so lange dauert die komplizierte Nachbehandlung, die vom zwölfköpfigen AKH-Expertenteam exakt nach dem Behandlungsplan der „Europäischen Wilms-Tumor-Studie“ durchgeführt wird.

Olivias Überlebenschance war vor drei Monaten von den behandelnden Ärzten noch mit „weniger als zehn Prozent“ beziffert worden. Jetzt sagt ihr Chirurg, Prof. Ernst Horcher: „80 Prozent aller vergleichbaren Fälle überleben. Wir sind sicher – Olivia wird dazugehören.“

Totaleinsatz der Eltern. Die schnelle Genesung der Sechsjährigen ist aber laut behandelnden Ärzten auch auf die intensive Betreuung durch Olivias Eltern zurückzuführen, die es offensichtlich geschafft haben, im Interesse ihrer Tochter über den eigenen Schatten zu springen. Und die, obwohl sie immer noch an „Wunderheiler“ Geerd Ryke Hamer glauben und mit ihm in ständigem telefonischen Kontakt stehen, mit der Schulmedizin kooperieren.

Erika Pilhar wacht Tag und Nacht an der Seite ihrer Tochter. Helmut Pilhar, der sich nun vor allem um die beiden anderen Kinder Elisabeth, 5, und Alexander, 8, kümmert, darf Olivia jetzt uneingeschränkt besuchen und bringt ihr regelmäßig Blumen und Bücher.

Finanzielles Desaster. Es muß für die Eltern einen schweren Entschluß bedeutet haben, so einzulenken. Schließlich stehen sie am Ende ihres Kampfes gegen die Schulmedizin und das vermeintliche „Unrecht“ der Behörden, der die Pilhars im heurigen Sommer durch halb Europa bis nach Südspanien verschlug, praktisch auch am Ende ihrer bürgerlichen Existenz. Olivias Vater, der als hochqualifizierter EDV-Spezialist bei „Schrack“ einen hochdotierten Posten hatte, willigte schon bald nach der spektakulären Rückholaktion aus Malaga Ende Juli in eine einvernehmliche Auflösung seines Dienstverhältnisses ein. Und ist seither arbeitslos.

Erika Pilhar hat ihren Posten als Handarbeits- und Kochlehrerin in einer niederösterreichischen Hauptschule gar nicht erst wieder angetreten. Sie ließ sich „auf unbestimmte Zeit“ dienstfrei stellen, um ihre Tochter rund um die Uhr betreuen zu können. Die Ersparnisse (drei Bausparverträge und das heurige Urlaubsgeld) sind längst aufgebraucht, der für Herbst geplante Hausbau abgesagt.

Ein wenig Unterstützung kommt von den Großeltern. Derzeit lebt die Familie bei Erika Pilhars Eltern im niederösterreichischen Maiersdorf.

150.000 Schilling Spitalskosten. Doch die nächste finanzielle Belastung erwartet die Familie bereits in Form der Spitalsabrechnung. Erika Pilhars Anwesenheit im Wiener AKH wird nämlich nicht von der Krankenkasse beglichen. Da niemals eine Zusatzversicherung abgeschlossen wurde, muß das Bett, das zusätzlich in Olivias Zimmer bereitsteht, bezahlt werden. Dabei fällt jeden Tag der Betrag von 800 Schilling an. Hochgerechnet auf die prognostizierte Aufenthaltsdauer von 27 Wochen ergibt das eine Gesamtsumme von mehr als 150.000 Schilling.

Die Einnahmen der Familie sind rar. Zusätzlich zu Arbeitslosengeld und Kinderbeihilfe kann zwar Pflegegeld beantragt werden – doch damit kann eine fünfköpfige Familie kaum leben. Und auch die Medienpräsenz von Helmut Pilhar – er begleitete Wunderheiler Hamer zu zahlreichen deutsche Talk-Shows – brachte, wider Erwarten, finanziell kaum Vorteile.

Einzig die aktuellen Bilder wurden für einen vierstelligen DM-Betrag verkauft.


Der Medienfall Olivia

Wie ein Skalpell

Ein ,Sommerthema‘ bewegt

Begonnen hatte alles mit Barbara Stöckl. Mit dem Auftritt von Wunderheiler Geerd Ryke Hamer in ihrer Sendung „Help-TV“, damals noch unterstützend flankiert von Madeleine Petrovic, kam der Fall „Olivia“ ins Rollen und löste eine bis dahin in Österreich unbekannte Form der Medienberichterstattung aus.

Die Öffentlichkeit wurde auf die umstrittenen Thesen Hamers, seine Attacken gegen Schulmedizin und Behörden und auf die Geschichte eines sechsjährigen krebskranken Kindes aufmerksam – die in einer aberwitzigen Flucht durch halb Europa kulminierte.

Olivia wurde zum großen Thema dieses Sommers – mit teilweise auswuchernd überhöhter Schlagzeilen-Poesie „Das Leiden des Krebsmädchens schneidet sich wie ein Skalpell in unsere Herzen“, markierte „Bild“ hier einen Höhepunkt.

Olivia löste auch eine Mediendebatte aus, aber es war ein Thema, das eines der interessantesten Probleme der Zeit beleuchtete und deshalb auch von vielen seriösen Medien behandelt wurde. Der deutsche „Spiegel“ berichtete in großer Aufmachung, NEWS brachte Analysen, Interviews, die Berichterstattung war nicht zuletzt die Grundlage für das Beweismaterial der gegen Hamer ermittelnden Behörde.

Die über jeden Boulevard-Verdacht erhabene Schweizer „Weltwoche„:

„Der Fall wurde zum Beweisstück in der Auseinandersetzung der beiden klassisch verfeindeten Gruppen, der naturwissenschaftlich, orientierten Schulmedizin und der alternativen Heilkunst.“

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