Von unserem Redakteur Christian Gruber

LUDWIGSHAFEN. Das Abwasser von Kliniken und Haushalten ist mit hoch giftigen Rückständen von Chemotherapien belastet. Das haben Forscher der Universitätsklinikums Freiburg nachgewiesen.

Diese so genannten Zytostatika stammen von stationär und ambulant behandelten Krebspatienten und werden von den Kläranlagen nur unzureichend bewältigt.

Die Freiburger Forscher haben errechnet, dass jährlich bis zu 800 Kilogramm Zytostatika in die Kanalisation gelangen. „Wir haben für die beiden wichtigsten Stoffe jeweils 200 bis 400 Kilogramm pro Jahr für Deutschland bilanziert,“ betont Klaus Kümmerer vom Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene in Freiburg. Die von den Krebspatienten ausgeschiedenen Therapiedosen könnten langfristig über das Trinkwasser wieder aufgenommen werden, weil nicht auszuschließen sei, dass einige der Stoffe ins Oberflächenwasser gelangen, so Kümmerer gegenüber der RHEINPFALZ.

Wie das Mainzer Umweltministerium bestätigt, gibt es derzeit keine gesetzliche Regelung, die Krankenhäuser das Auffangen von Chemotherapierückständen vorschreibt. Das Bundesumweltministerium in Berlin hat keine gesundheitlichen Bedenken: Die größtenteils organischen Zytostatika-Bestandteile würden in der Kanalisation „relativ schnell abgebaut“ und enthielten keine langlebigen giftigen Stoffe, sagte ein Sprecher auf Anfrage.

Die Freiburger Forscher weisen das zurück. Von 20 untersuchten Zytostatika seine lediglich zwei „einigermaßen“ abbaubar gewesen. Kümmerer: „Zwei Stoffe haben wir auch im Ablauf von Kläranlagen gesucht und gefunden.“ Die Kläranlage habe sie nicht aus dem Wasser filtern können. Nur einige der Zytostatika fänden sich im Belebtschlamm. Ihre Entsorgung stelle von daher kein Problem dar.

Zytostatika sind Substanzen, die in den Stoffwechsel von Tumorzellen eingreifen oder ihre Zellstrukturen stören. Sie werden als Chemotherapie zur Bekämpfung verschiedener Krebsarten verabreicht, gelten aber bei Gesunden als krebserregend und Keimbahnschädigend. Arbeitsschutzbestimmungen für das Krankenhauspersonal warnen deshalb davor, dass beim Umgang mit Zytostatika schon geringste Mengen durch kleine Lecks oder Aerosolbildung über die Atemwege und die Haut aufgenommen werden können.

Neben Zytostatika bereiten den Kläranlagen nach Erkenntnissen des Universitätsklinikums Freiburg auch mit Schwermetallen, Antibiotika und gefährlichen Rückständen von Desinfektionsmitteln belastete Klinikabwässer Probleme.

Richtig ernst zu nehmen scheint man das Problem auch im Berliner Umweltministerium nicht: Er habe mal nachgefragt, erklärte der zuständige Pressesprecher. Von einer Gefährdung der Bevölkerung durch krebserregende Chemotherapierückstände in Krankenhausabwässern, so genannten Zytostatika, könne keine Rede sein.

„Ich weiß nicht, wo das Bundesumweltministerium seine Informationen her hat“, wundert sich Klaus Kümmerer. Kümmerer beschäftigt sich seit Jahren mit Schadstoffen in Klinikabwässern und ist Leiter des Ressorts Umweltforschung am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universitätsklinik Freiburg. Bis zu 800 Kilogramm hoch giftige Chemotherapierückstände werden jährlich von den Patienten ausgeschieden oder gehen über den Ausguss in die Kanalisation, haben Kümmerer und sein Team herausgefunden. Das gilt für die beiden wichtigsten Zytostatika. Und nur ein kleiner Teil dieser Zellgifte ist abbaubar oder bleibt im Klärschlamm hängen.

Die Dunkelziffer liegt höher. Das Berliner Robert-Koch-Institut und die Deutsche Krebshilfe gehen von 340.000 Menschen aus, die Jahr für Jahr in Deutschland neu an Krebs erkranken. In 40 bis 60 Prozent der Fälle kommt eine Chemotherapie zum Einsatz, schätzt man an der Universität Würzburg. Ein enormes Potential.

Wie sorglos der Umgang mit den krebserregenden Stoffen im Klinik- und Praxisalltag ist, zeigt eine Erhebung der Arbeitsschutzverwaltung Nordrhein-Westfalen, die von Juli 1996 bis Februar 2997 275 Krankenhäuser, Apotheken und onkologische Arztpraxen kontrollierte, in denen mit Chemotherapien hantiert wird.

Das Ergebnis: Keine Einrichtung war ohne Mängel. „Rund 84 Prozent hatten sich mit dem Gefahrstoffproblem Zytostatika nicht auseinander gesetzt. In rund zwei Drittel der Einrichtungen waren die Beschäftigten nicht ausreichend über die bestehenden Gefahren unterwiesen. Bei 50 Prozent der Beschäftigten wurde die erforderliche Vorsorgeuntersuchung nicht durchgeführt“, gaben die Prüfer zu Protokoll. Vom Umweltbewusstsein ganz zu schweigen.

Dabei sind Zytostatika, die bereits in kleinsten Mengen Krebs auslösen, Gen-verändernd wirken oder die Keimbahn schädigen können, nicht das einzige Problem. Wissenschaftler warnen seit Jahren vor Antibiotika, Schwermetallen und Desinfektionsmitteln in der Kanalisation. So werden viele Bestandteile in Desinfektionsmitteln, wie sie Kliniken und Arztpraxen verwenden, nur sehr begrenzt biologisch abgebaut. Von vierbindigen Ammoniumkomplexen etwa, so genannten QAC, weiß man, dass sie Mikroorganismen schon in kleinen Konzentrationen schädigen.

100 Kilogramm Quecksilber

Die Folge; Kläranlagen haben Schwierigkeiten, Nitrit aus dem Abwasser zu filtern, weil die entsprechenden Bakterienstämme absterben. Wird Nitrit in hohen Dosen über das Trinkwasser aufgenommen, können sich im Körper Nitrosamine bilden, die im Verdacht stehen, Krebs auszulösen. Eine Gefahr besonders für Kinder.

Deutsche Kliniken setzen außerdem giftige Schwermetalle wie Quecksilber in die Abwässer frei. Kümmerer schätzt, dass allein 1994 rund 100 Kilogramm des flüssigen Metalls durch Krankenhausbehandlungen mit dem Wunddesinfektionsmittel Mercurochrom verarbeitet wurden. Haushalte und Arztpraxen nicht eingerechnet. Das meiste davon dürfte in den Untergrund gelangt sein.

Wenigstens bei den Antibiotika kann Kümmerer Entwarnung geben, zumindest was das Risiko für den Menschen betrifft: Die Resistenzbildung in den Kläranlagen sei nicht so schlimm wie befürchtet. In der Wissenschaft galt als ausgemacht, dass sich Krankheitserreger gegen die in die Kanalisation gespülten Bakterienzerstörer immunisieren und herkömmliche Antibiotika gegen die entstehenden „Super-Erreger“ nichts mehr ausrichten.

Wie sich Antibiotika allerdings auf die Reinigungsleistung von Kläranlagen auswirken sei noch offen. Und, schränkt der Freiburger Wissenschaftler ein: Eine weitere Studie, die sein Institut derzeit im Auftrag des Umweltbundesamts durchführt, zeige, dass herkömmliche Tests zur Abschätzung des Umweltrisikos durch Antibiotika zum Teil versagen.

Während beispielsweise der Umgang mit radioaktiven Substanzen im Krankenhaus vom Gesetzgeber klar geregelt ist und die Vorgaben – wie Kümmerers Kollege, der Strahlungs-Experte Martin Scherrer, bestätigt – strikt eingehalten werden, rangieren die Arzneirückstände in der Prioritätenliste ganz unten. Der Bund habe bislang keine Abwasserverordnung für den Bereich Krankenhaus zu Papier gebracht, bestätigt das Mainzer Umweltministerium. Obwohl seit den 90er Jahren daran gearbeitet werde.

„Das Bewusstsein in den Kliniken ist nur dann groß, wenn man mit den Verantwortlichen darüber gesprochen hat“, betont Kümmerer. „Aber selbst dann scheitert ein verbesserter Umweltschutz oft an den finanziellen Gegebenheiten.“ Die Kliniken müssen abspecken. Vor allem in den kleinen Häusern geben die ausgereizten Budgets nichts mehr her für die teure Technik, mit der sich die Patientenausscheidungen auffangen lassen.

Zudem sind die Weichen im Gesundheitssystem längst gestellt: weg von der stationären, hin zu der ambulanten Behandlung. Das heißt, es wird immer schwieriger zu kontrollieren, was alles in die Kanalisation läuft. Nicht von ungefähr hat die Abwassertechnische Vereinigung erst unlängst davor gewarnt, dass lediglich zehn Prozent aller Medikamente im Krankenhaus verabreicht werden.

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