Erika, Olivia, Elisabeth und ich wachten gleichzeitig auf. Alexander schlief mit Johannes in einem Zimmer im Erdgeschoss. Ich ließ das bisherige Geschehen in Gedanken durchlaufen. Dunkel erinnerte ich mich, einen fürchterlichen Traum geträumt zu haben. All mein Handeln und alle meine Sorgen und Gedanken im vergangenen Monat drehten sich um Olivia. Was war nicht alles geschehen? Es schien mir, als hätte dies alles Monate in Anspruch nehmen müssen und trotzdem schrieben wir den 17. Juni. Es war also genau ein Monat seit der Diagnoseerstellung vergangen.

Für mich persönlich änderte dieser Monat meine Sichtweise von Recht und Gesetz, über Ärzte und Spitäler und vor allem, ich fing an, einen Sinn im Geschehen unserer Geschichte zu erkennen. Ich, der immer behauptete ein Atheist durch und durch zu sein, der ein Jahrzehnt lang in allen Religionen dieses falsche, den Menschen irreführende Prinzip des Gehorsams, des Erduldens und des jenseitigen Belohntwerdens erkannt und verdammt hatte. Gerade Gerald, den ich samt seiner Frau Karin immer nur belächelte und abtat, musste mir nun erklären, wie das göttliche Prinzip zu verstehen sei. Teile davon war mir bekannt, manche jedoch vollkommen neu. Noch spürte ich, wie sich mein Verstand wehrte, mein Herz sich aber sehnte, endlich Göttliches erkennen zu dürfen. Dieser Monat hatte meine persönliche Wahrnehmung entscheidend geformt.

Karin und Gerald waren am Bauernmarkt, um ihrem Geschäft nachzugehen. Sie mussten schon sehr früh aufgebrochen sein, denn ihre Abfahrt hatte mich nicht geweckt. Zwischen Erika und mir gab es kleine Differenzen, die allein meine Schuld waren. Ungeduld war ein in-Angriff-zu-nehmendes Laster von mir.

Nach einem Bad und dem Frühstück suchte ich mir eine Beschäftigung. Der Tag war herrlich klar und die Natur reichte mit ihren Eindrücken und Geräuschen fast bis in das Haus. Gegen Mittag fuhr ich mit Johannes als Führer in das entfernt gelegene Dorf einkaufen. Milch und Eier holten wir beim Bauern, den Rest aus dem Kaufhaus. Vor dem Kaufhaus fand ein Dorffest statt. Musik spielte und auf der Bühne wurde getanzt. Leute saßen auf Heurigenbänken bei ihrem Bier und begafften Neuankommende. Im Kaufhaus war reger Betrieb. Ich mied jeden direkten Blickkontakt mit den Fremden, aus Furcht durch die Medien bereits bekannt geworden zu sein. Beim Zeitungsstand nutzte ich Johannes’ Interesse für Comics, indem ich schnell die Tageszeitungen nach einem uns betreffenden Artikel durchblätterte und war beruhigt, keinen finden zu können. Später dachte ich mir, ob ich nicht zu pessimistisch war. Vielleicht würde ich gerade dadurch, entsprechend dem feinstofflichen Prinzip der Anziehung, negative Ereignisse anziehen. Wie funktioniert eigentlich schwarze Magie? Es wäre wohl besser, ich änderte meine Einstellung.

Nach dem Mittagessen gingen wir in den Garten Ball spielen. Olivia hatten ihren Spaß daran und ich Bedenken, dass sie sich überanstrengen könnte. Schon hatte ich wieder meine negativen Gedankenmuster angewandt, schmiss es aber sofort weg und überlegte, Olivia könnte wohl selbst am besten ihr Bedürfnis nach Spiel und Ruhe empfinden. Es entsprach auch nicht ihrem Charakter, sich zu etwas überreden zu lassen, was sie eigentlich nicht tun wollte. Unser Ziel war es, Olivia Erholung zu gewähren. Sie durfte nicht vor Langeweile frustriert Heimweh bekommen. Wir ließen, soweit wie möglich, das Kind selbst entscheiden.

Mein Bedürfnis in Olivias Nähe sein zu können, konnte ich mit Maß und Ziel voll ausleben. Ihre wachsende Schönheit wurde mir bewusster denn je und es war klar, dass sich viele Männer um sie einmal bemühen werden. Ich schwelgte in Vaterstolz und vollkommener Liebe. Es musste gelingen, ihr zartes, sensibles Wesen zu stärken!

Später unternahmen wir eine Wanderung, die länger ausfiel als geplant war. Der Weg durch den Wald war steil. Doch nachdem wir die ersten Eierschwammerln gefunden hatten, brach bei Johannes, Elisabeth und mir das gefürchtete Schwammerlfieber aus. Alexander und Olivia waren zwar nicht sehr begeistert, taten aber bereitwillig mit. Da es Olivia offensichtlich gut ging, schob ich aufkommende Bedenken über die Zumutbarkeit beiseite und es wurde wirklich eine schöne Wanderung. Elisabeth fand sogar einen Steinpilz und war durch meine Bewunderung und Anerkennung hellauf begeistert.

Die Gegend, Berge und Täler, Wälder und Wiesen, die Kühe auf den Wiesen und die vielen Bienen, die emsig umher flogen, all das wirkt so beruhigend auf mein Gemüt, dass ich es kaum zu beschreiben imstande bin. Was vermissen wir doch in unseren hochtechnisierten Städten, ohne dass es uns überhaupt bewusst wird?

Was haben wir verloren, was tauschten wir gegen täglichen Stress, Smog und sonstige Belastungen bereitwillig ein? Wer hat uns dazu verleitet? Es gibt darauf eine mögliche Antwort und diese werde ich später noch zu Papier bringen. Tröstlich ist die Möglichkeit, durch Erkennen gegensteuern zu können.

Der „kampflose Kampf“. Wie dieser geht, erfahre ich durch Olivia. Auch heute noch. Ich versuche viele meiner Eindrücke aus der Natur meinen Kindern weiterzugeben, sie zu sensibilisieren. Johannes war ihnen darin bereits um vieles voraus. Alexander schien es zu langweilig zu sein. Aber ich hatte Geduld und Liebe und vor allem, ich nahm mir Zeit.

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