Mein Schwager brachte mich nächsten Morgen auch wieder nach Wien. Eigentlich hätte ich für den Vormittag ein erstes Treffen mit meinem Anwalt vorgehabt. Das Gespräch mit Frau Dr. Petrovic erschien mir jedoch wichtiger.

Telefonat mit Frau Rötig (Institut für Ethik in der Medizin):

Sie erinnerte sich, dass bereits einmal eine Beschwerde über das Wr. Neustädter Krankenhaus eingereicht wurde. Im Allgemeinen sollte ich mich aber zuvor an den Patientenanwalt Prof. Dr. Viktor Pickl wenden. Das Institut sammelt Beschwerdeschreiben von Patienten und leitet sie dann an die betreffenden Ärzte weiter. Bei schweren Fällen finden Expertengespräche statt, die dann auch veröffentlicht werden.

Telefonat mit Ingeborg:

Ich dankte ihr für das organisierte Treffen. Auch sie meinte, dass ein Rechtsanwalt, von Frau Dr. Petrovic empfohlen, wohl besser sei als jener, den ich zufällig vermittelt bekam.

Telefonat mit Frau Ingrid:

Ich bat sie eindringlich, mir bei dem bevorstehenden Gespräch mit Frau Dr. Petrovic beizustehen. Sie erklärte sich sofort bereit und wenig später trafen wir uns vor dem Parlament.


In der verbleibenden Zeit zum Termin bereitete ich mich ein wenig vor. Folgende Punkte erschienen mir wichtig:

  • Der Arzt entscheidet nicht, ob ein Medikament verwendet wird oder nicht. Siehe Dr. Manns Bemerkungen gegenüber dem Vertreter.
  • Ein erstelltes Gutachten einer Klinik gilt als unantastbar, ein Facharzt würde mit einem Gegengutachten aus rein hierarchischen Gründen nicht durchkommen.
  • Jene Ärzte, in deren Händen Olivia war (u.a. Prof. Jürgenssen; St. Anna- Spital) leiteten das Wilmstumorprojekt und es war anzunehmen, dass sie auch wegen der Seltenheit eines Wilmstumors persönliches Interesse an Olivia hatten.
  • Sobald die Diagnose Krebs ein Kind trifft, wird dieses zwangsweise zu einer durch ein internationales Chemoprotokoll festgelegten Therapie verurteilt. Ich hatte in Erfahrung gebracht, dass solche Protokolle im Durchschnitt jedes halbe Jahr korrigiert werden.

Gespräch mit Frau Dr. Petrovic:

Zugegen waren Frau Ingrid und Frau Stauffer. Frau Dr. Petrovic versicherte mir, für den morgigen Termin bei dem Richter einen Anwalt verschaffen zu können. Dies sollte zufälligerweise Dr. Kleiner sein, den ich schon einmal konsultiert habe. Weiters erklärte sie, eine parlamentarische Anfrage zu stellen, denn sie war überzeugt, dass Dr. Hamer nicht irrt. Auch sie hatte bereits einmal ihre Tochter vor der Chemotherapie retten müssen. Die Interessen der Pharmaindustrie stellte sie dem volkswirtschaftlich höher zu bewertenden Berufsbereich der Psychologen und Gesundheitstherapeuten gegenüber, so dass, wirtschaftlich gesehen, auch in Zukunft nicht weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen würden, sonder mehr. Ihrer Meinung nach brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.

Ich war in Hochstimmung. Jetzt hatte ich die Klubobfrau der „Grünen“ auf meiner Seite. Dies würde den Richter Masizek sicherlich zu einer in unserem Sinne positiven Entscheidung zwingen. Frau Ingrid brachte mich in ihrem Wagen zum Zug nach Mödling. Während der Fahrt erzählte sie mir die Geschichte der Makkabäer-Brüder aus dem Alten Testament. Sie verlief ungefähr folgendermaßen: Ein König verlangte von den drei Makkabäer-Brüdern die Anbetung einer goldenen Statue. Diese Brüder verweigerten aber diese Götzenanbetung und beriefen sich auf ihren einzigen Gott. Da sie sich strikt weigerten, dem König Folge zu leisten, zwang sie dieser in einen riesigen, von außen einsehbaren Ofen zu steigen. Bevor die Brüder ihren Gott verleugnen wollten, nahmen sie dieses Schicksal auf sich und vertrauten darauf, dass sie Gott beschützen werde. Sie mussten den lodernden Ofen besteigen und siehe da, das Feuer konnte ihnen nichts anhaben. Erstaunt verfolgten die Umstehenden das Schauspiel. Die Brüder schritten im Ofen aufrecht im Kreise Runde um Runde ab und plötzlich waren statt drei, vier Gestalten im brennenden Ofen sichtbar geworden. Erschrocken ließ der König den Ofen öffnen und völlig unversehrt schritten die drei Brüder heraus. Der vierte Mann war verschwunden. Es war der Schutzengel der Makkabäer-Brüder, der sie vor den Flammen bewahrte. Für mich war der Sinn dieser Geschichte der, dass mit Gottvertrauen die schlimmste Situation zu meistern ist. Man musste auf Gott vertrauen und durfte nicht aus Angst vor einem möglichen Schicksal zu zweifeln beginnen.

Telefonat mit Erika:

Sie wollte bereits am Samstag mit Olivia zurückkehren. Olivia hatte bereits Sehnsucht nach ihren Geschwistern.


Ich hatte Zeit und vor allem nunmehr die innere Ruhe wiedererlangt. Was sollte nun schon Schlimmes geschehen können? Ein naher Gastgarten animierte mich, mir ein Mittagessen zu gönnen.

An diesen Dr. Untreu aus Wien musste ich einen Brief schreiben:

Sehr geehrter Herr Dr. Untreu!

Sie als Arzt bedauere ich sehr, wenn Sie gegen Ihre persönliche Überzeugung Patienten jeder Altersgruppe, aus Angst vor Sanktionen der Ärztekammer, einer nicht zielführenden Therapie zuführen müssen. Sie besitzen wohl besser als ich den Einblick in jene Machtverhältnisse, die Sie als Arzt derart unter Druck setzen können. Ich verstehe Ihr Motiv, so zu handeln. Es heißt Angst. Angst, dass all ihre Ausbildung umsonst war, Ihre gesellschaftliche Position und vielleicht sogar Ihre Existenz gefährdet werden. Wenn Ihnen Ihre Approbation entzogen würde, kämen Sie wohl in ein derart aussichtsloses Dilemma, wie es mir als Techniker wohl kaum passieren kann. Sie könnten dann Ihren Beruf wohl in kaum einem Land mehr ausüben. Ich bedauere, Sie als Arzt erpressbar zu sehen. Aber ich verurteile Sie, wenn Sie, so wie Sie sagten, auch Ihr eigenes Kind auslieferten, würde dieses sich in der Situation des meinigen befinden. Ich gebe zu, Ihnen dies nicht zu glauben. Meiner Meinung würden Sie sehr wohl Dr. Hamer um seinen Rat befragen und würden Ihr Kind vor dieser fürchterlichen Chemotherapie retten. Es würde Ihnen auch leichter als mir gelingen. Ohne viel Aufhebens würde Ihr Kind gesunden und Sie könnten weiter Ihren Beruf ausüben. Alles würde so bleiben wie es war. Für den Großteil der Bevölkerung würde die Diagnose Krebs mit einem Todesurteil gleichbedeutend bleiben. Wie viele Menschen leiden und sterben heute an Krebs? Wie viele Kinder? Und Sie wären weiterhin bereit, nichts zu sagen. Ich möchte von Ihnen nicht verlangen, ab heute offen Dr. Hamer gegenüberzustehen und sich zu verteidigen.

Ich als Techniker, der sich immer auf dem Laufenden halten muss, verlange aber auch von einem Arzt, sich immer auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse zu halten und diese auch weiterzugeben. In diesem Sinne, leisten Sie weiter Aufklärung unter Ihren Kollegen und vor allem, vertrauen Sie Ihrer eigenen Kraft.
Das Bessere ist der Feind des Guten.


Ich schaffte es leider nicht mehr, diesen Brief auch wirklich abzuschicken.

Telefonat mit Herrn B. („täglich alles“):

Der Inhalt des Gespräches mit Frau Dr. Petrovic wurde kurz erläutert. Bezüglich des erscheinenden Artikels am kommenden Sonntag bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen. Über den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Richter sollte ich ihn auf dem Laufenden halten.


Zu Hause angekommen, rief ich Frau Stauffer zurück, um mich zu erkundigen, ob nun der Rechtsanwalt Dr. Kleiner auch wirklich morgen mit mir vor dem Pflegschaftsgericht erscheinen werde. Ihre Aussage war niederschmetternd: Dr. Kleiner lehne meine Vertretung ab. Frau Stauffer wüsste im Moment keinen weiteren Anwalt, sie versicherte aber, sich weiterhin zu bemühen.

Panik ergriff mich.

Telefonat mit Frau Dr. Petrovic:

Sie war gerade in Graz. Sobald es ihr möglich sei, werde sie dort nach einem Anwalt forschen, versicherte sie mir. Kommenden Montag würde Sie mich sicherlich zurückrufen.

Aber der kommende Montag war zu spät. Ich fuhr zu unserem Verwandten Karl, der beim OGH beschäftigt war.

Gespräch mit Karl:

Er hatte entsprechende Erkundigung eingezogen und konnte mir deshalb von meinem Vorhaben, Olivia der schulmedizinischen Behandlung vorzuenthalten, nur abraten. Würde die Sache schief laufen und Olivia sterben, würde ich wegen fahrlässiger Tötung oder Unterlassen der Hilfe angeklagt werden. Auf Kindesentführung, also wenn uns Olivias Obsorge entzogen werde und wir sie trotzdem vor den Behörden verstecken würden, stünde auf alle Fälle eine Freiheitsstrafe.


Ich war am Boden zerstört. Was sollte ich tun? Wir hatten weder einen behandelnden Arzt noch einen Rechtsanwalt zu unserer Vertretung und morgen musste ich vor den Richter. Auf dem Nachhauseweg streikte mein Wagen und lies sich nicht mehr schalten. Bei all meinen Problemen, berührte mich dieses am wenigsten. Ich ging zu Fuß heim und setzte meinen Schwiegervater vom defekten Auto in Kenntnis. Es war ersichtlich, dass auch ihn diese Problematik um Olivia stark belastete. Später holten wir zu zweit den Wagen. Für den kommenden Tag nahm sich mein Schwiegervater vor, den Wagen zu reparieren, damit ich zum Gericht fahren konnte.

Ich wusste weder ein noch aus. Olivia wollte ich auf keinen Fall der absurden Chemotherapie ausliefern.

Es konnte meiner Meinung nach nur einer absolut krankhaften, pharmahörigen Medizinerideologie entspringen, einen Krebs mit einem Mittel bekämpfen zu wollen, das im Verdacht steht, selbst krebserregend zu sein.

Die kommenden Stunden waren für mich die schwärzesten meines ganzen Lebens. Ich beschloss, diese ganze abstruse Geschichte mit all ihren Widersprüchen niederzuschreiben und sie am nächsten Morgen an alle Zeitungen zu verteilen. Dann würde ich mich alleine dem Richter stellen. Dieser sollte tun, was er für richtig hielte. Ich schrieb mir die Finger wund, die Zeit lief mir davon.

Mein Freund Sepp kam auf Besuch und war sichtlich betroffen. Wir waren absolut ratlos. Als wir uns an der Tür verabschiedeten, liefen ihm und mir die Tränen über die Wangen. Ich schrieb bis spät nach Mitternacht weiter an meinem Bericht.

Erikas Tagebuchnotizen:

Des Nachts und auch am Morgen klagte Olivia über Bauchschmerzen.

Liste mit allen Tagebucheinträge, chronologisch sortiert, aufrufen

Olivas tagebuch als PDF-Datei

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